Hohelied 2,8-13

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Hohelied 2,8-13

Gott – der große Liebhaber des Lebens | Zweiter Advent | 04.12.2022 | Hld 2,8-13 | Thomas Volk |

Liebe Gemeinde,

haben Sie gewusst, dass es in der Bibel ein Buch gibt, das eine einzige Sammlung von zärtlichen Liebesliedern ist? Ein Mann und eine Frau feiern darin abwechselnd ihre Liebe zueinander. Man kann dort einen Einblick bekommen, wie sie die Schönheit der geliebten Person in wunderbare Worte kleiden und wie groß ihr Verlangen zueinander ist.

Das Buch ist das Hohelied im Alten Testament. Es gibt darin keine fortlaufende Erzählung. Das Wort Gott kommt kein einziges Mal vor. Es gibt keine Gebote oder Anweisungen. Und auf eine Art Hinweis auf Weihnachten ist schon gar nicht zu denken. Es geht alleine um die Liebe und das Begehren zweier Menschen.

Vermutlich ist das Buch überhaupt nur deshalb in die Bibel aufgenommen worden, weil man es dem großen König Salomo als Verfasser zugesprochen hat. Er wird darin einige Male erwähnt.

Ich habe mich gefreut, dass eine Kommission es gewagt hat, einen Abschnitt aus diesem Hohelied zum Auslegen für den heutigen 2.Advent vorzugeben. Seien Sie gespannt und hören Sie aus dem 2.Kapitel die Verse 8-13 nach der Gute Nachricht Bibel:

Sie 8Mein Freund kommt zu mir!
Ich spür’s, ich hör ihn schon!
Über Berge und Hügel eilt er herbei.

9Dort ist er – schnell wie ein Hirsch, wie die flinke Gazelle.
Jetzt steht er vorm Haus!
Er späht durch das Gitter,
schaut zum Fenster herein.

10Nun spricht er zu mir!

Er Mach schnell, mein Liebes!

11Komm heraus, geh mit!
Der Winter ist vorbei mit seinem Regen.

12Es grünt und blüht, so weit das Auge reicht.
Im ganzen Land hört man die Vögel singen;
nun ist die Zeit der Lieder wieder da!

13Sieh doch: Die ersten Feigen werden reif;
die Reben blühn, verströmen ihren Duft.
Mach schnell, mein Liebes!
Komm heraus, geh mit!

Adventliche Stimmung?

Ich weiß nicht, ob diese Worte Sie sofort in adventliche Stimmung versetzt haben? Denn auf den ersten Blick haben sie so gar nichts mit unserem vertrauten Advent mit Adventskranz, Plätzchen, Teepunsch und dem Hoffen auf eine winterliche Weihnacht zu tun.

Stattdessen wird in poetischer Sprache beschrieben, wie eine Frau sehnsüchtig auf ihren Geliebten wartet. Über Hügel und Berge ist er schon zu ihr unterwegs. Und als er endlich an ihrem Haus ankommt und durch ihr Fenster hineinschaut, kann auch er es kaum erwarten, dass sie aufsteht und mitkommt. Der Winter ist vorbei. Draußen blüht alles. Die Vögel singen.

Man braucht keine große Fantasie, um sich vorzustellen, dass sie ohne lange zu Überlegen alles stehen und liegen lässt und mit ihm ins Grüne hinausgeht. Und man kann sich auch leicht dazu ausmalen, wie die beiden auf einer Wiese oder in einer Weinbergshütte einen schönen Platz finden, um ungestört zusammen zu sein und all das zu tun, wovon sie schon so lange geträumt haben.

Sehnsüchtiges Warten

Als dieses und all die anderen Gedichte verfasst wurden, war Weihnachten noch lange nicht auf dem Schirm. Aber wenn wir sie in diesem Gottesdienst hören, dann merken wir schnell, was sie uns im Advent mitgeben wollen: Wie wäre es, wenn wir das Warten auf das Kommen Gottes in diese Welt mit dem Herbeisehnen eines geliebten Menschen vergleichen?

Wie war das noch mal, als wir so richtig über beide Ohren verliebt waren oder vielleicht immer noch sind?

Wie wir immerzu auf das Handy gestarrt haben, bis endlich das nächste Bild oder die lieben Worte ankamen, die uns so berührt und uns in einen regelrechten Schwebezustand versetzt haben?

Oder damals, als wir am Bahnhof ungeduldig gewartet haben, bis der Zug endlich da war? Oder als wir es kaum abwarten konnten, bis der ersehnte Brief endlich im Briefkasten lag?

Wir konnten es kaum erwarten. Alles andere war nebensächlich und lief schon irgendwie mit. Oder es konnte warten. Wichtig war nur der Moment, bis man sich endlich wiedergesehen hat und gemeinsam über alle Höhen schweben konnte.

Gott ist in froher Erwartung auf dem Weg zu dir

Auch wenn man diesen Abschnitt aus dem Hohelied nicht 1:1 auf das Verhältnis von Gott und Mensch übertragen kann, so gefällt mir die Botschaft, die ich herauslese. „Steh auf! Mach schnell! Gott ist schon auf dem Weg zu dir. Gott hat ein großes Interesse an dir, an deinem Leben, an deiner Lebensgeschichte. Du bist ihm das Wichtigste auf der Welt!“

„Steh auf! Mach schnell!“ Gott möchte mit dir zusammen durch dein Leben gehen! Sich mit dir freuen, wenn du frohe Tage erlebst! Mit dir mitleiden, wenn es anders kommt als gedacht. Will einen festen Platz in deinem Herzen haben.

Gott steht vorm Haus und schaut schon durchs Fenster hinein (vgl. V. 9). Er blickt in dein Herz und sieht, dass noch so viel Leben in dir ist.

Der Winter ist vorüber mit seinem Regen (vgl. V. 11). Vorbei ist die Zeit, in der im Leben nichts gewachsen ist und man immerzu das Gefühl hatte, sich umsonst abzumühen.

Es grünt und blüht, so weit das Auge reicht (vgl. V. 12). „Es ist ein Ros entsprungen“ (EG 30) singen wir wieder an Weihnachten. Eine Rose leuchtet mitten im Winter auf und gibt uns zu verstehen: Auch in deinem Leben wird wieder etwas aufblühen.

Deshalb: „Mach schnell!“ „Komm heraus!“ Aus deinem Schneckenhaus. Aus deiner selbstgemachten Isolation. Aus deiner Einbildung, dass dich niemand mag. Aus deinen Einreden, dass man von anderen Menschen doch nichts erwarten und schon gar nicht annehmen kann

Sich aufmachen

Mir gefällt an diesem Bild, dass sich beide gesucht und dann auch gefunden haben. Dazu mussten sich beide aber aufmachen und sich bewegen.

Genau darum geht es auch im Advent. Sich bewegen lassen und noch etwas vom Leben und von Gott erwarten.

Die bekannte deutsche Schauspielerin, Poetry-Slammerin, Dichterin und Sängerin Julia Engelmann hat ein Gedicht für alle geschrieben, die einmal in ihrem Leben beweglich waren, aber es jetzt nicht mehr sind oder kurz davorstehen, keine Erwartungen mehr an das Leben zu haben. In dem Gedicht „Aufgehört zu träumen“ schreibt sie:

„Wann haben wir aufgehört zu träumen?
Wann haben wir angefangen zu sagen:
‚Die Dinge sind, wie sie sind,
und so nehmen sie ihren Lauf?‘

Wann haben wir angefangen zu denken:
‚Dafür bin ich schon zu alt‘
und ‚Dafür habe ich keine Zeit.‘
Denn dass ich mich darum sorge,
kostet mich auch freie Zeit.“

(in: Julia Engelmann, Die Welt mit deinen Augen, 2922,  S.21 und S.22).

Allein das Erwarten kann Berge versetzen

„Wann haben wir aufgehört zu träumen?“ Im grauen Alltag kann das leicht passieren.

Deshalb weist uns der Advent leidenschaftlich darauf hin. Gott kommt zu uns in die Welt. Nicht als „holder Knabe im lockigen Haar“ (vgl. EG 46,1), sondern wie ein leidenschaftlich Liebender, der unbedingt bei uns sein möchte.

Für alle, die meinen, dass die ganz großen Veränderungen im Leben vorbei sind und deshalb auch von Gott nichts mehr erwarten, denen sei gesagt, dass alleine die trotzige Hoffnung, dass Gott kommt und sich einen Weg in unser Herz bahnen möchte, schon jede Menge verändern und manchmal Berge versetzen kann.

Wenn wir unsere Liebste / unseren Liebsten erwarten oder erwartet haben, haben wir doch auch die Wohnung aufgeräumt, schön dekoriert, Kuchen gebacken, gewaschen, geputzt, das Auto ausgesaugt.

Schon oft zu mir gekommen

Advent hält in uns nicht nur die Sehnsucht auf das Kommen Gottes zu uns aufrecht. Advent sagt uns auch: Gott kommt. Er ist schon auf dem Weg. Er nimmt dazu die unwegsamsten Wege in Kauf. Und er hofft gleichzeitig, dass wir ihn leidenschaftlich erwarten und ihn einlassen. In unser Herz. In unser Denken. In unser Leben.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt? Wo und wann, bist du, Gott, schon zu mir gekommen? Der Advent gibt uns Zeit, darüber nachzudenken. Und vielleicht erinnern wir uns daran, dass immer wieder Dinge passieren, die wir niemals für möglich gehalten hätten. Musik, die mich berührt hat. Lieder, die etwas zum Klingen in mir gebracht haben. Der warme Schein einer Kerze. Ein hoffnungsvolles Wort. Ein Anruf, der ermutigt hat. Ein Besuch, der meine Gedanken in eine ganz neue Richtung gelenkt hat.

Ich bin der Meinung: Wer etwas erwartet, sieht mehr. Wie liebende Menschen, die über sich hinauswachsen, weil sie füreinander da sind und erkennen, was andere brauchen. Genauso sieht es Gott. Er weiß, was wir gerade dran ist. Wie ein leidenschaftlich Liebender, der auch in das Herz des Gegenübers schauen kann.

Der berühmte Liederdichter Paul Gerhardt hat das vor fast 400 Jahren in seinem Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“ so in Worte gefasst: Gott „kommt, er kommt mit Willen, / ist voller Lieb und Lust, / all Angst und Not zu stillen, / die ihm an euch bewusst“ (EG 11,7).

Und die Leidenschaft Gottes möge uns Freude schenken und alle Erwartung aufrechthalten, die jetzt nötig ist. Amen.

Thomas Volk, geb. 1962, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Seit 2021 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Kissingen mit dem Schwerpunkt „Konfirmanden- und Jugendarbeit“.

Mail: thomas.volk@elkb.de

 

Liedvorschläge:

Zu Beginn: „Gott sei Dank durch alle Welt“ (EG 12,1-4)

Vor der der Predigt: „O Heiland reiß die Himmel auf (EG 7,1-5)

Nach der Predigt: „Wie soll ich empfangen“ (EG 11,1-3+7)

Zwischen den Fürbitten: EG 539 (Mache dich auf und werde licht)

Liedstrophe zum Ausgang: EG 1,5 (Komm, o mein Heiland Jesu Christ)

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