Hohelied 8,6b-7

Home / Kasus / 20. So. n. Trinitatis / Hohelied 8,6b-7
Hohelied 8,6b-7

Zorn und Zärtlichkeit, Tod und Liebe | 20. Sonntag nach Trinitatis | 30.10.2022 | Hld 8,6b-7 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

heute hören wir auf 3 Liedverse aus dem „Hohelied Salomos“, sie lauten: „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. – Ihre Glut ist feurig und eine Flamme Gottes, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. – Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“ (1)

Es gibt einen kurzen Tunnel in der Ukraine, der unter Liebespaaren als „Tunnel der Liebe“ schnell berühmt wurde. Sie lassen sich gerne am Ende des Tunnels im Gegenlicht fotografieren, dort auf den Gleisen sei „der romantischste Ort Europas“. (2). Ein Bräutigam sagte: „Uns bleibt insgesamt so wenig Zeit, die sollte man nicht mit Kriegen verbringen. Besser ­lieben, wachsen, blühen und sich vermehren.“ – Dieser „Tunnel der Liebe“ führt nicht durch ein Felsmassiv, sondern durch einen Wald, der ein dichtes Blätterdach über die eingleisige Strecke bildet. Mehrmals am Tag zuckelt ein kurzer Zug die 4 km lange Strecke entlang und bringt Holz von Orschiw nach Klewan. Ansonsten ist der schmale Laubengang frei zum Schlendern, Umarmen und Küssen. Nur selten müssen die Liebespaare ausweichen, dann, wenn ein Panzertransport durchfährt. Denn ein paar Kilometer weiter befindet sich eine Werkstatt, in der das Militär Kettenfahrzeuge repariert. Sowohl die ankommenden Wracks, wie die reparierten Panzer nutzen den blickdichten Blättertunnel zur Tarnung. Dazu sagte die Braut: „Jedes Mal, wenn die zerstörten Panzer vorbei­kommen, graust es mir.“

Verliebte in einem paradiesischen Tunnel, die den Panzerwracks ausweichen müssen – das Motiv ist ein aktuelles Bild zum Spruch: „Liebe ist stark wie der Tod.“ Wird die Liebe den Kampf gewinnen? Und welche Liebe kann welchen Tod bezwingen? Oder werden beide für immer gleichstark sein? Das würde uns wie Spielbälle zurücklassen, auf den persönlichen Spielfeldern des Lebens, auch bei Beerdigungen oder Hochzeiten.

Ein Pfarrer erzählte mir vor Jahrzehnten, dass er mehrmals von „Gefallenen“ des 2. Weltkriegs nur einen Stahlhelm und die Erkennungsmarke beerdigen konnte. Mit Predigten über „Liebe ist stark wie der Tod“ hatte er den jungen Witwen oft nur Unfassbares zu etwas Unerklärlichem zu sagen. Derselbe Vers steht in kirchlichen Online-Ratgebern für Trausprüche an erster Stelle: Liebe ist stark wie der Tod. Mit dem Hinweis: Der Vers ist „gut für Paare, die große Worte nicht scheuen.“ (3) Es wird uns also guttun, die Verse Salomos in ihrer biblischen Höhe zu belassen und ihre Lebenshilfe auf unterschiedlichen Lebensfeldern aufzuspüren.

Dazu beginne ich mit der mittleren Strophe, die von der Liebe so singt: „Die Glut der Liebe ist feurig und eine Flamme des HERRN, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.“ Wo kann dieses Lied entstanden sein? In der jüdischen Tradition gibt es den Vorschlag: Beim Durchzug durchs Rote Meer. (4) Damals konnten alle als Kehrvers mitsingen: „Rosse und Reiter hat er ins Meer gestürzt, uns aber ließ er trockenen Fußes ins gelobte Land“. Noch authentischer wäre, wenn Jesus nach seiner Taufe im Jordan ein ähnliches Lied auf den Lippen gehabt hätte. Als er aus dem Wasser stieg, riss der Himmel auf und Gott sagte ihm die unzerstörbare Beziehung zu: „Du bist der Sohn meines Wohlgefallens, meiner Liebe!“ Später predigte Jesus: „Ich und der Vater sind eins.“ Er konnte übers Wasser laufen und Petrus aus den Fluten ziehen. In seiner Auferweckung von den Toten zeigte sich mustergültig, dass Gottes Liebe stärker ist als das Tötungshandwerk auf Golgatha.

Eine solche Leidenschaft, die selbst durch reißende Wasser wieder an Land kommt, wäre eine passende Allegorie für die innere Beziehung zwischen Gott und Jesus. Wie wir Menschen ähnlich daran teilhaben können, hat der Apostel Paulus so gesehen: „Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und sind daher auch mit ihm begraben worden. Weil nun aber Christus durch die Macht des Vaters von den Toten auferstanden ist, ist auch unser Leben neu geworden, und das bedeutet: Wir sollen jetzt ein neues Leben führen.“ (5)

Unser neues Leben hat demnach eine schwierige Geburt gehabt. Der Spruch „Die Liebe ist stark wie der Tod“ ist dann ein persönliches Resümee nach einer durchgestandenen Krise. Denn der Todestrieb ist von Haus aus destruktiv, aber die Liebe „hat in sich die Potenz zur Lebensweitergabe“ (6). Eine Liebe aber, die den Tod eingrenzen kann, gehört in unseren Biographien zu den guten Genesungs-Erinnerungen. So gehen wir bei einer Sterbebegleitung wie auf das Licht am Ende eines Tunnels zu oder spüren neuen Boden unter den Füßen im Verlauf einer Ehe-Scheidung. Das Absterben einer toxischen Beziehung kann Platz machen für das Aufblühen einer neuen Liebe. Aus Gottes Mut-Beziehung zu Jesus leiten wir somit für uns ab: „Eine Furcht gibt es nicht in der Liebe. Selbst Wasserstrudel können sie von Gott nicht abtrennen. Aus dieser Kraft heraus vertreibt die vollkommene Liebe die Furcht.“ Soweit die mittlere Liedstrophe mit ihrer Lebenshilfe.

Die erste Strophe lautet: „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.“ Hier wird die Liebe körperlich. Hier sagt jemand: Leg Du mich mit Haut und Haaren wie ein Siegel auf dein Herz und ebenso auf deinen Arm, anschmiegsam und aufwühlend. Ein Siegel besiegelt, das ein Eigentümerwechsel stattgefunden hat. Diese stürmische Eroberung wird im Hohelied Salomos eingefordert, dazu werden die Körperteile einer Frau mit unverhohlener Lust umschrieben, in Bildern von Pflanzen und Tieren. Granatäpfel werden als Vergleiche hochgehalten, die Erregung äußert sich im Gurren wie von Tauben, die Vereinigung befriedigt wie die Erntearbeit in einem Weinberg. Dabei führt überwiegend eine Frau das Wort, voller selbstbewusster Wollust. Nehmen wir noch die Übersetzungsvariante hinzu: „Die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt“ (7), dann bildet dieses antike „Lied aller Lieder“ die Vielfalt ab von der Vermarktung der Liebe bis hin zu ihrem Aufbegehren gegen Unterdrückung. Darin stecken für uns viele Anregungen. Z. B. für eine zärtliche Sprache, auch für eine feministische Außenpolitik und zum Versiegeln der Kanäle, die uns mit schädlichen Bildern fluten.

Ist deswegen dieses überaus kühne Buch in die Bibel aufgenommen worden – als Orientierungshilfe? Oder ist alles nur himmlisch gemeint? Nein, unsere Intimität können wir nicht so „upgraden“, dass sie die Retterliebe Gottes zu seiner Menschheit abbildet. Oder Gott ausblenden und das Hohelied als Kamasutra interpretieren? Nein, die Schöpfungs- und Sünderliebe Gottes ist kein kosmischer Liebesakt, der sich in alltäglichen Tugendakten nachahmen lässt. Weder die Vergeistigung noch die Unterdrückung helfen. Der dazu kreative Ansatz verlangt von uns eine Wahrung der Distanz und dann eine sinnvolle Entsprechung.

Denn wie Gott seine Empfindsamkeit und seinen Zorn managt, ist und bleibt sein Ding. Er agiert uns gegenüber eindeutig, er „vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über die, so mit ihm übereinstimmen“. Ebenso auf unserer Ebene; wir Menschen haben unsere Lebenstriebe und Todestriebe selbst zu sortieren und ihm gegenüber zu verantworten. Dabei hilft uns die Maxime: „Habe deine Lust an Gott, er wird dir geben, was dein Herz wünschet… so wirst Du an Jahwe deine Wonne haben.“ (8) Dass Liebe und Leidenschaft unwiderstehlich stärker sind als das Totenreich – das lebt sich also im Himmel anders als auf Erden. Von Gott strömt Gnade und Courage auf uns zu, und von uns steigt Dankbarkeit und Leidenschaft zu ihm hoch. Das zeigt sich in vielen Alltagssituationen. Da, wo wir eine schroffe Sprache üben gegen dreiste Lieblosigkeit. Und da, wo wir eine warmherzige Sprache sprechen, um Erstarrte ins Leben zu locken.

Kommen wir zur dritten Strophe des Schlußliedes aus dem Hohelied Salomos. Sie lautet: „Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“

Diese Lebensweisheit gehört zu einem völlig anderen Lebensfeld, salopp gesagt zu: „Bauer sucht Frau“. Soll er Magd und Knecht, „Acker, Vieh und alle Güter“ als Brautpreis investieren? Es könnte alles nicht genügen. Der alttestamentliche Jakob kann dazu seine Geschichte erzählen: Er glüht Rahel an, die er von ihrem Onkel Laban zugesagt bekommt nach erst 7 Jahren Brautdienst. Doch in der Brautnacht schiebt der ihm die ältere Lea unter. Nach weiteren 7 Jahren Zähneknirschen bekommt er seine Rahel doch noch „on top“ obendrauf, aber irgendwie fühlen sich die 14 Jahre an wie vergeudet. Die Bibel warnt uns somit vor einer Liebe, die schamlos ausgenutzt wird, aber auch vor einer Liebe, mit der wir uns selbstlos ruinieren.

Auch der Apostel Paulus hat ein Hoheslied der Liebe geschrieben, in einer Strophe textete er: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelsprachen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ Die Liebe als „hätte, könnte, wollte Liebe“ wird schnell übertönt vom Scheppern unserer vielen Fehlversuche.

Das Hohelied Salomos überlegt also, für einen Liebeserwerb den gesamten Hausrat zu investieren. Übertragen wir das auf Gottes Welthaus, dann geht es um die Liebe zu seiner Schöpfung, den nächsten Generationen, zur Demokratie. Dagegen stehen harte Fakten und noch mehr Einschüchterungen. Die Frauen im Iran kämpfen gegen die religiöse Unterdrückung ihrer weiblichen Reize und eigentlich für ihre Selbstermächtigung und Freiheitsliebe. Russische Mütter wollen ihre Söhne nicht sterben sehen, die sollen „besser ­lieben, wachsen, blühen und sich vermehren.“

Was wird sich durchsetzen, die Liebe oder der Tod? Uns liegt dazu ein Weckruf in Buchform vor, mit dem Titel: „Entrüstet Euch! Von der bleibenden Kraft des Pazifismus“. Es ist von der Theologin Margot Käßmann und dem Sänger Konstantin Wecker verfasst (9), der in einem Interview zu einem anstehenden Konzert sagt: „Vor zwölf Jahren habe ich das Lied „Wut und Zärtlichkeit“ geschrieben. Ich dachte, im Alter ist es an der Zeit, nur noch zärtlich zu sein. Doch dann kam dieses Lied dazwischen und mir wurde klar, dass Wut genauso wichtig ist. Nur dürfen wir nicht aus Wut handeln, aber wir müssen sie zulassen. Denn ohne Wut wird sich nichts verändern.“ (10) Mit Liebe und Leidenschaft beginnen wir grundlegende Veränderungen, da hilft uns, bereits einen kleinen Lichtfleck am Ende des Tunnels zu sehen. Amen


(1) Hohelied Salomos 8,6b-7; Luther 2017; (2) 2009 erstmalig durch Serhii Delidon gepostet, vgl Christine Roth in: chrismon plus, 15.6.2018; (3) „trauspruch.de“ der Evgl.-luth Kirche Bayerns;

(4) christl.-jüd. Predigtmeditationen Bd.4 S. 389, dort weitere Verortungen; (5) Römer 6,4 nach NGÜ;

(6) Otmar Keel, ZBK-AT 18 S. 248; (7) Jerusalemer Bibel, 2007; (8) Luther-Ausgabe 1899; (9) Erscheinungsdatum: 1.7.2022 Verlag: bene!; (10) Weser Report vom 2. Okt 2022


Vorschlag Lieder

EG 409 Gott liebt diese Welt

EG 401 Liebe, die du mich zum Bilde

EG 674 Damit aus Fremden Freunde werden

tvd 113 Sanftmut den Männern! (S’phamandla Nkosi)

tvd 294 Auf die Liebe setzen

Wir sind geladen auf sein Fest; in: Singt Jubilate Nr 182

(Der Text nimmt Hld 8,6f auf und ist auch als Meditation geeignet.)

  1. Wir sind geladen auf sein Fest. „Kommt alle!“ lockt und ruft

der Herr, der unsre Tage zählt, der liebend unsre Namen wählt,

der Licht und Lust erschuf.

  1. Er sucht, wo wir verborgen sind, erwählt uns sich zur Braut,

küsst uns zu seinem Geisteskind, beatmet uns mit Frühlingswind,

bis unser Herz ihn schaut.

  1. Wir sind ihm wahrlich liebenswert; in Treue er uns meint.

Sein Herz, das allem Trügen wehrt, hat ew’ge Liebe uns erklärt

und uns mit ihm vereint.

  1. Wir blühn bei seiner Stimme auf, die uns in Ohren klingt.

Selbst Tod löscht solche Liebe nicht, die als ein Lied zum Herzen spricht,

dass es von Liebe singt.

  1. Gott hat die Liebe uns geschenkt zu einer lieben Lust.

Mit Leib und Seel ihr zugetan fängt alles neu zu leben an:

erwählt, begrüßt, geküsst!

Text: Jürgen Henkys 2003. © Deutscher Text: Strube Verlag, München; Melodie: Jan Hut.

Vorlage Text: Sytze de Vries „Wij zijn geroepen tot het feest“ 1991; Melodie: Interkerkelijke Stichtring voor het Kerklied, Leidschendam.


Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

de_DEDeutsch