Hohelied 8,6b-7

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Hohelied 8,6b-7

Ist es Liebe? | 20. So. n. Trinitatis | 30.10.22 | Hld 8,6b-7 | Verena Salvisberg |

«Ach, ich bin wieder mal total überfordert», stöhnt Elisabeth, die mit ihren beiden Pfarrkolleginnen unter dem Apfelbaum im Pfarrhausgarten sitzt und Kaffee trinkt. «Was soll man da predigen? Habt ihr vielleicht eine Idee?» «Mir geht es ähnlich», meint ihre Freundin Hanna. Heute morgen habe ich den Text meinem lieben Gatten vorgelesen. Der hat sich nicht mal erinnert, dass das unser Trautext war vor – warte mal – 30 Jahren. Soviel zu Leidenschaft und Liebesglut!»

«Ihr macht mich ganz neugierig», mischt sich nun Alina ins Gespräch, «ich habe noch gar nicht geschaut, was dran ist.»

«Du wieder, immer auf den letzten Drücker.», spottet Hanna, «aus dem Hohelied, 8. Kapitel, die Verse 6b und 7» .

Und Elisabeth zitiert: «Denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie das Totenreich die Leidenschaft. Feuerglut ist ihre Glut, Flamme des Herrn. Gewaltige Wasser können die Liebe nicht löschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort. Wollte einer sein ganzes Gut hingeben für die Liebe, man würde ihn nur verachten.»

«Oh, die Liebe! Wieder mal», lacht Alina, «kennt ihr den?: Ein Ehepaar sitzt beim Essen. «Was hast du denn da hineingetan?», fragt der Mann. «Kartoffeln, Käse, Rahm und ganz viel Liebe», sagt die Frau. «Da haben wir’s», meint er, «Auf Liebe war ich schon immer allergisch».

«Ja, genau das steht ja da», Elisabeth regt sich auf, «wollte einer sein ganzes Gut hingeben für die Liebe, man würde ihn nur verachten. Wer auf die Liebe setzt, über den macht man sich lustig. So wird die Liebe ins Lächerliche gezogen, klein geredet. Natürlich stecken da Erfahrungen dahinter. Von enttäuschter Liebe, von Lebensrealitäten, die die Glut abkühlen liessen und die Leidenschaft zermürbt haben. Stark wie der Tod ist die Liebe, Feuerglut ist ihre Glut. Gewaltige Wasser können die Liebe nicht löschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort. Ich weiss nicht…»

Die Frauen hängen ihren Gedanken nach.

«Mich sprechen diese Verse total an», meint Alina, «und sie erinnern mich an das Traupaar vom letzten Samstag. Die waren vielleicht verliebt! Sie konnten die Finger nicht voneinander lassen. Es knisterte sogar in meinem Pfarrbüro. Bis dass der Tod euch scheidet, konnte ich grad noch abwenden, aber die wollten das. Denen war das Ernst. Ich habe die Glut gespürt und die Kraft der Leidenschaft. Ach, das ist doch auch etwas Schönes. Die können sich gar nicht vorstellen, dass irgendetwas ihr Feuer löschen könnte!

Es hat ein bisschen Mut gebraucht, aber ich bereue es nicht, dass ich in der Predigt Erich Fried zitiert habe:

Fester Vorsatz

Denn wir wollen uns
nicht nur herzen
sondern auch munden
und hauten und haaren
und armen und brüsten und bauchen
und geschlechten
und wieder handen und fussen

Und habt ihr das gewusst?: Es gibt Untersuchungen, dass Paare, die am Anfang total ineinander verknallt waren, besser mit Krisen umgehen können. Diese Leidenschaft, oder vielleicht später auch nur noch die Erinnerung daran ist offenbar eine Kraft, eine Ressource für die Beziehung.

«Schön und gut», meint Elisabeth, aber wenn ich mir überlege, wer im Gottesdienst sitzt…wohl die wenigsten grad frisch verliebt.

Ist es nicht eher so wie bei Tevje aus Anatevka, kennt ihr den?» Elisabeth singt (wie Tevje im Musical): «Ist es Liebe?» Die Liebe als Frage, das gefällt mir schon besser.

«Erzähl», meinen die anderen beiden, «was ist mit diesem Tevje?».

««Ist es Liebe?», das fragt Tevje im Musical Anatevka seine Frau Golde. Eben hat sich ihre Tochter unsterblich in einen Studenten verliebt, einen Revolutionär. Eine unmögliche Partie. Liebe!

«Und du, Golde?», fragt Tevje seine Frau, «was empfindest du für mich? Ist es Liebe?»

«Ist es was? Bei fünf heiratsfähigen Töchtern fragt man doch nicht solchen Quatsch! Du bist krank! Geh ins Haus! Leg dich hin! Ruh dich aus! Mach schon, was ich dir sage!»

Tevje lässt sich aber nicht abspeisen: «Ist es Liebe?».

«Seit fünfundzwanzig Jahren wasche ich, koche ich, putze ich, gab dir fünf Töchter, melk die Kuh. – Nach fünfundzwanzig Jahren lass mich damit in Ruh!», sagt Golde. Und dann beginnt Tevje zu erzählen von ihrer Hochzeit vor fünfundzwanzig Jahren: Dass sie sich da zum ersten Mal begegnet sind. Wie schüchtern sie waren und ängstlich. «Unsre Mütter, unsre Väter, sagten: Liebe kommt erst später!»

Und jetzt nach 25 Jahren (oder 30?) plötzlich die Frage: Ist es Liebe?

Denn Liebe ist stark wie der Tod

und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.

Ihre Glut ist feurig und eine Flamme Gottes,

so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen

und Ströme sie nicht ertränken.

Liebe ist stark wie der Tod. Das tönt wie im Märchen. Wo einer durch die Macht der Liebe aus der Versteinerung, aus dem hundertjährigen Schlaf oder aus der Gewalt einer bösen Hexe befreit wird. Alles wird gut durch die Liebe. Und schnell ist man bereit zu sagen: Das gibt’s nur im Märchen! Wie unrealistisch, so ein Spruch! In Wirklichkeit ist die Liebe schwach. Sie hat einen schweren Stand im Alltag. Sie leidet unter Missverständnissen, Verletzungen, die wir einander zufügen. Sie flaut ab mit der Zeit, im Alltagstrott, mit der Normalität. Liebe! Was nützen die grossen Worte, jetzt mal ganz praktisch gesehen? Wäre es nicht gescheiter, ein paar Oktaven runter zu schrauben?

Spräche man nicht besser von dem, was etwas bringt: Vom Wert des Gesprächs, von der Wichtigkeit des gegenseitigen Respekts, vom langen Atem, den es braucht. Dass man nachsichtig sein muss und Geduld haben. Sich selber bleiben und tolerant sein und so weiter und so weiter.

Und sollte man nicht ehrlicherweise vom Scheitern reden, von den Verletzungen, Wunden, Narben?»

«Moment mal», meint Hanna, «Hier geht es um mehr. Die Sätze stehen immerhin in der Bibel. Glaube und Liebe brauchen eine besondere Sprache. Wo es um die Liebe geht, geht es um das Ganze. Liebe ist stark wie der Tod. Da sollte man sich nicht schon bei der Sprache beschränken! Wenn möglich… wenn nichts dazwischenkommt…

Und wenn man nach fünfundzwanzig Jahren zum dem Schluss kommt wie Tevje und seine Frau Golde: „Das muss ja Liebe sein!“, dann ist doch das eine unglaubliche Ressource».

«Wie im Märchen», lacht Alina.

«Mir geht noch etwas anderes durch den Kopf», fährt Hanna weiter, «die Liebe ist stark wie der Tod. Ja, sogar stärker als der Tod, habe ich das Gefühl. Ich muss an meine Grossmutter denken, meine geliebte Grossmutter, die jetzt schon lange tot ist. Von meiner ersten Erinnerung an fühlte ich mich von ihr geliebt. Sie hat mir Zeit geschenkt, unendlich viel Zeit. Ich durfte bei ihr Ferien machen, ganz alleine, ohne all meine Geschwister. Sie war ganz für mich und nur für mich da. Wir haben viel unternommen zusammen. Und sie hat sich immer gut überlegt, welche Unternehmungen für mich passten: Nicht zu weit wandern, nicht zu lange stillsitzen…sie hat mich mit in den Gottesdienst genommen. Hat mit mir ihre Leidenschaft für Albert Schweitzer geteilt. Später habe ich mir ihre Bücher geliehen und in der Schule einen Vortrag über ihn gemacht. Als ich in die Pubertät kam und meine Eltern schwierig wurden, hat sie mich verstanden. Sie hat sich gefreut, als ich die Matur als Jahrgangsbeste abschloss und mehrere Preise gewann. Von ihr bekam ich noch den «Preis der Grossmutter».

Und als ich Pfarrerin wurde, war sie stolz. Es war mir immer fast ein bisschen peinlich, wie sie im Altersheim allen erzählte, was ich beruflich mache.

Ich hatte nie Schwierigkeiten, mir die bedingungslose Liebe Gottes vorzustellen. Genauso musste sie sein. Wie die Liebe der Grossmutter. Ohne Wenn und Aber.

Ja, und nun ist sie ja schon lange gestorben, aber ihre Liebe ist immer noch da. Das ist schon erstaunlich. Es ist wie ein Boden oder wie ein Mantel. Eine grosse Kraft über den Tod hinaus.»

Eine ganze Weile hängen die drei Frauen noch ihren Gedanken nach.

«Also, dann ans Werk», meint Elisabeth, «das war sehr schön mit euch. Vielen Dank!»

«Am liebsten würde ich die GottesdienstbesucherInnen nach ihren Erfahrungen mit der Liebe fragen», meint Hanna, «aber das ist wohl nicht grad das, was man von mir erwartet.»

«Auf jeden Fall ist es nichts, was man von der Kanzel herab erklären könnte», meint Alina, «komisch, dass wir das trotzdem tun!»

Und Sie, liebe Gemeinde, woran denken Sie, wenn Sie diese Verse aus dem Lied der Lieder hören:

«Denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie das Totenreich die Leidenschaft. Feuerglut ist ihre Glut, Flamme des Herrn. Gewaltige Wasser können die Liebe nicht löschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort. Wollte einer sein ganzes Gut hingeben für die Liebe, man würde ihn nur verachten.»

Amen


Pfrn. Verena Salvisberg

Merligen

verenasalvisberg@bluewin.ch


Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Regionalpfarrerin seit 1. August 2022, vorher Gemeindepfarrerin in Laufenburg und Frick und Roggwil

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