Interview mit Martin Luther

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Interview mit Martin Luther

Reformationsfest, 31. Oktober 2005
Interview mit Martin Luther, verfasst von Hilmar Menke


Interview mit Dr. Martin Luther

F.: Dr. Luther, viele Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft, auch um die Zukunft der Kirche. Haben Sie einen guten Rat für uns?
M.L.: Sorgt euch nicht! Wenn aber etwas geschieht, was euch Sorge mache will, … dann macht es so: Laßt die Sorge und wendet euch mit Gebet und Flehen an Gott und bittet ihn um alles, was ihr mit Sorgen zu erreichen versucht, damit er es fertigbringe. Und tut das mit Dank dafür, daß ihr so einen Gott habt, der für euch sorgt… Wer das aber nicht tut, … der verliert Freude und Frieden in Gott und schafft doch nichts, sondern gräbt nur im Sand und senkt sich tiefer hinein – und nichts kommt dabei heraus, wie wir das tagtäglich selbst und bei anderen erfahren.

F.: Menschen verlassen die Kirche, weil sie die Kirchensteuer sparen wollen. Was sagen Sie dazu:
M.L.: Wir sollen mit Geld und Gut dazu helfen, daß man fleißige Prediger des Evangeliums, feine Kirchendiener und Schulmeister habe; daß die Armen, die sich ihre Nahrung wegen Krankheit oder anderer Not nicht selbst verschaffen können, erhalten werden. Und besonders, damit man junge Menschen, die zum Lernen tüchtig sind, fördere, damit auch unsere Nachkommen rechtschaffene Prediger und Kichendiener habe mögen.

F.:„Geiz ist geil”, das ist geradezu ein Sprichwort geworden…
M.L.: Es gibt ja keinen Bürger oder Bauern, der um des Evangeliums willen sein Korn auf dem Markt einen Cent billiger hergeben würde, auch wenn es sinnvoll wäre. Sondern, wer’s einen Euro teurer machen könnte, so täte er das lieber; und kein Bürger würde sich ein Gewissen daraus machen, sein Dünnbier als Bier zu verkaufen. Auch im Handel und Handwerk ist das so, weil sich jedermann an strengt, wie er die Leute übervorteile und nur zusammen scharre, geize und Schaden anrichte…

F.: Die Pisa-Studien haben gezeigt, daß Deutschland in Sachen Bildung nicht mehr mithalten kann. Wie wichtig ist Ihnen Bildung?
M.L.: Ich bitte, liebe Herren und Freunde, um Gottes und der armen Jugend willen: Achtet diese Sache nicht gering, wie es viele tun… Denn es ist eine ernste und große Sache, an der Christus und aller Welt viel liegt, daß wir der Jugend helfen und raten. Liebe Herren, wenn man pro Jahr so viel aufwenden muß für Waffen, Straßen, Deiche und unzählige andere Dinge, damit dem Staat … Friede und Wohlfahrt erhalten bleibe, warum sollte man dann nicht um so mehr genau so viel für die bedürftige Jugend ausgeben…?! Wenn ich Kinder hätte und es vermöchte, sie müßten nicht
allein Sprachen und Geschichte lernen, sondern auch Singen, Musik und Mathematik. Man soll auch Fleiß und Kosten nicht sparen, gute Bibliotheken einzurichten… Und daß nicht nur, damit die, die uns geistlich und weltlich regieren sollen, zu Lesen und zu Studieren haben, sondern auch damit die guten Bücher erhalten werden und nicht verloren gehen.

F.: In der Kirche müssen wir sparen. Viele Pfarrstellen sind schon aufgehoben. Wie sollen die Pastorinnen und Pastoren damit umgehen?
M.L.: Man kann nicht zuviel in der Heiligen Schrift lesen, und was man liest, das kann man nicht richtig genug lesen; und was man richtig liest, das kann man nicht gut genug verstehen;
und was man versteht, das kann man nicht intensiv genug lehren; und was man lehrt, das kann man nicht genug leben. Darum, liebe Herren und Brüder, Pfarrherren und Prediger: Betet, lest, studiert, seid fleißig! Fürwahr, es ist in dieser bösen Zeit nicht Zeit zum Faulenzen, Schnarchen und Schlafen. Gebraucht die Gabe, die euch anvertraut ist und offenbart das Geheimnis Christi.

F.: Sie legen den Pfarrern viel Verantwortung auf. Was ist mit den anderen Gemeindeglieder, mit den sogenannten Laien?
M.L.: Es kann niemand leugnen, daß jeder Christ Gottes Wort hat und von Gott zum Priester gelehrt und gesalbt ist…. Christen sind Christi Brüder, mit ihm zum Priester geweiht. Stimmt es aber, daß sie Gottes Wort haben.. ., so sind sie auch verpflichtet, dies zu bekennen, zu lehren und auszubreiten. So ist es hier gewiß, daß ein Christ nicht allein das Recht und die Macht hat, das Gotteswort zu verkündigen, sondern auch verpflichtet, das zu tun, beim Verlust seiner Seele und der Ungnade Gottes.

F.: Andererseits: Auch wenn viele sich engagieren werden wir vielleicht trotzdem irgendwann als Kirche nicht mehr überall präsent sein können. Wenn man die Zahlen der  Gottesdienstteilnehmer sieht, hat man manchmal den Eindruck, als würde die Kirche nicht mehrgebraucht und gewünscht.
M.L.: Die Predigt des Evangeliums ist keine ewig währende, bleibende Lehre, sondern sie ist wie ein Platzregen, der kommt und geht; was er trifft, das trifft er, wo er fehlt, da fehlt er; er kommt aber nicht wieder, bleibt auch nicht stehen … Liebe Schwestern und Brüder: Kauft, solange der Markt vor der Tür ist, sammelt, solange die Sonne scheint und gutes Wetter ist. Gebraucht Gottes Wort, solange es da ist. … Paulus brachte es nach Griechenland; aber hin ist hin, nun haben sie den Türken; Rom und Italien haben es auch gehabt, sie haben nun den Papst. Und ihr Deutschen dürft nicht  denken, da ihr es ewig haben werdet. Undank und Verachtung werden es nicht bleiben lassen!

F.:Pastorinnen und Pastoren leiden manchmal darunter, dass von ihnen zuviel und zuviel Perfektes gefordert wird. Müssen sie alles können und alles tun?
M.L.: Sagt (den Gemeinden) doch, daß man Pfarrer sich nicht so malen kann, wie sie es gerne hätten. Sie sollen Gott dankbar sein, selbst wenn sie Gottes Wort nur aus einem Predigtbuch  vorgelesen hören, während sie doch früher unter dem Papst nur Teufelsfürze und Dreck hören und noch teuer dafür bezahlen mußten. Wie kann man ihnen lauter Dr. Martinusse und
Magister Philippusse schaffen? Wenn sie lauter St. Ambrosiusse und St. Augustinusse haben wollen, dann sollen sie sie sich selber schaffen. Wenn ein Pfarrer seinem Herrn Jesus Christus gut genug ist, sollten sie … auch zufrieden sein.

F.: Die Kirche wird oft kritisiert – von den einen, weil sie sich zu bestimmten Themen äußert, von anderen, weil sie zu anderen Themen schweigt. Was sagen Sie dazu?
M.L.: So geht es heutzutage zu: Predigt man das Evangelium, so hilft’s nichts; Predigt man das Gesetz , so hilft’s auch nicht. Pfeift man, so wollen sie nicht tanzen; klagt man, so wollen sie nicht weinen. Man kann die Welt weder recht fröhlich noch recht traurig machen. Es ist ein Volk, das weder Gesetz noch Evangelium versteht und verstehen will; man kann sie weder zu Sündern machen noch sie wegen der Sünden trösten. Wie soll man es denn für die Welt noch machen? Ihr würde wohl nur gefallen, wenn man alles lobt, was sie tut – obwohl sie doch nichts rechtes zustande bringt.

F.: Das klingt sehr kritisch und auch resigniert. Sollen wir Christen uns ganz aus der Welt heraushalten?
M.L.: Hier auf Erden sind wir (tatsächlich) keine Bürger, die fest wohnen könnten und den Himmel auf Erden hätten. Wir sind mit Christus Bürger im Himmel…. Wir hoffen darauf, erlöst zu werden, wie das Volk Israel in Babylon… Weil wir aber in der Fremde und in unserem Babylon leben müssen, so lange Gott es will, so wollen wir es so halten, wie es (damals dem Volk Israel) befohlen wurde – so, daß wir hier mit den Leuten leben, essen und trinken, haushalten, den Acker bebauen, regieren und Frieden mit ihnen halten, auch Fürbitte halten, bis wir einst heimgehen.

F.: Allgemein beklagt wird, daß es keine anerkannten gemeinsamen Werte mehr gebe. Oft wird die Kritik daran festgemacht, daß die Familie keinen Wert mehr zu haben scheint und fast 50 % aller  Ehen inzwischen geschieden werden. Selbst Pastorenehen sind davor nicht geschützt.
M.L.: Wenn es (z.B.) so ist, daß eine Frau sich so der Ehe ungemäß gegen den Ehemann verhält, so kann ich das Recht nicht weiter und nicht enger fassen, als Gott selber es faßt, der durch St. Paulus 1. Korinther 7 in solchen Dingen folgendes Urteil fällt: Wenn der Ungläubige sich scheidet, so laß ihn sich scheiden, es ist der Bruder oder die Schwester in solchen Fällen nicht
gebunden. Darum sage ich auch: Wer nicht bleiben will, der fahre dahin, der andere muß deswegen nicht ohne Ehe bleiben… Kann er nun ohne Frau nicht sein, so heirate er eine andere, im Namen Gottes, weil jene nicht will.

F.: Geldmangel hat dazu geführt, daß in machen Landeskirchen schon Kirchengebäude verkauft werden.
M.L.: (In der Heiligen Schrift) bedeutet Gottes Haus kein schönes, großes Gebäude, wie wir sie haben. Gott fragt nicht danach, ob es ein großes Gewölbe habe oder geweiht sei. Er wohnt bei uns und baut sich sein Lebtag lang kein Haus. Was gehört denn anderes dazu, daß er bei uns wohnt? Nichts mehr als daß er da sei mit seinem Wort; wo das ist, da wohnt er ganz bestimmt; wo das Wort nicht ist, da wohnt er nicht, man baue ihm ein Haus so groß wie man wolle. Das Kirchengebäude hat nur Wert, wenn Gottes Wort darin gepredigt wird.

F.: Ein immer größer werdendes Problem ist, daß wir Menschen immer älter werden. Bald wird es mehr Alte Menschen geben als Junge, die Rentenkassen stehen vor dem Ruin…
M.L.: Den jungen Leuten muß man die Vorstellung vermitteln, dass sie ihre Eltern an Gottes statt sehen und so von ihnen denken, auch wenn sie … arm und gebrechlich sind, daß sie eben dennoch Vater und Mutter sind, ihnen von Gott gegeben. (Vater und Mutter ehren, das bedeutet auch:) Ihnen mit Geld und Gut die Ehre erweisen, so daß man ihnen diene, helfe, und sie versorge, und das nicht nur gern, sondern mit Demut und Ehrerbietung, als vor Gott getan. Denn wer weiß, wie er sie im Herzen halten soll, der wird sie nicht Not und Hunger leiden lassen…

F.: Immer drängender wird auch die Frage, wie wir mit denen umgehen, die aus verschiedensten Gründen aus armen Ländern, Kriegs- und Krisengebieten usw. zu uns kommen.
M.L.: Es gibt auch bei uns viel Armut und es kommt aus allen Landen so viel dazu, so daß wir es nicht mehr erschwingen können, weil wir selbst nichts übrig haben. Wenn es so weitergeht muß ich wohl ein öffentliches Schreiben an die reichen Christen richten und, wie Sankt Paulus an die Korinther und anderswo schreibt, für die Armen betteln, die in unsere Armut flüchten und bei uns Hilfe suchen.

F.: Sie berufen sich immer wieder auf die Bibel. Ist sie wirklich auch heute noch so wichtig?
M.L.: Das sollst du wissen, daß die Heilige Schrift ein Buch ist, das alle anderen Bücher zur Narrheit macht, weil keines außer der Bibel über das ewige Leben belehrt. Hüte dich, daß du ihrer nicht überdrüssig wirst, oder denkst, du hättest mit einem oder zwei malen genug gelesen, gehört und gesagt und verstündest es nun alles von Grund auf. Da lernt kein Geistlicher, kein Christ jemals aus.

F.: Dr. Luther, eine Frage um Schluß: Es muß für Sie doch eine Genugtuung sein, daß unsere Kirche sich nach Ihnen „lutherisch” nennt.
M.L.: Ich bitte, schweigt von meinem Namen, nennt euch nicht lutherisch, sonder Christen. Was ist schon Luther? Die Lehre ist doch nicht mein. Ich bin auch für niemanden gekreuzigt worden. Der Heilige Paulus wollte auch nicht zulassen, daß Christen sich „paulinisch” oder „petrinisch” nennen wollten, sondern sie sollten sich Christen nennen. Wie käme ich armer, stinkender Madensack dazu, daß man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen bezeichnen sollte? Aber wenn ihr meint daß Luthers Lehre wirklich evangelisch ist (also dem Evangelium entspricht), so dürft ihr Luther auch nicht wegwerfen, ihr werft sonst seine Lehre mit fort, die ihr doch für Christi Lehre haltet.

F.: Herr Dr. Luther, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Hilmar Menke
Superintendent im Kirchenkreis Land Hadeln
HHFJMenke@aol.com

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