Ist das nicht alles Heuchelei?

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Ist das nicht alles Heuchelei?

Predigt zu Markus 8, 1-9 |verfasst von Pastorin Susanna Kschamer aus Kosel (Schleswig-Holstein)|

 

 

Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

 

Liebe Gemeinde,

 

wie schön, dass wieder Erntedank ist. Wie schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind und dass wir zusammen feiern können. Wenn auch in diesem Jahr nicht in der liebevoll geschmückten Kirche, dafür aber mit einem schön gestalteten Altar hier auf der Wiese. Herzlichen Dank an die Küsterin und alle anderen Helfer!

Und hier draußen können wir singen, singen von unserer Freude über die Ernte und über die Natur. Als Dank für all die guten Lebensmittel, die wir nun essen dürfen! Schöne und vertraute Lieder. Das „Bunt sind schön die Wälder.“ klingt noch in meinem Herzen nach. Und ich freue mich schon auf „Wir pflügen und wir streuen“ mit allen fünf Strophen nach der Predigt.

 

Doch so ganz unbefangen kann ich das nicht. Nicht wenn ich ernst nehme, dass dieser Dank an Gott geht und dass es hier schon deshalb nicht um schönen Schein gehen darf. Auch den Bauern und Bäuerinnen und all den anderen Menschen gegenüber, die dafür arbeiten, dass wir einen gut gefüllten Tisch haben, wäre folkloristische Heuchelei nicht angemessen. Und ebenso wenig kann ich unbefangen in einen Jubel über die Natur ausbrechen.

Da gibt es so vieles, was nicht gut ist: Viele unserer Landwirte fühlen sich von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen und geben dem mit grünen Kreuzen auf den Äckern und Trecker-Demonstrationen Ausdruck. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in Folge dessen eine Stunde zu spät bei einer Besprechung in Plön ankam.

Die Art und Weise, wie wir Menschen im großen Stil Nahrungsmittel anbauen – industrialisiert und globalisiert – trägt wesentlich zum Artensterben und damit zur Gefährdung allen Lebens auf der Welt bei. Zusätzlich zur Veränderung des Klimas durch den hohen CO2 – Ausstoß.

Oft werden Nahrungsmittel unter schlimmen Arbeitsbedingen hergestellt. Durch die Corona – Epidemie sind wir auf die Zustände in großen fleischproduzierenden Betrieben aufmerksam gemacht worden. In Südeuropa wird unser Obst und Gemüse oft unter menschenunwürdigen Bedingungen von Arbeiterinnen und Arbeitern ohne Aufenthaltsstatus produziert. Das macht Fleisch, Obst und Gemüse für uns billig und verdirbt die Preise für die, die es im Interesse von Menschen und Natur besser machen wollen.

Aber kann man die Preise so erhöhen, ohne dass die Menschen mit bescheidenem Einkommen in Schwierigkeiten kommen und die Ärmsten leer ausgehen? Gute Lösungen sind nicht in Sicht. Wie können wir in dieser schwierigen Situation alle satt machen?

 

Eine ähnliche Frage stellen die Jünger in unserem Predigttext, den wir eben als Evangelium gehört haben: „Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen?“. Auch da war die Lage nach menschlichem Ermessen aussichtslos.

 

Ich lese den Predigttext noch einmal, diesmal in der Neuen Genfer Übersetzung:

In jenen Tagen war wieder einmal eine große Menschenmenge ´bei Jesus`. Da die Leute nichts zu essen hatten, rief Jesus seine Jünger zu sich und sagte:

„Mir tun diese Menschen leid. Seit drei Tagen sind sie nun schon bei mir und haben nichts zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause gehen lasse, brechen sie unterwegs vor Erschöpfung zusammen; außerdem sind einige unter ihnen von weit her gekommen.“

Die Jünger erwiderten: „Wo soll man denn hier in dieser einsamen Gegend genug Brot bekommen, um sie alle satt zu machen?“

Doch Jesus fragte sie: „Wie viele Brote habt ihr?“ – „Sieben“, antworteten sie.

Da forderte er die Menge auf, sich auf dem Boden zu lagern. Er nahm die sieben Brote, dankte Gott dafür und brach sie in Stücke. Dann gab er sie seinen Jüngern zum Verteilen, und die Jünger teilten sie an die Menge aus.

Sie hatten auch noch ein paar kleine Fische. Jesus ließ sie ebenfalls verteilen, nachdem er Gott dafür gedankt hatte.

Und die Leute aßen und wurden satt. Am Schluss sammelte man auf, was übriggeblieben war – sieben Körbe voll.

Die Zahl derer, die an der Mahlzeit teilgenommen hatten, belief sich auf ungefähr viertausend.

 

Drei Tage waren die Menschen nun schon bei Jesus, ihre mitgebrachten Vorräte werden aufgebraucht gewesen sein. Und selbst wer genug Geld dabei hatte, hätte in dieser Gegend nichts kaufen können. Jeder Appell an die Selbstverantwortung der Menschen wäre nur zynisch gewesen. Man hätte ihnen nur den Vorwurf machen können, dass sie zu lange bei Jesus geblieben sind.

 

Jesus ging die Angelegenheit an die Nieren – im griechischen Wort, was hier mit „leid tun“ und bei Luther mit „mich jammert“ übersetzt wurde, steckt das Wort für Eingeweide.

Das Wohlergehen, Gesundheit und zum Teil sogar das Leben von Menschen stehen hier auf dem Spiel. Und damit auch die von Jesus verkündigte gute Botschaft. Er wendet sich an die Jünger, aber die sind ratlos. Doch nun wird nicht lang und breit darüber geredet, wie aussichtslos die Lage ist und was man alles nicht tun kann, obwohl man gerne würde. Oder darüber, was andere schon längst hätten getan haben müssen.

Jesus konzentriert sich auf das, was da ist: und das sind sieben Brote. Er überlässt deren Verteilung nicht dem Zufall. Die Menschen sollen sich auf den Boden setzten – den Boden der Tatsachen.

Und Jesus dankt!  Auch diese offensichtliche Mangelsituation hindert ihn nicht daran. Mir scheint der Dank ist es, der für das Wunder Raum schafft. Für die Lösung des Problems, die vorher niemand sehen konnte. Und über deren genaues Zustandekommen ja auch die Bibel nicht berichtet.

 

Und dann geht es pragmatisch und organisiert weiter: die Brote werden verteilt und die später dazugekommenen Fischlein auch.  Die Reste werden sorgsam in Körben verstaut.

Nun sind alle Menschen satt – der Magen ist satt von Brot und Fisch und das Wort von Worten Jesu. Und nun entläßt sie Jesus wieder in ihr selbstverantwortetes Leben.

 

Mir macht diese Geschichte Mut zum Danken und Loben. Zu einem ehrlichen Danken und Loben für das, was da ist. Ohne im gleichen Moment an alles denken zu müssen, war nicht optimal ist. Zur Hoffnung auf Lösungen, die mir im Moment nicht vor Augen stehen. Man mag sie als Wunder bezeichnen. Zum Gebet dafür. Und zum Tun dessen, was ich tun kann.

 

Hoffentlich habe ich Sie und Euch damit angesteckt und motiviert, nun mit mir zusammen fröhlich „Wir pflügen und wir streuen“ zu singen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Pastorin Susanna Kschamer, geb. 1964

Gemeindepastorin in Kosel (Schleswig-Holstein)

s.kschamer@kirche-kosel.de

 

Die Predigt wird beim Erntedankfest auf den Wiesen vor den beiden Kirchen, die zu unserer Gemeinde gehören, gehalten. Wegen der Corona – Pandemie feiern wir in diesem Jahr nicht in den Kirchen, damit genug Menschen teilnehmen können und damit wir singen dürfen. Wer nicht zum Gottesdienst kommen mag, findet die Predigt als Text oder Audiodatei auf unserer Website, kann sie über unseren Telefondienst „Bei Anruf Predigt“ hören oder sie sich als Predigtbrief zusenden lassen.

Der Predigttext wird in der Lutherübersetzung als Evangelium gelesen.

 

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