„Ist Gott für mich“ (EG 351)

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„Ist Gott für mich“ (EG 351)

Predigreihe zu Paul Gerhardt / 2007
„Ist Gott für mich“ (EG 351),
Predigt zu Römer 8, 31b, 35, 37 – 39 im Lied EG 351 verfasst von Erika Godel


Liebe Geschwister.

„Kommt einer an und fragt: ‚Wie geht’s?‘
Steht man gewöhnlich oder stets
Gewissermaßen peinlich da,
Indem man spricht: ‚Nun, so lala‘
Und nur der Heuchler lacht vergnüglich
Und gibt zur Antwort: ‚Ei, vorzüglich!‘
Im Durchschnitt ist man kummervoll

Und weiß nicht, was man machen soll“An der kummervollen Grundstimmung, die Wilhelm Busch schon vor über einhundert Jahren bei seinen Mitmenschen beobachtete, hat sich, wie ich finde, bis heute nicht viel geändert. Aus der Mode gekommen ist nur der Begriff Kummer. Wir sprechen heute von Problemen; und davon haben wir viele; und das macht uns Sorgen.

Die Sorge grassiert geradezu unter uns. Nicht nur die Sorge um Deutschland, die Politiker aller Parteien gerne heraufbeschwören, wenn es um die Durchsetzung unpopulärer Beschlüsse geht, sondern die Sorge überhaupt. Eine große Versicherungsgesellschaft hat unlängst eine repräsentative Umfrage zur Befindlichkeit in unserem Land gemacht. Die ergab, dass die Deutschen in großer Sorge leben. Am meisten sorgen sie sich um die steigenden Preise, dann um die allgemeine Wirtschaftslage und die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit. Vor Krieg fürchten sie sich nicht, eher vor Terroranschlägen. Persönliche Sorgen, wie die vor einer schweren Krankheit und die Befürchtung, Pflegefall oder arbeitslos zu werden, rangieren deutlich dahinter. Um sein Seelenheil sorgt sich nach dieser Umfrage niemand ernsthaft. Die Sorge gilt ausschließlich dem Leben, genauer gesagt, den Lebensumständen. Und so schlecht ist dieses Ergebnis gar nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass alle Lebensumstände beeinflussbar und änderbar sind.
Der Wunsch ist ja verständlich, keine Sorgen zu haben und nicht leiden zu wollen und nicht leiden zu müssen, er hat allerdings einen Haken: Er macht nämlich empfänglich für alles, was Leidensvermeidung verspricht. Das boomende Geschäft mit Versicherungen aller Art beweist es. „Rundum sorglos Pakete“ verkaufen sich gut. Wie früher Dome und Kathedralen ragen heute die Geschäftshochhäuser der großen Versicherungsanstalten in den Himmel und künden von dem, wovor wir uns im Leben am meisten fürchten, von unserer Angst vor Leiden. Ob Verlust oder Verletzung die Ursache des Leidens sind, ist dabei unerheblich. Fest steht, dass es den meisten von uns sehr viel Geld wert ist, sich dagegen zu versichern. Viele sind sogar der Meinung, dass es Schmerzen, Qualen und Leiden in einem so zivilisierten Land wie dem unseren eigentlich überhaupt nicht mehr geben sollte. Deshalb haben wir eine ausgeklügelte Kultur der Leidensvermeidung entwickelt. Und wo gelitten wird, schauen wir einfach nicht hin. Mit Schmerz und Qual wollen wir nichts zu tun haben, weder bei uns noch bei anderen. Wenn es irgendwie machbar ist, dann gehen wir nicht nur dem eigenen Leiden aus dem Weg, sondern jedem Leiden und am liebsten auch allen Leidenden.

Zu dieser Haltung steht merkwürdig quer, dass es im Kirchenjahr eine Passionszeit, eine sechswöchige Leidenszeit gibt, die mit Ostern endet. In der vorösterlichen Passionszeit bedenken Christen den Leidensweg ihres Herrn Jesus Christus. Das Kirchenjahr gibt sechs Wochen Zeit, um vergangenes und gegenwärtiges und fremdes und eigenes Leiden wahrzunehmen. Nicht die Vermeidung von Leiden soll uns in diesen Wochen beschäftigen. Es geht vielmehr darum, Leiden als Teil unseres Menschseins ernst- und anzunehmen. Die Bibel selbst hat keine Erklärung für Leiden. Sie gibt keine Antwort auf die Frage, warum Gott es zulässt, dass guten Menschen Böses widerfährt. Bestenfalls helfen uns biblische Geschichten dabei, Leiden auch positiv zu bewerten und mehr noch, auch im Leiden auf Gott zu vertrauen.

Ein Christenmensch, der dies in wunderbaren Worten bezeugt hat, war der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt. Von klein auf musste er viel aushalten und verkraften. Mit 14 Jahren ist er verwaist. Pest und Krieg nahmen ihm seine Verwandten. Jugend und Studium überschattete der Dreißigjährige Krieg. Zum Broterwerb musste er Gelegenheitsarbeiten als Hauslehrer annehmen. Erst im Alter von Mitte 40 bekam er seine erste feste Anstellung und konnte heiraten. Von seinen fünf Kindern überlebte nur eins.

Und dennoch: mit unnachahmlicher Poesie bezeugt Paul Gerhardt das Wirken Gottes als heilsame Realität auch unter den widrigsten Umständen in schwerer Zeit: Die Frage, die sich andere stellen, wenn etwas Schlimmes passiert, nämlich: „Wie kann Gott das zulassen?“ kam ihm nie in den Sinn. Leidensvermeidung war einfach kein Thema für ihn. Stattdessen dichtete er: „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich…“ Als ein im Leiden Erfahrener predigt Paul Gerhardt uns sein Gottvertrauen. Das wollen wir uns jetzt zusingen:

EG 351
1: Ist Gott für mich, so trete
gleich alles wider mich;
sooft ich ruf und bete,
weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde
und bin geliebt bei Gott,

was kann mir tun der Feinde
und Widersacher Rott?

2: Nun weiß und glaub ich feste,
ich rühm’s auch ohne Scheu,
daß Gott, der Höchst und Beste,
mein Freund und Vater sei
und daß in allen Fällen
er mir zur Rechten steh

und dämpfe Sturm und Wellen
und was mir bringet Weh.

3: Der Grund, da ich mich gründe,
ist Christus und sein Blut;
das machet, daß ich finde
das ewge, wahre Gut.
An mir und meinem Leben
ist nichts auf dieser Erd;

was Christus mir gegeben,
das ist der Liebe wert.

4: Mein Jesus ist mein Ehre,
mein Glanz und schönes Licht.
Wenn der nicht in mir wäre,
so dürft und könnt ich nicht
vor Gottes Augen stehen
und vor dem Sternensitz,

ich müßte stracks vergehen
wie Wachs in Feuershitz.

5: Der, der hat ausgelöschet,
was mit sich führt den Tod;
der ist’s, der mich rein wäschet,
macht schneeweiß, was ist rot.
In ihm kann ich mich freuen,
hab einen Heldenmut,

darf kein Gerichte scheuen,
wie sonst ein Sünder tut.

6: Nichts, nichts kann mich verdammen,
nichts nimmt mir meinen Mut:
die Höll und ihre Flammen
löscht meines Heilands Blut.
Kein Urteil mich erschrecket,
kein Unheil mich betrübt,

weil mich mit Flügeln decket
mein Heiland, der mich liebt.

7: Sein Geist wohnt mir im Herzen,
regiert mir meinen Sinn,
vertreibet Sorg und Schmerzen,
nimmt allen Kummer hin;
gibt Segen und Gedeihen
dem, was er in mir schafft,

hilft mir das Abba schreien
aus aller meiner Kraft.

8: Und wenn an meinem Orte
sich Furcht und Schrecken find’t,
so seufzt und spricht er Worte,
die unaussprechlich sind
mir zwar und meinem Munde,
Gott aber wohl bewußt,

der an des Herzens Grunde
er siehet seine Lust.

9: Sein Geist spricht meinem Geiste
manch süßes Trostwort zu:
wie Gott dem Hilfe leiste,
der bei ihm suchet Ruh,
und wie er hab erbauet
ein edle neue Stadt,

da Aug und Herze schauet,
was es geglaubet hat.

10: Da ist mein Teil und Erbe
mir prächtig zugericht‘;
wenn ich gleich fall und sterbe,
fällt doch mein Himmel nicht.
Muß ich auch gleich hier feuchten
mit Tränen meine Zeit,

mein Jesus und sein Leuchten
durchsüßet alles Leid.

11: Die Welt, die mag zerbrechen,
du stehst mir ewiglich;
kein Brennen, Hauen, Stechen
soll trennen mich und dich;
kein Hunger und kein Dürsten,
kein Armut, keine Pein,

kein Zorn der großen Fürsten
soll mir ein Hindrung sein.

12: Kein Engel, keine Freuden,
kein Thron, kein Herrlichkeit,
kein Lieben und kein Leiden,
kein Angst und Fährlichkeit,
was man nur kann erdenken,
es sei klein oder groß:

der keines soll mich lenken
aus deinem Arm und Schoß.

13: Mein Herze geht in Sprüngen
und kann nicht traurig sein,
ist voller Freud und Singen,
sieht lauter Sonnenschein.
Die Sonne, die mir lachet,
ist mein Herr Jesus Christ;

das, was mich singen machet,
ist, was im Himmel ist.

Text: Paul Gerhardt 1653
Musik: England um 1590, geistlich Augsburg 1609

Liebe Geschwister,

was Paul Gerhardt uns in diesem Lied predigt, ist in gewisser Weise eine Auslegung eines Textes aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom. Gekürzt steht sie im 8. Kapitel des Römerbriefes in den Versen 18 – 39:

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. …Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern…Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? …Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?…Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Wenn einer oder eine ganz am Ende ist, bei Beerdigungen, wird die Glaubensgewissheit des Paulus gerne beim letzten Abschied am Grab beschworen: „Nichts, aber auch gar nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen. Nie und nimmer!“ Die Toten muss das eigentlich nicht mehr interessieren, aber uns, die wir leben. Wir sind es doch, denen Zeiten bevorstehen und die von Umständen betroffen werden können, die uns Angst und Sorgen machen und Leiden schaffen, gegen die sich keiner versichern kann. Und was dann? Wer glaubt, dass irgendein „Schicksal“ ihm oder ihr Leiden beschert, kann es nur hinnehmen, erleben und erleiden bis zum bitteren Ende. Wer aber mit Paul Gerhardt glaubt: „An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd; was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert“, der gewinnt Spielraum, Gestaltungsmöglichkeiten auch im Unglück.

Was uns auch zustößt, immer gilt: „Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“ ( Psalm 91). Das Psalmwort lehrt uns: Die Passion Gottes, seine Leidenschaft für unser Wohlergehen, steht immer am Anfang seiner Beziehung zu uns Menschen. Leiden ist nur die eine Seite der Passion, Leidenschaft ist die andere, und beide gehören zusammen.

Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit, mich darauf zu besinnen, was mir weh tut, worunter ich leide und was ich dagegen tun will, und das passioniert, das heißt: mit Leidenschaft. Sagen Sie selbst: Dass man sich mit oder aus Leidenschaft ein „Rundum sorglos Paket“ bei einer Versicherung erwirbt, ist schwer vorstellbar und klingt eher lächerlich. Versuchen Sie es doch lieber mit Gottvertrauen. Ich wünsche Ihnen Mut um bei nächster Gelegenheit auf die Frage „Wie geht es Ihnen?“ wenigstens sich selber mit Paul Gerhardt zu antworten: „Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein…Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist!“
Amen


Dr. Erika Godel
Olympische Str. 10
14052 Berlin
E-Mail: godel@snafu.de

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