Jakobus 1, 12-18

Jakobus 1, 12-18

 


Invokavit,
17. Februar 2002
Predigt über Jakobus 1, 12-18, verfaßt von Walter Meyer-Roscher

Vorbemerkung:
Martin Luther hat den Jakobusbrief eine „stroherne Epistel“
genannt, weil er sich nach seiner Überzeugung zu weit von der „Mitte
der Schrift“, von dem, „was Christum treibet“, vom Gedanken
der Rechtfertigung „ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“
(Römer 3, 28) entfernt. Für Luthers Urteil habe ich bei der
Arbeit am Predigttext Verständnis empfunden. Das kommt in der Predigt
zum Ausdruck, in der ich versucht habe, Gedanken des Textes auf die Mitte
des Neuen Testaments zu beziehen oder sie auch von dieser Mitte her kritisch
zu beleuchten.

Predigttext:
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt
ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen
hat denen, die ihn lieb haben.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde.
Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht
niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen
Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat,
gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist,
gebiert den Tod. Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Alle gute
Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des
Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und
der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der
Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

Liebe Gemeinde,

„Du fragst mich, was ich will. Ich weiß es nicht. Ich weiß
nur, dass ich träume, dass der Traum mich lebt und ich in seiner
Wolke schwebe.“

So hat Rose Ausländer in seinem ihrer Gedichte auf die Frage nach
Sinn und Ziel des Lebens geantwortet. Aber das ist doch als Antwort zu
wenig und zu vage. Wenn wir gefragt werden, was wir sollen, können
wir uns nicht nur in unsere Träume zurückziehen und die Wirklichkeit,
die wir zu bestehen haben, mit den Worten „Ich weiß es nicht“,
ausblenden.

Wir wissen im Grund doch auch, was wir wollen – dass nämlich unser
Leben gelingt und wir uns mit unseren Lebensentwürfen bewähren.
Da drängt sich als Antwort durchaus auf, was der Predigttext nahe
legt: Nur wer standhält, wer sich Gott gegenüber für sein
Leben verantwortlich weiß und wer diese Verantwortung auch im Alltag
an Gottes Geboten ausrichtet, wird die Krone des Lebens erhalten.

Ja, das Bild vom Leben als Kampf legt sich nahe. Es geht darum, den Lebenskampf
zu bestehen und sich nicht in Träume zu flüchten. Sich anstrengen,
nicht nachlassen, aushalten – das ist gefragt. Nur von dem, der sich bewährt,
heißt es bei Jakobus: selig ist dieser Mensch. Sein Leben ist geglückt.
Er hat die Krone des Lebens errungen, er hat das Ziel des Lebens erreicht.

Wer will dies nicht? Aber das ist doch auch eine allgegenwärtige
Erfahrung: Da zerbrechen Lebensentwürfe. Wir scheitern so oft mit
guten Vorsätzen und gut gemeinten Taten. Dann steht so mancher vor
den Trümmern eines ganzen Lebensabschnitts. Alles zerfällt in
Bruchstücke, die sich nicht mehr zusammenfügen lassen und kein
Ganzes mehr ergeben.

Da erlebt jemand das Glück, sich mit seinen Plänen durchsetzen
zu können und gleichzeitig die Scham, dabei anderen die gebotene
Mitmenschlichkeit verweigert zu haben. Da steht jemand vor Trümmern,
die er selbst durch eigenes Versagen verschuldet hat. Andere beklagen
die Zerstörungen in ihrem Leben, die durch fremde Schuld verursacht
wurden. Schuld und Leid werden zu einem Netz, in da sich Menschen verstricken,
in dem sie heillos gefangen bleiben.

Ja, unverschuldetes Schicksal und persönlich zu verantwortende Schuld
greifen ineinander. Der Predigttext jedoch macht da keinen Unterschied.
Er sieht als alleinige Ursache die allgegenwärtige Versuchung durch
die eigene Begierde, aus der die Sünde erwächst, die wiederum
den Tod nach sich zieht. Mit einer göttlichen Prüfung – dieser
Entschuldigung baut der Text vor – hat das nichts zu tun. Dahinter steckt
auch keine teuflische List. Was bleibt, ist die eigene Verantwortlichkeit.

Mit der Begierde beginnt es, so der Predigttext. Wir sollten sie allerdings
nicht gleich auf den Bereich der Sexualität einengen und damit verharmlosen
wollen. Wenn hier von Begierde, Sünde und Tod in einem folgerichtigen
Zusammenhang geredet wird, dann kommt eine zerstörerische Macht in
den Blick, die gerade in unserer heutigen Gesellschaft eine bedrohliche
Aktualität hat. Gemeint ist die Gier, mehr haben und mehr sein zu
wollen, auch wenn andere darunter leiden müssen. Wenn es um Macht
und Markt, um Vorwärtskommen und Durchhalten geht, wird die Gier
zu einer gesellschaftlich akzeptierten Lebenshaltung. Sie prägt den
Lebensstil, sie bestimmt schon weite Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Da wird die Behinderung und Beschädigung, vielleicht sogar Zerstörung
der Lebenswünsche und Lebensbedingungen anderer ganz bewusst in Kauf
genommen.

Das ist wie ein Sog, und wer sich in diesen Sog mit hineinziehen lässt,
kann sehr schnell in einem Strudel aus Egoismus, Schuld und verratener
Mitmenschlichkeit untergehen.

Ja, wir wissen schon, was wir wollen – dass unser Leben gelingt und wir
uns mit unseren Lebensentwürfen bewähren. Aber wenn der Lebenskampf
dann doch zu Zerstörung und Selbstzerstörung führt, kann
von gelingendem Leben keine Rede mehr sein. Dann ist es doch hoffnungslos.
Hoffnungslosigkeit aber lässt schon die Macht des Todes erfahren.
Diese Kausalkette, die der Predigttext von der Gier über die Schuld
hin zum Tod andeutet, lässt sich nicht einfach negieren.

Der Schriftsteller Peter Handke hat von seiner Mutter, die auf der Schattenseite
des Lebens nie die Chance eines sorgenfreien, glücklichen Daseins
hatte, gesagt, sie sei „wunschlos unglücklich“ gewesen.
Wunschlos unglücklich – da gibt es dann kein Begehren und kein Hoffen
mehr, keine Klage und auch keine Anklage; kein Licht, das den Lebensweg
noch einmal aufhellen könnte. Da hat die Macht des Todes den Lebenskampf
gewonnen.

Wenn Rose Ausländer auf die entscheidende Lebensfrage nach dem Sinn
und nach dem Ziel antwortet: „Ich weiß nur, dass ich träume,
dass der Traum mich lebt und ich in seiner Wolke schwebe“, dann ist
das nur auf den ersten, oberflächlichen Blick zu wenig und zu vage.
„Ich will trotz aller Zusammenbrüche und Zerstörungen,
trotz Versagens und Scheiterns die Sehnsucht auf gelingendes Leben wach
halten“ – so verstehe ich die Dichterin und ich kann mit dieser Sehnsucht
durchaus das Bild des Predigttextes von der Krone des Lebens verbinden.

Aber wird die nicht letzten Endes doch allen, die sich unheilvoll im
Netz von Gier, Schuld, Leid und Hoffnungslosigkeit verfangen, vorenthalten?
Der Verfasser des Jakobusbriefes schließt das wohl nicht aus. Da
verstehe ich Martin Luther, der diesen Brief eine „stroherne Epistel“
genannt hat, die von Bewährung redet und dabei den Gedanken an Leistung,
Verdienst und gute Werke nahe legt.

Mir hilft, dass der Predigttext nun aber auch von einer guten und vollkommenen
Gabe spricht, die uns offenbar von Beginn unseres Lebens an zugedacht
ist. Dieses „Wort der Wahrheit“ ist nach dem Zeugnis des gesamten
Neuen Testaments immer die Verheißung der bleibenden Nähe,
Begleitung und Liebe Gottes. Sie gilt nicht nur denen, die sich mit ihren
Lebensentwürfen bewähren, sondern gerade allen, die im Lebenskampf
scheitern und wenig Verdienstvolles vorzuweisen haben. Die Krone des Lebens,
Lebenserfüllung und Lebenssinn verspricht Gott jedem Menschen, der
seine Sehnsucht durchhält und die Hoffnung bewährt.

Rose Ausländer hat ihrer Sehnsucht noch ein Bekenntnis hinzugefügt:

„Du fragst mich, was ich will. Ich weiß nur, dass ich träume
und dass der Traum mich lebt und ich in seiner Wolke schwebe.
Ich weiß nur, dass ich Menschen liebe, Berge, Gärten, das Meer…
Ich trinke meine Augenblicke“.

Ja, Menschenliebe und Freude am Leben machen Sinn und sie sind, wie man
von dieser bemerkenswerten Frau lernen kann, auch auf einem von Krankheit
und Gebrechen dunkel gewordenen Lebensweg möglich. Vielleicht hätte
sie unsere Vermutung zugelassen, dass der „Vater des Lichts“
diesen Weg erhellt hat.

Der Predigttext beschreibt diesen Vater des Lichts sehr jenseitig und
eigentlich unnahbar. Er sieht ihn fast entrückt, unwandelbar und
bekennt: Bei ihm ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und
der Finsternis. Wie groß muss in der Dunkelheit von Fragen und Suchen.
von Lebenskampf und Lebenszerstörung die Sehnsucht sein, die ihn
schließlich erreicht?

Eine Antwort auf diese Frage finde ich kaum im Predigttext. dafür
aber in der besonderen Bedeutung des heutigen Sonntag Invokavit. Mit ihm
beginnt die Passionszeit. Der Blick, der den Vater des Lichts sucht, fällt
auf den Weg Jesu – einen Weg der Liebe und der Bewährung dieser Liebe
bis in die letzte Tiefe von Erniedrigung, Ohnmacht und Verlassenheit.
Von Jesus sagt der Apostel Paulus, dass sich in seinem Gesicht die Herrlichkeit
Gottes widerspiegelt. Unsere Sehnsucht also erreicht Gott da, wo dieser
Jesus seinen Weg geht – mitten unter den Menschen, neben denen in der
Dunkelheit und ihnen ganz nahe. Wo wir uns von seiner Menschenliebe ansprechen,
vielleicht anstecken lassen, bekommt ein Menschenleben seinen Sinn und
ein Lebensweg sein Ziel.

Amen

Walter Meyer-Roscher, Landessuperintendent i.R., Hildesheim
E-Mail: meyro-hi@t-online.de

 

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