Jeremia 23,5-8

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Jeremia 23,5-8

Fremdes und Vertrautes im Advent! | Predigt über Jer 23,5-8 | 1. Advent, den 28.11.2021 | von Andreas Pawlas |

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Liebe Gemeinde!

Was ist das für eine überholte Rede, diese Rede von einem König, der nun erwartet werden soll? Denn das ist doch nun in unserem Lande eher verstaubt und nicht mehr zeitgemäß. Und wenn es heutzutage noch Könige oder Königinnen in irgendeinem Lande geben sollte, wie etwa in Groß-Britannien, dann haben sie doch nur zu gegebener Zeit die Programme der jeweiligen Regierung zu verlesen, aber ansonsten, da haben sie wenig zu sagen. Wieso sollte man also wirklich auf einen solchen König warten wollen – und das ausgerechnet in der Adventszeit, die mit so viel Hoffnung aufgeladen ist und mit so viel Sehnsucht?

Aber das ist ja nur die erste Irritation, in die uns moderne Menschen dieses Bibelwort bringt. Denn es gibt da noch etwas Zweites in dieser Prophezeiung des Propheten Jeremia: So da ist von David die Rede und dass Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen solle. Jedoch, was sollten wir hier in Mitteleuropa in unserem alltäglichen Leben mit David und Israel zu tun haben? Und es sind doch die Israeliten, die aus Ägyptenland geführt worden sind, und nicht etwa die Hamburger, die Kölner oder die Münchener

Sollte das nun etwa heissen, dass es für diese Worte des Propheten Jeremia, keinerlei Chance gibt, in unserem heutigen Alltagsleben irgendeinen Anknüpfungspunkt zu finden? Tatsächlich? Oder sind wir einfach nur viel zu beschäftigt, etwa uns im Beruf zu bewähren, oder Frieden in Familie und Freundeskreis zu halten, uns im Sport auszutoben und fit zu halten und trotz Corona den nächsten schönen Urlaub zu planen, als dass wir uns in unserer respektabel funktionierenden Alltagswelt auf solche fremde Gedankenwelt einlassen mögen? Und warum sollten wir das denn auch?

Ja, wenn diese unsere eigene gegenwärtige Welt so ziemlich zufriedenstellend wäre, warum sollte man dann noch irgendetwas hinzufügen wollen oder müssen? Wenn wir in unserer Alltagswelt tatsächlich so erfüllt und glücklich wären, wie manche den Anschein erwecken, warum sollte man sich genötigt fühlen, sich durch fremde Gedankenwelten zu belasten? Sollte da nicht in unserer Gegenwart jeder Mann und jede Frau das Recht haben, sein und ihr Leben nach eigenem Geschmack zu gestalten und sich von niemandem hereinreden zu lassen? Ja, dazu stehen wir doch als mündige Zeitgenossen in einer modernen Demokratie!

Jedoch, könnte es nicht sein, dass das alles von unserem Alltagsablauf her etwas zu kurz gedacht ist? Denn übergehen wir dadurch nicht eine ganze Menge Fragen – so etwa die Frage nach dem Woher und Wohin unseres Lebens, nach dem Woher und Wohin des Lebens unserer Familie, unserer Freundschaft, unsres Volkes und der ganzen Welt. Nein, das sind keine weit hergeholten Fragen, die nur einen kleinen Kreis von Experten bewegen, sondern sie bilden den Gesamthorizont unseres Lebens und haben von daher ihr ganz eigenes Gewicht. Und vielleicht spiegelt sich davon irgendwie etwas in der gegenwärtig nicht nur von jungen Leuten so intensiv bedachten Klimaproblematik, die sie nachdrücklich umtreibt und alarmiert.

Auf jeden Fall aber deutet das darauf hin, für wie viele Menschen unsere übliche Alltagswelt wirklich keine heile Welt ist. Ja, gerade die Adventszeit als Zeit der Besinnung mag auch darauf aufmerksam machen, für wie viele Menschen unsere übliche Alltagswelt derart von Ängsten, Sorgen und Schwächen geprägt ist, dass manchmal alles klare Denken völlig durcheinander gebracht ist, oder dass auch in den besten Familien manchmal Not und Bedrängnis den Alltag völlig verdunkeln können.

Und so haben wir es sicherlich alle schon einmal erlebt, wie schnell mit einem Mal alles in Frage gestellt ist: wenn einem etwa eine üble Krankheit das ganze Leben zerbricht – gerade in diesen Corona-Zeiten. Und ganz von selbst tut sich dann die Frage auf: Woran soll man sich nun trotzdem orientieren können? In welcher Theorie, in welchem Narrativ sollte man sich dann trotzdem mit allen Sinnen geborgen fühlen dürfen? Welche Vorstellung über die Welt und über mein Leben sollte mir dann wirklich Halt geben können?

Nun sind es wir ja in unserer pluralen Welt gewöhnt, dass uns zur Lösung aller unserer Fragen immer diverse Möglichkeiten angeboten werden, aus denen wir dann als mündige Menschen, das für uns passende souverän auswählen, und das sich dann gefälligst vor unseren Augen zu bewähren hat. Und da scheint doch auch das Angebot zur Hilfe in Lebenskrisensituationen auf dem Markt der Möglichkeiten ganz schön reichhaltig zu sein: So wird doch durchaus angeboten, sich etwa dadurch in allen gegenwärtigen Nöten und Bedrängnissen helfen zu lassen, indem man sich gelassen in hinduistische Weltvorstellungen fallen lässt, dass sich alles kosmische Geschehen pulsierend im Rhythmus von Millionen Jahren wiederholt und dass es durch Seelenwanderungen sowieso beinahe unwichtig ist, was einem aktuell passiert. Hat das was?

Oder kann einem da etwa die kluge naturwissenschaftliche Hochrechnung helfen, dass in soundsoviel Milliarden Jahren wir sowieso alle sterben, entweder durch den sogenannten „Wärmetod“ oder weil unsere Sonne erkaltet? Also: wozu alle Aufregung und alles Geschrei? Und sicherlich gibt es noch viel mehr an klugen Theorien und Erzählungen, die man in der Gegenwart jeweils für sich als gültig aussuchen kann. Und es steht uns nicht an, darüber zu urteilen.

Für mich wird aber in der Adventszeit etwas ganz anderes groß und wirkungsmächtig, das ich mir nicht ausgesucht habe und das auch ohne mein Zutun und ohne meine Beurteilung da ist und in das ich mich traue, getrost hineinfallen zu lassen: Es ist der alte biblische Bericht von der Geschichte des Gottesvolkes, das aus Urzeiten kommt und in Ewigkeitszeiten geht und zu dem wir glauben dürfen, dass wir dazu gehören. Durch wen? Durch Jesus Christus, weshalb wir uns ja auch als Christen verstehen dürfen!

Und wenn wir so glauben können, dann bedeutet alles Reden von David, Juda und Israel nicht mehr so etwas wie eine Abgrenzung oder Fremdheit, sondern dann heißt das konkret, dass Du und ich in dem Chaos der Weltgeschichte und in den unendlichen Weiten des Weltalls nicht vergessen und verloren sind, sondern dass wir für dieses Leben dazu gehören, dass wir von Gott gewollt sind, und dass uns in  allen unseren Freuden und Leiden von Gott her Sinn und Erfüllung zugedacht sind. Was ist das für eine Perspektive!

Und wenn man vor diesem Hintergrund heute auf einen König hoffen wollte, auf einen König, der tatsächlich wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird, dann kann es doch wirklich nicht um die Erfüllung irgendwelcher Verwaltungsakte gehen, oder um neue Verkehrsvorschriften, sondern dann kann es doch nur um eine Hinführung zur Lebenserfüllung für jeden gehen, dann kann es doch nur um eine unglaubliche Erlösung von Not und Angst gehen, um nicht an Bedingungen geknüpfte Überwindung aller Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. Ja, so groß soll und darf unsere Erwartung und Hoffnung sein!

Aber nun dazu ganz realistisch: Welcher leibhaftige Mensch wollte von sich behaupten wollen, das alles erfüllen zu können. Ja, gewiss, es gibt Scharlatane und gewiefte Diktatoren, die behaupten und für sich in Anspruch nehmen, das alles zu können. Aber machen wir uns doch nichts vor, wir wissen doch, dass sie lügen und dass sie das Volk nur an der Nase herumführen wollen.

Nein, ein solcher König, der uns wirklich an Leib und Seele helfen kann, der muss uns vom Himmel gesandt sein. Und der kann nicht mit Alltagspolitik zu tun haben, sondern mit dem, was Himmel und Erde bewegt. Ja, ein solcher König, der muss wirklich von Gott kommen. Und allein ihm kann dieses „Siehe, es kommt die Zeit“ gelten und damit die Hoffnung auf rechtes Walten und Fügen in unserem eigenen Leben und dem Leben unserer Lieben, die Hoffnung auf ein Wiederfinden und Trösten, auf ein Heilen von Verstoßen und Kränkung, die Hoffnung auf erfülltes Miteinander und eine frohe Zukunft.

Und ist es nicht genau diese so weit gespannte Hoffnung, die sich in der Adventszeit ausstreckt? Und ist sie nicht vielfach unausgesprochen und unaussprechlich, manchmal auch namenlos und vielgestaltig, aber von soviel Sehnsucht getragen? Wie verheißungsvoll kann dann diese Prophezeiung Jeremias gehört werden: „Siehe, es kommt die Zeit!“

Und könnte es dabei nicht sogar so sein, dass diese Prophezeiung Jeremias auch beinahe wie eine Ankündigung wirkt, dass auf der großen Bühne des Lebens bald der Vorhang aufgezogen wird, und wir endlich sehen können, was in dieser Welt, aber vor allem in unserem eigenem Leben wirklich gewollt und vollzogen wird, worauf es wirklich ankommt?

Und was würde das für eine Freude sein, wenn es jeder erfahren dürfte, dass seine Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf rechtes Walten und Fügen, auf Wiederfinden und Trösten, auf Heilen und frohe Gemeinschaft, nicht Gerede oder Selbstbetrug sind, sondern genau das Großartige, das wir von Gott her für unser Leben tatsächlich erwarten dürfen.

Und wie froh könnten wir darüber werden, dass diese prophezeite Zeit uns doch jetzt schon einnehmen will. Denn wir dürfen doch bei aller hoher Hoffnung und bei aller Sehnsucht auf Erfüllung Advent und Weihnachten bereits als Christenmenschen feiern. Ja, wir dürfen doch als Christenmenschen, wenn sich immer wieder Sorge und Bedrohung über uns ergießen wollen, trotzdem immer wieder feiern, dass der im Advent erwartete Christus uns, unsere Gedanken und Gefühle herausreißen will aus diesen Gefangenschaften unserer Alltagswelt. Und dass er uns die Augen dafür öffnet, wovon wir eigentlich leben, nämlich von Gottes Güte und Barmherzigkeit, in der wir dann auch leicht und gern Gutes an unseren Nächsten weitergeben mögen.

Diese adventliche Befreiung und Tröstung, Ermutigung und Ermächtigung schenke der barmherzige Gott uns allen.

Amen.

Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas

Eichenweg 24

25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop

Andreas.Pawlas@web.de

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