Jeremia 23, 5-8 

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Jeremia 23, 5-8 

Advent – worauf warten? | 1. Advent | 28.11.2021 | Jer. 23, 5-8  | verfasst von Thomas-M. Robscheit |

 

Hinweis: Wenn der Text z.B. als AT-Lesung verwendet wird, sollte er Jer. 1-8 umfassen.

Friede sei mit Euch! Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder. Der Advent hat begonnen. Bis vor kurzem war das eine von Hektik mit Zimtaroma und klebriger Süßlichkeit geprägte Zeit. Alle Jahre wieder auch der Vorsatz, keinen Glühwein mehr zu trinken. Geschichte. Alles Geschichte.  Das Gedränge auf den „Jingle-Bells“- Weihnachtsmärkten, die eigentlich Adventsmärkte hätten heißen müssen. Eine verblassende Erinnerung. Wird sich das mal wieder ändern? Kommt das wieder? Zumindest in diesem Jahr wird es diese vertraute Adventszeit nicht geben. Was gibt es dann? Was ist mit Advent?

Auf welche Ankunft wird gewartet?

Worauf warten Sie?

Fällt es Ihnen schwer diese Frage zu beantworten?

Es ist leichter zu sagen, was nicht kommen, was wieder verschwinden soll: dass endlich die Beschränkungen der Pandemie überwunden werden. Dass zu Weihnachten kein Lockdown oder Besuchsverbot das Fest zerstört. Dass niemand von den Lieben ernstlich erkrankt oder gar verstirbt; dass unser Gesundheitswesen nicht kollabiert.

Vielleicht sieht auch mancher von Ihnen mit großer Sorge auf die mentale Entwicklung in unserem Land, ja in der ganzen Welt: die Spaltung, die Verhärtung der Positionen. Dahinter steckt das Versinken in die Bedeutungslosigkeit einer unserer wichtigsten abendländischen Errungenschaften: sapere aude – wage weise zu sein; die Diskussion, das Abwägen der Argumente, die Synthese aus These und Antithese. Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft in ihren eigen Fundamenten herum hackt und sie aushöhlt, Demokratie durchlöchert und sich so selber den Boden entzieht. Ein biblischer Prophet würde schreiben: sie sind wie umherirrende Schafe. Ängstlich, zerstreut und orientierungslos.

Da wünscht man sich einen starken Hirten.

So wie Jeremia (Jer. 23, 4-6) damals in einer politisch schwierigen Zeit, die mit dem Untergang Jerusalems endete:

Und ich will Hirten über sie setzen, die sie weiden sollen, dass sie sich nicht mehr fürchten noch erschrecken noch heimgesucht werden, spricht der HERR. Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR ist unsere Gerechtigkeit«.

Der Wunsch nach politisch stabilen Zeiten steckt in diesen Zeilen. Verständlich. Jeremia mußte erleben, wie er das drohende Unheil vorhersah, davor warnte und ich kein Gehör geschenkt wurde und er recht behielt. Wie frustrierend das ist! Kassandra-Rufe. Wobei, der Vergleich hinkt: Beide haben unter ihren besonderen Lebensumständen sehr zu leiden gehabt. Jeremia beklagt sich bei Gott, warum er ihm das alles aufbürdet. Aber während die mythologisch erzählte Kassandra die Gabe (oder den Fluch) des Hellsehens hatte, war die Prophetie des historisch greifbaren Jeremias eine andere: Er hat, wie auch andere Propheten der Bibel, auf Missstände hingewiesen, angeklagt und die Linie von der Gegenwart in die Zukunft gezogen: Wenn ihr euer Verhalten nicht ändert, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben. Das richtet sich an politisch Verantwortliche mit ihrer zweifelhaften Politik, die Selbstbeweihräucherung und die Doppelmoral seiner Zeitgenossen. Er brauchte keine Visionen um das Donnergrollen am Horizont zu sehen; seine menschlichen Sinne und Fähigkeiten waren dafür ausreichend. Wenn ich in diesen Tage Interviews vom Sommer lese, in denen sich Virologen zu den Aktivitäten der Politik geäußert hatten, kommt mir vieles erschreckend parallel vor! Jeremia sieht den drohenden Kollaps, droht den falschen Hirten den Untergang an.

Und hat Hoffnung. Hoffnung auf einen guten Hirten, einen gerechten König. Diese Hoffnung läßt ihn die Qual der Ignoranz aushalten. Er wird kommen. Der gerechte König. Irgendwann, ganz gewiß! Darauf wartet Jeremia in seiner Verzweiflung.

Worauf warten Sie? Auch auf einen starken Mann oder eine starke Frau? Im Radio heute die Hörerbefragung zum Thema Impfpflicht. Ein nicht geringer Teil ist dafür. Aber nicht aus gesundheitlichen Gründen. Sie meinen ein Gesetz, ein hartes Durchgreifen würde die Diskussionen und Spaltungen in der Gesellschaft beenden. Der Wunsch, den auch Jeremia hat. Er kannte es nicht anders. Ein Volk hat einen guten oder einen schlechten König. Klug oder dumm; mitmenschlich oder zynisch. Es gibt einen, der sagt, wo es langgeht. Dabei dann die Hoffnung, dass es ein gerechter König ist. Auch in uns steckt dieser Wunsch. Unsere Glaubensbilder sind voll davon: Gott ist König, sitzt auf dem Thron; Jesus der gute Hirte. Er kennt die seinen und sie folgen ihm nach. Wie tröstlich ist diese Vorstellung, dass jemand den Weg kennt und auch in dunklen Tälern führt. So kann man Frieden finden.

Warten wir auf diesen starken Mann in unserer zerrissenen Welt? Gäbe es doch ein Gesetz, alles wäre einfacher. Vielleicht. Einfacher. Aber auch richtig?

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern, liebe Brüder. Wir leben nicht mehr zu Jeremias Zeiten: Wir sind heute überzeugt davon, dass Menschen nicht nur tröge Schafe sind. Wir pochen auf Freiheit, auf Rechte. Damit verbunden sind aber auch Verantwortung und Pflichten. Es mag sein, dass wir wie irrende Schafe sind. Aber müssen nicht warten. Nicht auf einen starken Mann, nicht auf eine durchsetzungsfreudige Frau, nicht auf ein Gesetz! Wir haben einen guten Hirten, auch wenn viele ihn für schwach halten. Wir sehen seinen Stab und kennen die Richtung. Es ist an uns, ihm entgegenzugehen, heraus aus der Finsternis und den Nächsten im Blick. Kleine Schritte, die andere mitnehmen, die Orientierung denen geben, die den Hirtenstab nicht sehen. Dann wird Advent. Wir sind die, die ankommen! Im Stall bei einem Baby. Bei einem Baby, dessen Menschenliebe die Welt verändert hat und immer wieder verändern kann, dort wo Menschen nicht warten, sondern ihm entgegen gehen.

 

de_DEDeutsch