Predigt zu Lukas 4,16-30

Home / Bibel / Neues Testament / 03) Lukas / Luke / Predigt zu Lukas 4,16-30
Predigt zu Lukas 4,16-30

Die Zeit Gottes ist gekommen! | Erster Advent | 28.11.21 | Lukas 4,16-30 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Tine Illum |

„Halte die Hoffnung fest!“ So heißt es in einem modernen dänischen Adventslied. Das ist ein Gebet und eine Aufforderung.

Nicht eine therapeutische Ermahnung an mich selbst oder an andere, dass wir uns zusammenreißen sollen und die Hoffnung und den Mut nicht verlieren sollen. Nicht noch eine Forderung, selbst dafür zu sorgen, dass Seele und Geist gesund bleiben.

Halte die Hoffnung fest!

Das ist ein Gebet – an Christus, der zu uns kommt.

Zugleich ist es eine Aufforderung, die Hoffnung für andere festzuhalten – denn im Christentum haben wir es nun einmal nie mit Gott zu tun, ohne dass wir zugleich mit unserem Mitmenschen und unserer Umwelt befasst sind.

Das Lied ist ein Gebet für die Rückkehr der Hoffnung.

Dass das, was einmal geschehen wird und fern in der Zukunft liegt als ein unruhiges Zittern, ehe es seine Form findet – dass das schon jetzt zu spüren, zu sehen, zu hören ist, Wirklichkeit wird hier bei uns.

Eine Aufforderung, die Hoffnung festzuhalten für andere. Das, was kommt, wirklich werden lassen – es hier zu uns kommen lassen, so gut wir das können.

Die Zeit Gottes ist gekommen!  … hörten wir Jesus sagen zu allen in der Synagoge von Nazareth – und hier zu uns. Mit dieser Hoffnung vor uns können wir zitternd geborgen, unvollkommen menschlich in die Adventszeit gehen – mit Gott und miteinander.

Halte die Hoffnung fest!

Als etwas, was ich hören kann – als eine Symphonie und ein Adventslied,

etwas, was ich sehen kann, wie eine Weihnachtsrose,

eine Glut aus der Ewigkeit, die im Finstern leuchtet.

Halte die Hoffnung fest! Da kann ich sie sehen, hier wo ich novemberschwer gehe und auf verwelkte Blätter trete und auf Mundschutz und Träume, die herumliegen wir geplatzte Ballons.

Halte die Hoffnung fest! Dann kann ich die verwandelnde Kraft ahnen, die die Hoffnung in sich trägt, mit sich trägt und entfaltet.

Halte die Hoffnung fest! Dann sehe ich eine Richtung und einen Sinn.

Lass die Hoffnung kommen, überwältigend zu gleich zitternd und stark! Sichtbar werden. Gegenwärtig sein.

Ist es dies, was geschieht, an diesem Tage in der Synagoge von Nazareth? Heute in unserer Kirche? Eine Vergegenwärtigung dessen, was noch nicht ist – und dennoch ist.

Die Zeit Gottes ist gekommen, sagt Jesus. Ihr seht es gerade hier. Gerade jetzt. Die Erscheinung der Hoffnung mitten unter ihnen. Mitten unter uns.

Heute ist die Prophetie, die Ihr gerade gehört habt, in Erfüllung gegangen!

Heute! Aber das kann ja nicht stimmen, das kann ja jeder sehen! Wo sind alle die Wunder? Wo bleibt der Friede in der Welt und ein Leben ohne Römermacht und Restriktionen. Die Zeit ist gar nicht göttlich. Nein, so etwas würde ein ordentlicher Prophet nie sagen. Dessen sind sie jedenfalls gewiss. Das hier genügt einfach nicht. Das ist nur ein Mann, dazu noch einer, dessen Eltern wir kennen. Wo sind die Gottesbeweise und das Reich und die Macht und die Herrlichkeit! Wenn hier etwas zittert, dann ist es das Ärgernis.

Und dann kommt es:

Ein Prophet von Gott ist nicht nur geschickt zu seinen eigenen Leuten. Er passt sich nicht den Erwartungen an, sondern er kommt mit etwas Neuem von Gott. Und hält fest an der Hoffnung für die ganze Welt.

Jesus erinnert sie daran, dass die Wunder Gottes nicht den Leuten aus Nazareth vorbehalten sind – oder den Israeliten oder denen die ihnen gleichen mit dem richtigen Glauben. Nein, es war eine Witwe aus Sidon im Libanon, die Besuch bekam vom Propheten Elias. Und ein anderer Prophet sorgte dafür, dass der Syrer Naaman geheilt wurde.

Sie wurden wütend, erzählt Lukas in seinem Evangelium, und jagten Jesus aus der Stadt und wollten ihn umbringen. Das gelang nicht – noch nicht.

Die Zeit Gottes ist gekommen!

Heute ist diese Prophetie, die ihr gehört habt, in Erfüllung gegangen.

Jetzt gehört alle Zeit Gott!

Steh auf und sieh das! Höre es! Merke es! Es gilt dir. Ganz gleich in was für einer hoffnungslosen Finsternis du dich befindest.

Es geschieht jetzt.

Es geschieht heute.

Er kommt hier und jetzt in unserer Kirche.

Er kommt und er ist Gott bei uns – und immer, wenn wir von ihm hören oder hören, was er sagt, dann bringt dies Freiheit, Überraschung und eine Störung. Dann kommt er mit etwas Neuem. Mit Veränderung, neuen Möglichkeiten, Verwandlung. Er kommt von vorn – aus der Zeit, die kommt.

Die Zeit Gottes ist gekommen! Die Zukunft hat begonnen. Das nennen wir auch Vergebung, Versöhnung, Vergebung der Sünden.

Das ist Gnade und das ist eine Forderung, dann auch so zu leben.

Wir hören ständig, dass Jesus bewusst unsere festen Vorstellungen davon angreift, was der richtige Glaube und das rechte Leben ist, er provoziert uns dazu, neugierig zu sein und unsere Phantasie zu gebrauchen – und für unseren Nächsten Zeichen der Hoffnung zu sein. Das ist befreiend und erschreckend zugleich. Zitternd.

Das betrifft uns alle.

Das betrifft die, die ein fixes und fertiges Bild davon hatte, wer Gott ist und wie wir denken und glauben sollen, oder die meinte, wir könnten uns zu dem, wer Gott ist, meditieren oder philosophieren.

Oder es betrifft ihn, der in seinen Vorurteilen wohl zu klug war, um an Gott zu glauben – oder ihn, der in seiner Verzweiflung glaubte, Gott hätte ihn verstoßen.

Oder es betrifft uns, die den Stern der Weihnacht etwas aus der Distanz sehen, als gemütlichen Schmuck – aber wohl nicht als Wegweiser, denn wir sind wohl selbst Sterne in unserem eigenen Leben.

Zu uns kommt er.

Die Zeit Gottes ist gekommen! Zu dir und mir.

Er hält die Hoffnung fest! Als ein Ausrufezeichen.

Und als ein Fragezeichen:

Lässt du die Hoffnung eine in die Zukunft gerichtete und verwandelnde Kraft in deinem Leben sein? Da ist adventliches Leben in der Welt.

Dem sollst du folgen, während die Lichter des Adventskranzes nacheinander angezündet werden, wenn der Weihnachtsbaum erstrahlt und wenn der Stern der Heiligen der Könige dir den Weg erhellt hinein in alle Alltage der Weihnacht.

Die Zeit Gottes kommt immer dann, wenn Unterdrückte befreit werden, und immer dann, wenn Hungernde Brot bekommen, immer dann, wenn Trauernde getröstet werden, und immer dann, wenn Fremde aufgenommen werden.

Die Zeit Gottes ist gekommen! Und sie kommt. Überraschend und neu. Und wir beten: „Dein Wille geschehe, dein Reich komme“.

Die Zeit Gottes ist gekommen! Sie ist gerade dort, wo Christus ist – und im ganzen Kirchenjahr werden wir davon hören, dass die Zeit Gottes beim den Geringsten beginnt:  Den Gefangenen, Unterdrückten, den Blinden. im Stall, bei den Hirten, in einem Mann am Kreuz. Die Zeit Gottes beginnt in den finstersten Ecken in uns und in der dunkelsten Tiefe unseres Herzens. Hier wird die Christus-Hoffnung eingepflanzt, zitternd und stark.

Ganz gleich wo du heute in der Kirche bist – und wie groß oder klein dein Glaube oder deine Hoffnung ist – so bist du hier Christus begegnet. Er kommt zu dir und zu mir. Und hält uns die Hoffnung entgegen.

Und wir begegnen ihm, wenn wir aus der Kirche kommen. Wir begegnen Christus in der armen Frau, die ihr Zuhause in zwei Tüten hat und wahnsinnig geworden ist aus Trauer und Einsamkeit. Wir begegnen ihm in dem jungen Mann, der unter der Brücke übernachtet, zum Frühstück Bier trinkt und seiner Mutter in Polen eine SMS schickt. Wir begegnen Christus in den Betten auf den Intensivabteilung und in dem kleinen verkommenen Mädchen auf der Straße. Da sollen wir die Hoffnung festhalten und entgegenhalten. Und wir sollen das freigiebig und vorbehaltlos tun. Denn so haben wie es empfangen. An diesem ersten Advent – und an jedem Sonntag.

Die Zeit Gottes ist gekommen!

Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

 

 

de_DEDeutsch