Predigt zu Jeremia 23,5-8

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Predigt zu Jeremia 23,5-8

Sicher wohnen auf eigenem Boden | 1.Advent | 28. November 2021 | Predigt zu Jeremia 23,5-8 | verfasst von Paul Wellauer |

Lesung Altes Testament | Jeremia 23,5-8 | Der Davidsspross | Die Zürcher Bibel, 2007*)

5 Sieh, es kommen Tage, Spruch des HERRN, da lasse ich für David einen gerechten Spross auftreten, und dieser wird als König herrschen und einsichtig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land. 6 In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, und Israel wird sicher wohnen. Und dies ist sein Name, den man ihm geben wird: Der HERR ist unsere Gerechtigkeit! 7 Darum, sieh, es kommen Tage, Spruch des HERRN, da wird man nicht mehr sagen: So wahr der HERR lebt, der die Israeliten heraufgeführt hat aus dem Land Ägypten!, 8 sondern: So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie versprengt hat! Dann werden sie auf ihrem eigenen Boden wohnen.

Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach handelt. Amen

Psalmgebet Psalm 24 | Gemeinschaft mit Gott | Die Zürcher Bibel, 1996**) | Einzug in das Heiligtum 1 Ein Psalm Davids.

I    Die Erde ist des HERRN und was sie erfüllt,
der Erdkreis und die ihn bewohnen.

II   Denn er ist es, der sie auf Meeren gegründet,

über Strömen fest errichtet hat.

I    Wer darf hinaufziehen zu SEINEM Berg,
wer darf treten an seine heilige Stätte?

II   Wer reine Hände hat und ein lauteres Herz,
wer nicht auf Nichtiges seinen Sinn richtet
und nicht falsch schwört.

I    Der wird Segen empfangen von IHM
und Heil vom Gott seiner Hilfe.

II   Das ist das Geschlecht derer, die nach ihm
fragen, die dein Angesicht suchen, Gott Jakobs.

I    Erhebt, ihr Tore, eure Häupter,
erhebt euch, ihr uralten Pforten,
dass einziehe der König der Herrlichkeit.

II   Wer ist der König der Herrlichkeit?
ER, der Starke und Held, ER, der Held im Kampf.

I    Erhebt, ihr Tore, eure Häupter,
erhebt euch, ihr uralten Pforten,
dass einziehe der König der Herrlichkeit.

II   Wer ist der König der Herrlichkeit?
ER, dem die Heerscharen gehorchen,
er ist der König der Herrlichkeit.

I+II AMEN

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern, verbunden in der Gnade und Liebe Gottes

«Heimat»: Ein Wort, das wohl in jedem von uns ganz unterschiedliche Gedanken und Gefühle auslöst. Woran denken Sie, wenn Sie «Heimat» hören?

Möglicherweise steigen Erinnerungen aus Ihrer Kindheit auf: Unbeschwertes Spielen und Herumtoben in Haus und Garten, mit Freunden um die Häuser ziehen, Abenteuer erleben, Entdeckungen machen: «Heimat ist voller Geheimnisse, die es zu ergründen gilt!» Oder Sie erinnern sich an eine Wanderung mit schöner Aussicht über die Landschaft [wie auf dem Foto] und den beglückenden Gedanken: «Wunderbar, dass wir hier leben dürfen! Heimat ist ein unverdientes Geschenk!» Vielleicht gilt ihr erster Gedanke beim Begriff Heimat ihrer Wohlfühlecke, wohin Sie sich zurückziehen, um ein gutes Buch zu lesen oder ganz persönlichen Gedanken nachzuhängen: «Heimat ist da, wo ich mich sicher und geborgen fühle.»

Es kann sein, dass Bilder aus den Nachrichten vor Ihrem inneren Auge auftauchen: Menschen auf der Flucht, die ihre Heimat verloren haben, weil dort Krieg herrscht oder Verfolgung. Von der ursprünglichen Heimat bleiben ein paar Fotos und Erinnerungen, so viel, wie man mit Händen tragen oder im Mobiltelefon speichern kann. Heimat: Ein zerbrechliches Gut, eine schmerzliche Erinnerung, ein Riss im Herzen.

Heimat ist eines der grossen Themen des Propheten Jeremia. Er hat von Gott den schwierigen Auftrag erhalten, dem Volk Israel mitzuteilen: «Ihr werdet eure Heimat verlieren und verlassen müssen! Ihr werdet im Krieg überwältigt, gefangen genommen und in die Fremde geführt. Dort müsst ihr bleiben und ausharren. Es gibt keine rasche Befreiung, keine einfache Lösung für diese Entwurzelung!»

Weite Teile des Prophetenbuchs von Jeremia handeln davon, wie es so weit kommen konnte: Das Volk Israel hat sich nicht an Gottes Gebote gehalten, andere Götter verehrt, dem lebendigen Gott den Rücken zugewendet. Krieg, Niederlage und die Wegführung ins babylonische Exil sind die Konsequenz der Untreue von Gottes Volk. Das Volk wird von Gott gestraft. Jeremia verfällt nicht in Schadenfreude: Er leidet mit, seelisch und körperlich. Man will ihm seine Schreckensbotschaften und Warnungen nicht glauben, will ihn zum Schweigen bringen. Er wird ins Gefängnis gesteckt und gefoltert. Doch er kann nicht anders, als immer neu weiterzugeben, was er von Gott aufgetragen erhält: «Ihr werdet aus eurer Heimat vertrieben und in die Fremde geführt, 70 Jahre müsst ihr in Gefangenschaft leben!»

Jeremia malt ein dunkles Bild der nahen Zukunft. Nur wenige helle Punkte, feine Lichtstrahlen darf er aufleuchten lassen. Unser heutiger Predigttext ist ein solches Licht: Eher ein verletzliches Kerzenlicht als ein heller Scheinwerfer: «Israel wird sicher wohnen.» (V6) «Dann werden sie auf ihrem eigenen Boden wohnen.» (V8) Jeremia erhält von Gott die Zusage, dass es ein Zurück gibt: Wenn die Strafe bezahlt, Sühne geleistet ist, wird Gott sein Volk wieder sammeln und in die ursprüngliche Heimat zurückführen. Dazu wird er einen König einsetzen, der den Ehrennamen «Der HERR ist unsere Gerechtigkeit!» tragen wird. «Dieser wird als König herrschen und einsichtig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land.»

Wer ist mit diesem König gemeint? Ist es der Perserkönig Kyrus, der 539 v.Chr. Babylon besiegt und die Rückkehr der gefangenen Israeliten ermöglicht? Oder ist damit der ganz andere König gemeint, der als kleines Kind in der Krippe vor rund 2000 Jahren in die Welt kam: Jesus Christus? Oder ist es der Messias, auf den das Volk Israel bis heute wartet?

Eines der Geheimnisse biblischer Verheissungen ist: Sie können vielfältig gedeutet werden und auch mehrmals eintreffen und Wirkung entfalten. Die Frage «Wer ist mit diesem König gemeint?», muss demnach nicht mit «entweder – oder» beantwortet werden, sondern mit «sowohl – als auch». König Kyros hat nach seinem Sieg die Rückkehr der Verschleppten erlaubt. Nach den Berichten im Esra-Buch der Bibel hat er darüber hinaus den Aufbau des Tempels in Jerusalem ermöglicht. In seiner Person zeigt sich eine Facette der Verheissung von Jeremia.

Wir feiern heute den 1.Advent: Wir freuen uns auf Weihnachten und die Feier der Geburt von Jesus. In der christlichen Tradition ist dieser «König der Gerechtigkeit» niemand anderes als Jesus Christus.

Allerdings richtet Jesus kein Königreich auf, wie das Volk Israel dies von der Königsherrschaft von Saul, David und Salomo her gewohnt war. Seine Waffen sind nicht Speere und Schwerter, sondern Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Seine Befehle sind nicht militärisch oder polizeilich, sondern fordern zum Füsse Waschen und Feinde Lieben heraus. Trotzdem verkörpert er göttliche Gerechtigkeit. Allerdings trägt nicht mehr das Volk die Strafe für sein Fehlverhalten, sondern Jesus erträgt diese an seinem eigenen Leib. Er trägt die Schuld des Volkes ans Kreuz und stirbt stellvertretend wie ein Opfertier.

Die Heimat, die Jesus uns damit ermöglicht, geht weit über die irdische Heimat hinaus: Er bereitet damit himmlische Wohnungen für uns vor. (Johannes 14,2-3)

Jesus selbst lebte in dieser Welt wie ein Heimatloser: «Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.» (Lukas 9,58)

Ist demnach mit der Aussicht auf eigenen Grund und Boden kein irdisches Land gemeint, sondern die himmlische Heimat nach unserem Tod?

Nein, auch das wäre eine Verkürzung: Das Reich Gottes, von dem Jesus in seinen Gleichnissen so oft erzählt, beginnt inmitten seiner Jünger und Jüngerinnen. Wo wir den Worten von Jesus Glauben schenken, und seinem Vorbild folgen, wächst das Gottesreich wie Getreide aus Samenkörnern und bringt Frucht. Dieses Reich der Gerechtigkeit ist keine Utopie, keine Vertröstung auf eine ferne Zukunft, sondern gewinnt heute schon Gestalt, wenn wir dem «König der Gerechtigkeit» nachfolgen und seine Werke tun.

Im Advent und an Weihnachten feiern wir nicht nur den «holden Knaben im lockigen Haar», wie Jesus im Lied «Stille Nacht» besungen wird, sondern auch die Geburt des «Königs der Gerechtigkeit», der sich dafür einsetzt, dass hier und heute schon Gerechtigkeit herrscht, Menschen zu ihrem Recht kommen und Ungerechtigkeit Einhalt geboten wird. Den Mächtigen der heutigen Zeit behagt solches Engagement ebenso wenig wie die Reden von Jeremia den Machthabern seiner Zeit: Die Fürsprecher für eine gerechte Welt werden auch heute an vielen Orten zum Schweigen gebracht, ins Gefängnis gesteckt und gequält. Ganz so drastische Reaktionen haben wir bei uns zwar nicht zu erwarten, wenn wir uns für Gerechtigkeit einsetzen, der Schritt zum Kirchenaustritt ist aber rasch gemacht, wenn dieser Einsatz für Menschenrechte auch politische Konsequenzen fordert.

Und ich will gleich in ein weiteres Wespennest stechen: Wenn wir von eigenem Grund und Boden für das Volk Gottes sprechen, wie ist es mit dem Staat Israel? Inwiefern erfüllen sich die Prophezeiungen des Jeremia, wenn jüdische Menschen aus aller Welt ins «gelobte Land» zurückkehren? Da gehen die Meinungen weit auseinander: Die eine Seite findet, und darunter sind auch orthodoxe Juden, nur der Messias allein können diese Rückkehr in die ursprüngliche Heimat, ins verheissene Land anführen. Andere sehen in jedem jüdischen Menschen, der aus einem anderen Land nach Israel einwandert, ein Stück dieser Prophezeiung von Jeremia in Erfüllung gehen. Genauso wie uns Gott beim Thema Gerechtigkeit in die Pflicht nimmt, wird es auch hier so sein, dass nicht ein «entweder – oder» die Lösung ist, sondern «sowohl – als auch» gilt: Menschen wie du und ich setzen sich dafür ein, dass Juden in Israel eine neue Heimat finden. Doch Gott und sein Messias werden es sein, welche dieses Geschehen vollenden und Klarheit schaffen, was himmlischen Bestand hat oder irdisch vergänglich ist.

Ich bin mit der Frage nach Heimat eingestiegen: Was löst das Wort «Heimat» bei Ihnen aus? Wir haben gesehen, dass dieser Begriff wohl von jedem und jeder von uns anders gefüllt wird.

Jeremia muss seinem Volk eine lange Zeit der Heimatlosigkeit voraussagen. Doch auch dort in der Fremde ist Gott ihnen nahe, er darf ihnen in einem Brief versichern: «So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels, zu allen Verbannten, die ich in die Verbannung geführt habe, von Jerusalem nach Babel: Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Frucht, nehmt Frauen und zeugt Söhne und Töchter, und nehmt Frauen für eure Söhne und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären, damit ihr dort zahlreicher werdet und nicht weniger. Und sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch in die Verbannung geführt habe, und betet für sie zum HERRN, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen. Denn ich, ich kenne die Gedanken, die ich über euch denke, Spruch des HERRN, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch eine Zukunft zu geben und Hoffnung.» (Jeremia 29,4-7.11) Auch in der Gefangenschaft hat das Volk Israel eine Bestimmung, einen Auftrag und eine Perspektive. Es soll sich für das Wohl der Stadt einsetzen und nicht in Resignation verfallen. Das Exil in der Fremde ist zeitlich begrenzt. Auch wenn von den Weggeführten nach 70 Jahren wohl niemand mehr lebt: Kinder und Enkel werden zurückkehren in die ursprüngliche Heimat, werden dort sicher wohnen auf eigenem Boden.

Heimat ist demnach mehr als ein Ort, der wohlige Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit auslöst. Heimat ist ebenso ein Geschenk auf Zeit, versehen mit einem Auftrag: «Setzt euch ein für Gerechtigkeit, für das Wohl des Ortes, an dem ihr wohnt!»

Heimat in dieser Welt ist etwas Kostbares und Zerbrechliches: Erst die ewige Heimat in Gottes Gegenwart wird uns die Sicherheit geben, nach der wir uns ein Leben lang sehnen. «Denn unsere Heimat ist im Himmel!», schreibt Paulus an die Philipper. Und im Hebräerbrief ist es eine ganze «Wolke von Zeugen», die schon hier auf Erden grossartige Wunder und Beispiele von Gottes Führung und Heilsplan erleben, sich aber «nach einer besseren Heimat ausstrecken, nämlich nach der himmlischen.» (Hebräer 11,16)

«In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, und Israel wird sicher wohnen. […] So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie versprengt hat! Dann werden sie auf ihrem eigenen Boden wohnen.» (VV 6.8)

AMEN


Alternative Psalmgebete

Psalm 16 Gott vor Augen ZH2007** / Das schöne Erbteil LUT2017***

Psalm 85 Du hast dein Land begnadigt** / Bitte um neuen Segen***

Psalm 98 Er kommt, um die Erde zu richten** / Der königliche Richter aller Welt***


Liedvorschläge

ERG 56 König ist der Herr

ERG 363 Macht hoch die Tür

ERG 795 Sonne der Gerechtigkeit

ERG 838 Suchet zuerst Gottes Reich (= Seek Ye First, Karen Lafferty)

RW 52 Anker in der Zeit

ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998

RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017


*) Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich

**) Zürcher Bibel. Die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Die Psalmen. Fassung 1996, Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel, Zürich

**) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.


Pfr. Paul Wellauer, Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Web: www.paulwellauer.ch |www.internetkirche.ch | www.livestream.com/internetkirche


 

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich

Fotos: © Paul Wellauer

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