Predigt zu Jeremia 23,5-8

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Predigt zu Jeremia 23,5-8

Erster Advent | 28.11.2021 | Predigt zu Jeremia 23,5-8 | verfasst von Suse Günther |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Jeremia 23,5-8

Siehe, es kommt die Zeit, da will ich dem David einen gerechten Spross erwecken, der soll ein König sein, der wohl regieren wird und Recht im Land üben wird.

Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel soll sicher wohnen. Und dies wird der Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Gott der Gerechtigkeit.

Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht Gott, dass man nicht mehr sagen wird: „So wahr der Herr lebt, der Israel aus Ägypten geführt  hat“, sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Volkes wieder zusammengeführt hat aus allen Ländern, in die sie verstreut waren“. Und sie sollen in ihrem Land wohnen.

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

Liebe Gemeinde!

Was lässt sie durchhalten in Zeiten, in denen sie eigentlich am liebsten den Kopf in den Sand stecken würden und warten, das alles vorüber ist? Alles, was einem das Leben so schwer macht und den Mut nimmt?

Gibt es etwas, was Sie in solchen Zeiten unterstützt? Und Sie trotzdem ein Licht am Ende des Tunnels vermuten lässt?

Jeder und jede wird darauf die eigenen Antworten finden: Menschen, auf die ich mich in schweren Zeiten verlassen kann, Orte an denen ich mich gut aufgehoben fühle, Lieder und Texte, die mir Kraft geben, Tätigkeiten, die ich gerne ausführe und gut kann.

Hilfreich ist ein Blick in die Vergangenheit: Wer oder was hat mir bisher geholfen und gut getan? Wie habe ich in meinem bisherigen Leben Krisen bewältigt? Worauf kann ich zurückgreifen?

Hilfreich ist auch ein Blick nach vorne:

Was habe ich noch vor? Für wen möchte ich diese schwere Zeit durchhalten, etwa wieder gesund werden? Gibt es Menschen, die mir so wichtig sind, dass sich der Kampf lohnt? Gibt es Aufgaben, die mich noch reizen, Orte, die ich noch sehen möchte?

Das Volk Israel befindet sich in einer sehr schweren Zeit, im sprichwörtlichen dunklen Tunnel, als unser Predigttext entstanden ist. 500 Jahre vor Christi Geburt waren die Israeliten in die babylonische Gefangenschaft geführt. Sie wussten nicht, ob sie jemals wieder würden zurückkehren können, die Menschen, die ihnen wichtig waren, wiedersehen.

In dieser Zeit sind Verheißungen wichtig.  Prophetenworte, in denen beschrieben wird, wie es sein wird, wenn Gott die Menschen mit großer Macht erlösen wird. Wie es sein wird, wenn endlich wieder alles gut wird. Viele dieser Hoffnungstexte sind uns im Alten Testament überliefert. Einer davon im heutigen Predigttext:

„Alle, die in die Welt verstreut sind, sollen zusammengeführt werden und wieder im Land wohnen“.

Wenn man weiß, wie alt diese Verheißung und die damit verbundene Hoffnung sind, 2500 Jahre inzwischen, kann man vielleicht ein wenig nachvollziehen, was alles für die Juden an genau diesem Land Israel hängt: Wie viel Hoffnung, wie viel Mut, wie viel Vergangenheit und wieviel Zukunft sie mit genau diesem Stückchen Erde verbindet, auch wenn man die Methoden, mit denen dieser Kampf geführt wird, nicht nachvollzieht.

Martin Luthers Denkschrift „Wider die Juden“ ist kein Ruhmesblatt des Reformators, auch er entwickelt darin den Gedanken: „Sollen sie doch gehen, wohin sie gehören, in ihr eigenes Land. Es ist doch kein Wunder, wenn man sie nicht leiden kann, wenn sie sich überall breit machen.“

In unserer Gegenwart sind es nicht die Juden, die von der Rückkehr in ihre Heimat träumen, die sich sorgen um die, die zurückgeblieben sind. Die an ihrer eigenen Religion festhalten, auch deshalb, weil es das letzte Stück Heimat ist, das geblieben ist. Und die diese Worte zu hören bekommen:

„sollen sie doch dahin gehen, wo sie hingehören“.

Ja, wo gehören Menschen hin, wo gehören wir hin? Die Hoffnung, die unser Predigttext ausdrückt ist die: Dorthin finden, wo man hingehört. Wo man zu Hause ist und wohlgelitten.

Sich fremd fühlen und heimatlos: Auch wir kennen das Gefühl im direkten und im übertragenen Sinn: Das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Fremd im eigenen Leben durch eine plötzliche Krankheit, die einem Fähigkeiten raubt, auf die man bisher vertrauen konnte. Nicht mehr dazugehören durch Arbeitslosigkeit, die einen aus der Menge derer, die einer Beschäftigung nachgehen und Geld ausgeben können, herausnimmt.

Heimatlos, weil man die vertraute Wohnung verlassen muss und in ein betreutes Wohnen umziehen.

Fremd, weil Menschen, die uns begleitet haben, nicht mehr leben. Ausgeschlossen, weil man nicht mit den Wölfen heulen mag.

Alle, die sich in solchen oder ähnlichen Situationen befinden, haben diesen Wunsch: Ich will wieder heim in mein vertrautes Leben.

Die Israeliten zur Zeit Jesu befanden sich in einer solchen Lage: Fremd im eigenen Land. Die Römer hatten Israel besetzt, bestimmten das tägliche Leben, verehrten ihre eigenen Götter, erließen ihre Gesetze und erhoben Steuern. Die Menschen in Israel haben in dieser so ausweglos erscheinenden Situation Hilfe gesucht. Hilfe in der Vergangenheit: Was hat mich bisher durch schwere Zeiten getragen? Dabei stießen sie auf die alten Verheißungen der Bibel, wie sie in unserem Predigttext ausgedrückt sind:

„Es kommt die Zeit, da will ich dem David einen gerechten Spross erwecken, der soll König sein im Land und soll alle wieder zusammenführen.“

Hilfe suchten sie aber auch in der Zukunft: Dabei begegneten sie Jesus, dem Wanderprediger, der die Menschen um sich schart, ihnen neue Hoffnung gibt, Kranke heilt und von dem viele sagen, Gott selbst habe ihn gesandt.

Wen wundert es, dass die Menschen die alte und die neue Hoffnung miteinander in Verbindung brachten und so deuteten: „Jesus ist der Retter, der uns in den alten Schriften angekündigt ist, mit seiner Hilfe werden wir wieder in unserem Land wohnen können. In ihrer Freude überhörten die Menschen so manches, was nicht ins Bild passte: Judas Ischariot zum Beispiel bastelte sich ein Bild von Jesus zurecht, der die Römer mit Waffengewalt aus dem Land vertreiben würde und überhörte dabei dessen Botschaft:

„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Wir Menschen neigen dazu, die Welt durch unsere eigene Brille zu sehen und zu übersehen, was nicht in unser Weltbild passt.

Der Wunsch ist da: Heimat. Jesus hört das wohl, verspricht aber keinen fest verfügbaren Ort.

An anderer Stelle sagt er: „Die Vögel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nichts, wohin er sein Haupt bettet.“

Damit drückt er aus: Christsein bedeutet immer auch: Unterwegs sein: „Wir haben hier keine  bleibende Statt, aber eine Zukünftige suchen wir“ (Hebr 13,14). Wir sind in Entwicklung, wir sind auf dem Weg, das verbindet uns mit unseren jüdischen Vorfahren, mit unserer Vergangenheit. Auch für die Juden ist der Exodus, der Auszug, die entscheidende Glaubenserfahrung. Das ganze Volk begibt sich in die Wüste oder später, zur Zeit unseres Predigttextes, ins Exil.

Und das verbindet uns mit unserer Gegenwart. Mit dem gegenwärtigen Exodus der Menschen aus den von Krieg, Gewalt und Dürre gebeutelten Erdteilen. Es gibt wohl niemanden, den die Bilder von der polnischen Grenze, der politischen Willkür und der eigenen Hilflosigkeit, die damit verbunden sind, nicht zutiefst entsetzt hätten:

Menschen auf dem Weg, Menschen, die nicht wissen, was kommen wird. Sie sind uns fremd. Und sie sind uns nicht fremd. Wir fühlen uns denen nahe, die so unverschuldet und ohne Hoffnung betroffen sind. Es bleibt uns manches Mal nichts anderes, als an sie zu denken, sie nicht zu vergessen, für sie zu beten. Es kann auch uns treffen.

Wir Menschen wünschen uns Heimat. In jedem Advent wird das von neuem deutlich. Es ist der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Geborgenheit, nach Heimat, der uns dieses Fest genauso feiern lässt, wie wir es tun: Mit Treffen in den Familien, mit aneinander Denken, mit Weihnachtsliedern und ausnahmsweise auch Gottesdienstbesuchen, mit der Hoffnung, dass es wieder aufwärts gehen möge, dass wir uns wieder sehen können auf Weihnachtsmärkten und bei Feiern.

Es ist gut, dass wir Orte und Menschen haben, die uns Heimat geben. Und es ist gut, wenn wir das im Gedächtnis behalten: Wir sind unterwegs.

Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, wer oder was gibt uns Heimat in den Wechselfällen unseres Lebens?

Das alte Adventslied gibt eine Antwort:

„Komm, oh mein Heiland, Jesus Christ,

meins Herzens Tür Dir offen ist.

Ach zieh mit Deiner Gnade ein,

dein Freundlichkeit auch uns erschein.

Dein Heil’ger Geist uns führ und leit,

den Weg zur ew’gen Seligkeit,

dem Namen Dein oh Herr,

sei ewig Preis und Ehr.

Unser Herz kann offen sein für den, der da einziehen will. Für Jesus und seine Geschwister. Denn „Was Ihr getan habt, einem unter diesen, meinen geringsten Geschwistern, das habt Ihr mir getan (Mt. 25,40)“- das sagt Jesus.

Fremdes muss uns keine Angst machen, denn Gott ist mit uns unterwegs in unser persönliches Neuland und neue Erfahrungen. Wir haben Heimat auch in dem, was Gott uns von Neuem zutraut.

Wir finden Heimat, wir können Heimat geben.

Maria und Josef nehmen die Verheißung des Engels an, indem sie sich auf den Weg machen und ihr Herz offen halten für den, der da kommen soll. Dazu gehört Mut. Aber dadurch haben Milliarden Menschen Heimat gefunden.  Denn so wahr Gott lebt, der die Menschen zusammenführt aus allen Ländern, sollen die Menschen Heimat finden.

Wo, Gott willst Du mir Heimat geben, wo willst du mich haben, wem willst Du durch mich Heimat geben, wohin begleitest Du mich?

AMEN

de_DEDeutsch