Jeremia 23,16-29

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Jeremia 23,16-29

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag nach
Trinitatis

25.6.2000
Jeremia 23,16-29

Bert Hitzegrad


Anmerkungen zur Predigt, Liedvorschläge,
Gebet

Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und dem
Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Jede Zeit braucht ihre Predigt, jede Zeit braucht ihren Prediger
und ihre Predigerin! Es reicht nicht aus, die ewig-alten Wahrheiten zu
wiederholen. Sie verlieren ihren Glanz, wenn wir sie nicht mit dem Tuch der
immer neuen Gegenwart polieren. Sie werden stumpf, wenn wir sie nicht
gebrauchen und ihre Tragkraft immer wieder überprüfen.

Gottes Wort schwebt nicht über unserer Geschichte. Gottes
Wort wird in unsere Geschichte hineingesprochen, damit es unser Wort wird,
damit Gottes Wort ein „Wort für uns” ist!

Welche Predigt braucht unsere Zeit? Was haben wir heute in unseren
Kirchen, in unserer Gesellschaft zu sagen? Welche Prediger und welche
Predigerin wird heute gehört?

Jede Zeit braucht ihre Predigt – aber nicht die Zeit bestimmt das
Thema, sondern der Herr über die Zeit und die Geschichte.

Wir springen zurück in der Geschichte, zurück bis in das
7. Jahrhundert vor Christi Geburt. Der Mann, der uns im Predigttext begegnet,
ist kein Pastor auf der Kanzel mit einem satten A13-Gehalt. Er ist Prophet,
durch eine Vision am Tempel berufen, zum Prediger für sein Volk, ja
für alle Nationen. Er muß reden, auch wenn er lieber schweigen
würde. Und er schweigt, wenn er kein Gotteswort hat, auch wenn er zur
Gegenpredigt provoziert wird.

Der Mann ist Jeremia, ein Kind seiner Zeit. Ein Prediger, der
unter den Irrtümern seiner Zeit leidet, der aber auch mitleidet mit den
Menschen, die ihre Heimat verlassen und ins Exil gehen.

Im 23. Kapitel seines Buches holt Jeremia aus zum Schlag gegen
seine Berufskollegen, die alles schönreden wollen. Sie reden vom Heil,
während Jeremia Unheil predigt. Sie predigen den Menschen nach dem Mund.
Jeremias Mund dagegen wird von Gott geöffnet.

Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag (Jer
23,16-29/Luthertext):

16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte
der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie
verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.

17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -,
und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein
Unheil über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden,
daß er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort
vernommen und gehört?
19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen
voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen
niedergehen.
20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und
ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.

21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu
ihnen, und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden
hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von
seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23 Bin
ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der
ferne ist?
24 Meinst du, daß sich jemand so heimlich verbergen
könne, daß ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht,
der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR.
25 Ich höre es
wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und
sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch
die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug
weissagen
27 und wollen, daß mein Volk meinen Namen vergesse
über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre
Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet,
der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der
predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der
HERR.
29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein
Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Gott läßt seinen Propheten in seiner Zeit sprechen.
Besser gesagt: Er läßt ihn donnernd predigen. Eine Vorahnung dessen,
was kommen wird: Ein Wetter des Herrn, ein schreckliches Ungewitter auf den
Kopf der Gottlosen. Von Gnade ist da nichts zu hören, von Barmherzigkeit
ist nichts zu spüren, von Heil in einer heillosen Welt soll er nicht
predigen. Gott ist nicht nahe, Gott ist der ferne Gott, der nicht nur im Tempel
sich verborgen hält, sondern der die Geschichte und die Nationen in
Händen hält. Und von dort braut sich wieder etwas zusammen.

Gerade ist ein Krieg verloren. Doch das Land, das in den
Händen der Großmacht ist, hat sich langsam wieder erholt. Hunger und
Entbehrungen sind überwunden. Und die Besatzermacht, das assyrische Reich,
ist am Bröckeln. Die Israeliten atmen wieder einen Hauch Freiheit, und das
Selbstbewußtsein wächst. „Wir sind wieder wer, wir haben wieder
Glück, Gott ist an unserer Seite!” Und die Propheten am Tempel
verkünden: „Es wird kein Unheil mehr über euch kommen!” Wie
lange hatten sie das schon nicht mehr gehört, wie sehr hatten sie darauf
gewartet? „Gott ist mit uns!”

Wer mag da die Hoffnungen und Sehnsüchte stören? Wer mag
da den Optimismus zerstören, auch wenn er nur den einen Zweck verfolgt:
„Uns und unseren Kindern soll es in Zukunft besser gehen, wir glauben
daran!”?

Jeremia wagt es. Er muß die Hoffnungen und Sehnsüchte
stören, weil Gott es ihm und seinem Volk sagt. Er sagt die Wahrheit, auch
wenn sie Illusionen zerstört. Er hat furchtbare Zukunftsprognosen, weil
Gott auch furchtbar sein kann. Doch wer will, wer kann das hören?

Wer mag die Wahrheit akzeptieren, wenn sie den eigenen
Wünschen, den eigenen Träumen entgegensteht. Wer mag dem
Unheilspropheten glauben, wenn man noch einstimmen kann in den Chor: „Aber
siehe, wir leben noch!”

Nicht seine Argumente haben Jeremia recht gegeben, sondern die
Geschichte. Das kleine Israel wird zerrieben zwischen den Supermächten
Ägypten und Babylonien. Im Jahr 586 fällt Jerusalem und die Zeit der
babylonischen Gefangenschaft beginnt. Wieder eine Zeit der Tränen und des
Wartens. Im 137. Psalm heißt es: „An den Wassern zu Babel
saßen wir und weinten.”

Eine neue Zeit beginnt. Und der Prophet schlägt neue
Töne an. Doch die alte Wahrheit bleibt: Gott selbst ist der Herr der
Geschichte. Er ist ein Gott, der nahe ist. Und er ist ein Gott, der fern ist.
Er geht mit seinem Volk in die Fremde, fern der Heimat. Eine andere Zeit
braucht eine andere Predigt. An die Deportierten in Babel schreibt der Prophet
einen Brief – einen Brief voller Heil und Hoffnung, voller Zukunft und
Zuversicht: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken habe,” so
läßt Gott seinen Propheten schreiben: „Gedanken des Friedens
und nicht des Leides, daß ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.”

Eine neue Zeit beginnt. Eine neue Zeit, eine neue Predigt. Die
alte Wahrheit hinein in die Geschichte der Menschen, die immer wieder anders
ist.

Und welche Predigt, welche Prediger und Predigerin brauchen wir
heute?

Ich tue mich schwer mit der donnernden Predigt des Jeremia. Ich
glaube wir brauchen weiterhin eine Predigt, die einladend ist, die die
Hölle nicht heiß, sondern den Himmel offen macht.
Diese Zeit,
ihre Zeit erleben Menschen oft genug als unheil und zerrissen. Sie suchen und
warten auf ein Angebot, das ihr Leben wieder heil und lebenswert macht.

Mit Sicherheit: Das Angebot an Wahrheiten ist im Zeitalter auch
der religiösen Globalisierung noch größer als zu Jeremias
Zeiten. Die Zahl der Heil- und Unheilspropheten ist unübersehbar. Aber
gerade deshalb möchte ich – wie Max Frisch es einmal gesagt hat – die
Wahrheit nicht „wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen”,
sondern „hinhalten wie einen Mantel, in den der andere
hineinschlüpfen kann”. Menschen frieren, weil sie wenig anerkannt und
ungeliebt sind. Menschen suchen nach Schutz vor der Ungerechtigkeit zwischen
Arm und Reich, zwischen Oben und Unten. Da soll meine Predigt sie bergen,
wärmen und schützen. Und sie soll die Wahrheit sagen. Die Wahrheit
über das Unrecht. Und die Wahrheit über den Herrn der Geschichte, der
da war und der da ist und der da sein wird. Und über Gott, der in unsere
Geschichte kam, als Mensch und Bruder an unsere Seite. Er, Jesus Christus, hat
Gottes Wahrheit sichtbar und spürbar werden lassen. Er hat das Getrennte
wieder zusammengefügt und die Außenseiter in die Gemeinschaft
zurückgeholt. Wärmend und liebend hat er ihnen den Mantel der
göttlichen Wahrheit angezogen. Diese Predigt brauchen wir heute. Und dazu
Prediger und Predigerinnen, die diese Wahrheit weitersagen.

Vielleicht weniger vollmundig als Jeremia, aber ebenso
selbstbewußt. Vielleicht weniger drohend, aber ebenso um Konsequenzen
werbend. Vielleicht weniger Gottesferne und mehr Gottesnähe predigend und
spürbar werden lassend. Nicht den „lieben Gott”, der irgendwo in
unserem Leben eine Kuschelecke bekommen hat und bei passenden Gelegenheiten
hervorgeholt wird. Sondern Gott, der unser ganzes Leben durchdringt. Der nicht
nach unserem Willen geformt wird, sondern dessen Wille geschieht. Der uns sein
Wort sagt und eine Antwort fordert, der uns mit Gaben verwöhnt und mit
Aufgaben betraut.

Wenn es z.Zt. in Hannover auf der EXPO um die Zukunft der Menschen
geht und die Möglichkeiten, die wir haben, dann ist es gut, daß
Kirche dabei ist, daß Kirche sich exponiert als ein Zukunftsfaktor, als
eine Predigerin der Wahrheit Gottes auf dem Markt der Zukunft.

Nicht als Unheilsprophet auf dem Weg in eine düstere Zukunft,
sondern als ein bergender Ort lädt der Christuspavillon zum Verweilen und
zur Ruhe ein. Eine Christusfigur aus Holz, ein Torso aus dem 11. Jahrhundert,
markiert das Zentrum. Glaube und Wahrheit der Vergangenheit reichen hinein in
die Weltausstellung im Jahr 2000. Die ewig-alte Wahrheit öffnet ihren
schützenden und wärmenden Mantel auf dem Weg in die Zukunft.

Um dies zu verkündigen, brauchen wir Prediger und
Predigerinnen, die nicht nur auf der Kanzel stehen, sondern mitten im Leben.
Mitten im Leben der EXPO, mitten im alltäglichen Leben. Dort, wo nach
Antworten gesucht wird. Dort, wo Menschen nach Wahrheit fragen. Dort, wo
Menschen darauf warten, daß ihre Sehnsucht nach Heil und Heilung gestillt
wird.

Jede Zeit braucht ihre Predigt! Jede Zeit braucht ihre Prediger
und Predigerinnen! ”Wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort
recht!”, so läßt Gott es seinen Propheten sagen. Aber wie sagen
wir es recht? Was sollen wir predigen in dieser Zeit?

Wir predigen und bezeugen immer wieder das Wort, das Mensch
geworden ist, das Wort, das für uns Weg und Wahrheit und das Leben ist.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben.

Anmerkung zur Predigt:

Ein sperriger Text steht am Anfang der endlosen Trinitatis-Zeit.
Eine Unheils-Predigt in der Zeit, in der die Sommerfeste boomen und der Blick
auf die erholsamen Wochen im Jahr geht?

Wer sich nicht auf den donnernden Jeremia einlassen will, kann das
Proprium des Tages auf einen späteren Berufskollegen des Jeremia richten:
Johannes der Täufer. Am Sonnabend, dem 24. Juni, wird an seinen Geburtstag
erinnert. Der nachfolgende Sonntag kann gut dazu dienen, seiner Person
nachzuspüren.

Wer sich allerdings auf den regulären Predigttext
einläßt (so wie ich es es tun mußte!), sollte der Hörerin
und dem Hörer einen Einblick in den „Sitz im Leben” der Predigt
des Jeremia gewähren. Damit wird seine Botschaft in keiner Weise
relativiert. Aber es öffnet die Frage, wie meine Predigt die
Hörerinnen und Hörer heute erreicht. Wo „sitzen” sie in
ihrem Leben?

Literaturhinweis

Max Frisch: „Man sollte den anderen die Wahrheit wie einen
Mantel hinhalten, daß er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie
einen nassen Lappen um die Ohren schlagen.”
aus: M.Frisch, Tagebuch
1966-1971, Frankfurt a.M., Seite 30.

Gebet:

Guter Gott, wir erfahren dich als Herrn der Geschichte.
Immer
wieder neu kommst du zu uns,
auf immer wieder neue Weise.
Und doch
bleibst du der, der da war und der da ist.
Schenke uns das Vertrauen,

daß in allen Veränderungen du dich nicht änderst.

Laß in uns die Sehnsucht wachsen nach deiner Nähe.

Stärke unseren Glauben,
daß du uns und unsere Zukunft sicher
in Händen hältst. Amen

Lieder:

EG 171: Bewahre uns Gott
EG 395: Vertraut den neuen Wegen

EG 342: Es ist das Heil uns kommen her.

Bert Hitzegrad, Pastor in Cadenberge und Kehdingbruch

Claus-Meyn-Str. 11
21781 Cadenberge
Tel.: 04777/330
eMail: BHitzegrad@aol.com


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