Jeremia 31, 31-34

Jeremia 31, 31-34

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


6. Sonntag nach
Ostern, Exaudi

4.6.2000
Jeremia 31, 31-34

Wolfgang Winter


Der neue Bund

Siehe, Tage werden kommen – so spricht Gott -, da
schließe ich mit dem Haus Israel einen neuen Bund. Nicht wird dieser Bund
sein wie der, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei
der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen. Sie waren
es, die meinen Bund brachen, während ich doch Herr über sie war – so
spricht Gott. Doch dies soll der Bund sein, den ich mit dem Haus Israel
schließe nach jenen Tagen – so spricht Gott. Ich lege meine Tora in ihr
Inneres und schreibe sie ihnen ins Herz. Und ich will ihr Gott sein, und sie
sollen mein Volk sein. Und es wird nicht mehr einer den anderen und keiner
seinen Bruder belehren: erkenne Gott, sondern sie alle werden mich erkennen,
vom Kleinsten bis zum Größten – so spricht Gott -, denn ich werde
ihre Schuld vergeben und ihrer Sünde nie mehr gedenken.

Liebe Gemeinde!

Vor einiger Zeit bekam ich Besuch von Zeugen
Jehovas. 2 junge Männer, ordentlich in Schlips und Kragen, stellten sich
vor und baten um ein Gespräch mit mir. Ich führte sie in mein Zimmer,
und nach einigen Höflichkeiten zu Beginn kamen sie schnell zur Sache. Sie
sagten, sie wollten mich zur Entscheidung rufen. Der Kampf Gottes gegen den
Satan sei in vollem Gange. Die Kriege auf der Welt, die Gewalt, die
Zerstörung, Ausbeutung von Mensch und Natur – dahinter stecke der Satan.
Aber Gott werde bald ein Ende machen und Feuer und Schwefel über die
Bösen regnen lassen. Er werde sich mit Macht durchsetzen und die
Bösen ausrotten. Millionen würden zugrunde gehen – aber ich
könne mich jetzt noch für Gottes siegreiche Seite entscheiden.

Ich merkte, daß ich unterdessen unruhig
wurde. Ich fing an, mich zu ärgern. Dann sagte ich sehr scharf: „Wie
können Sie und Ihr Gott das Leben von Millionen Menschen so kaltherzig
verloren geben!“

Ich hatte das Gefühl, einen unverdaulichen
Brocken geschluckt zu haben, den ich unbedingt wieder los werden wollte. Die
Atmosphäre war nun gespannt und feindselig geworden.

Und dann geschah etwas Merkwürdiges: ich sah
hinter den verschlossenen und harten Gesichtszügen der beiden Männer
weiche und offene Gesichtszüge junger Leute aufleuchten. Zwei
Menschenbrüder. Es war, als ob ich Teil einer anderen Geschichte geworden
wäre – einer Geschichte, in der der verstehende und liebevolle Blick nicht
bricht unter dem Ansturm des Negativen, sondern standhält. Gottes Blick
auf uns Menschen, und Gottes Geschichte mit uns Menschen: der Herr
läßt leuchten sein Angesicht über uns.

Der Rest des Gesprächs ist kurz erzählt:
ich gewann meine Fassung wieder, die Atmosphäre entspannte sich und die
Verschiedenheit unseres Frömmigkeitsstils konnte zunächst einmal,
jedenfalls von mir, akzeptiert werden.

Auch in unserem Text geht es um den Durchbruch
durch eine gewohnte und vertraute Sichtweise und die Eröffnung einer ganz
neuen Perspektive.

Sehen wir näher hin. Der Text setzt die
Katastrophe Jerusalems zu Beginn des 6. Jahrhunderts voraus. Die Stadt ist von
den Truppen Nebukadnezars erobert worden. Das kleine Reich Juda ist vom
Großreich Babylon annektiert worden. Viele Menschen werden nach Babylon
deportiert. Alles politische Geschick hat nichts genutzt. Alle religiösen
Anstrengungen, aller Einsatz der Propheten – vergeblich. Nur wenige haben die
Situation realistisch eingeschätzt und mit dem Sieg der Babylonier
gerechnet. Zu ihnen gehört der Prophet Jeremia. „Hört nicht auf die
Worte der Propheten, die euch sagen: Ihr werdet nicht untertan sein müssen
dem König von Babel! Denn sie weissagen euch Lüge!“ Für diese
Worte war Jeremia angefeindet und isoliert worden. Man hatte ihn des
Defätismus bezichtigt und verhaftet. Seine Spur verliert sich im Chaos des
Krieges.

Unser Text, entstanden nach der Katastrophe,
knüpft hier an und eröffnet den Geschlagenen eine großartige
neue Aussicht: Tage werden kommen, da schließe ich mit euch einen neuen
Bund. Wer ihr auch seid – gebrochen und verzweifelt oder trotzig; oder traurig;
oder mit Schuldzuweisungen beschäftigt – wer ihr auch seid, Gott
jedenfalls kündigt seine Treue zu euch nicht. Im Gegenteil: er wird sich
noch enger mit euch verbinden. Einen neuen Bund wird er mit euch
schließen.

Dieser neue Bund wird so eng, so intensiv sein,
daß zwischen Menschen und Gott nichts Trennendes und Zerstörerisches
mehr Platz hat. Gott – eingeschrieben in das menschliche Herz.

Wenn man diesen Text auf sich wirken
läßt, ist es vielleicht die großartige Einfachheit der Bilder,
die anrührt. Gott kommt zu den Menschen. Nichts wird uns trennen von
seiner Gemeinschaft.

Was jeder Mensch, was wir sind, das sind wir durch
Gott. Wir müssen nur nach innen blicken, um diese andere Dimension des
Lebens zu sehen. Der Blick sieht dann hinter der lebensgeschichtlich gewordenen
Landschaft eines menschlichen Gesichtes noch eine andere Landschaft: Gottes
Angesicht, wie es über den Menschen leuchtet. Diese Perspektive hat etwas
Sperriges und Widerspenstiges gegenüber dem gerade heute wachsenden Zwang,
menschliches Leben auf Leistung und Nützlichkeit zu gründen. Es gibt
wirklich jemanden, der den Blick nicht von uns abwendet – komme, was wolle.

Ich will euer Gott sein – ihr sollt mein Volk sein.

Nicht nur ich bin gemeint, sondern die anderen
auch. Auch die anderen sind in den Bund einbezogen. So werden sie zu meinen
Menschenbrüdern und Menschenschwestern. In aller Unterschiedlichkeit und
oft Konflikthaftigkeit von menschlichen Beziehungen gibt es auch diese andere
Dimension: unsere Verbundenheit untereinander durch Gottes Zuwendung zu
uns. Gottesliebe und Nächstenliebe
gehören so zusammen, daß wir im anderen Menschen mehr sehen, als auf
der Oberfläche des Verhaltens zu sehen ist: den von Gott geliebten Mensch.

Wir haben wohl alle genügend Lebenserfahrung,
daß wir wissen: wir können tun oder lassen was wir wollen – ohne
Liebe wird alles langsam aber sicher hohl. Ich meine mit Liebe nicht
sentimentale Gefühle, sondern den Respekt und die Achtung vor dem
Menschenbruder und der Menschenschwester.

Das gilt auch und gerade von den Menschen, die uns
unangenehm sind. Martin Luther hat einmal die Blickrichtung Gottes im
Unterschied zur Blickrichtung des natürlichen Menschen so beschrieben:
„Menschen wollen in die Tiefe nicht sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und
Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da
läuft jedermann davon.“ Gott aber sieht die an, die in der Tiefe sind. Die
menschliche Blickrichtung muß sich immer wieder umkehren, um Gottes Blick
auf den Menschen zu entsprechen.

Liebe Gemeinde, es ist schwer, Gottes Bund mit uns
durch die Oberfläche des Alltags hindurch sehen zu lernen – als tragenden
Grund unseres Lebens. Die tragende Dimension der Wirklichkeit entzieht sich
immer wieder unseren Blicken. Die Wirklichkeit des lebendigen Gottes in der
Wirklichkeit des bloß Faktischen von Ereignissen und von Gefühlen
und von Normen sehen zu lernen – das läßt sich nicht machen und
bewerkstelligen.

Die neue Schöpfung – Gott, eingeschrieben in
das menschliche Herz – steht noch aus. Aber es gibt schon jetzt Momente im
Leben, die auf diese Zukunft verweisen. Offenheit für solche Momente im
Leben läßt sich vielleicht lernen – alles andere ist dann Geschenk.

Marie-Luise Kaschnitz redet davon so:

Manchmal stehen wir auf
stehen wir zur Auferstehung auf

mitten am Tage
mit unserem lebendigen Haar
mit unserer atmenden
Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen

Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger
löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus
Licht.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Wolfgang Winter, Studienseminar der Ev.-luth Landeskirche,
Von-Bar-Str. 2/4, 37075 Göttingen, Tel.: 0551-49990-31
E-Mail: stg@gwdg.de


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