Jesaja 1, 10-17

Jesaja 1, 10-17

 


Buß- und Bettag,
20. November 2002
Predigt über Jesaja 1, 10-17, verfaßt von Hans Theodor Goebel

1.
„Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom!
Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra!“
Sodom und Gomorra
-das waren doch die Städte am Toten Meer.
Verzehrt von Feuer und Schwefel. Städte zum Schreien. Voller Unrecht
und Gewalt. Sie waren ausgelöscht worden. Es gab sie schon lange
nicht mehr. Nur ihre Namen kannte noch jeder. Die Namen von Unheilsstädten.
„Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom!
Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra!“

So spricht der Prophet Jesaja. Als wären die heutigen Herren von
Jerusalem die Herren von Sodom. Als wäre sein eigenes Volk hier im
Tempel das von Gomorra.
Wenn er sie so anspricht – warum?
Weil die Lage so ist. So schlimm wie in Sodom und Gomorra. So schlimm
ist es heute, sagt der Prophet.
Jedoch – „Hört!“ Hier wird noch ein Raum aufgetan
für die Herren und das Volk von Jerusalem. „Höre! –
Nimm zu Ohren!“

Als wäre noch nicht alles aus. So aus wie in den toten Städten
am Toten Salzmeer.

„Hätte uns der HERR … nicht einen geringen Rest übrig
gelassen, so wären wir wie Sodom und gleich wie Gomorra.“

Ihr – lebt noch. Wunderbarerweise. „Höret des HERRN Wort…!“
Da wird ihnen ein Raum aufgetan zum Hören auf die Weisung des Gottes
Israels – „unseres Gottes“. Du, Gott stellst meine Füße
auf weiten Raum.
Ein freier Raum zur Umkehr, zur Buße, zur
Wende. Ein Raum vor dem Unheil. Ein Raum, der frei sein wird
von Schuld und Blut, von Vernichtung und Unheil. Der totgesagten Stadt
Jerusalem wird ein Raum zum Leben aufgemacht.
Der Raum zum Leben ist der Raum zum Hören. „Höret des
HERRN Wort…! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes!

Wen meint dieser Ruf heute? Wer hört ihn?

2.
Der Gottesspruch, den der Prophet Jesaja ausrichtet – er schont nicht:

Ich habe eure Gottesdienst und Opfer satt. Meine Seele hasst eure
Feste. Ich kann eure heuchlerischen Versammlungen nicht ab. Sie sind mir
zur Last geworden. Ich bin müde geworden, sie zu ertragen
.
Wie ein unwillig gewordener, aber noch leidenschaftlicher Kirchenbesucher
redet hier Gott:
Eure Gottesdienste – ich bin sie so was von satt! Satt, satt.
Wenn ihr auch eure Hände vor mir ausbreitet, ich halte mir die Augen
zu. Und wenn ihr viel betet, verstopfe ich meine Ohren meine Ohren. Ich
höre euch doch nicht.

Wie redet Gott denn hier? Ist er nicht auf immer ein Gott, zu dem Menschen
beten sollen? Ruft mich an, so will ich euch erhören?
Die Antwort ist kurz und bitter:
Eure Hände sind voll Blut.
Was für Blut? Wessen Blut klebt an euern Händen?
Wem habt ihr Unrecht angetan und Gewalt?

Liebe Gemeinde, ich bin nicht Prophet, dass ich sagen könnte:
Genau das ist Gottes Botschaft an euch hier in Köln am 20. November
2002.
Aber euch zu sagen: Das gilt für euch nicht, habe ich noch
viel weniger einen prophetischen Auftrag.

Hört! – ihr Herren von Sodom, du Volk von Gomorra.
Es kann sehr wohl sein, dass Gott uns heute freien Raum bietet,
seine Weisung zu hören. Uns so Lebensraum auftut. Dass er
uns in seiner harten Rede so kommt. Wir kennen ihn doch so aus
der Predigt Jesu und aus der seines Vorläufers Johannes: „Das
Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das
Evangelium!“
– Um Frucht zu bringen lässt Jesus dem unfruchtbaren
Feigenbaum Lebenszeit – statt ihn abzuhauen und ins Feuer zu werden.
Nehmen wir uns daraufhin ein Herz, zu hören, als wären
gerade wir gemeint!

3.
Was will Gott von den Herren Jerusalems und seinem Volk Israel?
Recht und Gerechtigkeit!

„…tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab
vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten,
schafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen!“

Ich bleibe hängen an dem Wort: „Lernt Gutes tun!“
Gutes tun – lernen! Lernen in Sachen Recht und Gerechtigkeit.
Davor und dabei das Böse lassen, das Unrecht und die Ungerechtigkeit
sein lassen. Sie weg tun aus Gottes Augen.
Wie lernen wir Gutes tun? Es braucht dazu eine bestimmte Blickrichtung.
Hinsehen, wie es den Unterdrückten, den Rechtlosen, den Hilflosen
geht. Wo und wie gerade ihnen nicht gut getan wird. Damit sie
zu Recht kommen.
Ich will vier Beispiele nennen:

(1) Die Schere von Reichtum und Armut. Geht auseinander. Die
Telekom macht Verluste. Der Chef-Manager wird – wie es seinem Vertrag
entspricht – mit einer Riesensumme abgefunden. Das Unternehmen will jetzt
an die 55 000 Arbeitsplätze einsparen. Wer findet die ab, die sie
verlieren und doch die Verluste nicht gemacht haben? So wie es läuft,
werden Menschen bitter gemacht. – Da schmeckt es gut, dass jetzt ein paar
Millionäre an den Bundeskanzler geschrieben haben, sie wollten mit
ihrem Reichtum gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen – für Schulen,
für Kindergärten und dergleichen. „Vermögende für
die Vermögenssteuer“.

(2) Wirtschaftliches Wachstum. Alle sagen: Wir brauchen es.
Damit es uns in Deutschland wieder besser geht. Können Wirtschaft
und Konsum wachsen ohne Grenzen? Wo wachsen die dann hin? Wächst
damit auch für uns alle die Qualität des Lebens – und die Lebenschance
für nach folgende Generationen? Sind Wirtschaft und Konsum alles
im Leben? Ist das ganze Leben unter das Gesetz des wirtschaftlichen Wachstums
zu zwingen? Was verkümmert dann? Wer bleibt auf der Strecke? Und
wenn die Wirtschaft bei uns zu Lande wächst, schrumpft sie deswegen
vielleicht anderswo? Im weltweiten Verteilungskampf der Marktanteile.

(3) Da sind wir schon beim nächsten Beispiel: Industrienationen
und unterentwickelte Länder
. Die Wirtschaftskraft und Technologie
und die von den reichen Nationen diktierten Handelsbedingungen knebeln
die armen Länder in der Weltwirtschaft, lassen sie nicht hochkommen.
Die versinken in Schulden, die sie bei uns Reichen haben und können
ihre eigenen Ressourcen nicht nutzen. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen,
dass gerade junge Leute heute z. B. in der Bewegung Atta c diese
Art Globalisierung anprangern. Recht und Gerechtigkeit einfordern für
die Unterdrückten.

(4) Arbeitslosigkeit. Für immer mehr Menschen bitteres Los.
Welche Politiker sagen dem Volk die Wahrheit, dass es Vollbeschäftigung
in Industrie und Verwaltung nicht mehr geben wird? Der Staat spart und
die Wirtschaft macht Gewinn, wenn sie Arbeitsplätze abbauen. Wegrationalisieren.
Unserer Gesellschaft gehen immer mehr Arbeitsplätze aus. Dabei ist
in unsrer Gesellschaft so viel zu tun. Im Naturschutz und für die
Kunst. Auf Straßen und Plätzen und Parks. Beim Sport. In den
Vereinen. In der Kirche. In Schule und Hochschule. Bei Kindern und Jugendlichen,
die beleitet, bei Alten und Kranken, die gepflegt sein wollen. In der
Flüchtlingsbetreuung. In Strafanstalten. In der Politik. Unzählbar
viele Aktionen könnten erweckt, ersponnen, ersonnen, durchgeführt
werden. Unser aller Leben könnte dabei bunter blühen, viel bunter
als heute. Wann fangen wir an, uns solche neuen Lebensmöglichkeiten
auszudenken? Wie können wir in solche Buntheit des Lebens investieren?
Was brauchen wir, damit arbeitslose und vielleicht schon antriebslose
Menschen zu einem erfüllten Leben kommen, auch ohne bezahlten Arbeitsplatz
ihre Talente und Kräfte einbringen können? Und können dabei
finanziell gesichert und von den Anderen anerkannt leben.

Ich habe nur Beispiele genannt, die mir gekommen sind. Und sie noch nicht
zu Ende gedacht. Ihnen werden andere einfallen. Vielleicht machen Sie
sich auch andere Gedanken – Ihre eigenen.
Das Prophetenwort lässt uns in Gottes Namen nach dem Recht der Rechtlosen
fragen. Dazu gehört es, dass wir uns dran machen, mit ihren Augen
zu sehen. Und aussprechen, nicht verschweigen, was in unsrer Gesellschaft
der schlechte Fall ist. Zukunft liegt im Lernen. „Lernt Gutes
tun!“

4.
„Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom!
Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra!“

Um des Reiches Gottes willen, das auch uns nahe gekommen ist,
sind wir – über die Jahrhunderte hinweg – mit angeredet.
So haben wir in der Kirche ein Doppeltes zu lernen und zu tun:
Die Weisung Gottes für uns selbst zu hören und sie weiter zu
tragen in die Gesellschaft. So nehmen wir daran teil, dass Gott freien
Raum auftut zum Hören und zum Umkehren – zum Leben. Zum Umkehren
zu ihm. Denn er ist Gott, der den Rechtlosen, den Hilflosen, den Unterdrückten
zu Recht hilft und zu Gerechtigkeit: Sein Markenzeichen auf ewig.

Uns Christen wird freier Raum aufgetan, von uns selbst aufzubrechen in
die Welt. Nicht sitzen zu bleiben bei uns selbst in unsren Gottesdiensten
– das hat Gott satt.
Seien wir drauf gefasst: Er ist da schon: Jesus Christus bei seinen geringsten
Schwestern und Brüdern. Amen.

Apl. Prof. Dr. Hans Theodor Goebel, Pfarrer i.R, Köln
HTheo_Goebel@web.de

 

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