Jesaja 25, 8- 9

Jesaja 25, 8- 9

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ostermontag,
16. April 2001

Predigt
über Jesaja 25, 8- 9, verfaßt von Karl W. Rennstich


Dogmatische und homiletische
Entscheidung

Liebe Gemeinde!

1. „Er beseitigt den Tod für
immer“

Vor 33 Jahren verunglückte mein ältester
Sohn Stefan in Sabah (Borneo) Ich höre noch heute die Worte: „Aso
ginavo i Stefan!“ Es bedeutet: kein Herz mehr, tot! Wir Eltern waren wie
gelähmt. Wie sollte das Leben weitergehen ohne Stefan? Schon am
nächsten Morgen war die Beerdigung. Die vielen Menschen. Die Leere. Doch
wir hatten noch zwei andere Kinder, die auch ihre Eltern brauchten.

„Gott, der Herr, wischt die Tränen ab
von jedem Gesicht.“ Nicht die Zeit heilt alles, sondern Gott. Kohelet
3,1-8 verdeutlicht, dass es für alles eine Stunde, eine Epoche, eine Zeit
gibt: Damit ist die Grenze des Menschen angezeigt. Der Mensch kann nicht zu
allen Zeiten und nicht zu jeder Stunde sich gleichartig verhalten. Nicht der
Mensch setzt die verschiedenen Zeiten fest, vielmehr kommen die Zeiten auf ihn
zu und er kann nicht eingreifen. Selbst wenn der Mensch die Stunde erkennt,
kann er nicht ihr Geschick bestimmen, und es ist längst bestimmt von einem
Stärkeren.

In der Fügung unter Gottes Bestimmungen und
in der Empfänglichkeit für die guten Gelegenheiten zeigt
Qohälät die einzige Möglichkeit für den weitblickenden
Skeptiker auf, mit seiner Zeit umzugehen. Er nimmt darin Wesentliches aus der
älteren Weisheit auf (Prv 15,15):»Des Bedrückten Tage sind
allesamt böse. Aber guter Mut ist ein stetes Fest.«

Mitten in den Rätseln, die gerade Gott mit
dem Zeitverlauf dem Weisen aufgibt, ist es zuletzt allein Gott selbst, der dem
Menschen ermöglicht, das Nötige zu schaffen und allen Widrigkeiten
zum Trotz das Gute zu entdecken und fröhlich zu genießen. Inmitten
seiner Klageschreie kann ein Beter sich aufrichten (Ps. 31,16a): »In
deiner Hand ruhen meine Zeiten.«

Heute nach 33 Jahre nach dem Tod meines Sohnes
kann ich mit Hiob sagen: „gelobt sei der Name des Herrn!“ Hiob
steht hier für den trauernden Menschen, der keine leichte, schnelle
und einfache Antowort geben konnte auf die Frage aller Fragen: Warum
muß gerade mir das widerfahren? Wie gehen wir damit um, wenn guten
Menschen Böses widerfährt? Wie kann Gott das zulassen?

„Gott, der die Kinder gibt, erzieht sie nicht
für dich.“ sagen die Afrikaner. Letztlich ist Gott es, der das Leben
gibt. „Von-Gott-geschenkt“ ist in Afrika ein häufig
anzutreffender Name, so wie bei uns die Namen „Theodor“ und
„Dorothea“, die die gleiche Bedeutung haben.

Ein Kind ist Gottes Gabe und Aufgabe zugleich. Er
hat es für sein Erdenleben – und sogar darüber hinaus – ausgestattet.
Nun legt er dieses Kind in die Hände seiner Eltern, dass es wächst
und gedeiht unter ihrem Schutz und nach ihrem Vorbild. So werden sie zu
Partnern Gottes und haben Verantwortung dafür, dass Gottes Idee in ihrem
Kind Gestalt gewinnt. Doch Kinder sind niemals Besitz. Sie sind von Gott als
Leihgabe übergeben.

2. „Auf der ganzen Erde nimmt er von seinem Volk die
Schande hinweg. Ja, der Herr hat gesprochen.“

Von einem Dorf her tönen in Obervolta
Trommeln, Rasseln und Jubelrufe der Frauen. War es ein Hochzeitszug? Nein, es
war das Begräbnis eines Alten. Es klingt wie ein Triumph, wie eine
Siegesfeier. Er hatte sein langes Leben vollendet und war ohne Furcht im
Frieden still davongegangen. Nun preisen ihn Kinder und Kindeskinder auf seinem
letzten feierlichen Zug, der zwar zum Grab, doch zugleich in die
Unvergänglichkeit führt. Der Segen der Alten begleitet auch weiterhin
den Weg der Kinder, sie bleiben einander verbunden.

Ganz anders der Tod eines Kindes. Die Rungus in
Sabah trösteten mich damit dass sie sagten, das ist von Kinoringan, Gott
so bestimmt. Es bestimmt die Lebenslänge eines jeden Menschen. Keiner kann
etwas dagegen tun. Es ist sein Schicksal.

Ich lernte dort aber auch, dass man sehr
feinfühlig umgeht mit Menschen, die ein Kind verloren haben. Kleine Kinder
werden ganz in der Nähe des Haus beerdigt, denn die Kleinkinder brauchen
die Nähe der Mutter. Ältere Jungen werden in der Nähe es
Großvaters beerdigt, denn sie brauchen die Nähe des
Großvaters. Nur die Erwachsenen kommen auf den Friedhof.

Zum Evangelium gehört die Hoffnung auf die Auferstehung der
Toten. „Leben wir, So leben wir dem Herrn. Sterben wir so sterben wir dem
Herrn. Darum ob wir leben oder sterben: Wir sind des Herrn. (Römer 14, 8).

3. Das ist der Herr, auf ihn setzen wir unsere Hoffnung

„Maria aber stand draußen vor dem Grab
und weinte.“ Ostern beginnt mit Weinen und endet mit einer großen
Freude. Maria erkannte den Auferstandenen Jesus als er sie mit ihrem Namen
ansprach. Die ganz persönliche Ansprache nennen wir mit dem Fremdwort
kommunizieren. Dieses Wort kommt von communio und bedeutet Gemeinschaft. Das
Reden setzt die Gemeinschaft voraus. Und nur in dieser Gemeinschaft ist ein
umfassendes Bekenntnis möglich. Nur wenn der Einzelne sich in der
Gemeinschaft geborgen fühlen kann, ist auch ein Bekenntnis möglich.
Erst dann können wir sagen: „Ich glaube an die Auferstehung des
Leibes“.

Von Dietrich BONHOEFFER können wir lernen,
dass nicht von der ars moriendi ( der Kunst des Sterbens), sondern von
der Auferstehung Chrisi her ein neuer, reinigender Wind in die
gegenwärtige Welt wehen kann. Denn die christliche Auferstehungshoffnung
unterscheidet sich von der mythologischen darin, dass sie den Menschen in ganz
neuer und verschärfter Weise an sein Leben auf der Erde verweist.

4. „Wir wollen jubeln und uns freuen
über seine rettende Tat“

Sein eigenes Sterben beschrieb Arie Brouwer, der
langjährige stellvertretende Sekretär des Ökumenischen Rates der
Kirchen in Genf (ÖRK) und Generalsekretär des Reformierten Weltbundes
in Amerika, in einem bewegenden Büchlein mit dem Titel: Overcoming the
Threat of Death (Risk 1994). Als er im Advent 1992 erfuhr, dass der Tumor, den
man ihm entfernt hatte, bösartig war, schrieb er als eine Therapie die
letzten Monate seines Lebens als Tagebuch. Freunde veröffentlichten das
Tagebuch.

Die ersten Eintragungen über die letzten
Monate seines Lebens beginnen am 4. Advent 1992 unter dem Titel:
„Überwindung der Todesangst“. Am Anfang gab es ja Hoffnung. Man
konnte sich noch aufrichten an den Worten des Propheten Habakuk: „Wir
warten auf den Herrn, mehr noch als solche, die auf die ersten Zeichen der
Morgenwache warten.“

Arie schreibt über die letzten Monate seines
Lebens:
„Während der schweren Zeit kam mein jüngster Sohn
und fragte mich: ‚Du und Mama, haben ihr ganzes Leben lang versucht, sich
für andere Menschen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass es den
Menschen besser geht. Warum mußt gerade du nun dieses Schwere
durchmachen, wo man doch gerade heute und jetzt dich am allermeisten braucht?
Das ist eine sehr merkwürdige Art Gottes, das zurückzuzahlen, was du
Gutes getan hast.‘ Natürlich weiß ich, dass nicht Gott das alles
tut, aber ich finde keine Antwort auf die Frage, warum er es überhaupt
zuläßt.‘

Viele Wochen beschäftigte mich die Frage, was
„allmächtiger Gott“ bedeutet. So studierte noch einmal die
Bibel. „Am Ende meiner langen theologischen Forschung fand ich, dass im
Neuen Testament nur zehnmal von der Allmacht Gottes gesprochen wird. Die Bibel
lehrt, dass die gesamte Geschichte der Welt ein Kampf gegen die Sünde ist.
Erst am Ende der Zeit wird dieser Kampf zu Ende sein.

Bei der Betrachtung alter orthodoxer Ikonen ist
mir eingefallen, dass die Ikone ‚das Fenster zum himmlischen Königreich‘
genannt wird.

Inzwischen ist es Juni geworden. Ich muß
langsam eingestehen, dass die Krankheit stärker ist als mein Wille. Das
Thema Heilen und Glauben beschäftigte mich insgesamt 40 Jahre lang. Was
mich am meisten beschäftigte in dieser Zeit, war die Frage, was
„überwinden“ bedeutet. Auch hier habe ich noch einmal ganz neu
in der Bibel diesen Begriff untersucht. Ich habe dabei entdeckt, dass das
griechischen nikao bedeutet, einen Sieg gewinnen. Ich erkannte,
dass Sieg bedeutet, das ganze Leben in der ganzen Fülle zu gewinnen. Das
führte mich zu einer der größten Passagen im Römerbrief.
Im 8. Kap. Vers 35-39 schreibt der Apostel Paulus: „Wer will uns scheiden
von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder
Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert?….

Überwindung bedeutet in der Bibel in ein
Verhältnis einzutreten, in dem wir vielmehr als vorher, die enge
Verbindung von Seele und Leib verstehen und begreifen.

Der Prophet Habakuk war schon immer mein Freund.
Er begleitete mich durch das ganze Leben. Habakuk heißt
„Umarmung“ oder wie Luther übersetzt „Herzer“.
Kernspruch dieses Beters ist: ‚Der Gerechte wird seines Glaubens leben‘.

Ich habe in diesem langen Prozeß gelernt,
dass Gott auf mich wartet, und dass er seine Hand über mir hält. Wie
geheimnisvoll auch diese Worte – Glaube, Hoffnung, Liebe – sind, ich merke
immer mehr, wie real sie sind. Angesichts des Sterbens, bin ich gewachsen im
Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe und in der Gnade.“

Zwei Monate später, am 7. Oktober 1993 starb Arie Brouwer.

Amen

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Bei der Kirche
2
72574 Bad Urach-Seeburg
Tel: +49-(0)7381-3215 Fax: +49-(0)7381-501234

E-mail: kwrennstich@gmx.de

Dogmatische und homiletische Entscheidung

Der Text gehört zur Jesaja- Apokalypse (Jes.
24-27). Wir konzentrieren uns hier auf Jes. 25, 8-9.

Das Todesverständnis innerhalb der Bibel ist
sehr unterschiedlich. Der Tod ist integraler Bestandteil der
Schöpfungsordnung Jahwes; Sterben und Tod gehören zum Leben und sind
in diesem Sinn natürlich. Stirbt der Mensch, dann kehrt er in seinen
schöpfungsmäßigen Ursprung zurück (Ps 90,3; Ps 104,29; Ps
146,4; Gen 3,19 u. a.). Leben ist eine Leihgabe Gottes und nicht
„Besitz“ des Menschen. In den späten Schriften des Alten
Testaments weitet sich die Hoffnung und Erwartung aus auf den gesamten Kosmos.
Am Ende steht die Erwartung einer neuen Schöpfung, der Schaffung eines
neuen Himmels und einer neuen Erde.

Diese letzte Stufe der alttestamentlichen
Todesvorstellung wird im Neuen Testament weitergeführt. Der ist Tod kein
eigenständiges Thema, sondern ist stets vor dem Hintergrund der
frühchristlichen Verkündigung der Auferstehung Christi als dem Sieg
über den Tod zu sehen. Diese Entmachtung des Todes zeigt sich am
deutlichsten am Ereignis der Auferstehung Jesu Christi (1 Kor 15,55).

Der Tod ist eine Station auf dem Weg zur
Auferstehung und bedeutet eine Veränderung des „Systems.“ Paulus
sagt von sich, dass er in seiner Taufe mit Christus gestorben ist
(Röm 6,3ff.). Mit der Neuschöpfung der Welt verschwindet auch der Tod
zusammen mit allem, was widergöttlich ist (1 Kor 15,26; vgl. auch Off
20,14). Auferstehungshoffnung ist Leben über den Tod hinaus.

Im Anschluß an Luther und Althaus gibt es
auch die Vorstellung des „Seelenschlafs,“ aus dem heraus Gott den
Menschen auferwecken wird.


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