Jesaja 40,1-11

Jesaja 40,1-11

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


3. Advent, 17.
Dezember 2000

Predigt
über Jesaja 40,1-11, verfaßt von Heike Löhr


Vorentscheidungen

Liebe Gemeinde,

„Was wünscht du dir zu
Weihnachten?“, ist eine Frage, die wir, als wir noch Kinder waren, in
diesen Wochen vor Weihnachten nur allzu gern beantwortet haben. Inzwischen sind
wir erwachsen geworden und mit uns haben sich natürlich auch unsere
Wünsche verändert. Nicht in erster Linie materieller Natur sind sie.
Was wünschen wir uns also im Jahr 2000 zu Weihnachten? Eine weiße
Weihnacht, denn das war früher immer so. Ein Schwelgen in
Kindheitserinnerungen, in den Gerüchen und Bräuchen von damals. Ruhe
und Muße, ein paar Tage ohne Streß im Beruf. Ein Zusammensein im
größeren Familienkreis ohne Zank und Streit, eben „Frieden auf
Erden“.

Aber kann man sich das, was wir eben als
Predigttext gehört haben, wünschen? Haben wir dieses von Weihnachten
zu erwarten, was der Prophet damals vor 2500 Jahren gepredigt hat – oder warum
sonst ist dieser Text für den 3. Advent, nicht weit von Weihnachten,
ausgewählt worden?

Die Botschaft des Propheten besteht in Trost. Er
hat Grund, solches zu predigen. Deuterojesaja, d.h. der zweite Jesaja, wird er
genannt, um ihn von dem vorangegangenen zu unterscheiden. Die Zeiten haben sich
nämlich gewandelt: nicht Zorn und Gericht für das Volk Israel sind
anzusagen, wie wir das noch in den ersten Kapiteln nachlesen können. Nicht
Wohlergehen und Hochmut bilden den Hintergrund für unseren Predigttext,
sondern Not und Elend.

Denn das Volk leidet. Es befindet sich fern der
Heimat im Babylonischen Exil. Nicht zum ersten Mal ist es von fremden
Völkern besiegt worden, aber diesmal ist es schlimmer denn je: Jerusalem,
die Hauptstadt ist geschleift, der Tempel, d.h. der Ort, an dem Gott wohnt, ist
zerstört. Die Städte sind kaputt, das Ackerland liegt brach. Und das
Volk? Es ist weggeführt nach Babylonien. Hier muß es Fronarbeit
leisten für fremde Herren, hier steht es unter dem Joch derer, die ihre
Städte zerstört und ihre Bewohner in die Fremde geführt haben.
Die Städte und Äcker der Sieger sind nun am Gedeihen, aber das eigene
Land ist wüst und leer.

Was hat man noch vom Leben zu erwarten? Menschlich
ist hier nichts mehr zu machen. Eine Aussicht auf Besserung in der
babylonischen Gefangenschaft gibt es nicht. Die Lage ist verzweifelt.

Dieser hoffnungslosen Lage wird nun die
Wirklichkeit Gottes entgegengesetzt. Gott tritt auf den Plan und erhebt seine
Stimme: Tröstet, tröstet mein Volk. Sein Kommen gleicht einem
kosmischen Ereignis: Täler werden erhöht und Berge erniedrigt. Wie
auf einer Prozessionstraße eilt Gott durch die Wüste seinem Volk zu
Hilfe, die Steppe wurde dafür zu einer ebenen Bahn. Seine Herrlichkeit
soll für alle deutlich sichtbar zu Tage treten. Das Volk hat genug
gebüßt für seine Schuld, sie wird ihm von Gott vergeben. Der
Grund für diese Veränderung der Lage ist allein Gottes Wort.
Während alles andere in der Welt vergänglich ist, bleibt dieses
allein bestehen.

Was für eine Botschaft hat Deuterojesaja da
anzusagen! Der Trost Israels liegt darin, daß es selbst vergehen wird,
während Gottes Wort allein ewig bleibt. Wenn Gott kommt und in seiner
Herrlichkeit durch die Wüste zieht, dann ist da kein Platz für etwas
anderes neben ihm. Da vergeht alles.

Aber Gottes Wort bleibt nicht nur, es wirkt
schöpferisch. Es ist nicht nur so daher gesagt. Da, wo Gott redet,
geschieht etwas, da entsteht Neues: Wüst und leer und finster war die
Erde. „Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“ Auf
diesem (gerade erst neu formulierten) Glaubenshintergrund spricht der Prophet.
Er kann nicht sagen, wie dieses Neue aussehen wird, aber daß es kommt,
steht unverbrüchlich fest. Denn: ein jedes Wort, das aus Gottes Mund geht,
wird tun, wozu es gesandt wird, es wird nicht wieder leer zu ihm
zurückkehren, so wird es später noch im Jesajabuch heißen. Es
ist damit anders als alles, was wir sonst auf dieser Welt finden, es wird
ewiglich bleiben, während alles Fleisch wie Gras vergeht.

Gott kommt. Und er kommt in Herrlichkeit und
Pracht majestätisch, alles Bestehende umwälzend durch die Wüste
– seinem Volk zu Hilfe. Dies ist der Trost, den Jesaja Israel in der
Babylonischen Gefangenschaft predigt.

Liebe Gemeinde!

Das lateinische Wort adventus heißt
Ankunft. Wir feiern Advent, wir sind in der Adventzeit, so sagen wir, und das
heißt nichts anderes, als daß wir uns auf das Kommen Gottes
vorbereiten.

Und dann feiern wir Weihnachten – und was
finden wir vor? Ein neugeborenes Kind in Bethlehem, der kleinsten aller
Städte. Statt Gott in Herrlichkeit eine Krippe. Statt eines kosmischen
Ereignisses einen Stall.
Was sollen wir davon nun halten? Ist das die
Hilfe, die wir erwartet haben? Kann uns das Trost sein?
Kann ein Kind die
Antwort auf unsere Fragen nach dem Sinn des Lebens sein? Kann es unseren
Schmerz besiegen? Kann es die Trauer, die Angst, die Sorge nehmen?

Ja, das alles kann es, denn es heißt:
„Wunder-Rat“, „Gott-Held“, „Ewig-Vater“,
„Friede-Fürst“.
Gott ist gekommen, und er kommt selbst als
Mensch auf die Welt.

Das stellt nun in der Tat alles auf den Kopf. Das
ist ver-rückt. Die Welt vergeht doch, wie das Gras verdorrt. Das Volk
Gottes verwelkt wie eine Blume. Und nun wird Gott Mensch und unterwirft sich
damit den menschlichen Bedingungen? Nun wird das Wort Fleisch, wie Johannes
sagt, und wohnt unter uns. Wie dieses?

Nun gibt es ziemlich genau zwei
Möglichkeiten: Entweder Gott wird Mensch und nimmt dabei das menschliche
Sein so an, daß er sich diesem völlig unterwirft. Aber dann
brauchen wir nicht länger in den Kirchenbänken sitzen zu bleiben,
sondern dann sollten wir diesen Gottesdienst für beendet erklären und
nach Hause gehen. Oder aber: Gott wird Mensch, aber das vergängliche
Mensch-Sein behält nicht das letzte Wort, sondern Gott zieht uns durch
seine Menschwerdung in seine Ewigkeit, seine Herrlichkeit hinein.

Daß das letztere der Fall ist, wissen und
glauben wir seit Ostern, aber die Osterpredigt wollen wir dann erst hören.

Heute soll es um das Kommen Gottes in diese Welt gehen.
Denn mit dem
Kind in der Krippe ist Gott unser Bruder geworden. Gott kommt so zu den
Menschen, daß er mit ihnen mitgeht, teilt, was sie erleben, sie nicht
allein läßt in Not oder Trauer.
Das zu begreifen, ist
gewiß nicht einfach. Fast wäre es schon leichter, zu sagen, das mit
dem christlichen Glauben Erhoffte wäre etwas für später, nach
diesem Leben. So stellt man sich die Sache mit der Religion, mit Gott ja gerne
vor. Gott in der Krippe aber begibt sich mitten hinein in das Geschehen. Das
heißt auch das Eingeständnis, das es mit unseren Mitteln, ja nicht
einmal mit dem, was wir zu hoffen, von Gott zu beten und zu wünschen
wissen, getan werden kann. Denn das, was uns am meisten trennt von Gott,
muß mit dem Wort „Schuld“ benannt werden. Sie können wir
mit nichts ausräumen. Aber das Kind in der unscheinbaren Krippe kann das,
weil es gerade nicht von dieser Welt kommt, sondern von außen in sie
eindringt.

Das ist eine so sonderbare Botschaft, daß
man sie leicht vergessen kann. Darum muß man alle Jahre wieder an sie
erinnert werden. Und damit wird zugleich deutlich: es handelt sich bei der
Geburt in Bethlehem nicht um ein einmaliges Ereignis in ferner Vergangenheit,
sondern um dasjenige, das unsere Zukunft, unser ganzes Sein verändert, ja
überhaupt erst ermöglicht!
Diese Adventsbotschaft, diese Predigt
vom Kommen Gottes in die Welt ist umstürzlerisch, sie hebt die Welt aus
den Angeln, weit mehr noch als eine ebene Bahn durch die Wüste.

Verlassen wir aber noch einmal das Kind in der
Krippe. Advent ist die Wartezeit auf Gottes Kommen in die Welt. Wie erwarten
wir ihn?

Sehr unterschiedliche Antworten hat es darauf
schon gegeben:
Gott wurde erwartet als der in Pracht und Herrlichkeit
einziehende König. Als der, dessen Kommen mit Erschütterung von
Himmel und Erde einher geht. Johannes der Täufer predigte Buße, weil
er Gott zum Endgericht erwartete. Wir kennen die politische Erwartung des
Kommens Gottes, etwa um die römischen Besatzer aus dem Land zu treiben.
Wir hoffen mit Gottes Erscheinen auf ein schlagartiges Ende alles Leidens.

Und wie kommt Gott wirklich? Als Kind in der
Krippe, als Wanderprediger, als Gekreuzigter auf Golgatha.
Vielleicht ist
sein Kommen, das so anders ist, als erwartet, auch ein Hinweis darauf,
daß unsere Wünsche nicht eigentlich das berühren, was es zu
heilen gilt in unserem Verhältnis zu Gott.

Solange dieses Verhältnis nicht in Ordnung
gebracht ist, wird die Frage nach dem Trost sich immer wieder neu stellen.
Solange wir dieselben bleiben, die wir von jeher waren, kann man uns an
Wünschen erfüllen, was auch immer wir erhoffen. Es wird immer etwas
offen bleiben.

Daher lohnt es sich zu warten. Denn hier kommt
etwas von der Herrlichkeit Gottes zu uns. Hier wird deutlich, daß es noch
etwas anderes gibt, als das, was uns bedrängt, uns Sorge macht und uns
traurig sein läßt. Hier wird mit einem Mal alles beiseite
geräumt, was uns von Gott trennen kann – und es wird von ihm allein
beiseite geräumt.

Kann man sich das wünschen, was der Prophet
in unserem heutigen Predigttext sagt, fragten wir eingangs. Vielleicht sollten
wir die Frage jetzt anders stellen: Kann man darauf verzichten, sich diesen
Trost Gottes zu Weihnachten zu wünschen?

Amen.

Lied nach der Predigt z.B.: EG 15; EG 11,5-7; EG
23,3-5

Vorentscheidungen

Exegetisch: Beginn des Buches von Deuterojesaja,
fulminanter Einstieg in seine Heilsbotschaft
Systematisch: Kommen Gottes in
diese Welt, nicht in erwarteter Herrlichkeit
Homiletisch: Predigt-Entwurf
für die, denen „Süßer, die Glocken“-Gedudel sowenig
reicht wie das kirchliche Alternativ-Programm in Gestalt von
Singegottesdiensten, Familiengottesdiensten, Vorstellung der neuen
Konfirmanden, Basarangeboten o.ä.

Pastorin Heike Löhr
E-Mail: HkLhr@gmx.de


de_DEDeutsch