Jesaja 43,1-2(3-7)

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Jesaja 43,1-2(3-7)

Gottes Hilfszugang und Notausstieg | 6. Sonntag nach Trinitatis | 16.07.2023 | Jes 43,1-2(3-7) | Markus Kreis |

Besonders dann, wenn dem handlichen, flachen, schwarzmatten Quader entsprungen, den viele mit sich rumtragen: Ansprechbar sein. Ein Verlangen, das einen heute allenthalben umgibt. Dem viele oft gerne nachkommen. Und das mit seinen Signalen unsere Ohren oder Augen oder Haut erreicht. Angesprochen werden schmeichelt nämlich meistens. Wenn es dann mal zu viel wird, dann wären wir lieber taub und blind für alle Ansprache. Hirnspeicher übervoll. Dann schalteten gerne um auf so und so viel Zeit ohne all das. Und manchmal gelingt das sogar: Der Ansprache zu entsagen. Diät und Fastenzeit bei Smartphone und Social Media.

Ansprechbar sein: der soziale Druck, der da im Spiel wirkt, ist sehr hoch. So hoch, dass der, welcher adressiert wird, ohne es eigentlich zu wollen, seinen Unwillen verbirgt. Und zwar indem er ablenkt, flüchtet, lügt oder sonst wie versucht, dem Sprecher und seinem Anliegen zu entgehen, am besten verdeckt natürlich. Hauptsache, ja nicht aus dem Gespräch fallen! Beliebter Notausstieg: Lieber labern!

Jemand ist unansprechbar, obwohl er angesprochen wird. Im einfachen Fall heißt das: Wenn jemand abgelenkt ist, dann geht an so einem vorbei, dass er angeredet wird. Kennt wahrscheinlicher jeder. Das renkt sich ein, wenn der Absender aufs Ansprechen besteht. Dann wird der Empfänger schon aufmerksam. Unansprechbar sein, das kennt man etwas anders von Patienten, im Aufwachraum nach der OP mit Narkose zum Beispiel. Wahrscheinlich haben Pflegende einen Patienten schon zwei oder drei Mal mit seinem Namen angesprochen, bevor der überhaupt mitkriegt: Da spricht mich jemand an. Nach einer gewissen Zeit muss halt mehrmals geprüft werden, ob der gute Mensch wie vorgesehen wieder aufwacht und zu sich kommt. Manche Kranken brauchen dazu halt etwas länger als andere.

Ansprache ohne Reaktion, damit kann auch gemeint sein: Verschlossen sein für eine Wirklichkeit, die da kommt und auf den Menschen einwirkt. Manche bemerken dabei, dass sie so drauf sind, nämlich verschlossen. Andere sind so arg entrückt, dass ihnen ihr Dasein unter Verschluss natürlich entgehen muss. Ein kurzes Beispiel:  Jemand unterlässt es, für eine schwere Prüfung zu lernen, um sie überhaupt schaffen zu können. Manche geraten in so was sehenden Auges, trotzdem sind sie wehrlos. Andere rennen da eher blind hinein. Verschlossen sein, das zu bemerken und trotzdem wehrlos zu sein, das ist eine schlimme Erfahrung: Sich öffnen, sich ändern zu wollen, aus der alten Haut rausfahren wollen und es nicht können, sondern darin gefangen zu bleiben.

Vielleicht lässt sich so was mit einer Art Tunnelblick erklären. Den gibt es im Guten wie im Schlechten. Tunnelblick heißt allgemein, dass man einen Teil der Wirklichkeit ausblendet. Als ob man im Schlaf der Narkose wäre und trotzdem bei vollem Bewusstsein. Im Guten bedeutet das: Einer blendet die Wirklichkeit aus, die ihn hindern könnte, einen Wunsch, ein Vorhaben, in die Tat um zu setzen. Und konzentriert sich auf das, was ihm dient. Ein Skifahrer muss eine sehr steile Engstelle passieren, ein anderer Weg hinab – leider Fehlanzeige. Rechts Felsen, links stehen eng beieinander Bäume. Die blendet er aus und konzentriert sich auf die Lücke in der Mitte, die frei befahrbar ist. Wer das so machen kann, der kommt gut durch.

Im Schlechten bedeutet Tunnelblick hingegen: Einer blendet die Wirklichkeit aus, die ihm dienen könnte, um das zu tun, was er gerne möchte. Stattdessen sieht er für sein Leben nur noch Hindernisse. Als ob sich überall nur lauter spitze Felsen und knorrige Baumstämme lagerten, sicher auch unter dem Schnee. So ein Mensch erstarrt dann. Wenn er doch was macht, dann liefert er eine sehr wahrscheinlich ziemlich dürftige Leistung ab. So was kann chronisch werden, und außer dem Sport noch viele mehr Bereiche im Leben betreffen. Solch ein Leiden könnten man dann als chronisches Zweifeln bezeichnen.

Auch ein guter Tunnelblick kann übrigens Schlechtes zeitigen. Dann nämlich, wenn er in Übermut mündet. Wenn man etwas ausblendet, das mehr als nur möglich ist, etwas, das tatsächlich die Lage beeinflusst. Wenn die Lage sich laufend ändert und die Umstände viel weniger stabil bleiben als an einem Schneehang. Und dazu die eigene Kenntnis, Fähigkeit und Fertigkeit überschätzt wird. Dann unterläuft einem das leicht. Chronischer Mut, auch wenn´s tatsächlich echt gefährlich ist. Auch hier Ansprache ohne Reaktion: Das Risiko ist zu hoch. Die Sache ist zu gefährlich. Im Übermut verschlossen sein für eine Wirklichkeit, die da kommt und auf einen einwirkt. Dem Besitzer und Kapitän der Titan ist es leider so ergangen mit seinem Unterseeboot. Und seinen Klienten auch auf dem Weg zur Titanic.

Das Schicksal eines Wassertodes ist Noah und den Seinen in der Arche erspart geblieben. Doch die Lage war bei beiden Besatzungen um einiges ähnlicher als man meint. Noahs Leute warten auf die Flut und hocken in einem Boot, innen und außen mit Pech abgedichtet, auch den einzigen Lichtdurchlass, die Eingangstür. Im Grunde eine Art U-Boot. Leider ohne Schnorchel und Schaurohr. Muss ja so sein, sonst funktioniert das schlecht angesichts der Drohung. Wenn die Wellen derart über einen reinbrechen sollen, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Diese Technik und ihr Einsatz, eine wahre Blackbox. Jedes Lebewesen da drin eigentlich nur eine Katze Schrödingers. Wie gesagt, die hocken da im Dunkeln, lassen wir mal den eigenen Mist und den der Tiere außen vor, die starren da vor sich hin und denken: Auf was habe ich mich da überhaupt eingelassen? Vielleicht geht ja draußen was anderes vor sich? Die Flut fällt vielleicht aus. Weltuntergang adieu! Oder es kommt stattdessen Hitze, die alles verbrennt. Dann glauben wir hier drin doch als erste dran! Und die wenigen, die überleben, das sind dann Leute von draußen. Andererseits, wenn ich hier jetzt anfange durchzudrehen, dann bricht vielleicht Panik aus. Und das mit all dem Raubgetier. Dann geht alles Leben hier drin erst recht den Bach runter. Wenn dann tatsächlich eine Flut käme, wäre alles vergeblich! Ok, ok, ruhig Blut, alles kommt wie zuvor gesagt. Aber was, wenn wir einige Tiere essen müssen, um die Flut zu überleben? Und überhaupt, nach der Flut, wie geht es da weiter? Alles schmierig, klebrig, feucht, alles voller Moder und Leichen. Pflanzen, Tiere, Menschen. Halte ich das aus? Werden wir hier drin das neue Draußen aushalten? Mir wird übel, schon ganz ohne Wellengang. Ja, bevor das Schiff für seine Reise durch das Wasser ablegt. Ja, ich lebe, und nein, denn ich lebe wie lebendig begraben in einem wasserdichten Sarg. Das macht man doch nur mit, das hält man doch nur aus, ohne durchzudrehen, wenn man tief in sich drin immer wieder mal eine Stimme hört, die einen beruhigt und einem zuspricht:

1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, und dich gemacht hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige, dein Heiland.

Bei Noah dann nach Tagen die Rettung. Lebende Leichen, entkommen dem Holzsarg, der sie festgenagelt umfasst hat. Auf Erden alles vertilgt, was tötet oder sterblich ist. Der Rabe, der alte Aasfresser, der klärt das Bild. Bleibt eines Tages einfach aus, verzichtet auf die Rückkehr. Hat wohl inmitten all des Todes einen trockenen Fleck Erde gefunden, hält seinen ganz eigenen Hof und Friedensplatz. Das Wasser gewichen, so dass dank Gott an einem Fleck neues Leben mitten aus dem Tod entsteht. Die Taube wiederum, das alte Neustarttier, die zeigt mit ihrem Flug: Die neue Unschuld braucht zum Überleben erst noch ein bisschen das schreckliche alte U-Boot aus Holz. Nach ein paar Ausflügen aber findet und kommt sie dann auf einen grünen Zweig, und schließlich allein mit sich selbst und der Welt zurecht. Das Leben beginnt überall zu wachsen und sich zu färben.

Wir Menschen schätzen die Wirklichkeit zuweilen unangemessen ein. Und dazu gehört die Wirklichkeit, die wir selbst produzieren mit unserem Tun und Lassen, Wollen und Machen. Es kommt manchmal was ganz anderes raus als das, was unsere Absicht gewesen war. Und zur Wirklichkeit gehört zweitens die Realität, die sich ohne unser Zutun ereignet: mit ihrem Entstehen und Vergehen, mit ihren starken und schwachen Kräften, mit ihren großen und kleinen Wirkungen. Und erst recht die Wirkung beider im Wechselspiel. Und so ist uns manchmal verschlossen, ob wir übermütig sind oder tapfer. Ob zu sehr Pessimist oder berechtigt skeptisch. Ob voll leerer Hoffnungen wie jemand mit Spielsucht. Oder Optimist mit guten Gründen, wie ein Trainer, der seine Spieler gut und lange kennt. Und dann legen wir einfach mal los, Tunnelblick voraus, und ab geht die blinde Post mit diesem oder jenem Fahrtende. Mit oder ohne Wissen um das Wagnis. Mit oder ohne Angst und Zweifel. Andere Ansprüche außen vor lassend. Verschlossen für andere Ansprachen und Sichtweisen. Obwohl es im Nachhinein manchmal natürlich besser gewesen wäre, wenn… Hätte, hätte, Fahrradkette. Im und unter Deutsch Redenden leider sehr beliebt, ein Behaupten und Schlussfolgern im Irrealis.

Wie die Lage auch immer sei: Gut zu erkennen wie Jesaja, dass Gott stets mit den Menschen ist. Denn das Wissen darum geht einem in großer Not sehr gerne flöten. Und doch drängt und dringt es immer wieder durch. Gott legt gerade einen Hilfszugang, wenn Mensch einen Notausstieg braucht. Wenn es vor lauter Elend in dessen Herz und Hirn laut oder leise pocht und hämmert ohne Unterlass. Darauf ist Verlass: Auf Gottes Hilfszugang und Notausstieg für uns.

Denn Gott pflegt ein Besitzdenken, das eine offene Beziehung einschließt. Eigentlich schließt sich das für unser Verstehen aus. Für Menschen ist es nämlich sehr schwierig, beides unter einen Hut zu bringen. Entweder wird es trotz aller Freundlichkeit nach außen sehr unverbindlich nach innen. Oder es gerät diktatorisch, die Ansprüche und Ansprachen geraten gegeneinander, offen oder tief drin im Herzen. Für Gott gestaltet sich das anders. Er pflegt ein Besitzdenken, das eine offene Beziehung einschließt. Ganz einseitig nämlich, strikt nur von ihm aus. Egal, wie weit wir da fremdgehen, uns von ihm entfernen. Koste es ihn, was es wolle. Ohne stille Rechnungen, auf die wir heimlich bauen. Wir bilden uns unsere Offenheit ihm und dem Leben gegenüber zuweilen nur ein. Was geht in Gott da nur vor sich? Wenn eines seiner Geschöpfe von ihm abfällt, dann will Gott es unbedingt wieder für sich gewinnen. Damit sein Wollen und Denken in eine Tat mit Erfolg mündet, lässt Gott sich allerhand einfallen. Da ist er offen für alles, was hilft. Und also offen für den Menschen, der umgestimmt werden muss und kann. Offen für jeden Winkelzug, den das Herz von Menschen sich ersinnen kann. Um ihm einen Notausstieg aus dem selbst gebauten Höhlenwerk zu gewähren. Amen.

Markus Kreis OStR

Werner von Siemens Schule

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