Jesaja 43,1-7

Jesaja 43,1-7

Wer aufbricht, der kann hoffen | 6. So. n. Trinitatis| 16.07.2023| Jes 43,1-7 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

Wenn Gott uns auffordert: „Fürchtet euch nicht!“ – ist damit schon alles gesagt? Und wenn Jesus uns zuruft: „Fürchte dich nicht!“ – liegt dann alles weitere in seiner Hand? Wie geht das: sich nicht weiter fürchten? Bei der Beendigung tiefer Ängste will uns Gott beteiligen und gibt uns dazu seine Zusagen: „Ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ So hilft uns Gott grundsätzlich und in Krisen, so stärkt er unseren Glauben. So ermutigt er uns auch zu neuen Sichtweisen unserer Probleme, so wie damals, als er es den Israeliten versprach. Beim Propheten Jesaja beginnt Gott neu, mit der Angst Schluss zu machen. Er hatte bis dahin sich sowohl das Eigenlob ihrer Wohlfahrt angehört als auch ihre Klagelieder über ihren Glaubensverlust (im Kap 42). Nun, am Ende der Babylonischen Gefangenschaft, gibt er ihnen eine neue Zuversicht. Dazu stellt er sich als der alleinige Schöpfergott vor – für den Kosmos global und für sein Israelvolk im speziellen. Dabei beschreibt er sich selbst so, dass seine Absichten klarwerden.

Zuerst bezeichnet er sich als Angstlöser und sagt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Dazu fügt er Beispiele an, wie er in Katastrophen retten wird. Zum zweiten wird er als Befreier vorstellig und sagt: „Ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland!“ Dazu erinnert er an seine bisherigen Taten. Abschließend stellt er sich als Ermutiger vor und sagt: „So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir!“ und bezieht Menschen aus allen Himmelsrichtungen mit ein.

Als Angstlöser, als Befreier und als Ermutiger stellt sich Gott hinein in sein wankelmütiges Volk. Es ist irritiert durch das unerwartete Ende der Babylonischen Gefangenschaft. Was Gott dazu durch den Propheten Jesaja ausrichten lässt, ist eine Einladung auch an uns. Wir stecken in einer ähnlich komplexen Lage und können über den Zeitensprung hinweg mit seinem Israelvolk lernen, Gott an uns ranzulassen und ihn in unseren Wagemut reinzulassen. Er versichert uns: „Ich habe dich erlöst, der Weg ist frei!“ – Da schweigen Angst und Klage, nichts gilt mehr als sein Ruf. (Jochen Klepper)

Doch zuerst erzähle ich eine lange zurückliegende Episode. Ein ungarischer Pfarrer bittet mich um eine Gastpredigt in seiner Dorfkirche. Er ist blind und findet es hilfreich, dass ich über einen ihm gut bekannten Vers predigen werde. Doch als ich das „Du bist mein!“ übersetze mit: „Du bist ein Du für mich!“ wird seine Übersetzung überlang und fröhlich. Im Nachgespräch sagt er, dass ihm das „Du bist mein“ viel zu besitzergreifend ist, und er unter der sozialistischen Bevormundung sehr gelitten hat. Gottes „Du bist ein Du für mich!“ beschreibe seinen Glauben viel besser.

Wenn wir ein „Du“ für Gott sein dürfen, dann hat unsere Emanzipation bereits begonnen. Dann entdecken wir, dass sein „Fürchte dich nicht!“ nicht wie ein versteinertes 11. Gebot daherkommt, sondern als Mut von Anfang an. Jeder von uns, wie auch das Gottesvolk, wurde herausgehoben aus dem Tohu-wa-Bohu. Indem Gott etwas erschafft, erlöst er es aus dem Nichts und der Angst. Weil er uns beim Namen nennt, haben wir in seinem Namen Würde und Weitsicht, Leidenschaft und Lebenslust. Es ist wie das Geschenk einer neuen Vergangenheit, eine Vergewisserung unserer Herkunft. Bevor uns Gott Zukunft und Mut anvertraut, beruft er uns ins Leben und stellt uns aufrecht. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; Du bist ein Du für mich!“ So sprechen wir es uns zu bei der Taufe eines Kleinkindes, aber auch zu Freunden in einer Midlife-Krise und zu Singles nach dem Verlust eines geliebten Menschen.

Doch Jesaja betreibt nur nebenbei eine individuelle Seelsorge. Gottes Zielgruppe sind seine verängstigten Israeliten bei ihrer Freilassung aus der Gefangenschaft Babyloniens. Dort waren sie nur geduldet, hatten sich aber komfortabel eingerichtet. Nun macht ihnen der Wüstentreck, der vor ihnen liegt, mächtig Angst. Seine Aufforderung: „Fürchtet euch nicht!“ prallt auf ihr Zögern vor einem weiteren Exodus, damals aus Ägypten, nun aus Babylon. Aber wohin? Der Glaube ihrer Mütter und Väter war gestützt durch Gottes Präsenz im Tempel, der David-Dynastie und dem Gelobten Land. Aber diese 3 Stützen sind zerstört. Sollen sie mit diesem angezweifelten Gott irgendeine Zukunft riskieren?

Daraufhin veranschaulicht er, wie er als Angstlöser mitgehen wird: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.“

In seiner zweiten Ankündigung stellt sich Gott als Befreier vor und sagt: „Ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland!“ und erinnert anschließend an seine bisherigen Taten: „Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben!“

„Heiland“, so hat Luther die Selbstbezeichnung Gottes übersetzt. Hier ist aber etwas Spezielles gemeint. Es geht um einen Fürsten, der die geforderte Ablösesumme zahlt, um seine inhaftierten Volksgenossen heimholen zu können. Wir hören heute von dem hin-und-her-Austausch von Gefangenen, zB von einer Basketballerin gegen einen Waffenhändler, oder wir hören von einem Wasser-Ingenieur aus Bad Honnef (1). Jörg Lange war in Niger über 4 Jahre von Islamisten als Geisel verschleppt worden, bis ihn das Auswärtige Amt auslösen konnte – vermutlich gegen eine hohe Ablösesumme.

Bei Jesaja ist Gott „Heiland“ im Sinne eines „Auslöser von Verschleppten“; dazu umschreibt er, wieviel er für ihre Freilassung hergegeben hat. Noch singen sie ihre Klagelieder an den Wassern Babylons, da nimmt er sie mit auf eine Traumreise den Nil aufwärts, damit sie sich mit ihm auf den Weg machen – wenigstens bis Palästina.

Verliebte Menschen versprechen sich noch viel mehr. Unsere Nachbarn feierten ihre Silberhochzeit als Gartenparty. Zu Beginn sangen alle Gäste inbrünstig: „Einen Stern, der deinen Namen trägt hoch am Himmelszelt, den schenk ich dir heut Nacht!“ (2) Doch vermutlich heißt es dann beim ersten Kälteeinbruch: „Hol mir keine Sterne vom Himmel, hol uns die Kohlen aus dem Keller!“ (3) Treueschwüre und Liebesschwüre haben oft überhöhte Bilder, aber dann kommt es auf die Praxis an. Wenn Gott dich aus einer bedrohlichen Krise herausführt, gibt er dir auch den Mut für die nächste Durststrecke. Auch bei dem Exodus, der noch vor dir liegt, versorgt er dich mit Trinkwasser der Marke „Felsquell“, mit Himmelsbrot der Marke „Manna“ und mit Lebenskraft der Marke „Ostermorgen“. Vertraue ihm beim nächsten Schritt.

Bei „Ägypten, Seba und Kusch“ ging es Gott also nicht um deren Bodenschätze, um sie zu Bargeld zu machen, sondern um ein übergroßes Vergleichsbild für die Wertschätzung seines Volkes. Seine Liebe ist überirdisch und bodenständig zugleich. Er will seine Treue zu seinem Volk überschäumend und kleinschrittig beweisen. Dazu spricht er es mit einem vertrauten DU an, das kommt wohltuend an.

Abschließend stellt sich Gott den Verzagten als Ermutiger vor und sagt: „So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir!“ Im gleichen Atemzug öffnet er diese Zusage für Menschen aus allen Himmelsrichtungen. „Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe!“

Dazu lohnt sich ein Blick auf die Landkarte der Antike, auf Süd und Nord, auf Ost und West. In Babylon hockten die Verschleppten, rund um Jerusalem gab es eine kleine Community, im Nildelta eine große Auswanderergemeinde und auch einen Außenposten an der Grenze zum Sudan (4). Und nun prophezeit Gott denen in Babylon: „Ihr seid nicht die einzigen, die ich zurückführe, ich werde alle wieder zusammenbringen. Alle, die meinen Namen verehren und alle, die ihn neu hören werden!“ Gott plant das in friedlicher Absicht. Das schärft unseren Blick auf die aktuelle Situation. Auf die Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu und ebenso auf die Methoden, mit denen wir als Deutsche uns mit unserer Leitkultur behaupten wollen.

Wenn Gott uns gemeinsam auffordert: „Fürchtet euch nicht!“ – dann ist seine Initiative als Heiland bei uns angekommen. Und wenn Jesus Dir und mir zuruft: „Fürchte dich nicht!“ – dann hat er uns nicht gänzlich furchtlos gemacht, aber neuen Mut anvertraut. Damit schenkt er uns eine neue Seelenlage, ein neues Körpergefühl, eine erlöste Zuversicht und die Verantwortung dafür, dass unser Draufgängertum nicht andere ängstigt.

Gott präsentiert sich uns als Angstlöser, als Befreier und als Mutmacher. Deswegen brauchen wir unsere Eigensicherung nicht gottlos übertreiben und sollten unsere Glaubensängste nicht unterschätzen. Singen wir lieber uns gegenseitig neuen Mut zu, ähnlich wie es Jesaja tat: „Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt, er selbst kommt uns entgegen, die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen, in Zeit und Ewigkeit, die Tore stehen offen, das Land ist hell und weit.“ Amen

(1) Jörg Lange war Landesdirektor der Hilfsorganisation „HELP“, bevor er 2018 in Niger verschleppt wurde. Auf die Frage: Was gab ihnen Halt? antwortete er: Ich las täglich in der Bibel. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich die Zeit ohne Bibel überstanden hätte. (Der Spiegel; Nr 27 vom 1.7.2023, S. 86)

(2) „Einen Stern“; Nikolaus Presnik und DJ Ötzi; Sternstunden, 2007

(3) Heinz Erhardt: „Ich hol’ vom Himmel dir die Sterne“, so schwören wir den Frauen gerne. Doch nur am Anfang! Später holen wir nicht mal aus dem Keller Kohlen.“ siehe homepage „heinz-erhardt.de“

(4) Elephantine auf einer Insel im 1. Katarakt

Lieder:

Durch die Welt ergeht ein Wort

Wir haben Gottes Spuren festgestellt

Die Erde ist des Herrn

Vertraut den neuen Wegen

An dunklen, kalten Tagen

Wenn das Rote Meer grüne Welle hat

Fürbitte:

Du unser Gott, wir rufen dich an als den Schöpfer der Welt, als den Heiligen Israels und als Christus-Heiland unseres Glaubens. – Du hast für dein Volk die Sklaverei Ägyptens und die Gefangenschaft Babylons beendet. Der Friede Christi gelte auch für unsre Gegenwart und die gemeinsame Zukunft. Du Gott, der Du die Geschicke der Völker lenkst: Wir bitten dich, erhöre uns.

Wir spüren viele Befürchtungen um uns herum und in uns selbst. Erlöse uns von der Verzagtheit, stärke unsre Gedanken und Absichten. Du Gott unserer Herzen und Gefühle: Wir bitten dich, erhöre uns.

Du unser Gott, der du in aller Not und Verfolgung nahe bist, dich wollen wir bitten für alle, die verzweifelt sind, weil sie ihr gewohntes und geliebtes Umfeld verlassen müssen, weil sie den Boden unter den Füßen verlieren, dass sie deine Liebe spüren. Du Gott, der Heimat schenkt: Wir bitten dich, erhöre uns.

Für alle, die Angst haben vor dem Fremden, dass sie sich ihres eigenen Fremdseins bewusstwerden. Du Gott, der Erkenntnis schenkt: Wir bitten dich, erhöre uns.

Für alle, die Kriege beginnen oder verursachen: dass sie die Tragweite ihres Handelns erkennen und den Mut zur Beendigung finden. Du Gott, der Frieden schenkt: Wir bitten dich, erhöre uns.

Für alle, die sich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machen, stärke und versorge sie und gib ihnen gute Pfadfinder zur Seite. Du Gott, der du Weg, Freiheit und Leben bist: Wir bitten dich, erhöre uns.

Erforsche uns, Gott, und erkenne unser Herz; prüfe uns und erkenne, wie wir es meinen. Und schaue hin, wo wir zuviel oder zuwenig Furcht haben. Dein Wille geschehe in uns sowie im Himmel und auf Erden. Amen.

(vgl: Misereor: Bausteine für einen Gottesdienst zum Weltflüchtlingstag 20.06.2023)

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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