Jesaja 52,13-15; 53,1-12

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Jesaja 52,13-15; 53,1-12

 


Karfreitag, 29. März 2002
Predigt über Jesaja 52,13-15; 53,1-12, verfaßt von Joachim
Goeze
Exegetische Vorbemerkungen und Entscheidungen

Liebe Mitchristen,

das „Kar“ in unserem Karfreitag heute heißt aus dem
altdeutschen übersetzt:“trauer“Freitag.
Warum dieser Name? Weil wir heute, auch im Abendmahl, „das Gedächtnis
des Todes Jesu“ begehen, wie es die Abendmahlsworte überliefern.

Leiden, Passion, Einsamkeit, Sterben, Tod – nicht eben populär.
Besser wegblenden. In früheren Zeiten hat man das auch kirchlich
gemacht: evangelische Mägde im katholischen Österreich durften
beispielweise auf keinen Fall Karfreitag frei bekommen, weil das ja nur
ein ‚protestantischer‘ Feiertag war. So sehr stand die Theologie der Verherrlichung
im Vordergrund, dass gleich Ostern angesagt war, Karfreitagsgedenken als
Leidensgedächtnis war sektiererisch.

In England und Amerika heißt dieser Tag: good friday, wegen des
stellvertretenden Leidens und Sterbens Jesu, das uns zugute kommt. So
steht es auch in evangelischer Tradition: Jesus stirbt für uns am
Kreuz, vollendet sein Werk, Gott mit uns zu versöhnen, das mit der
Geburt in der Krippe begonnen hat. Ganz in dieser Tradition sehe ich heute
Jesus als Gottesknecht, der stellvertretend für uns leidet und büßt
bis zum Tod am Kreuz. Viele Kirchenmusiker haben die Worte unseres Predigttextes,
ein Lied vom Gottesknecht aus dem Buch Jesaja, vertont.

Lesung: Jes 52/53.

„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere
Schmerzen und durch seine Wunden sind wir geheilt.“…. „Wir
aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre,
er aber lud auf sich unsere Schuld auf dass wir Frieden hätten“.

In diesen ausgewählten Worten spitzt sich die ganze evangelische
Leidenstheologie zu, die ganze Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu
für uns spiegelt sich wider in diesen Zeilen. Gott lässt leiden,
damit wir Frieden haben, Gott lässt sein Liebstes, sein Kind, sterben,
damit wir leben können, Gott verursacht tiefstes Leiden, damit wir
eine Chance haben, im Leiden nicht zu verzweifeln. So steht über
dem Geschick Jesu ein göttliches Muß : aber eben nicht als
grausamer Selbstzweck, sondern im Interesse einer Liebe, die opfert, damit
niemals mehr geopfert werden muß. Seit Christus, der Gottesknecht,
ein für alle Mal geopfert wurde, damit wir Frieden hätten, gibt
es kein Opfer mehr, darf es keinen mehr geben und keine, die Gottes Antlitz
trägt und in irgend eines Namen geopfert werden dürfte. Schon
gar nicht im Namen Gottes.

Darum ist für mich Karfreitag ein Ausdruck göttlichen Mitleidens
mit allen Opfern dieser Erde. Gott steht an der Seite der Armen dieser
Erde, ist mit allen, die unter die Mühlsteine der Großen geraten
sind, die ungewollt zum Spielball der Mächtigen werden und leiden.
Das Karfreitagsgeschehen, das hier vorabgebildet und in hymnischen Worten
im Lied von leidenden Gottesknecht geschildert ist, ist in Wahrheit ein
Lied der Ermutigung, von jedem Opfer abzulassen, sich nicht als Opfer
zu fühlen, andere und sich selbst nicht zu Opfern zu machen oder
machen zu lassen. Es ist ein Lied von einem, der geopfert wurde, damit
nie wieder jemand geopfert werden muß.

Und insofern spiegelt es den Sinn von Karfreitag wider und erinnert
an das Gedächtnis des Todes Jesu. Es lehrt uns hinzusehen auf das
Leiden, auf die Nachtseite des Lebens und auf die, die im Schatten stehen,
die man nicht sieht.

Viel zu viele wollen sogleich Ostern feiern und Karfreitag übergehen.
Aber wenn wir das tun, so sehen wir die Wirklichkeit dieser Welt nicht,
täuschen uns über unsere Welt und über uns selbst – und
über Gott. Die Botschaft dieses Liedes aus der dunklen Zeit des Volkes
Gottes will uns ermutigen, nicht wegzusehen vom Leid, dieses Leben nicht
vorschnell zum Paradies zu erklären, uns nicht zu täuschen,
darüber, in was für eine Wirklichkeit Gott seinen Sohn gesandt
und hat leiden und sterben lassen.

„Eine alte chinesische Legende erzählt von einer Frau, deren
Sohn starb. In ihrem Kummer ging sie zu einem heiligen Mann und fragte
ihn:“ Welche Gebete und Beschwörungen kennst Du, um meinen Sohn
wieder zum Leben zu erwecken?“ Er antwortete ihr:“ Bring mir
einen Senfsamen aus einem Haus, das niemals Leid kennen gelernt hat. Damit
werden wir den Kummer aus Deinem Leben vertreiben.“
Die Frau begab sich auf die Suche nach dem Zauber-Senfkorn. Auf ihrem
Weg kam sie bald an ein prächtiges Haus, klopfte an die Tür
und sagte:“ Ich suche ein Haus, das niemals Leid erfahren hat. Ist
dies der richtige Ort?“ Die Bewohner des Hauses antworteten ihr:“
Da bist Du an den falschen Ort gekommen und sie zählten all das Unglück
auf, das sich jüngst bei ihnen ereignet hatte. Die Frau dachte bei
sich:“ Wer kann diesen armen unglücklichen Menschen wohl besser
helfen als ich, die ich selber so tief im Unglück bin?“ Sie
blieb und tröstete sie.
Später, als sie meinte, genug Trost gespendet zu haben, brach sie
wieder auf und suchte auf´s Neue ein Haus ohne Leid. Aber wo immer
sie sich hinwandte, in Hütten, in Palästen, überall begegnete
ihr das Leid. Schließlich beschäftigte sie sich ausschließlich
mit dem Leid anderer Leute. Dabei vergaß sie ganz die Suche nach
dem Zauber-Senfkorn, ohne dass ihr das bewusst wurde. So lernte sie mit
der Zeit mit dem Schmerz in ihren Tagen zu leben.“

Daß Gott uns jemanden schickt, der oder die Leid trägt, damit
wir mit fremdem und eigenem Leid leben lernen, ist also keine Frage unserer
Kultur und Religion allein. Stellvertretendes Leiden muß also kein
Akt der Sinnlosigkeit sein, sondern kann ein Ausdruck der ungeheuren Solidarität
Gottes mit uns Leidenden werden.

Die Geschichte vom unverdienten und stellvertretenden Leiden des Gottesknechtes
ist darum zutiefst eine Leidens- eine Karfreitagsgeschichte, weil sie
Gott an unsere Seite, zu uns Leidenden und Ohnmächtigen rückt.
Dennoch erspart es uns ja auch nicht, unsere eigene Rolle nicht nur als
Opfer, sondern auch als Täter darin kritisch zu sehen: „Wir
sahen ihn, aber da war keine Gestalt noch Schöne, keine Gestalt,
die uns gefallen hätte. Er war so verachtet, dass man das Angesicht
vor ihm verbarg; darum haben wir ihn nichts geachtet…wir aber hielten
ihn für den, der von Gott geplagt, geschlagen und gemartert wäre.“

Da wird uns der Spiegel vorgehalten, wie wir mit Ausgegrenzten und Verachteten
umgehen: Bloß nichts sehen, hören und wahrnehmen, das Elend
ausblenden, damit wir nicht kaputtgehen.

Aber was wäre denn das für ein Gott, der erlaubte, in seinem
Namen zum Leiden noch soziale Ausgrenzung und Aburteilung hinzuzufügen?
Nichts vom Vater, der für seine Kinder sorgt, nichts vom guten Hirten,
der sich sorgt um die Seinen. So ist denn dieses stellvertretende Leiden
des Gottesknechtes zugleich ein Anlaß, das Bild von Gott zu ändern.

Der Allmächtige wohnt nicht teilnahmslos hinterm Sternzelt, sondern
er oder sie ist an der Seite der Leidenden und erlaubt zu aller erst nicht,
dass in seinem Namen Leidende ausgegrenzt und ihr Geschick als gottgegeben
diffamiert wird. Nicht wegsehen, wie die Urlauber, die von einem deutschen
Richter Recht bekamen, mit Behinderten zu leben, sei eine Beeinträchtigung
ihrer Erholung.

Die Leidensgeschichte des Gottesknechts ist nun zur Aufforderung geworden,
Gott in allen Leidenden dieser Erde zu sehen und ihnen in ihrem Leid solidarisch
zu werden. Hierin unterscheidet sich das Christentum von allen Weltreligionen.
Christus als Gottesknecht lehrt uns, dem Leid ins Gesicht zu sehen, es
nicht zu vermeiden suchen, sondern ihm standzuhalten im Vertrauen auf
die Solidarität des leidenden Gottes mit uns und allen Mitleidenden.

Damit wird das Kreuz ohne Verdrängung zum Realitätsprinzip
unserer Lebens- und Weltauffassung. Darin besteht also für mich der
Sinn von Karfreitag: wie Gott den Leidenden beisteht, so auch mir und
dann auch ich meinen Geschwistern.

Auch wenn es vielleicht zu heldenhaft klingt, aber es gibt doch eine
nun hoffentlich möglich gewordene Deutung von Jesu Tod für uns
wieder, das Lied von Paul Gerhardt:
„Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür:
wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“

„Niemand hat Gott je gesehen“ – das steht nicht etwa bei Karl
Marx oder in einem Lehrbuch für Atheisten, sondern es steht in der
Bibel selbst. „Aber der einziggeborne Sohn hat ihn uns verkündigt“,
so lautet die Fortsetzung (Joh 1,18). Für Leute, die sich nach Christus
nennen, für Christen, wird darum der Gottesknecht zum Maßstab
und Karfreitag zum Sinnbild für Solidarität Gottes mit allen
Leidenden, eine Absage an den blinden Gott hinterm Sternenzelt, eine Anleitung
zum Leben im Hier und Jetzt mit Karfreitag heute und Ostern als Fest ohne
Ende morgen.

„Darum dass seine Seele gearbeitet hat,“ heißt es in
unserm Gottesknechtslied, “ wird er seine Lust sehen und die Fülle
haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
viele gerecht machen; denn er trägt ihre Schuld.“ Da ist sie
die Botschaft für alle, auch für die, die an sich selbst leiden:
Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Möge uns Leidende das
Gedächtnis des Leidenden Christus im Abendmahl als Geschwister so
verbinden, dass wir hinsehen lernen und unser Kreuz – vielleicht wie die
Geschichte uns zeigt – gemeinsam tragen. Dann wird der Trauertag auch
für uns ein good friday, ein guter Freitag.

Amen.

Exegetische Vorbemerkungen und Entscheidungen

Dieses vierte Gottesknechtslied, so Westermann, ATD, z.St., wieder sowohl
der kollektiven Deutung auf das alte und neue Volk Gottes zugänglich
wie auch der individuellen Deutung auf einzelne Mittlergestalten, besteht
aus drei Teilen:
Den Anfang, Kap.52,13-15 bildet die hymnische Ankündigung der Rettung
(aus dem Exil), dann folgt der doppeldeutige Bericht vom Leiden und der
Erhöhung des Gottesknechts, den Schluß bildet Kap.53,11b-12,
der profetische Spruch Jahwes über den Sieg des Leidenden. Für
Karfreitag als Predigttext ausgewählt, bedeutet mir dieses Lied die
Erlaubnis, alttestamentliche Mittler mit Jesus zu identifizieren, und
in diesem Hymnus „Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu“ (Westermann)
wieder zu finden und mich dabei mit meinem eigenen Gottesbild auseinanderzusetzen.

Mit Karl Barth unterstelle ich der Bibel, sie meine, was sie sage, und
verwerfe eine pauschal theologische Kritik, die von stellvertretendem
Opfer nichts wissen will, wiewohl ja auch neutestamentliche Belege davon
sprechen, z.B.2.Kor.5,21;8,9;Hebr.
Wie die Isaaksgeschichte die Geschichte der Ablösung von Menschenopfer
ist, so ist dieses Gottesknechtslied für mich gerade der Grund dafür,
dass es seit diesem Opfer keine Opfer mehr geben darf und schon gar keine
im Namen Christi. Dass der allmächtige Gott notleidend wird, macht
für mich den Sinn von Karfreitag aus, stellt ihn den Leidenden und
mir an die Seite und will mich in den Leidenden meine Geschwister en christo
erkennen lassen.

Dr. Joachim Goeze, Wolfsburg
E-Mail: joachim.goeze@web.de

 

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