Jesaja 6,1-8

Jesaja 6,1-8

Gott zwangsvollstreckt unser informationelles Auswahlrecht in Liebe zu seiner Wahrheit | Trinitatis | 04.06.2023 | Jesaja 6,1-8 | Markus Kreis |

1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. 2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. 3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! 4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. 5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. 6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, 7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. 8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!

Informationelle Zwangsvollstreckung! Unglaublich. Erlebt und berichtet von Jesaja, der bei seiner Berufung Gott begegnet. Mit allen Sinnen vergeht dem guten Manne dabei alles. Die Nerven überreizt, deren Bahnen überdehnt, so gewaltig und zahlreich die Eindrücke, die niedergehen. Alles wie gelähmt, Hirnpuffer übervoll, Modus Standby.

Geht das überhaupt? Kann man etwas, das einem Erinnerung und Sprache beschlägt, mit Worten bedeuten? Jedenfalls erstmal die Klappe halten und aushalten. Statt sofort etwas rauszuhauen: einen armseligen Witz, billige Trostdresche, eine Erklärung, eine Stellungnahme, 30 Silberlinge, was auch immer. Vielleicht wäre Hören auf ein Gedicht geeignet, ein modernes, gar eines mit fremder, oder noch besser, verrückter Lautsprache wie Dada? Oder gleich etwas ganz ohne Worte und Text. Musik wäre sicher eine gute Lösung. Lange habe ich im Internet danach gesucht. Doch kaum ein Stück gab das wieder, was sich in mir als Phantasie zu Jesajas Erlebnis formlos und ungestalt vorspielte. Aber irgendwie doch in meinem Hirn da war und noch immer ist. Zuerst suchte ich bei den üblichen Verdächtigen: den in Frage kommenden Bausteinen von Messen oder Requiems wie dies irae, rex tremendae, miserere. Irgendwas hat mir da immer gefehlt oder zu wenig gepasst. Dann wechselte ich in die Moderne, fand sogar ein Trishagion, ein Musikstück, welches das Dreimal Heilig der Serafim ausdrückt. Nada. Darauf kam mir und meiner formlosen Phantasie Penderecki entgegen: Utrenja ewangile. Schließlich fielen mir noch Laute aus einem Traum ein. Gehört in der Nacht auf Nikolaus im Jahr 2004 in Donaueschingen. Da bebte die Erde mit 5,4 auf der Skala, während ich schlief. Und ich hörte Laute, als ob sich ein paar Drachen im Erdinnern unter Gebrüll mit Reißen, Stemmen und Bewerfen von Felsmassiv bekämpften.

Kann man etwas, das einem derart Erinnerung und Sprache beschlägt, mit Worten bedeuten? Dann würde bei dem Jesajatext sogleich zeitlose Stille erfolgen. Wird ein Publikum still, wenn eine Darbietung stoppt? Wenn die Predigt unterbrochen wird? Über kurz oder lang fängt einer leise zu reden an, danach wird sich Tuscheln einstellen, mindestens. Vielmehr noch, es zeigt sich eine neue Entwicklung: Bei jeder Unterbrechung wird Applaus gespendet. Selbst wenn zuvor ausdrücklich darum gebeten wurde, aufs Beklatschen zu verzichten. Bei Beerdigungen kam bis jetzt immerhin niemand auf diese Idee. Vor lauter Ehrfurcht sich wie gelähmt zu fühlen, das wird unserer Zeit anscheinend immer fremder. Als ob die Leute befürchten, durch Ehrfurcht sich als eingeschränkt zu erweisen. Sorglos bestürzt sein, das geht nur ganz allein bei sich im stillen Kämmerlein. Wenn überhaupt noch! Hat doch die Pandemie gezeigt: Einige stille Stuben sind flugs zur Echokammer geraten. Statt stiller Ehrfurcht nur lauter Entsetzen und Angst vor sozialer Aussetzung.

Dass Jesaja angesichts Gottes so bestürzt ist, das hat seinen guten Grund. Sein Kerbholz war rund und glatt statt Einschnitte aufzuweisen. Er fühlt und weiß: Ich lebe ohne Fehl bisher. Und fürchtet sich doch vor dem, was da kommen mag. Er meint nämlich, das gleiche Schicksal zu erleiden wie König Usija. Der hatte seine Staatsarbeit, allgemein anerkannt, sehr gut gemacht. So gut, befand er als König, dass er auf diese Idee kam: Da kann ich gleich die Aufgabe des obersten Priesters mir zu eigen zu machen. Ämterhäufung, Machtmonopol. Ein Ansinnen und Machen, das Gott glatt mit Aussatz quittierte. Entsetzen wegen Aussatz. Das hat Jesaja erfasst. Obwohl er dieses Ziel des Königs ablehnte. Auch für sich selbst und sein Leben. Entsetzen wegen Lepra und sozialer Ächtung. Ansteckung, die physisch oder psychisch schwer krank macht, das ist heute immer noch gefürchtet. Mit der Kränkung sieht es ein wenig anders aus. Einige Große leben heute nämlich gut davon, dass sie sich als sozial abseitig zeigen. Als Außenseiter, aber als solche, die wegen ihrer Talente und Taten außen vor sind. Betonung auf vor, was heißt vorneweg, allen anderen voraus. Außenseiter, weil sie sich und ihre Welt für die Zukunft halten. Sich einbilden, selber eine Art Jesaja zu sein. Und damit einiges Publikum und Anhänger finden. Menschen, die ihnen aus echter Ehrfurcht folgen, oder aus Kalkül, beides mal vergeblich, leider und natürlich.

Das Gesicht ließ Jesaja wie vom Donner gerührt zurück. Was gab es zu sehen? Die heutige Bilderflut stumpft ab. Es gibt quasi nichts, was man sich im Internet nicht anschauen kann. Da ist zu erwarten, dass das kaum mehr zu Ehrfurcht und Stille führt als ein Gedicht, Musik oder reine Stille. Trotzdem: Was gab sich Jesaja zu sehen? Vielleicht täuscht unsere Bilderflut mit dem, was sie als Wahrheit zeigt, rollt lauter Trugbilder aus. Bei Werbung sind inzwischen viele ja schon von sich aus vorsichtig. Aber beim Zeigen von sogenannten Tatsachen, den Fakten? Das sieht es schon anders aus. Dabei war das da Gezeigte schon ein Problem, bevor mit künstlicher Intelligenz künstliche Bilder erzeugt wurden. Da gab es bereits oft genug entstellende Fotos und Filme. Entstellend, weil da eine bloße Wahrheit ohne ihren wahren Kontext gemacht und gezeigt wird. Bilder, die Welt nur vortäuschen. Auch falsche Bilder über Gott und die Welt. Trugbild Welt, vorgegaukelt von einer Welt, die sich für das Maß aller Dinge hält. Und das Gesicht Jesajas zeigte dafür die reine Wahrheit! Das ist die Wahrheit? Diese blinde Ansicht müssen wir aushalten: Gottes reine Wahrheit ohne Sinnlichkeit! Das hält kein Mensch aus, da macht kein Mensch mit. Aus lauter stiller Not erfindet er sich da lieber Phantatisches, nie Gesehenes, Unmögliches wie Pegasus oder derlei Figuren. Zu sehen gibt es bei Jesaja entsprechend lauter merkwürdige Sachen. Der Saum, also das umgenähte Schlussstück von Gottes Prachtkleid, der füllt allein allen Raum. Gott steht mit beiden Beinen im Leben. Die Füße in die Erde gerammt. Erhaben, ohne abzuheben. Unendlichkeit mit Sinn für Endlichkeit. Von zweidimensional zu dreidimensional zu Dimension unbekannt! Vom Saum aus hochgeschaut, verliert sich der Blick im Nichts des Alls. Fürs Unendliche fehlen Sehvermögen und Worte dazu. Selbst die Serafim, Himmelsvolk, halten sich da mal lieber die Augen zu. Und schirmen ihren Körper und dessen Sinne gleich mit ab. Als ob es im Himmel rein geistig zuginge, also ohne Irdisches, ohne sinnlichen Anhang. Auf dass es ihnen besser ergehen möge als dem Propheten. Dem mit allen Sinnen alles verging. Ja, die Serafim. Bei denen sind mir die feurigen Drachen aus der Serie Game of Thrones in den Sinn gekommen. Andererseits wissen sie zu hantieren und zu reden, als ob es Menschen wären. Das erinnert wiederum an die Menschtiere, die in japanischen Comics auftauchen. Wie dem auch sei: Im Volksmund vergehen Schall und Rauch, im Himmelsmund wallen sie immer wieder auf, drängen ins Freie, eröffnen sich Mensch und Welt. Gottes Geisteswerk, mit verdecktem, immer wieder neuem Körper, welches sich Mensch und Welt erschließt. Auch wenn diese widerstehen und dagegen gehen, sich aufführen, als ob sie einer Verschlusssache gleich leben könnten.

Schließt sich Jesaja diesem Widerstand an? Oder ist sein Wehe mir anders zu verstehen? Als Ergebung zum Beispiel? Ist sein Wehe mir schon wahre Ansprache, also Gehör und Gehorsam erwachsen aus entsetztem Schweigen? Wenn einem mit allen Sinnen alles vergeht, dann will man vielleicht nur seine Ruhe haben. Und wenn es auch die ewige Ruhe sei. Anstatt noch mehr traktiert zu werden. Zu viel ist zu viel! Überforderung. Schluss, aus, fertig und gut is´. Jesaja denkt sich seinen Teil, also so was wie den 51. Psalm, den Busstext schlechthin. Nur dass er weder Mord noch Ehebruch auf dem Gewissen hat wie einstens David, dessen Texter. Und Schluss, aus, fertig und gut is. Das mag ja alles so sein und hat auch sein Recht. Aber schließlich weiß und kennen Mensch und Welt genügend falsche Buße, Einsicht ohne Reue. Und außerdem bestimmt und sagt nur Gott, wann es gut is´ und ein Ende hat. Und verwandelt dabei Widerstand in Ergebung.

Wasch Dir den Mund mit Seife aus! So lautet das Kommando schwarzer Pädagogik, wenn ein Kind ungehörig etwas gesagt hat. Und dann isses wieder gut. Gott geht bei seinen Kindern zum Glück anders vor. Jesajas Mund bekommt eine Feuertaufe. Dabei vergeht ihm alles, einschließlich seiner Sinne. Aber anstatt Schmerz ohne Maß zu spüren, fühlt der Prophet sich unglaublich frei. Entsetzen und Angst vorm sozialen Ausschluss vergehen ihm, sind aufgeräumt und ausgeräumt. Jetzt geht’s los! Von nun an ist sein Sinnen frei von Lug und Trug, es kommt ihm nur noch Wahrheit und nichts als die Wahrheit in den Sinn und Kopf. Falscher Sinn und verfälschte Sinne bleiben außen vor. Ablenkung lenkt nur zur Wahrheit hin. Nur noch Aufgabe und Arbeit. Glück und Freude pur. Misserfolg und Scheitern, dafür entziehen sich dem Propheten jegliche Gedanken und Worte. Wie entschwunden das innere Aufzählen alten Misserfolgs und Leidwesens, gärende Ahnungen und Geschichten. Ausgelacht, belächelt, ignoriert, bedroht, beschimpft, Shitstürmen ausgesetzt, fachlich missverstanden oder fertig gemacht… Und tauchten sie doch auf, gingen sie unter im neuen Kopf und Hirn. Im Lebensmut, Sprachgeschick und Phantasie, Tatkraft, die der Texter gewonnen hat. Der neue Geist drängt heraus aus reinem Fleisch und Geist ohne Gestalt. Und sei es zunächst in ganz kleinen Formen wie Tränen oder Lächeln, Seufzen oder Lachen. Da werden dann langsam artikulierte Laute draus, ja Worte, Zeichen und Sätze. Schön hintereinander wie bei ChatGPT, welches nach Auftrag Buchstabe für Buchstabe einen Text in die Zeilen ausgibt. Nur dass dieser dann neu entstehende Text alles andere als Wahrscheinliches und Bekanntes bedeutet und aussagt. Und trotzdem wird ihm gefolgt werden. Unglaublich! Gott zwangsvollstreckt informationelles Auswahlrecht in Wahrheitsliebe.

Beim Filmgucken akzeptieren und verzeihen wir als Publikum gerne Unglaubliches: Schnittfolgen von Bildern, die genauer besehen unglaubwürdig sind, die recht betrachtet, kaum so zwangsläufig sind wie inszeniert. Wir sind sie nur lediglich gewohnt. Bei denen Regie, Musiker und Texter ordentlich Mühe reinstecken müssen, damit ein Hickhack gerne und mit wenig Widerspruch konsumiert wird. Sprünge und dankbare Zufälle in der Handlung, die sogar Münchhausengläubige als reine Phantasie erkennen und bezeichnen würden. Manche pflegen das sogar als Hobby: solch eine mediale Fehlleistung zu entdecken und anzuzeigen. Bei Schnitten und Sprüngen in der Bibel jedoch tippen viele sich mit dem Finger an die Stirn und sagen: So was tu ich mir auf keinen Fall an! Dort Ergebung, hier Widerstand. Es geht aber auch anders rum, wenn Gott will und es für nötig hält. Und dann zwangsvollstreckt Gott wie bei Jesaja unser informationelles Auswahlrecht in Liebe zu seiner Wahrheit und Wirklichkeit.

Was die Medien einem alles als möglich vorsetzen und erscheinen lassen wollen! Leider schwant das einigen Abnehmern so, als ob es umstandslos und ohne weiteres wirklich und wirksam würde: Putin könnte Atomwaffen einsetzen und wird es auch. Künstliche Intelligenz könnte die Menschheit auslöschen und wird es auch… Vor allem gilt das für alles mögliche Schlechte und Böse. Jeder Unsinn, sei er auch noch so kurzschlüssig, scheint da oft sinnig genug. Andererseits ist festzustellen: Mögliches für umstandslos ohne weiteres für wirklich zu halten, das fällt vielen in einem anderen Fall sofort sehr schwer. Nämlich dann, wenn es um das wirksam werden von Gutem geht, das in der Luft liegt. Da werden schnell und mit viel Aufwand allerlei große Geschütze aufgefahren und Argumente verkettet und Bedenken gewälzt, dass es nur so eine Freude hat. Aufs Böse und Schlechte vertrauen und dem Guten misstrauen. Es geht aber auch anders rum, wenn Gott will und es für nötig hält. Dann zwangsvollstreckt Gott unser informationelles Auswahlrecht in Liebe zu seiner Wahrheit und Wirklichkeit. Amen.


Markus Kreis OStR

Werner von Siemens Schule

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