Jesaja 62, 1-5

Jesaja 62, 1-5

Gegen die Kräfte der Auflösung und Zerstörung … bis heute. | Jes 62, 1-5 |4. Advent | 24. 12. 2023 | Winfried Klotz |

21 Um Zions willen werde ich nicht schweigen und um Jerusalems willen nicht still sein, bis seine Gerechtigkeit hervorbricht wie ein Lichtglanz und sein Heil wie eine brennende Fackel.     58,8; 60,2; Mal 3,20

2 Dann werden die Nationen deine Gerechtigkeit sehen und alle Könige deine Herrlichkeit, und du wirst mit einem neuen Namen benannt werden, den der Mund des HERRN bestimmt.     57,15! · 65,15; Offb 2,17; 3,12

3 Und du wirst eine herrliche Krone sein in der Hand des HERRN und ein königlicher Kopfschmuck in der Hand deines Gottes.     Sach 9,16; 2Tim 4,8

4 Von dir wird nicht mehr gesagt werden: eine Verlassene, und von deinem Land wird nicht mehr gesagt werden: verwüstet!, sondern Mein-Gefallen-an-ihr wirst du genannt werden und dein Land In-Besitz-genommen, denn der HERR hat Gefallen an dir, und dein Land wird in Besitz genommen werden.    54,6! · Ez 36,35 · Ps 16,3 · Hos 2,22

5 Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau in Besitz nimmt, so werden deine Söhne dich in Besitz nehmen, und wie der Bräutigam sich an der Braut freut, so freut sich dein Gott an dir.    49,17; 65,19; Zef 3,17

Vierter Advent, 2023 zugleich Heiliger Abend. Eine Welt im Unfrieden, wir wissen, das war sie schon immer, aber die Wellen der Friedlosigkeit sind höher geworden, ihre Schaumkronen treibt der Sturm bis zu uns. Sich zurückziehen in eine kleine heile Welt wird immer schwieriger, Orte des Friedens sind nur schwer zu finden. Manche meinen Frieden zu haben, indem sie sich in und hinter einer radikalen Weltsicht verbarrikadieren; alles scheint nun einfach und klar, aber gewonnen haben sie nicht den Frieden, sondern Zorn und Hass gerichtet gegen die, die ihre erträumte heile Welt zu bedrohen scheinen. Manche feiern ihr gutes Leben, in Jetztzeiten darf ich egoistisch sein, meinen sie; „Lebe deinen Traum“! Aber ein dunkles Grollen im Hintergrund lässt sich nicht unterdrücken.

Schauen wir auf das biblische Wort aus Jesaja 62: Es ist ein prophetischer Ausruf aus der Zeit nach dem Exil, der Zeit der Rückwanderung nach Juda und Jerusalem; er kann uns den Blick öffnen für unseren Weg in dunkler Zeit. Ich sage das im Wissen, dass wir nicht in dieser Beziehung zu Jerusalem und dem Zion stehen, wie der uns namentlich nicht bekannte Prophet damals und die mit Erlaubnis des Perserkönigs Kyros nach Juda zurückgekehrten Israeliten. Ich sage das auch im Wissen, dass es uns zumeist deutlich besser geht als diesen Menschen, die in Juda und Jerusalem in großer Unsicherheit und unter großen sozialen Spannungen leben mussten. Die Mauer um die Stadt war noch nicht geschlossen, der Tempel noch nicht wieder aufgebaut, die Spannung zwischen arm und reich groß. Eine Situation, die einem den Mut rauben und die Stimme verschlagen konnte! Das Gegenteil aber lesen wir in unserem Predigtwort:

„Um Zions willen werde ich nicht schweigen und um Jerusalems willen nicht still sein, bis seine Gerechtigkeit hervorbricht wie ein Lichtglanz und sein Heil wie eine brennende Fackel.“

Woher kommt dieser laute Mut? Ist dieser Mensch ein glühender Nationalist? An wen richtet sich sein Reden und Rufen? Will er Menschen für einen Plan gewinnen, sich politisch für eine Veränderung einsetzen? Und warum hängt sein Herz mit so großer Sehnsucht am Zion und an Jerusalem?

Jerusalem und der Zion, also der Ort des Gottesdienstes, sind dem, der hier redet, wichtig, weil darauf göttliche Verheißungen ruhen. Sie ruhen darauf um des Volkes willen, das Gott sich erwählt hat und dem er diesen Lebensraum gegeben hat und erneut geben will. Gott will, dass sein Volk leben kann! Das gilt für das Volk des alten und des neuen Bundes. Dass der Redende nicht schweigen kann, hat seinen Grund darin, dass er die Ankündigung der Rückkehr nach Jerusalem ernst nimmt. In Jesaja 44 (24. 26. 28) kündigt ein Prophet an:

„So spricht der HERR, dein Erlöser, der dich schon im Mutterleib gebildet hat: Ich bin der HERR, der alles macht, 26 der das Wort seines Dieners erfüllt und den Plan seiner Boten vollendet, der zu Jerusalem spricht: Werde bewohnt! und zu den Städten Judas: Werdet aufgebaut! Und ihre Trümmer richte ich auf! 28 Der zu Kyros spricht: Mein Hirt! Und alles, was mir gefällt, wird er vollenden. Und zu Jerusalem wird er sagen: Es wird aufgebaut werden! und zum Tempel: Werde gegründet!“

Vor Augen hat der, der um Zions willen nicht schweigen kann, aber die diffuse und verwirrende Lage derer, die zurückgekehrt sind zum Zion. Der Wiederaufbau des Tempels dauerte über zwanzig Jahre; bis die Mauer um Jerusalem geschlossen war, lebten die Zurückgekehrten rund hundert Jahre ohne diesen Schutz, bedroht durch feindliche Nachbarn. Das jüdische Gemeinwesen selbst war zerrissen, die Thora, das Gesetz Gottes vergessen, der Sabbat wurde nicht gehalten, Ehen mit Frauen aus anderen Völkern waren verbreitet, die Armen mussten ihre Kinder, Weinberge und Äcker verpfänden, um Getreide kaufen zu können. Wir lesen von diesen Dingen in den biblischen Büchern Esra, Nehemia, Haggai, Sacharja, Maleachi. All diese Nöte vor Augen wagt es einer, laut zu Gott zu rufen und damit zugleich Zeugnis für seine Hoffnung und sein Vertrauen auf Gottes Handeln abzulegen. Er erwartet eine Gerechtigkeit, die Gott schafft, er erwartet Rettung, die Gott wirkt. Er sieht seine Aufgabe darin, Gott beständig zu erinnern an seine Zusagen. Gerechtigkeit bedeutet: das zerrissene Gemeinwesen findet zu einer guten, stabilen Ordnung, Rettung. Es erfährt Schutz. Das wird die Völker in der Nachbarschaft in Staunen versetzen. Wenn Gerechtigkeit und Rettung geschehen, strahlt ein helles Licht auf. Dann trifft ein, was vorher gesagt ist:

„Denn sieh, Finsternis bedeckt die Erde und Wolkendunkel die Völker, über dir aber wird der HERR aufstrahlen, und seine Herrlichkeit wird erscheinen über dir.“ (60, 2)

Dann lästert und spottet niemand mehr über den Untergang der Stadt, dann redet keiner mehr abfällig über den erbärmlichen Neuanfang in Jerusalem, nein jetzt bekommt Jerusalem einen Ehrentitel, einen neuen Namen, der seiner heilvollen Ordnung entspricht. In vierten Vers unseres Predigtwortes heißt es:

„Mein-Gefallen-an-ihr wirst du genannt werden und dein Land In-Besitz-genommen, denn der HERR hat Gefallen an dir, und dein Land wird in Besitz genommen werden.“

Diese heilvolle Ordnung, an die der Rufer Gott und Menschen erinnert, ist nicht Menschenwerk, sondern Gottesgeschenk. Sie legt Zeugnis ab für Gottes Zuwendung zu seinem Volk, für eine neue Verbindung zu Gott. Das wird mit einem ganz starken Bild beschrieben, nämlich dem von Bräutigam und Braut. Unser Wort sagt:

„Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau in Besitz nimmt, so werden deine Söhne dich in Besitz nehmen, und wie der Bräutigam sich an der Braut freut, so freut sich dein Gott an dir.“

Wie kann man schöner Hoffnung, Jubel und Glück beschreiben als im Bild von Braut und Bräutigam!

Ist eingetroffen, was hier ein Beter, Gott erinnernd und Menschen zur Hoffnung rufend, beschrieben hat? Soweit ich es erkennen kann, nicht in Gänze. Das kleine jüdische Volk gelangte nicht zu neuer Größe wie zu Zeiten der Könige David und Salomo. Es blieb anderen Mächten unterworfen: Perser, Griechen, Römer. Es durchlebte und durchlitt ein großes „Auf-und-Ab“, das seinen Tiefpunkt in der Zerstörung Jerusalems durch die Römer erreichte. Aber die innere Bewegung der Hoffnung auf Gott wurde nicht zerstört, sondern Hoffnungsworte aufgezeichnet und weitergebetet. Die hörende und betende Verbindung zu seinem Gott, der es doch erwählt hat, behauptete sich gegen die Kräfte der Auflösung und Zerstörung bis heute.

Und noch Größeres ist zu sagen: Gott hat im jüdischen Volk ein großes Licht für alle Völker angezündet und zum hellen Leuchten gebracht im Leben, Predigen und Heilen, Leiden, Kreuz und Sterben Jesu. Jesus, der Christus, wurde geboren. ER ist das Licht für die Völker, die im Dunkeln der Hoffnungslosigkeit leben. Im Lobgesang des Zacharias, Lukas 1, 67ff, heißt es von Johannes und vom Christus:

„Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten genannt werden, denn du wirst vor dem Herrn hergehen, seine Wege zu bereiten, Erkenntnis des Heils zu geben seinem Volk durch die Vergebung ihrer Sünden, aufgrund des herzlichen Erbarmens unseres Gottes, mit dem das aufgehende Licht aus der Höhe uns besuchen will, um zu leuchten denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um zu lenken unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ (Lk 1, 76-79)

Ist das die Antwort auf die Friedlosigkeit, von der ich am Anfang geredet habe? Wird hier unsere Angst und Zerrissenheit geheilt, unsere Sehnsucht nach Leben gestillt?

Jedenfalls wird uns ein Weg gezeigt. Verbunden mit dem Beter damals durch Jesus, den Christus, könnten auch wir Erinnerer werden, Menschen, die Gott an seine Zusagen erinnern. Wir könnten erfahren, dass Gott wohl manchmal schweigt, aber nicht taub und stumm ist. Dass er zu seiner Zeit den Frieden Christi in unsere Herzen legt und uns zu Friedensboten macht. So würden wir zu Überwindern, zu Menschen, die Friedlosigkeit und Dunkelheit überwinden, die fähig werden, andere zu lieben und für die Wahrheit einzustehen. Der, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, hat versprochen:

„Das habe ich euch gesagt, damit ihr Frieden habt in mir. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Joh. 16, 33) Amen.

Winfried Klotz, Pfr. i. R., Bad König/Odenwald, verh., 3 erw. Kinder

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