Johannes 1, 1-5. 9-14

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Johannes 1, 1-5. 9-14

Peinlich war’s! Man sprach von der Fernseh-Panne des Jahres!
Silvester1986: Die ARD hatte das falsche Band aus dem Magazin geholt und
die Silvesteransprache des Bundeskanzlers Helmut Kohl vom Vorjahr ausgestrahlt.
Die Partei des Kanzlers war empört, viele Deutsche hingegen – und
ich gehöre zu ihnen – haben geschmunzelt. So was passiert eben.

Überraschend war für mich, dass die wenigsten Zuschauer bzw.
Zuhörer das überhaupt gemerkt haben. Das spricht entweder für
die Zeitlosigkeit der Rede oder für die mangelnde Aufmerksamkeit
auf den Inhalt. Und nun kommt es noch überraschender: Ein Großteil
der Zuschauer, die die Rede zweimal gehört haben, einmal beim ZDF
und einmal bei der ARD haben nicht gemerkt, dass sie eine andere Rede
gehört haben, sondern nur, dass der Kanzler einen anderen Anzug und
eine andere Krawatte trug.

So geht das also: da bereitet sich jemand auf eine Ansprache gründlich
vor, er will den Menschen Wichtiges sagen, und sie erinnern sich nachher
nur an seinen Anzug oder die Farbe seiner Krawatte. Auch wenn er wortgewaltig
sein mag, sein Wort ist nicht gewaltig, nicht eindrucksvoll, nicht nachhaltig.

Wenn das das Schicksal des Wortes ist, wenn Menschen mehr auf die Verpackung
achten als auf den Inhalt, dann hat es das Wort nicht leicht, von dem
heute das Evangelium spricht:
„Im Anfang war das Wort,/und das Wort war bei Gott,/ und das Wort
war Gott./ Alles ist durch das Wort geworden,/ und ohne das Wort wurde
nichts, was geworden ist./ … Und das Wort ist Fleischgeworden/ und hat
unter uns gewohnt.“

Wie ergeht es dem Wort Gottes bei uns Menschen? Wenn das Wort Fleisch
geworden ist, hat es – im Bild gesprochen – eine „Verpackung angenommen,
die Gestalt des Jesus von Nazareth. Und in der Tat, im Leben Jesu war
es oft so, dass Menschen an dieser „Verpackung“ Anstoß
nahmen; das Menschsein Jesu – „Den kennen wir doch! Das ist doch
der Sohn des Zimmermanns!“ „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes
kommen!?“ – hinderte immer wieder Menschen daran, das Wort und seine
Botschaft zu verstehen. Bei ihnen kam das Wort nicht an, weil sie sich
durch den „Menschen“ Jesus daran hindern ließen, sein
Wort und seine Botschaft zu hören und anzunehmen. Der Konflikt, dass
der Bote der Botschaft bei den Menschen im Wege stand, dass sie „Anstoß
an ihm nahmen“ führte zu seinem Tod am Kreuz; mit zwei weiteren
Bildern sagt das der Schrifttext dieses Tages:
„Das wahre Licht… kam in die Welt. …aber die Welt erkannte ihn
nicht. … „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis
hat es nicht erfasst.“ „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen
nahmen ihn nicht auf.“

Denen aber, die das Licht begriffen haben, denen, die das Wort aufgenommen
haben, wurde dieses Wort zur Quelle des Lebens. Sie bekamen für ihr
ganz persönliches Leben Anteil an der Lebenskraft, die dieses Wort
vom Anfang der Schöpfung an für den gesamten Kosmos hat: „Alles
ist durch das Wort geworden!“ Das in Jesus von Nazareth Fleisch gewordene
Wort konnte und kann bis auf den heutigen Tag Quelle des Lebens werden
für die, die sich ihm öffnen: Das Wort von der Liebe Gottes,
das Wort von der Verzeihung Gottes, das Wort vom Zutrauen Gottes zu seinen
Menschen, zu mir. Selbst am Ende eines verpfuschten Lebens kann dieses
Wort Leben erschließen, wie es nach dem Evangelium des Lukas der
Schächer am Kreuz erleben durfte: „Heute noch wirst du mit mir
im Paradies sein.“

Bei allen Gefahren, die auf das Wort lauern, um es wirkungslos zu machen:
Viele kennen aus ihren alltäglichen Lebenssituationen, wie belebend
und befreiend ein Wort sein kann. Da sind etwa Menschen in einer Familie
stumm geworden, leben, obwohl sie zusammengehören, nicht mehr miteinander.
Oder zu den Nachbarn hin herrscht schweigender Kriegszustand. Und dann
durchbricht einer das Schweigen, sagt das erlösende Wort, eröffnet
das Gespräch wieder. Das lässt aufatmen, schafft Raum, dass
Menschen neu miteinander anfangen. Oder ich bin an einem Menschen schuldig
geworden. Er kommt und spricht das verzeihende Wort – oder ich gehe zu
ihm und spreche das um Verzeihung bittende Wort: Das ist oft der Anfang
einer neuen Lebendigkeit; eine Lähmung weicht. So ist es auch, wenn
ich dem verzeihenden Wort Gottes in der Beichte – die ja auch von immer
mehr evangelischen Christen gesucht und geschätzt wird – begegne:
ins Wort bringen, was mich belastet und darauf das Verzeihung zusagende
Wort hören, das lässt leben. In einer Liedstrophe drückt
Huub Oosterhuis diese befreiende Kraft des Wortes aus:

„Sprich du das wort, das tröstet und befreit und das mich führt
in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land, das keine
Grenzen kennt, und laß mich unter deinen Kindern leben. Sei du mein
Täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir
bete.“

Entscheidend ist, dass das Wort „Fleisch wird“, „Hand
und Fuß“ bekommt, sich verleiblicht in mein Leben mit seinen
unterschiedlichen Situationen. Die Wege, die ich dazu bereiten kann, haben
nicht nur mit der Wahrnehmungsfähigkeit meiner Sinne, beim Wort insbesondere
der Ohren, zu tun. Das Wort kann Fleisch werden, wenn in mir die Sehnsucht
nach diesem Wort lebt: die Sehnsucht nach dem liebenden Wort, nach dem
befreienden Wort, nach dem verzeihenden Wort, nach dem beglückenden
Wort, nach dem verbindenden Wort. Wenn da schon das menschliche Wort Wunder
wirken kann, um wie viel mehr das Wort, das von Anfang an war und das
in Jesus Mensch wurde, das Wort Gottes.

Gestern haben wir in den Gottesdiensten – und hoffentlich auch in den
Herzen – die Menschwerdung des Wortes festlich begangen. Heute klingt
dieses Festgeheimnis nach und will vertieft werden. Zur Vertiefung hören
wir nicht mehr eine Erzählung von Maria, Josef, Krippe, Hirten, Engeln
und Tieren, sondern einen Hymnus, der in den Bildern vom Wort und vom
Licht das Geheimnis der Menschwerdung vertieft. Ich wünsche Ihnen
offene Sinne und ein offenes Herz, damit es dem Weihnachtsgeheimnis nicht
ergeht wie der Kanzlerrede von 1986, sondern damit das Wort in Ihnen und
für Sie Fleisch werden kann.

Heribert Arens ofm
Franziskanerkloster Hülfensberg
37308 Geismar OT Bebendorf
heribert_arens@huelfensberg.de

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