Johannes 11, 47-53

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Johannes 11, 47-53

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


5. Sonntag der
Passionszeit, Judika, 1. April 2001

Predigt über Johannes 11, 47-53,
verfaßt von Heinz Behrends


I.

Er will das Leben der Insel, dieser ganz anderen
Lebenswelt verstehen und darüber ein Buch schreiben, denn er ist Dichter,
ein Schriftsteller aus England. Er befreundet sich mit einem der Urtypen der
Insel. Er bleibt der aufmerksame Tourist, der das Leben der Menschen auf der
griechischen Insel betrachtet, bis er eine Frau entdeckt. Sie wirkt
geheimnisvoll, sie trägt schwarz und lebt alleine im Dorf. Er beginnt,
sich in sie zu verlieben, sie verabreden sich, er bleibt eine Nacht bei ihr.
Doch im Dorf bleibt nichts verborgen. Ein junger Mann, Sohn in einer
großen Familie, erhängt sich, als er vom nächtlichen Treffen
der beiden erfährt. Er war schon lange in sie verliebt gewesen und
hätte sie gerne gehabt. Für seinen Vater ist schnell ausgemacht, wer
am Tod seines Sohnes schuldig ist. Während die Menschen in die Messe
gehen, inszeniert er eine Lynchjustiz. Die Männer lauern die Frau auf,
umzingeln sie, immer mehr Männer und Frauen des Dorfes kommen hinzu und
ziehen den Kreis enger. Der englische Dichter sieht es mit Schrecken von ferne
an. Diese Welt bleibt ihm fremd, er kann nicht eingreifen, um sie zu retten.
Doch da springt ihm sein griechischer Freund zur Seite. Sorbas ist sein Name.
Alexis Sorbas. Er kennt die Leute. Er entreißt dem Vater nach kurzem
Kampf das Messer. Erleichtert sieht der Zuschauer die Szene des Filmes und
entspannt sich. Gerettet scheint die Frau. Doch in einem unbeachteten
Augenblick springt der Vater noch einmal hinzu und ersticht sie. Er schlachtet
sie, wie er gewohnt ist, seine Schafe zu schlachten. Ein Opfer muß
gebracht werden. Der Kodex seiner Lebenswelt muß geordnet bleiben.
Inneren Frieden gibt es nur, wenn die Frau geopfert wird. Sie hat mit der Liebe
zum Fremden die Lebensordnung der Insel gebrochen.

Eindrucksvoll ist dieser alte Film über das
Buch des griechischen Autoren Kantzantakis über Alexis Sorbas.

Atemlos schaut man zu, wie eine geschlossene Welt
sich schützt durch einen Rachemord, einen Sühntod, einen Opfertod.
Erschrocken, aber auch erleichtert gehen die Menschen im Dorf wieder
auseinander. Die Seele hat wieder Ruhe. Jeder weiß, was ihm geschieht,
wenn er die Lebensgesetze, die Regeln verläßt.

Es scheint mehr zu sein als eine Tradition einer
griechischen Insel. Es scheint zum Menschen zu gehören, daß er
Sühne braucht. Erst der Tod kann heilen, wo in einer Gemeinschaft eine
Ordnung in Frage steht. So auch in der Zeit Jesu.

II.

Die Leute um die Pharisäer und
Schriftgelehrten sind ratlos. Jesus hat den toten Lazarus zum Leben erweckt.
Die Menschen sind beeindruckt. Er stört die Lebensregeln seiner Welt.
Seine Zeichen sind seit der Hochzeit zu Kana nicht mehr zu übersehen.

Die Verantwortlichen für das geistliche Leben
im Volk werden zu politisch Denkenden und halten Rat. „Lassen wir ihn so,
dann werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und nehmen
uns das Land und Leute,“ sagen sie. Sie ziehen ein ins politische
Kalkül. So ist das. Menschen geraten in die Mühlen der Politik.
Einzelne werden Gegenstand von Kalkül und werden eine Verschiebemasse,
über die andere verfügen, um offensichtlich andere zu schützen.

Aber einer von ihnen geht noch einen Schritt
weiter, er denkt tiefer als nur politisch. Er kennt die Seele der Menschen.
Nicht von ungefähr ist er Hohepriester in diesem Jahr, Kaiphas. „Ihr
habt keine Ahnung“, sagt er zu den Leuten, die eine Lösung suchen.
„Ihr bedenkt nichts. Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk,
als daß das ganze Volk verderbe.“
Das klingt sehr unmenschlich,
ist aber klug und richtig.
Es ist besser, einer stirbt als viele, wenn
schon jemand sterben muß.
Pharisäer, Schriftgelehrte und Kaiphas
bleiben aber Gefangene ihres Gedankensystems. Aber wie soll sie ihm auch
entkommen?

Und Jesus unterwirft sich ihnen. Die Evangelien
erzählen, wie er seinen Weg durch das Leiden geht, fragend, zitternd, aber
ohne Zögern. Johannes sieht seinen Weg mehr als einen Triumphzug, heim zu
Gott, seinem Vater, läßt aber das Leiden auch nicht aus. Jesus
verkrallt sich nicht in dieses Leben. Er unterwirft sich den Gesetzen seiner
Welt.

Die Täter sind eindeutig die Herrschenden in
Palast und Tempel.

III.

Und damit geht Johannes einen großen Schritt
über die Deutung des Todes Christi hinaus, wie wir sie bei Paulus finden,
wie sie sich in unsere Theologie, in unseren Glauben eingenistet hat.

Diese schwer verständliche Opfertheologie.
Gott hat seinen Sohn geopfert, damit wir frei werden von Sünden. Ein
unmöglicher Gedanke ist das. Es wird Zeit, daß wir ihn in unserem
Predigen, in unserem Glauben überwinden. Was für ein Gott, der seinen
Sohn opfert, damit wir erlöst sind? Das sind die Gesetze der Menschen, das
ist das Gesetz der Menschen auf der griechischen Insel. Hier wird der tief
verwurzelte Opfergedanke überspitzt und der Rachedurst in die Deutung des
Kreuzes hinein getragen.

Gott ist fern von allen Rachegedanken. Menschen
haben Christus getötet aus politischem Kalkül. Der psychologisch
geschulte Kaiphas, der Menschenkenner, wußte, daß ein Geopferter
andere retten kann. Aber die Hinrichtung war nicht Gottes Werk.

So ist das Ende aller Opfergedanken in der Kirche
angebrochen.

Aber Kaiphas hat natürlich recht. Blut kann
reinigen. Wenn jemand sich eine Wunde an der Hand zugezogen hat, sagen sie zu
ihm: Nicht gleich ein Pflaster draufkleben. Laß es erst mal bluten, das
reinigt. Der Schmutz muß erst aus der Wunde ausgetrieben werden. Blut
reinigt. Das ist wahr. Auf verschlungene Weise hat Kaiphas am Ende sogar recht.
Er deutet den Tod Christi richtig. Menschen haben ihn getötet. Christus
hat sich dem gestellt und ist nicht gewichen. Sein Vertrauen auf seinen Vater
war größer als alle erfahrene Bedrängnis. Er hat sich dieser
Welt unterworfen. Und am Ende ist es so gekommen wie Kaiphas prophezeit hat. Er
wird die zerstreuten Kinder Gottes zusammenbringen. So ist es. Und darum sitzen
wir heute hier zusammen. Wir leben.

IV.

Darum war ich traurig, als ich das Ende der
Geschichte der Frau in Alexis Sorbas sah. Diese Lebenswelt auf der kleinen
Insel ist noch gefangen in ihren Gesetzen. Die Liebe konnte noch nicht siegen.
So scheint diese Welt immer noch unerlöst zu sein.

Ob ich auch zu den Unerlösten gehöre?
Besetzt von den Gesetzen meiner Welt? Die nächsten zwei Wochen bis
Karfreitag mögen Raum dafür geben, daß ich mich dieser
persönlichen Frage stelle.

Theologisch-homiletische Überlegungen

Der Opfergedanke ist das Thema des Textes. Die
paulinische Deutung des Opfertodes Christi ist in unserer Tradition tief
verwurzelt. Sie wird verstärkt durch die Passionslieder der Tradition. Das
dahinter verborgene Gottesbild ist schwer vermittelbar, obwohl die
Opfertheologie psychologisch gesehen nicht einfach abzulehnen ist. Johannes
macht im Text den Rat des Kaiphas für den Tod Jesu verantwortlich. Die
Predigt versucht, die anthropologische Begründung des Opfertodes mit der
Deutung des Johannes zu verbinden. Menschen wollen, daß Blut
fließt, damit Versöhnung und Frieden im System wiederhergestellt
sind. Christus unterwirft sich diesem System, um es zu überwinden. Das
neue Gesetz, die neue Lebensordnung ist allein durch die Liebe und das
Vertrauen geprägt.

Superintendent Heinz Behrends
Distelweg 8

37077 Göttingen
Tel./Fax: 0551 / 721222
Email:
Heinz.Behrends@Nikolausberg.de


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