Offenbarung 3,14-22

Offenbarung 3,14-22

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Buß- und
Bettag, 22. November 2000

Predigt über Offenbarung 3,14-22,
verfaßt von Herwig Sturm


Liebe Gemeinde,

das siebente Sendschreiben des Sehers Johannes an die Gemeinden in
Kleinasien hat es in sich. Dieses Laodizea scheint nicht weniger
vielfältig und widersprüchlich, gefährdet und sehnsüchtig
nach Heilung gewesen zu sein als wir es in unsere Welt heute erleben.

Der treue Zeuge spricht hier, „Amen“ ist sein
Name. Hier blitzt doch etwas auf von der ständigen Sorge, betrogen und
hintergangen und ausgetrickst zu werden. Wie gut tut es, wenn einmal einer
sagt: „Mir kannst du vertrauen, ich bin der Anfang und ich bin das
Ziel
“. Seine Gemeinde wäre dann wohl ein Baustein der Treue und
der Verlässlichkeit in einer Kultur des „Wie hätten sie es
gern
“ und „Wir können es auch anders“.

Dann diese knochenharte Analyse: Ich kenne deine Werke, dass du
weder kalt noch warm bist. Weil du aber lau bist, werde ich dich ausspeien aus
meinem Munde.

Ich denke an unsere Gemeinden, wir sind eher höflich als
ehrlich. Unsere Kirchen leben von der Opferbereitschaft und Hilfsbereitschaft
vieler Mitarbeiter; wie oft geben wir uns aber mit der Bereitschaft zufrieden
und fragen nicht mehr nach der Sinnhaftigkeit und nach dem Ergebnis der Arbeit.
Wir animieren unsere Gemeindeglieder und Kreise und Runden, um sie bei der
Stange zu halten, dabei wird aber die Botschaft lau, austauschbar,
nebensächlich.

Ist es in der Politik anders? Zu dem berühmten und
berüchtigten Datum 9. November hat man dieses Jahr endlich Wärme
gespürt, Engagement und Widerstand gegen Rassismus und Menschenverachtung,
gegen rechte Gewalt und Naziparolen.

Die Superintendentin der Diözese Burgenland in der
Evangelischen Kirche in Österreich, Gertraud Knoll hat schon vor Jahren in
einem Streitgespräch mit einem Politiker der Freiheitlichen Partei
Österreichs gesagt: Diese Sprache ekelt mich an. Diese Deutlichkeit habe
ich damals als überspitzt empfunden, inzwischen haben wir ja in
Österreich lernen müssen, dass die Gemütlichkeit aufhört,
wo sich Rassismus und Menschenverachtung breit machen.

Ich gehe zum nächsten Gedanken: Du sprichst: „Ich bin
reich und habe genug und brauche nichts
!“ Da spricht sicher nicht
unsere Kirche hier in Österreich; wir drehen jeden Schilling zweimal um.
Aber auch die Deutschen Kirchen kämpfen seit einigen Jahren mit
Finanzierungsproblemen, wenn auch auf einem zehnmal höheren Niveau.

Aber so einen Reichtum im geistlichen Sinn bilden wir uns manchmal
ein. Ein Satz hat mich allerdings betroffen gemacht, den ich dieser Tage
gehört habe:
Das Abbröckeln der Kirche geschieht im Zentrum,
nicht am Rand, in ihrer Glaubenssubstanz. Also: Reich an guten Dogmatiken, aber
arm an Umsetzung des Glaubens im täglichen Leben. Reich an
Bekenntnisschriften, aber arm an zeitgemäßem und verständlichem
Bekennen. Reich an Archiven und Vergangenheit, aber arm wenn es um die
Bewältigung der Gegenwart geht und um Rechenschaft der Hoffnung.

Unsere Kirchen haben sicher zu Recht Schwerpunkte ihrer Arbeit
gefunden im sozialen Bereich und finden sie mehr und mehr im politischen
Engagement.
Das ist aber Frucht des Glaubens und nicht der Same.

An Samen sind wir arm; aber ich denke, dass das wir das auch
wissen, dass uns die Samen für das Wachsen im Glauben, für
verständliches Bekenntnis und für fröhliche Hoffnung wertvoll
sind, sodass wir sie sorgsam pflanzen und pflegen mit der Bitte um Gottes Geist
und Segen.

Ich schließe mit dem schönen Merkspruch:
„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ Dieses Wort
klingt vertraut und steht auf vielen Konfirmandenscheinen, es passt zur Feier
des hl. Abendmahls. Zugleich ist es ein ungeheuerliches Wort, Gott als
Herbergsuchender? Das ist doch Weihnachten pur ohne Lametta, hier spürt
man das Risiko der Menschwerdung, wenn Gott draußen steht, draußen
vor der Tür.

Andererseits ist es ein ganz starkes Bild für unsere
Verantwortung und unsere Möglichkeiten: Der Tisch der Gemeinschaft und der
Versöhnung steht schon in unseren Häusern. Er steht schon in den
Parlamenten und in den Kirchen; wir haben nur noch nicht wirklich Ernst gemacht
damit.

Wir haben sie gehört, die Warnung vor Halbwahrheit und
Lauheit. Wir sind aufmerksam gemacht auf die Armut an geistlicher Substanz. Wir
wissen, wie kostbar der Same des Glaubens ist und die Früchte der Hoffnung
und der Liebe. Nun steht der Menschgewordene vor der Tür und klopft an.
Das ist nicht mehr ärmlich, sondern stark. Das ist nicht mehr lau, sondern
heiß.

Komm Herr Jesus. Amen

Wien, 13.11.2000
Herwig Sturm
Bischof der Evangelischen
Kirche A.B. in Österreich


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