Johannes 12, 34-36 (37-41)

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Johannes 12, 34-36 (37-41)

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Letzter
Sonntag nach Epiphanias, 4. Februar 2001

Predigt über Johannes 12, 34-36 (37-41), verfaßt von
Hartmut Jetter


Ein erster Zugang

Der Predigttext

Da fragte ihn das Volk: Wir haben aus dem Gesetz (= unserer Bibel)
gehört, daß der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann:
Der Menschensohn muß erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?

Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch.
Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht
überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er
hingeht. Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des
Lichtes werdet.
Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht
an ihn, damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte
(53, 1): „Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn
offenbart?“

Die Predigt

An einer Zäsur angekommen

Die Tür fällt schwer ins Schloß: „Er –
Jesus – ging weg und verbarg sich (fortan) vor ihnen (dem Volk)“. Der
Vorhang fällt. Eine Zäsur im Aufbau des Johannes-Evangeliums, ein
wahrhaft dramatischer Einschnitt in Leben und Werk Jesu. Und Johannes macht
Bilanz: Obwohl er Zeichen (und Wunder) tat vor ihren Augen, in aller
Öffentlichkeit – in Kana, auf dem See Genezareth, auf dem Berg der
Speisung, und nicht zuletzt in Bethanien -: Ob du’s glaubst oder nicht
– „Sie glaubten nicht an ihn“, dennoch nicht. Nur kurz
war die Zeit, in der das Licht schien über „Galiläa der
Heiden“ (Mt 4, 15 f) und über dem jüdischen Land. Das ist
vorbei. Nun leuchtet es „nur“ noch „im Verborgenen“, bei
den „Seinen“ (13, 1). Als letztes Wort an das Volk bleibt der Ruf,
geradezu beschwörend: „Glaubt an das Licht!“ Und noch
intensiver: „Werdet Söhne des Lichts!“

Wer ist der Messias?

Immerhin – der Appell läßt hoffen; sonst
hätte er keinen Sinn. Das „Werdet Kinder des Lichts!“
läßt einen Türspalt offen. Und auch die letzte Frage aus dem
Volk stimmt irgendwie zuversichtlich. Das ist doch immerhin eine Frage mit
einigem Tiefgang, diese Frage nach ihm als dem Menschensohn und was es mit
seiner „Erhöhung“ auf sich habe. (Dazu sollte der Ausleger eine
wenigstens kurzgefaßte Erläuterung geben.) Eben hatte er –
Jesus – davon gesprochen (Vers 32), daß er „erhöht werde
von der Erde“. Dabei denkt er an seine „Verherrlichung“
im Tod am Kreuz. Sie aber verstehen es als seinen Abschied von der Erde.
„Mit ihm geht es nun bald zu Ende“. Und das wäre dann auch der
Beweis dafür, daß er nicht der erwartete Messias ist. Denn
sie, allen voran ihre Schriftgelehrten, hören es aus ihrer Bibel
(„Gesetz“) so heraus: Das Reich des kommenden Menschensohnes ist ein
ewiges Reich. Wie soll man dann seine Worte in Einklang bringen mit der
gängigen Messias-Dogmatik?

So stellen sie die Frage, die im Neuen Testament die Mitte bildet,
die auch im Johannes-Evangelium zu einem der Höhepunkte führt: In der
Verhandlung vor Pontius Pilatus (Joh 19), wo dieser fragt: Wer bist du denn?

Doch was gibt Er zur Antwort? So wie auch an anderen Stellen bei
Johannes antwortet Jesus nicht direkt, auch nicht ausweichend, sondern mit
einem Bildwort. Einem Bildwort, das sich schon seit Kap 8 als roter Faden
durchgezogen hat: „Glaubt an das Licht!“ Das heißt mit anderen
Worten: Ja, gewiß! Die Messiasfrage, als dogmatische Frage, ist wichtig,
unerläßlich, bis heute. Doch in diesem Augenblick ist ihre
existentielle Kehrseite noch wichtiger: „Glaubt an das Licht!“
Zumal für „das Volk“, für die Menge der Leute auf dem Land,
ist dieser Appell entscheidend. Bevor „die finstre Nacht bricht stark
herein“ ist es lebenswichtig, ob einer sich dieses Licht zum Kompaß
nimmt für seinen Weg durch die Finsternis, wo keiner sonst weiß,
„wohin er geht“.

Im Dunkeln tappen

Unwillkürlich erinnert die Bildrede uns Ältere an die
stockdunklen Nächte im letzten Krieg wegen der totalen Verdunkelung
unserer Häuser und Straßen, in Stadt und Land. Das
Beleuchtungswesen, das wir uns heute leisten können, verwehrt uns diese
Erfahrung. Es sei denn, man würde einen ganz einsamen Ort in der Weite der
Wüste Sahara oder in der Einöde Sibiriens aufsuchen. Ohne
Taschenlampe war man damals aufgeschmissen und eine Batterie war ein kostbarer
Besitz, zumal wenn zur totalen Finsternis auch noch undurchdringlicher Nebel
oder strömender Regen hinzukam. Irgendwo ein Lichtschimmer – eine
schiere Erlösung!

Mit einer solchen Erinnerung nähern wir uns der Bildrede Jesu
und ihrem Inhalt: „Glaubt an das Licht!“ Da wird niemand auf den
abwegigen Gedanken kommen, Jesus würde damit zu einer allgemeinen
religiösen Verehrung des Lichts aufrufen. Nein! Er ruft zu sich
als dem „wahren Licht“, das allen Menschen leuchten will. Er ruft zu
einem Leben, mit allen seinen hellen und dunkeln Seiten, das nicht
irgendwo in finsterer Nacht endet, sondern das seinen Weg und sein Ziel findet.

„Unser Wissen und Verstand ist mit Finsternis
verhüllet“, heißt es in einem Lied zum Gottesdienstbeginn (EG
161, 2). Niemand will damit bestreiten, daß menschlicher Geist,
wissenschaftliche Forschung und technisches Können viel Licht in das
Dunkel menschlicher Nöte und Lasten des Lebens gebracht haben und noch
bringen. Aber wer wollte leugnen, daß es gerade die Erfahrung der Denker
und Forscher ist, wieviele Fragen noch ungelöst sind und auf wie vielen
täglichen Problemen noch der Schleier des Unerforschten liegt. Wir
brauchen ja nur an die derzeit so bedrängenden, schwierigen Fragen im
Zusammenhang mit der BSE-Krise zu denken. Die Finsternis, von der unser
Predigttext spricht, verweist indes in die tiefer liegenden Dunkelheiten
unserer Zeit, in die Sinnkrise, von der die moderne Zivilisation tief getroffen
ist, mit ihrer erschreckenden Orientierungslosigkeit. Viele verstehen heute
nicht einmal mehr die Frage nach dem Woher und Wohin und nach dem Sinn
menschlichen Lebens. Mit Gott und Glaube und Gebet wissen viele nichts mehr
anzufangen. Dafür hat Axel Noack, der evangelische Bischof von Magdeburg,
unlängst die drastische Formel gefunden: „Sie haben schon vergessen,
daß sie Gott vergessen haben.“ Und schon früher hat der
große Physiker Albert Einstein (gest. 1955) die Diagnose gestellt:
„Wir leben in einer Zeit perfekter Mittel und verworrener Ziele“. Die
Medien lehren es uns jeden Tag aufs Neue. Kein Tag ohne eine neue
„Arbeitsgruppe“ oder eine neue Studienkommission, die Licht bringen
soll in Dunkelheiten, die sich neu aufgetan haben, in nicht geklärte
Katastrophen: Wie konnte so etwas nur passieren? Ist nicht bis jetzt alles gut
gelaufen? Ganze Heerscharen von Ermittlern müssen aufgeboten werden, weil
so viele Leute so viel zu verbergen haben oder weil allen bisherigen
Erklärungsversuchen nur stupendes Mißtrauen entgegenschlägt! Es
klingt zwar hoffnungslos rückständig, mittelalterlich,
läßt sich aber dennoch nicht leugnen: Von bösen, dunklen
Mächten umgeben! Wie oft legen wir die Zeitung mit diesem Seufzer aus der
Hand! Heute lesen wir in ihr: „Ist diese Erde noch zu retten?“

Licht von der Kirche?

Schadenfreude ist nicht angebracht! Die vielen
Forschungsstätten, die jetzt ran müssen, sind nicht zu beneiden. Sie
kosten viel Geld und müssen Erfolge vorweisen, möglichst bald! Die
Leute wollen lange leben und ewig gesund bleiben. Jetzt setzen sie auf
Embryonen-Forschung. Koste es, was es wolle!

Wir aber, wir kehren noch einmal zu unserem Predigttext
zurück. Er hat jetzt zweifellos an Farbe gewonnen. Und sein Appell
leuchtet uns noch mehr ein als schon zuvor. Vor allem aber sollten wir ihn am
Schluß unserer Predigt hören als Frage, als Kritik an uns selbst, an
uns in der Kirche, an alle die, die den Auftrag bis heute haben, sein Licht in
diese Welt zu tragen. Vor wenigen Wochen hat sich der allseits hoch angesehene
Bischof von Mainz Karl Lehmann in einem Gespräch unter dem
beziehungsvollen Titel „Es ist Zeit, an Gott zu denken“
(Herder-Verlag) gerade auch zu dieser Frage geäußert. Sein
Gesprächspartner hat ihn u. a. auf einen schon länger
zurückliegenden Ausspruch von Karl Rahner angesprochen, als dieser von
einer „winterlichen Zeit des Christentums“, von einer „Eiszeit
in der Kirche“ sprach. Ja, so meint Bischof Lehmann, man findet in einer
Kirche „viele enttäuschende Zeichen! Gerade als Bischof sieht man die
klaffenden Wunden…“ „Was aber böse ist, ist böse, auch in
der Kirche. Da darf nichts umgelogen werden oder einen Heiligenschein
verpaßt bekommen.“ Auf unser Bibelwort bezogen: Haben wir immer und
in jedem unserer Gottesdienste das Evangelium zum Leuchten gebracht? Wie
manchesmal frage ich mich selbst nach einer Predigt: Wem hat sie weitergeholfen
in der Dunkelheit seiner/ihrer Sorgen und Ängste? Wieviele gehen wieder
enttäuscht nach Hause! Wo hat sie denn darum geworben, daß wir
Hörer auch „Kinder des Lichts“ werden? Was helfen die 2, 4, 6
und mehr Kerzen auf dem Altar, wenn die Botschaft der Kirche und
Verlautbarungen ihrer Synoden manchesmal mehr verdunkeln als erhellen? Wenn
ihre Predigten nicht ein bißchen mehr Wärme und Liebe und
Herzlichkeit ausstrahlen?

Dem Licht nicht im Wege stehen

So bleibt denn als Botschaft dieses 5. und letzten Sonntags nach
dem Erscheinungsfest, am Ende des Weihnachtsfestkreises: Er ist gekommen zu uns
als das Licht der Welt. Laßt uns dem Lichte folgen! Für jeden Tag
dieser Woche aber sei es eines jeden Bitte, „daß ich ein Licht
anzünde, wo die Finsternis regiert“ (nach dem Gebet des Franzikskus).
Und für den Gottesdienst am nächsten Sonntag: Daß wir dem
Lichte nicht im Wege stehen, sondern alles tun, was es zum hellen Leuchten
bringt. „Er das Licht und wir der Schein“ (251, 1).


Ein erster Zugang

Wenn auch nicht immer, so aber doch öfter, als man denkt,
findet der Leser/der Hörer einen Schlüssel zu einem ihm weniger
zugänglichen Bibelabschnitt, wenn er nach „dem Sitz im Leben“
des Kirchenjahres fragt. Der letzte Sonntag nach Epiphanias bringt den
Weihnachtsfestkreis zum Abschluß. In ihm wurde das Kommen Jesu in die
Welt, sein Werk in Tat und Wort liturgisch gefeiert und im Evangelium
gepredigt. Dieser Sonntag markiert eine gewisse Zäsur. Denn im weiteren
Gang des Kirchenjahres geht nun der Blick nach vorn auf den Weg seiner Passion.

Auch innerhalb des vierten Evangeliums markieren die als
Predigtperikope vorgesehenen Schlußverse von Kapitel 12 eine Zäsur.
Denn mit „solchen Zeichen“ (Vers 37) ist zusammenfassend die ganze
Kette der sieben „Wunderzeichen“, in denen Er „seine
Herrlichkeit offenbarte“ (2, 11), also von Kap 2 bis Kap 11, gemeint.
Für den Evangelisten bedeutet das: Die „Zeit des Lichtes“, bevor
„der Menschensohn erhöht“ (das heißt: ans Kreuz geht)
wird, sie geht nun zu Ende. Und Johannes zieht eine erste Bilanz: Trotz Zeichen
und Wundern (und Reden) – „nicht glaubten sie an ihn“. Das aber
ist für ihn ein schweres Rätsel, so schwer, daß er es nur noch
mit Worten aus dem Prophetenbuch Jesaja „erklären“ kann (Vers
38-41).

Die Botschaft am 4. Februar 2001 läßt sich kompromiert
in die Frage fassen, ob denn auch die Predigt des Evangeliums und der
Dienst der Kirche in unserer Zeit immer so lucide ergeht, daß Menschen
zum Glauben ermutigt werden; bzw. in den Imperativ – mit den
schlichten Worten eines Kehrverses aus dem alten Kirchenlied: „Suche Jesum
und sein Licht! Alles andere hilft dir nicht!“ (J. G. Wolf, Halle/Saale;
1684-1754).

Verfasser:
OKR i. R. Prof. Dr.Hartmut
Jetter
Bernsteinstr. 143
70619 Stuttgart
Tel. 0711 44 30 03


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