Jesaja 58, 7-12

Jesaja 58, 7-12

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes
Neukirch

Erntedankfest
3. Oktober 1999
Jesaja 58, 7-12

Christiane Neukirch


Erntedankpredigt für die Kirchengemeinde Geversdorf, ein kleines
Dorf im Land Hadeln.

Der Predigt geht eine kleine Aktion voran: Die Kinder, die in dem
Gottesdienst sind, kommen nach vorne, und legen Sonnenblumensamen in
vorbereitete Töpfe. Dazu sagen sie ihre Namen, die auf einen Zettel
geschrieben werden. Diese werden dann mit in den Topf gesteckt. Während
die Kinder nach vorne kommen, wird das Lied „Wir pflügen und wir
streuen“ gesungen.

Der Predigttext für dieses Erntedankfest steht bei Jesaja im 58.
Kapitel.

Jesaja sagt: „Brich dem Hungrigen dein Brot und die im Elend ohne
Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und
entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“

Liebe Gemeinde!

Schöne alte Bräuche haben wir im Kirchenjahr. Bräuche, die
unser Leben begleiten, gestalten und bereichern. Die Erntekrone zum Beispiel,
der besondere Schmuck der Kirche an diesem Tag, das Lied „Wir pflügen
und wir streuen“ – das und mehr gehört zum Erntedankfest bei uns in
Geversdorf zweifellos dazu.

Aber die Bewahrung der Traditionen hat ihren Sinn nicht nur in der
Erinnerung und im Festhalten des Altbekannten. Traditionen, die keinen Bezug
zur Gegenwart mehr haben, werden mit der Zeit verschwinden. Sie halten sich
nicht.

Wir feiern das Erntedankfest nicht nur, weil es bei uns Tradition ist.
Ernten – Danken – und Feiern – das sind Bestandteile unseres heutigen Lebens
genau so wie früher. Und auch in Zukunft wird das so sein.

Ernten – Danken – Feiern – worum geht es dabei?

Ernten – das ist doch ganz einfach, ganz klar, werdet ihr denken. Wir leben
ja nicht in der Stadt, wo die Salatköpfe im Supermarktregal liegen und der
Rosenkohl in abgewogenen Portionen in Netzen verkauft wird, und die Menschen
zum Teil gar nicht mehr wissen, wie all das wächst, wovon wir uns
ernähren, die Früchte, Gemüse, Getreide. Wir sind erdverbunden,
und unser Lebensraum ist landwirtschaftlich geprägt, da gerät nicht
in Vergessenheit, was zum Ernten dazugehört.

Im ganz Kleinen haben die Kinder in diesem Gottesdienst den Anfang gemacht:
Sie haben eine Sonnenblume gesät, indem sie den Samen in die Erde gelegt
und ihn mit Erde bedeckt haben.

Natürlich säen die Bauern heute mit moderner Technik und in
großem Umfang – genau berechnet, welche Saat auf welchen Acker; und wie
die Kinder nun zu Hause das Wachsen ihrer Sonnenblume beobachten und durch
Gießen und Pflegen fördern können, so tun es die Bauern genau
so: Die Getreidepflanzen brauchen optimale Bedingungen, damit die Ernte gut
wird; Schädlinge müssen ferngehalten oder vertrieben werden; zugleich
muss gewährleistet sein, dass die geernteten Früchte gesund und nicht
belastet sind.

Man muss kein Landwirt sein, um großen Respekt davor zu haben, was
alles an Überlegungen, an Mühe und Arbeit dazugehört, dass die
Ernten eingefahren werden können, die wir Jahr um Jahr verzeichnen.

Um so wichtiger aber, dass wir dabei nicht stehen bleiben und sagen:
„Wir alleine sind die „Macher“, die Produzenten unserer
Nahrungsmittel!“

Wenn wir nur bei unserer Ernteleistung stehen bleiben, nur unser
Menschenwerk darin schätzen könnten, dann würden wir ja auch nie
Abstand von all den Problemen gewinnen können, in die unsere
Landwirtschaft heute eingebunden ist. Und die sind groß genug!

In der gemeinsamen Erklärung zum Erntedank 1999 vom Ausschuss für
den Dienst auf dem Lande der EKD und der katholischen Landvolkbewegung
Deutschlands, die in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bauernverband und dem
deutschen Landfrauenverband erstellt worden ist, heißt es: „Für
die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und der Europäischen Union
ist Erntdank 1999 Anlass zur Auseinandersetzung mit den durch die in diesem
Jahr beschlossenen Agenda 2000 weiter sinkenden Erzeugerpreisen…. Das
bedeutet etwa 7-15% weniger Gewinn. Diese Verluste werden durch direkte
Beihilfen nur teilweise aufgefangen…“

Das sind Aussagen, die keine rosige Zukunft für die
landwirtschaftlichen Betriebe bei uns in Aussicht stellen. Sie setzen Menschen,
die Arbeit und Sinn für ihr Leben in der Landwirtschaft gefunden haben,
unter enormen Druck. Sie kündigen Veränderungen an, die unser ganzes
Land betreffen können.

Gerade weil das so ist, brauchen wir diesen heutigen Sonntag – als Tag, an
dem wir einmal nicht bei uns, unseren Leistungen und Problemen stehen bleiben,
sondern als Tag, der uns ein großes Geschenk macht: zur Ruhe zu kommen,
Abstand von uns zu gewinnen, mit Freude zu betrachten, was wir alles zum Leben
haben und darin auch das Wirken dessen zu erkennen, der uns das alles
überhaupt erst möglich macht! So gehört zum Ernten eben auch das
Danken: unserem Gott und Schöpfer.

Es ist doch so: Bei allen unseren Problemen – Gott stellt die Weichen, dass
wir säen und ernten können, dass unsere Mühen mit Erfolg belohnt
werden, auch wenn sich das mit Geld nicht gerecht ausdrücken lässt.
Er schenkt uns die Kraft, er hat uns seine Schöpfung anvertraut.

Ja, wir sagen um so mehr „Danke, Gott!“ als wir die Augen nicht
davor verschließen können, dass in unserer gar nicht weit entfernten
europäischen Nachbarschaft Menschen das Nötigste zum Leben nicht
sicher haben, nicht satt werden, noch immer bedroht sind – im Kosovo, das noch
immer nicht zur Ruhe gekommen ist. Ja, auch von Menschen in Not auf anderen
Kontinenten dieser Erde wissen wir.

So kann und darf sich unser Erntedank auch nicht in einem Festgottesdienst
erschöpfen. Ernte-Dank-Fest – das zu feiern – richtig zu feiern, dazu sei
uns der Predigttext die beste Anleitung: „Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt
siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut“.

Froh sein über den kleinen Blumentopf auf der Fensterbank, aus dem eine
schöne Sonnenblume wachsen kann, das ist der Anfang, aber sicher nicht das
Ende. Wer sich nur über seine eigene Ernte, seine eigenen Erfolge freuen
kann, der verkennt, dass wir alle zusammenhängen, voneinander und
füreinander leben.

In all den Blumentöpfen, die die Kinder mit nach Hause nehmen nach dem
Gottesdienst, ist dieselbe Erde, die andere für euch hierher gebracht
haben; und die Sonnenblumenkerne, die ihr gepflanzt habt, wer weiß,
vielleicht stammen sie alle von derselben Sonnenblume?

Und die Menschen dieser Erde – haben sie alle, haben wir nicht alle unser
Leben von dem einen Gott? Und dieser eine, in Jesus Mensch gewordene, verbindet
er uns nicht an seinem Tisch in Brot und Wein auch heute wieder neu mit sich
und miteinander und will, dass wir seine Bereitschaft zu teilen, zu helfen, zu
sorgen weiterleben?

Wir teilen Kaffee und Kuchen im Anschluss an den Gottesdienst auf der Empore
miteinander. Wir können durch unser Einkaufen die regionale Landwirtschaft
bei uns stützen, indem wir kaufen, was hier produziert wird; wir
können spenden für Menschen in Not – nicht nur Geld, sondern zum
Beispiel Kleidung und Schuhe – in der Partnergemeinde unseres Kirchenkreises
werden vor allem dringend Schuhe gebraucht. Wir können die Urteile, die
wir über andere fällen, in Frage stellen und versuchen, die Welt mit
ihren Augen zu sehen – denn es gibt auch viel Hunger nach Menschlichkeit und
Verständnis unter uns! Wir können das alles tun – und mehr – und
vergeben uns nichts dabei. Darum geht es beim Ernte-Dank und Feiern.

Das Lied, das wir jetzt singen, will uns darin bestärken: „Wo ein
Mensch Vertrauen gibt, nicht nur an sich selber denkt, fällt ein Tropfen
von dem Regen, der aus Wüsten Gärten macht.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Christiane Neukirch, Geversdorf, E-Mail: johannes.neukirch@t-online.de

 

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