Johannes 12,12-19

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Johannes 12,12-19

Hosianna! | Palmsonntag| 02.04.2023 | Joh  12,12-19 | Eberhard Busch |

Joh. 12,12-19: Als am nächsten Tags die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus  nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrieen: Hosianna, Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel. Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: Fürchte dich nicht, du Tochter Zion, siehe dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen. Solches verstanden seine Jünger zuvor nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte. Die Menge aber, die mit ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, bezeugte diese Tat, er habe dieses Zeichen getan. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörten, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Alle Welt läuft ihm nach.

Nach dem Bibeltext für unsere heutige Predigt ist ein Lied gedichtet worden. Es ist das einzige, das der Schriftsteller Friedrich Rückert verfasst hat. Und zwar im Jahr 1834, als wenig zuvor zwei seiner Kinder zum Schmerz ihrer Eltern gestorben waren. In den Versen wird darauf angespielt, mit dem Gebetswunsch: „O komme du auch jetzt aufs neue / zu uns, die wir sind schwer verstört.“ Und so beginnt der Choral im ersten Vers: „Dein König kommt in niedern Hüllen, / ihn trägt der lastbarn Eslin Füllen / empfang ihn froh, Jerusalem! / Trag ihm entgegen Friedenspalmen, / bestreu den Pfad mit grünen Halmen, / so ists dem Herren angenehm.“

Am heutigen Palmssonntag denken wir an eben das, was Friedrich Rückert in Verse gesetzt hat. Wir denken an den Einzug Jesu in Jerusalem, an den sonderbaren Aufmarsch, von dem unser Predigttext redet. An manchen Orten wird seit alters daran erinnert, und dies so, dass die Leute mit frischen grünen Zweigen in die Kirche zum Gottesdienst einziehen. Als fände die Geschichte von damals gerade heute gerade bei uns statt! Und sind wir nicht tatsächlich mit dabei? – bei den Vielen, die hörten, „dass Jesus nach Jerusalem kommen werde; da nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrieen Hosianna, Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel.“

Es ist eine begeisterte Begrüßung, die dem Ankömmling zuteil wird. So wie man das bei berühmten Menschen macht, dass man ihnen Blumensträuße zuwirft, wenn sie sich dem Publikum zeigen. So auch hier: Sie gehen ihm lärmend entgegen, gespannt, weil schon zuvor Verblüffendes von ihm Tagesgespräch war. Ist es nicht großartig, dass er einen gestorbenen Lazarus in seinem Grab angesprochen hat. Er hat damit seine Grabruhe gestört. Er hat sie unterbrochen. Offenbar wendet er sich dem zu, vor dessen Berührung seine Schwestern warnen. Offenbar findet er sich nicht damit ab, dass Menschen nach ihrem Tod einfach nicht mehr da sind. Er sorgt dafür, dass man wieder mit ihnen reden kann. Und es bleibt dabei, dass man mit ihm zu rechnen hat: Hosianna, der kommt im Namen Gottes, des Herrn. Der sei, der ist König in Israel.  Sein Kommen kann ein Trost sein und das war den Eltern Friedrich und Luise Rückert angesichts des Tods ihrer Kinder ein Trost.

Aber warum kommt der so laut Begrüßte auf einem Esel daher? Wenn er doch ein König genannt wird, warum kommt er dann nicht auf einem mächtigen Ross? Modern gesprochen, warum nicht in einem majestätischen Bentley, statt in dem Auslaufmodell eines „Trabi“? „Siehe, dein König kommt – und reitet auf einem Eselsfüllen.“ Sein Thron ist der Rücken eines armseligen Tiers. Was für ein merkwürdiger Herrscher! Ein Esel? „Pass auf, du Esel!“ schimpft man, wenn man jemanden bei einer Dummheit erwischt hat. Dabei sind Esel gar nicht dumm. Doch redet man sprichwörtlich von einem „störrischen Esel“. Ja, er ist störrisch, weil er sich durchaus nicht auf ein Kommando in ein Abenteuer stürzt, worin er umkommt. Dass hier eine Eselin das nicht mit ihr machen lässt, das ist klug von ihr. Aber in unsrem Fall trägt sie ihren Reiter mit Geduld. Vielleicht weiß sie besser als mancher Kluge, wen sie trägt.

Es hat nämlich einen anderen Grund, warum Jesus auf einer Eselin in Jerusalem einzieht. Er tut etwas, was von langer Hand her schon in Aussicht gestellt ist. Er tut es im Einklang mit einem alttestamentlichen Propheten, der geschrieben hatte (Sacharja 9,9): Jauchze laut, denn dein König kommt zu dir, arm, demütig, „in niedern Hüllen“, eben nicht auf dem hohen Ross. Dieser vormalige Prophet weiß es, der rechte König ist ganz anderer Art: Er kommt von Lasten gebeugt, anfechtbar, nicht mit zackigen Stiefeln. Er kommt sanft daher. Sanft? Manche lieben es, wenn es heiß her und zu geht. Some like it hot. Nein, Er kommt zärtlich des Wegs, rücksichtsvoll, friedfertig.

Und er ist dadurch verletzlich. Mit dem Palmsonntag beginnt die Passionswoche. Der Gefeierte, befindet sich auf dem Abstieg. Es beginnt sein Todesmarsch hin zum Kreuz. Er erleidet selbst, was jener Lazarus erlitten hat.  Da verwelken die grünen Zweige. Da rufen die Leute nicht mehr „Hosianna. Gelobt sei, der da kommt.“ Jetzt haben sie´s vérgessen, was sie gestern noch ausposaunt haben. Jetzt liegt ihnen der Schrei auf der Zunge: Weg mit dem! Schnell kann ein Hurra-Geschrei umkippen in ein: „Pfui dem Abweichler!“ Auf Menschenmassen ist kein Verlass. „Wir schaufeln das Grab in den Lüften“, heißt es in der Todesfuge des Juden Paul Celan über das Morden in Auschwitz.

Wie kommt es in diesem Fall zu der Abwendung von Jesus? Er, der „in niedern Hüllen“ erscheint, ist gleichwohl König. Er, dem die Leute Hosianna zugejubelt haben, und die ihn dann beseitigen lassen wollen, er sagt Ja zu der Frage des verantwortlichen Kommissars Pilatus. Bist du der Juden König? Er antwortet: Du sagst es. (Johannes 18,37). „Ach großer König, groß zu allen Zeiten!“ Er, der Hohe, ist in der Tiefe, und der in der Tiefe, der ist obenauf. Er ist wie ein „König ohne Land“, wie ein Kaiser als Bettler, aber so ist er an der Macht. Wer kann das verstehen? Die Menschen haben es damals jedenfalls nicht verstanden, wie sie auch nicht verstanden haben, dass darin sich als wahr erwies, was bereits im Buch Sacharja bekannt ist. Es lag wie eine Binde vor ihren Augen. Sie begriffen es nicht, obwohl es doch jener Prophet schon aussprach: Dein König kommt zu dir, arm. Spotten wir nicht über die Leute damals! Es gibt Zeiten, in denen wie in einer Pandemie Scharen von Menschen, ganze Völker solche Binde vor ihren Augen haben und die Wahrheit nicht sehen.

Doch es gibt für sie mit einem Mal eine erhellende Aufklärung. Davon redet unser Predigttext: „Solches verstanden seine Jünger zuvor nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.“ Es gibt Verschüttetes, über das kein Gras wächst. Es gibt Verborgenes, Dunkles, Unverstandenes – und „es kommt doch an die Sonnen“. Es lichtet sich. An Ostern gehen ihnen die Augen auf. Sie sehen, was ihnen ein Rätsel war:

Der König, ja, er ist wohl armselig, im Vergleich mit den Geldmächten und Machtmenschen dieser Welt – unddennoch, sagt er, ich bin ein König. Dieses „dennoch“ schlägt ein neues Buch auf. Er ist nicht widerlegt durch seine Hinrichtung. Der Sieg über den Tod des Lazarus liegt in seiner Hand. In dem vorhin angeführten Lied heißt es, was das bedeutet, dass zur Erholung der Menschen dieser König „in niedern Hüllen“ zu ihnen kommt: „O mächtger Herrscher ohne Heere, / gewaltger Kämpfer ohne Speere, / o Friedensfürst von großer Macht. …“ Er ist ein König von  anderer Art – das ist das Neue. Er steht quer zu dem, was in unsrer Welt gang und gäbe ist, er, der „Friedefürst“.

Er kommt dabei nicht aus eigenem Antrieb, kommt nicht im eigenen Namen daher. Er kommt „im Namen Gottes“. Und hier sehen wir, wer Gott ist und was Gott will, wir sehen es darin, dass er König ist in seiner Sympathie mit den Zurückgesetzten. Ein Held voll Leidenschaft für die Bedrängten, für die Verdrängten. Er unterschreibt den Titel des Buchs der Iranerin Gilda Sahebi: „Unser Schwert ist Liebe.“ Er ist stark in seiner Liebe. Mit gutem Grund kann er uns sagen: „Fürchte dich nicht. Dein König kommt.“ Sein Eintreten treibt die Furcht aus. Seine Liebe ist  grenzenlos. Kein geschlossener Schlagbaum hält sie auf. Sie ist so groß, dass ihm darin selbst der Tod keine Grenze setzt. Wie Jesus es gezeigt hat, als er Lazarus aus dem Grab ans Licht rief. Der Name „Lazarus“ heißt auf deutsch: Gott hilft. Wer in seiner Hand ist, der wird leben, auch wenn er stirbt.

 „Alle Welt läuft ihm nach“, so wird es am Ende unserer Geschichte gesagt. Bei all ihrer Blindheit, die Volksmenge, die ihm nachgelaufen ist, hatte doch so unrecht nicht. „Alle Welt“, dagegen können auch die Zweifler „nichts ausrichten“. „Alle Welt“, das meint ja mehr als die Leute damals. „Alle Welt“?  wie wörtlich dürfen wir das nehmen? Alle Welt!, nehmen wir es getrost wörtlich! Wer ist alles mit dabei? Alle. Das sehen wir bei weitem nicht. Aber wir sind eingeladen, uns dem verborgenen Aufmarsch anzuschließen, der mit Friedenspalmen durch die Zeiten geht. Auch in unserer Zeit. Von Jesus ist denen von vorgestern gesagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde. Tut wohl denen, die euch hassen“ (Matth 5,43f).

Schließen wir mit dem Gebet in dem Lied von Friedrich Rückert, von dem wir zu Anfang der Predigt hörten: „O komme du auch jetzt aufs neue / zu uns, die wir sind schwer verstört.“ „O lass dein Licht auf Erden siegen, / die Macht der Finsternis erliegen / und lösch der Zwietracht Glimmen aus, / dass wir, die Völker und die Thronen, / vereint als Brüder, Schwestern wohnen / in deines großen Vaters Haus.“ Amen.

Eberhard Busch

<ebusch@gwdg.de>

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