Johannes 12,12-19

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Johannes 12,12-19

 … das Eselchen des Herrn | Palmsonntag | 02.04.2023 | Joh 12, 12- 19 | Jochen Riepe |

                                                                                    I

Man muß nicht alles verstehen, nein,  und  ‚Alles-Versteher‘ verstehe ich überhaupt nicht. Es gibt Ereignisse, Bilder, Texte, die trotz langer Vertrautheit  ein dunkler Schatten begleitet: Der König Israels auf einem ‚Eselchen‘*– klingt herzig, gewiß. Johannes schreibt: ‚und seine Jünger verstanden es zuerst nicht‘. Ich glaube, ich möchte mich zu ihnen stellen.

 eure Wege sind nicht meine Wege…‘ (Jes 55,8), lese ich beim  Propheten Jesaja.

                                                                                   II

Rollenwechsel: Die Queen als ‚Bondgirl‘**. 2012 anläßlich der Eröffnungsfeier der Olympiade von London spielte Elisabeth II in einem Actionfilm mit. Bond persönlich holte sie von Buckingham Palace ab, ein Hubschrauber stieg mit ihnen auf. Dann geschah es: Die Türen öffneten sich, beide sprangen über dem Stadion mit dem Fallschirm ab. Alles jubelte: ‚God save the queen‘.

‚Einzug der Königin‘ – von ganz oben. Händel schrieb die Musik dazu. Wer das höchste Amt innehat, soll ernst sein, würdig, der Beste: ‚Ein Gerechter und ein Helfer‘ (Sach 9,9). Allen gegenüber gleich nah und fern. Erwartungen und Träume umgeben ihn. Er soll für Frieden und Wohlstand sorgen. Im Herrscher, im ‚hohen Beruf‘***,  sieht das Volk ‚sein erhöhtes Wunschbild, in dessen Anblick es hoch leben… kann‘. Der Leib des Regenten darf nicht berührt werden. Eine Königin ist unantastbar, so  wie das Volk selbst.

                                                                                  III

Jerusalem. Noch ein König… noch ein Volk. Kommt ihr mit? Das Passahfest steht vor der Tür. Das Fest der Freiheit. Die Tempelsänger grüßen: ‚Hosanna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn‘. Einem der Pilger, ein ‚Prophet‘ aus Galiläa, rufen die Menschen zu und ‚erheben‘ ihn, ihn, der doch ‚von oben‘(3,31) kommt: Jesus von Nazareth. Palmwedel werden geschwungen zu Ehren des ‚Königs Israels‘. Hatte er nicht durch seine Taten, seine ‚Zeichen und Wunder‘(4,48), bewiesen: ‚Ich bringe Heil und Leben‘.

Ja, ‚die Menge‘. Besonders Behörden haben gemischte Gefühle angesichts ungebändigter Versammlungen. Was brodelt in den Menschen? Welche Hoffnungen, welche Erinnerungen! Sind Fanatiker, Abenteurer, Gewaltbereite dabei? ‚Trunkene Lust‘: Wie schnell kann die Feststimmung umschlagen und aus der Erhebung des einen ein Aufstand der vielen werden! Nach der Speisung der Fünftausend wollte man Jesus schon einmal zum ‚König‘(6,15) machen. Damals ‚entwich‘ er. Heute aber ‚kommen‘ sie ihm machtvoll ‚entgegen‘, und er, er kann nicht ausweichen. Läßt der Gottgesandte sich in den Hinterhalt menschlicher Wünsche ziehen? Kann das Volk in ihm ‚hochleben‘? Ein Reich ‚Israel‘ gibt es doch schon lange nicht mehr.

                                                                            IV

Jesus aber fand ein Eselchen und ritt darauf‘. Das bekannte überlieferte Bild vom Palmsonntag erfährt eine merkwürdige Über- oder Untertreibung. Johannes geht ja oft ‚spielerisch‘ mit seinen Vorlagen um und bringt so eigene Akzente. In seinem Bericht sitzt Jesus nun einem ‚Esel–chen‘ auf, ein Tier vielleicht ähnlich einem sog. ‚Mini-Esel‘. Der Leser kann das ‚-chen‘ ignorieren, er kann aber auch hängenbleiben und unruhig werden: Will ich, kann ich in diese unwirkliche Szene eintreten? Kann ich das ‚ertragen‘(16,12) und Jesus dabei zusehen? Das Volk jubelt und streut Palmen, und der Evangelist verkleinert das königliche Reittier. Sein Herrscher zieht wenig feierlich auf wackligen Beinen ein. Ja, ‚was für ein Bild‘ (K. Wengst)!

‚Das ist doch Phantasie‘, mögen wir denken, oder ein Ableger der berühmten johanneischen Ironie****, die die Passah-Königs-Erhebung des Wanderpredigers zum skurrilen Eselchen-Einzug macht. Ein Narrenzug. Ich weiß nicht, ob Jesus selbst eine literarische Sponti-Posse auf die Mächtigen, die auf ihren ‚Rossen dahinfliegen‘ (Jes 30,16), gutgeheißen hätte. Kann man solch einen ‚Narrenkönig‘ auf dem Tier der Armen ehren, ja, lieben? Wir wissen, daß in anderen Gegenden dieser Welt, sehr empfindsam, wenn nicht gewaltsam, auf die Verspottung ihrer höchsten Güter, ihrer Könige, Götter, Helden, Stifter  reagiert wird.

                                                                               V

Gewiß, ‚nichts Menschliches ist uns fremd‘… aber ‚Göttliches‘, das sich karikiert… vielleicht hat die Menge den König trunken gemacht, vielleicht hat der, ‚der im Himmel wohnt‘, mit-‚gelacht‘(Ps 2,4). Es muß doch hinter dem Eselchen-Spiel des Evangelisten ein ernstes Anliegen stecken. Aus einem guten ‚Witz‘ entspringt Geist, Esprit.

Elisabeth II hat sie vor aller Welt gewagt: die königliche Selbstironie. Keine Staatskarosse, kein 8-Spänner vor einer prächtigen Kutsche, sondern ein Fallschirm. Etwa nach der Regel: ‚Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, der ist gewiß nicht von den Besten‘ (J.W. v. Goethe).  Natürlich: Sie konnte es sich nach einer langen Regierungszeit leisten. Die Briten liebten ihren Humor, und wenn es natürlich ein Double war, das mit dem Fallschirm sprang – die ‚Als-ob-Szene‘ hat der Popularität der Frau entsprochen.

Rollenwechsel, ja, so etwas wie ‚aus der Rolle fallen‘, eben: Selbstironie, Entäußerung, kann ja der riskieren, der weiß: Ich selbst nehme mich ernst und weiß, wer ich bin, und woher ich komme. ‚Ich bin‘s…‘ sagt Jesus wenig später den Soldaten (18,5), und die ‚wichen zurück und fielen zu Boden‘. Selbstachtung hat etwas Machtvolles, Entwaffnendes, ja, gleichsam einen hoheitlichen Überschuß. Wir, die kleinen ‚Kings‘, setzen in der Regel als erstes: Gesicht wahren, Image pflegen, keine Blöße geben, immer ernst, gefaßt, mitunter rechthaberisch die Stellung  halten … immer hoch zu Roß.

                                                                                VI

Aber das lernt ja der, der dem Jesus des Johannesevangeliums lesend folgt: Es gibt eine Lebendigkeit, ein ‚Von-oben-sein‘(3,31), ein ‚hoch leben in Gott‘, eine ‚Selbstachtung‘ in ‚Demut‘  (Sir 10,31), die geradezu dahin drängt, ‚im unten‘ sich zu entfalten, von dort zu blicken und befreiend zu wirken: ‚Das Wort wurde Fleisch…‘ und ‚…ritt auf einem Eselchen‘. Von Gott kommend, nahe bei den Menschen, aber nicht ihren Wünschen untertan. Mag die entgegen kommende Menge in der Feststimmung, geladen mit Phantasien und politischen Illusionen, Jesus zum ‚König Israels‘ erheben –  er füllt den Titel  auf seine Weise mit einer eigen-, ja ‚un-sinnigen‘ Handlung, die die Erwartungen ‚ver-stört‘, ihnen Einhalt gebietet und das eigentliche Königtum freilegt: ‚Ich bin’s…‘, ‚Ich bin ein König; ich bin dazu … in die Welt gekommen, die Wahrheit zu bezeugen‘(18,37).

‚Der königliche Mensch‘: ‚Welch ein Bild!‘, das der Evangelist uns vor Augen malt. Ein ‚Eselchen … ein Grauchen‘, rufen die Kinder, ‚niedlich … Komm doch mit!‘  Zum Lachen für die einen, und anderen wird es wehgetan haben. Seht nur: ‚der König der Juden‘(19, 19), wie er sich kleinmacht und selbst ‚erniedrigt‘(Phil 2,8). Was den einen ihr Spott, ist den anderen Enttäuschung, Verbitterung. Menschen, deren Held, deren Größentraum nun in einem kläglichen Bild gespiegelt wird, können gefährlich abstürzen. ‚Er verläßt uns, er will uns nicht und macht uns lächerlich‘ – Schafe, die den ‚guten Hirten‘ als ‚Mietling‘ (10,13) erfahren, der die Bedürfnisse seiner Herde nicht ernst nimmt. Was aus unerfüllter, zurückgewiesener oder gar ironisierter Liebe und Bewunderung wird, kann man beim Psychologen lernen.

Ob der Evangelist mit seinem Eselchen-Spiel darauf hinauswollte? Schon jetzt in diesem surrealen Zug all die Tiefen und Untiefen andeuten, in die hinein er geraten wird. ‚Alle Welt läuft ihm nach‘, klagen die Pharisäer. ‚Weg, weg mit dem…‘ (19,15), wird es bald heißen. Die Karwoche, die Woche des Abstiegs, kann beginnen…

                                                                               VII

Wie gut, daß in der Mitte der Geschichte der Satz steht: ‚das verstanden seine Jünger zuerst nicht‘. Der dunkle Schatten vom Anfang. Sie stehen an einer Grenze, einer unruhigen Grenze, und ich habe mich dazu gestellt. Nichtverstehen, Nichtmehrdurchblicken, Falschverstehen… Die ‚Eselei‘ wird ja sehr schmerzlich enden. ‚Ehre von den Menschen nehme ich nicht an‘ (5,41), aber ihre Schläge… Die Queen mit Fallschirm wurde gedoubelt. Ihr Leib ist unantastbar – um Himmels willen: Niemals ihr von sich aus die Hand reichen oder sie gar umarmen! Er aber stand mit Leib und Leben für sein Königtum der Wahrheit ein.

Die Jünger fanden später beim Propheten Sacharja den Satz: ‚Freue dich, du Tochter Zion, denn siehe dein König kommt, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, dem Füllen der Eselin‘ (9,9). Im Nachhinein, nach Ostern, gingen ihnen die Augen auf. Sein Ritt auf dem Tierlein der Armen war die Erfüllung des einst Angekündigten. Eine Art Aha-Erlebnis. Die einen beruhigen sich dabei, andere bleiben skeptisch. In jedem Verstehen liegt immer auch neues Nicht-Verstehen. ‚An jenem Tag‘, sagt Jesus in den Abschiedsreden  ‚werdet ihr mich nichts mehr fragen‘(16,23).

                                                                             VIII

‚Dein König kommt in niedern Hüllen‘ (eg 14). Der Beste. Komm doch mit und grüße ihn! Hoheit im Leiden. ‚Hoch leben‘ und froh werden im Bild des Gekreuzigten. Menschlicher Gewalt unterworfen, zerbrechlich und doch auf Gottes Seite. Einen gekreuzigten Esel kritzelte ein Römer an die Wand: ‚Seht den Menschen‘, seht den Gott der Christen. ‚Unwürdig und unanständig‘, spotteten die Heiden.

Eure Gedanken sind nicht meine Gedanken‘, Gottes Wege sind nicht unsere Wege, und wer seinen Wegen nachgehen will, kann dahin geführt werden, ‚wohin du nicht willst‘ (21, 18).

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(Gebet nach der Predigt:)

Lieber Vater im Himmel, deine Gedanken sind nicht unsere Gedanken, deine Wege sind nicht unsere Wege. ‚Stärke uns, dein Leiden zu bedenken‘. ‚Gib uns ein hörendes Herz‘. Leite du uns auf den Weg Jesu, den Weg des Friedens. Gib uns deinen Geist, der uns das Wort erschließt. Hilf uns, Dunkles und Unverständliches zu ertragen und schenke uns zu deiner Zeit das Osterlicht des Verstehens.

Lieder: Dein König kommt in niedern Hüllen (eg 14); Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken (eg 91); Ich will hier bei dir stehen (eg 85,6); Meine engen Grenzen (eg 600); Korn, das in die Erde (eg 98); https://www.youtube.com/watch?v=BP9HPxZ-y8M (Orgelimprovisation); Behutsam will ich dir begegnen (E. Bücken, Th. Quast, Ruhama Liederbuch 27)

*K. Wengst, Das Johannesevangelium (2), 2007, S. 31: ‚Was für ein Bild! Der König auf einem Eselchen‘. H. Thyen, Das Johannesevangelium, 2005, S. 555  **‘Happy and glorious‘ (Kurzfilm von D. Boyle; zum Soundtrack gehört G.F. Händels ‚Einzug der Königin von Saba‘, 1748 (HWV 67) ***Th. Mann, Königliche Hoheit (1909), 1960, S.159 ****K. Scholtissek, ‚Ihr versteht nichts‘ (11,49). Ironie und Rollenwechsel im Johannesevangelium in: ders., Textwelt und Theologie des Johannesevangeliums, 2021, S. 349ff

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