Matthäus 21,1-9

Matthäus 21,1-9

Palmarum | 02.04.2023 | Mt 21,1-9 | Leise Christensen |

Wenn man irgendeine Zeitung in die Hand nimmt und darin liest, wird man sehen, dass die Welt in den letzten Wochen von neuen Problemen im Kongo gelesen hat, schreckliche Szenen des Massakers in Bahkmut, man hat gehört vom Erdbeben in der Türkei und in Syrien, man hat erschütternde Szenen an den Grenzen verschiedener Länder gesehen, wo Menschen entweder einreisen wollen oder ausreisen aus gefährlichen oder armen Ländern, man hat gehört von kenternden Booten auf dem Mittelmehr, und ja, dann sind da auch die längst vergessenen aber noch immer stattfindenden Kriege in fernen Gegenden der Welt und vieles mehr. Wir müssen einsehen, da sind keine Grenzen für all die Schrecken, die ganz gewöhnliche Menschen in zufälligen Städten und Ländern heimsuchen.

    Heute ist Palmarum, so nennt man den Tag am Eingang zur stillen Woche, wie man die ersten Tage der Osterwoche nennt. Die stillen Tage. Die Tage, wo es an der Zeit ist, in sich zu gehen. Am Beginn der stillen Woche kommt Jesus auf einem Esel reitend nach Jerusalem, den langsamen, starken und unerschütterlichen Esel, der immer die Ankunft des Königs im antiken Orient symbolisiert hat. Sanftmütig kam er, wie es heißt. In den stillen Tagen sollen wir bedenken, was das bedeutet. Es ist ein großer Unterschied, ob man donnernd mit Tod und Zerstörung in modernen Kriegsmaschinen kommt oder ob man ganz langsam und sanftmütig mit der Kraft eines Esels kommt. Wie Jesus. Es gibt viele Wege, wie man Macht in der Gesellschaft erlangt, damals wie heute, um die beiden Extreme zu nennen: Mit Machtanwendung und Bomben und – wahrhaftig – mit Sanftmut. Viele hatten wohl gehofft, dass Jesus mit seinen besonderen Fähigkeiten, mit denen er Wasser in Wein verwandeln und tausende Menschen mit fünf Broten und zwei fischen sättigen und dazu alle Krankheiten und Gebrechen heilen konnte, die verhasste römische Besatzungsmacht verjagen, für ordentliche Verhältnisse sorgen konnte und für ordentliche Menschen in Jerusalem, und dass er überhaupt ein König sein würde, der dieses Titels würdig ist. Man hatte vielleicht gehofft, dass er mit einer etwas größeren Kraft kommen würde als mit einem Esel, vielleicht mit ein paar Raketen in den Satteltaschen oder jedenfalls mit großer göttlicher Kraft und Stärke und etwas weniger mit Sanftmut. Ja, man hatte gehofft, wenn er nun als König kommen würde auf einem Esel (das ist also kein demütiges Tier), so wie alle früheren Könige in der Geschichte Israels, dann könnte er sich wohl auch wie ein König verhalten und alle Probleme lösen. Dass er die Anliegen und die Sache der Nation wahrnehmen würde. So wie man heute seine Interessen dadurch wahrnimmt, dass man Raketen abschießt, zufällige Menschen überfährt, oder mit Flugzeugen Bomben abwirft. Damals wie heute wollte man seine Anliegen sofort erledigen, man verlangte schnelle Veränderungen. Man wollte seinen Willen durchsetzen. So schnell wie möglich. Deshalb reif man damals Hosianna, als Jesus auf seinem friedlichen Esel in die Stadt ritt. „Hosianna“ bedeutet ganz einfach: „So erlöse uns doch. So errette uns doch!“ Sie sahen, dass Jesus König war, der erwartete König, der die Prophezeiung erfüllte.

     Aber es verhält sich anders mit Jesus. Er kommt nicht schnell mit einem Flugzeug, mit Giftgasbomben oder Ungeheuerlichkeiten. Er kommt langsam. Ohne Waffen. Sanftmütig. Und es dauert eine Zeit, bis sein Reich kommt, es kann nicht herbeigebombt oder erkämpft werden. Nun ist es sicher nicht so, dass hier in der Kirche heute Leute sind, die ihre Ziele durch grobe Gewalt durchsetzen wollen. Oder durch Raketen oder was auch immer. Da gibt es viele Beispiele. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir das alle in uns haben. Die Fähigkeit, anderen wehzutun. Die Fähigkeit, andere zu verletzen. Die Fähigkeit, uns selbst vor anderen in den Vordergrund zu stellen. Die Fähigkeit, das zu tun, was wir am liebsten wollen ganz gleich was andere brauchen oder wünschen. Die Fähigkeit, gegen die Gemeinschaft oder die Liebe zu handeln. Die Fähigkeit zu glauben, dass eben das, was ich persönlich will, das Beste ist für alle – in Wirklichkeit vielleicht der Traum oder Ausgangspunkt aller Diktatoren, dieser Gedanke, dass das ja nicht etwas ist, was ich für mich selbst tue, es ist für das Volk, die wissen es nur noch nicht. „Wenn ich gerade diese etwas brutale Tat begangen habe, wird es sicher wieder gut werden“, versichert der absolute Herrscher sich selbst und anderen. Das Gute und das Böse kämpfen überall einen ständigen Kampf, vor allem vielleicht in uns selbst. In jedem einzelnen von uns. Diese Erkenntnis kommt langsam zu uns an diesem Tag in Jerusalem mit dem Mann, der auf dem Esel reitet. Das Reich, mit dem er kommt, kann nicht herbeigebombt werden, es kommt von innen, von den Samen, die er in uns gesät hat. Die Samen, die von der Sehnsucht handeln, die wir auch haben, nach Frieden und Liebe, die Hoffnung, die wir auf Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit haben, der Glaube, den wir daran haben, dass die geschaffene Welt trotz all dem, was das Gegenteil zu beweisen scheint, gut ist, weil sie von Gott gewollt ist, der Gedanke, das auch die Sanftmut einen Wert hat. Das Reich Jesu ist nicht von dieser Welt und hat nichts mit dem Getümmel dieser Welt zu tun. Der Friede, mit dem er kommt, ist nicht notwendigerweise ein Friede für die Welt, ein Friede in der Welt oder ein Friede für die Tyrannen dieser Welt. Wir können ja nur uns in dieser unserer so unruhigen Welt umschauen, und das, was wir sehen, wird uns bestätigen, dass der Friede noch keine Realität ist, wenn damit gemeint ist eine Welt ohne Macht der Waffen, eine Welt ohne Übergriffe, ohne Unterdrückung und den Dämon des Hungers. Darum nein, das war nicht der Friede, mit dem Jesus kam bei seinem Einzug in Jerusalem. Das war vielmehr ein Friede für jeden einzelnen Menschen. Ja, ja, denken wir vielleicht, was in aller Welt sollen wir damit heutzutage anfangen? In einer Welt voller Probleme und Streit sowohl draußen in der Welt als auch bei uns selbst daheim. Hier sitzen wir viel beschäftigt in einem Alltag, wo Sanftmut auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade gefragt ist, wo vielmehr Dinge wie Effektivität, Initiative, Schnelligkeit und eine gewisse Portion Übermut und Kaltblütigkeit die Tugenden sind, auf die man Wert legt. Stellt euch eine Bewerbung vor, wo der Bewerber schreibt, dass er sehr sanftmütig ist. Wir wissen sehr gut, wie das endet. Und dann kann er noch so viel sagen, dass er König ist, das ist dem Arbeitgeber wohl ganz egal. Hier sitzen wir in einer Welt voll von Krieg, Not, Tod und Zerstörung, und da redet man nur von Sanftmut und von einem Frieden, der nicht von dieser Welt ist, sondern zum Reich Gottes gehört. Was sollen wir mit einem solchen unhandgreiflichen Frieden anfangen?

   Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich: Damit können wir alles anfangen! Der Friede Gottes ist keine politische Größe, die mit milder Hand über den Südsudan, die Ukraine, Damaskus oder Jerusalem ausgestreut werden kann. Der Friede Gottes bezieht sich auf das Innere des einzelnen Menschen. Der Friede Gottes ist das, was dem Menschen geschenkt wird, so dass wir trotz allem Hoffnung im Leben sehen können. Gottes Friede ist das, was uns wieder aufhilft, wenn wir gefallen sind und wenn wir meinen, dass wir nicht mehr weiterkönnen. Gottes Friede ist das, was uns Kräfte gibt, gegen all die Neigungen zu kämpfen, die uns daran hindern, es gut mit unserem Mitmenschen zu meinen. Solange die Welt besteht wird uns das Wort Gottes von einer lebendigen, wachsen Wirklichkeit erzählen, die Gott in uns gesät hat. Gottes Wort – in der Gestalt des Mannes auf einem Esel – bringt Trost für die, die Angst haben, Hoffnung für die Gefangenen und Gemeinschaft für die Einsamen. Gott will wiederaufrichten. Als lebendiges Wort hat Gott in allen Gestalten gewirkt. Er ist den Menschen gefolgt in die Grenzen des Daseins mit seinem Frieden. Er ist mitgegangen i die tiefste Finsternis und hat dort Licht gebracht (davon hören wir in den kommenden Tagen), so wie er im schlimmsten Sturm an uns festgehalten hat. Das ist der Friede, mit dem Jesus an diesem Tag nach Jerusalem kam, das ist der Friede, mit dem er heute zu uns kommt, das ist der Friede, den er unseren Kindern in der Taufe schenkt und in jedem Gottesdienst, wenn wir das Abendmahl feiern. Da wiederholen wir den Ruf aus Jerusalem: Hosianna, befreie uns. All dies tut er, auch wenn wir oft etwas anderes wünschen, und das tut er, damit wir trotz allem den Mut haben, hinauszugehen und unser Leben zu leben – für den Nächsten und uns selbst. Amen.

Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

Email: lec(at)km.dk

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