Johannes 1,29-34

Johannes 1,29-34

Wegweiser | 1. Sonntag nach Epiphanias | 08.01.2023 | Joh 1,29-34 | Silja Keller |

Der erste Zeuge

„Hört, seht, wir verkünden euch grosse Freude“ haben die Engel an Weihnachten gerufen. Sie haben bezeugt, dass etwas Ausserordentliches geschah.

Bezeugen – Ohne Zeuginnen und Zeugen, kann niemand verurteilt werden. Ohne Zeuginnen und Zeugen erfahren wir weder von den schlimmsten noch von den grossartigsten Dingen, die auf dieser Welt geschehen. Sie weisen uns auf das hin, was wahr, was wichtig und bemerkenswert ist. Sie stehen für ihre Wahrheit ein und vermögen andere zu überzeugen. Wart ihr auch schon Zeugen oder Zeuginnen von etwas Besonderem? Welche Ereignisse, Begegnungen oder Gedanken haben euch so sehr bewegt, dass ihr nicht anders konntet, als sie weiterzuerzählen?

Im heutigen Abschnitt aus dem Johannesevangelium begegnet uns ein Mensch, der wohl einer der wichtigsten Zeugen für uns Christinnen und Christen überhaupt war. – Johannes.

Ich lese aus Johannes 1, die Verse 29-34:

29Am nächsten Tag sieht Johannes Jesus zu sich kommen. Da sagt er: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes. Es nimmt die Sünde dieser Welt weg!30Diesen habe ich gemeint, als ich sagte: ›Nach mir kommt ein Mann, der mir immer schon voraus ist. Denn lange vor mir war er schon da.‹31Auch ich wusste nicht, wer er ist. Aber damit er dem Volk Israel bekannt wird, bin ich gekommen und taufe mit Wasser.«32Weiter bezeugte Johannes: »Ich sah die Geistkraft Gottes wie eine Taube vom Himmel herabkommen und bei ihm bleiben.33Auch ich wusste nicht, wer er ist. Aber Gott, der mich beauftragt hat, mit Wasser zu taufen, hat zu mir gesagt: ›Der, auf den du die Geistkraft herabkommen und bei ihm bleiben siehst – der ist es. Er tauft mit der Heiligen Geistkraft.‹34Ich habe es gesehen und kann bezeugen: Er ist der Sohn Gottes.«

 Johannes bezeugt Jesus. Jesus steht noch ganz am Anfang seines Wirkens, doch der Johannes des Johannesevangeliums weiss schon um sein Ende: «Er ist das Lamm Gottes», sagt er und «Er ist Gottes Sohn». Damit hat er alles Wichtige, was es über Jesus zu sagen gibt gesagt.

Aber was heisst das denn: Lamm Gottes und Sohn Gottes? Welche Bilder kommen in euch hoch, wenn ihr diese Worte hört? Was bedeuten sie euch?

Ich könnte euch nun einen hochtheologischen Vortrag halten und euch in die Bedeutung und Wirkungsgeschichte dieser beiden Bezeichnungen für Jesus einführen. Aber eigentlich interessiert mich viel mehr, wie wir Lamm Gottes und Sohn Gottes ins Heute übersetzen können. Dazu lade ich euch ein, mit mir auf eine Gedankenreise zu kommen.

Wegweiser

Bei gleissendem Sonnenschein steigen wir im Wassertal aus dem Postauto aus. Ausgerüstet sind wir mit guten, wasserdichten Schuhen. Die einen tragen kratzigen Wollpullover oder Schals, andere haben sich in weiche Daunenjacken und Handschuhe gehüllt. Die Rucksäcke sind leicht – unsere Schneewanderung zur Hütte auf dem Lämmliberg sollte nicht allzu lange dauern. Gleich bei der Bushaltestelle finden wir den ersten Wegweiser. Orange sticht er gegen das weiss des Winterwaldes hervor. – Lämmliberg 3h steht da. Vergnügt plaudernd machen wir uns an den Aufstieg. Die klare Bergluft brennt in unseren Lungen und unter uns knirscht der Schnee. Wir kommen gut voran, unsere Gespräche sind so spannend, dass wir uns wenig auf das Wetter und den Weg achten.

Plötzlich platschen schwere Regentropfen auf uns nieder, ein Sturm kommt auf. «Wir müssen weiter!» ruft jemand, «Die Hütte ist näher als das Tal.» Der gerade noch glitzernde Schnee verwandelt sich in Schlamm. Der Weg wird glitschig, jemand rutscht aus und stösst hart auf dem Boden auf und dann reisst eine starke Böe die Wanderkarte weg. In diesem Sturm funktionieren auch die GPs unserer Handys nicht mehr. Der Weg ist immer schlechter auszumachen und bald haben wir uns heillos verirrt. Wir frieren, versuchen vergeblich unsere Handys in Betrieb zu nehmen und die Hütte zu finden – vergeblich.

Plötzlich taucht vor uns eine Gestalt auf. Sie ist ganz in orange Schutzkleidung gehüllt und zwischen einem buschigen Bart und einer Wollmütze blitzen zwei freundliche Augen hervor. «Was macht ihr denn hier, mitten im Sturm?» fragt er. «Kommt, die Hütte ist nicht weit, ich zeige euch den Weg.» Wir sind unendlich dankbar. Wer weiss, was in diesem Sturm noch hätte passieren können. John, so heisst unser Retter, bringt uns sicheren Schritts zu einer hell erleuchteten Berghütte. «Da sind wir. Willkommen auf dem Lämmliberg!».

 

Hüttenzauber

Die Fenster der Hütte blinken goldig und aus dem Kamin steigt Rauch. Erleichterung macht sich breit – wir haben Schutz gefunden, wir gingen nicht verloren. Ich reisse die Hüttentür auf – keinen Moment möchte ich mehr in dieser nassen Kälte ausharren. Da stoppt mich John. Er deutet auf einen Brunnen an der Hauswand. Bevor ihr eintretet, wäscht euch bitte die schmutzigen Schuhe. Thea, die Hüttenwartin, möchte, dass die Hütte weiterhin heimelig und sauber bleibt.

Ich schaue an mir herunter. Erst jetzt fällt mir auf, wieviel Schlamm und Schmutz sich an meinen Schuhen gesammelt hat. Ich drehe den Hahn auf und bin überrascht, dass das Wasser angenehm warm in den Brunnen spritzt. Der harte Strahl wäscht alles weg. Ganze Schlammbrocken fliessen in und durch den Brunnen ab und bald glänzen meine Schuhe so knallig rot, wie an dem Tag, an dem ich sie gekauft habe. Alles fühlt sich plötzlich so leicht an. Bald sind alle von Schlamm und Schmutz befreit.

In diesem Moment öffnet sich die Türe. Eine mollige, strahlende Frau mit Backschürze empfängt uns mit dem wärmsten Lächeln, das ich je gesehen habe. «Willkommen zu Hause, meine Kinder! Kommt herein! Wärmt euch auf. Hier seid ihr sicher.» Sie führt uns vor ein prasselndes Feuer, wo ein reich gedeckter Tisch mit Brot, Wein und vielen anderen Leckereien steht –. «Hier das ist für euch. Esst und trinkt und lasst es euch wohlergehen.», sagt sie. Als ich in das knusprige Brot beisse und mir der warme Wein die Kehle herunterrinnt, bin ich im Himmel. Thea lacht und niemand von uns möchte in diesem Moment an einem anderen Ort sein als hier.

 

Kinder Gottes

John, ein Mann in oranger Schutzkleidung weist uns den Weg, wo ein Brunnen und Thea auf uns warten. Johannes, der Täufer, sagt zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes. Es nimmt die Sünde dieser Welt weg!30Diesen habe ich gemeint, als ich sagte: ›Nach mir kommt ein Mann, der mir immer schon voraus ist. Denn lange vor mir war er schon da.‹31Auch ich wusste nicht, wer er ist. Aber damit er dem Volk Israel bekannt wird, bin ich gekommen und taufe mit Wasser.« John und Johannes sind die Wegweiser, die uns den Weg zeigen. Sie sind Zeugen von einer anderen Wirklichkeit. John weist zur Hütte, zum Brunnen und Thea. Johannes weisst zu Jesus, dem Lamm Gottes, dem lebendigen Wasser, Gottes Sohn, dem Brot des Lebens.

Lamm Gottes, da ist der Ausdruck wieder. In Israel wurden früher Lämmer am Passafest geschlachtet. Sie erinnerten daran, dass Gott das Volk Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit hat. Ihr Blut am Türpfosten der Israeliten schützte sie vor dem Todesengel, der durch ihr Lager ging. Einige Jahrhunderte später stirbt Jesus zur gleichen Zeit, wie die Passalämmer geschlachtet werden. Deshalb wird sein Tod traditionell als Opfer für unsere Sünden gedeutet.

Diese Opfertheologie ist mir eher fremd. Ich will nicht, dass jemand für meine Schuld sterben muss und hoffe auch, dass mein Gott dies von niemandem verlangt. Was mir aber viel mehr einleuchtet, ist die Art und Weise, wie Jesus dem Tod entgegentritt. Er stirbt wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird. Er bleibt da, wehrt sich nicht, hält mit uns auch die grässlichsten Leiden aus.

Sein Da-Sein, trotz allem Schlamm, den wir mitbringen, allem, was wir falsch gemacht haben, und trotz aller widriger, stürmischer Umstände, befreit. Es macht uns leichter. Jesus kennt unser Leiden, er, das lebendige Wasser, wird schmutzig, wie wir. Er leidet, wie ein Opferlamm, damit wir in unserem Leiden nicht allein sind, damit der Todesengel nicht das letzte Wort hat. Und so trägt das Lamm unsere Schuld, Angst und Verzweiflung fort, wie das warme Wasser des Hüttenbrunnens.

Jesus ist die Präsenz Gottes bei uns Menschen. In ihm wohnt die Geistkraft Gottes – seine Himmelskraft. Dadurch ist er der Sohn Gottes. Ein Mensch, der ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Gott hat. Und diese Kraft schenkt er uns weiter. Er tauft uns mit seinem Geist.

Und er isst und trinkt mit uns, schenkt sich uns im Brot und Wein und nennt uns Brüder und Schwestern. Das macht uns selbst zu Gottes Kindern. Zu Kindern Theas oder Theos – griechisch für „Gott“. Und so gehören wir zu Gottes erweiterter Familie, das Volk Israel, zu denen Johannes und Jesus gehören und nun auch wir Christinnen und Christen sind eingeladen an den grossen, weiten Tisch Gottes.

Zeug*innen sein

Johannes wusste nicht, wer der sein wird, den er bezeugen soll. Aber Gott hat ihm in einer Vision gezeigt, dass es Jesus ist:

»Ich sah den Geist Gottes wie eine Taube vom Himmel herabkommen und bei ihm bleiben.33Auch ich wusste nicht, wer er ist. Aber Gott, der mich beauftragt hat, mit Wasser zu taufen, hat zu mir gesagt: ›Der, auf den du den Geist herabkommen und bei ihm bleiben siehst – der ist es. Er tauft mit dem Heiligen Geist.‹34Ich habe es gesehen und kann bezeugen: Er ist der Sohn Gottes.«

Ohne Johannes hätten wir Christinnen und Christen den Weg zu Jesus nicht gefunden. Dank Jesus dürfen wir Kinder des Gottes Israels sein.

Wenn wir mitten im Sturm um den Tisch Gottes sitzen, Brot und Wein teilen, aufatmen; wenn wir durch Jesus, das lebendige Wasser, erfrischt und begeistert werden, dann bezeugen wir ihn. Wir bezeugen, dass Jesus Gottes Sohn ist und wir seine Geschwister. Wir bezeugen, dass der Todesengel nicht das letzte Wort hat und Gott uns und alle, die möchten, willkommen heisst. Und so werden auch wir zu Wegbereitern im orangen Schutzanzug, die im Sturm ruhig bleiben und den Weg zur Hütte weisen.

Amen

Der Gottesdienst wird mit Abendmahl gefeiert.

Pfrn. Silja Keller

Fehraltorf

silja.keller@kirche-fehraltorf.ch

Silja Keller, geb. 1990. Seit 2021 tätig als Pfarrerin der Zürcher Kantonalkirche in Fehraltorf mit Schwerpunkt Jugend und Familie.

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