Johannes 1,35-51

Johannes 1,35-51

Nazareth? Von der Skepsis zum Glauben | 5. So. n. Trinitatis | 09.07.2023 | Jo 1,35-51 | Berthold W. Haerter |

Liebe Gemeinde

  1. In Nazareth war nie viel los

«In Nazareth war nie viel los,

doch heute ist der Trubel gross.

Man reckt die Hälse, steht auf Zehen

Nur um den Mann aus Rom zu sehen.

Der unterdessen blickt gelassen

Rings um sich auf die Menschenmassen

Und ruft dann laut: «Seid doch mal leiser,

ich habe ein Gebot vom Kaiser!»

So beginnt eine Nachdichtung der Weihnachtsgeschichte. (Johannes Berthold: In Nazareth war nie viel los, Berlin/Ost 1988, p 6)

Der Dichter beschreibt, was die Bibel über Nazareth bestätigt:

Nazareth ist ein Dorf im Nirgendwo, in welchem Maria und Joseph leben.

An keiner Handelsstrasse gelegen, lebten zurzeit Jesu hier ein paar Bauern- und Handwerkerfamilien, einfache Leute, von deren Leben Jesus später, in seinen Gleichnissen, erzählen wird.

Nazareth ist genauso weit von der Hauptstadt Jerusalem entfernt, wie Oberrieden von Bundes – Bern.

Wenn man in Bern unseren Ort erwähnt, werden die meisten wohl nachfragen:

«Wie bitte, Oberrieden, wo ist das?»

Kaum einer wird sich an die 250-jährige Geschichte unseres Dorfes erinnern, wie wir es gerade tun.

Gut kann ich mir vorstellen, dass auch dort jemand sagt. Was soll aus diesem Nest schon Spannendes kommen.

Und auch die Schweizer Fussballlegenden, die am Donnerstag hier gespielt haben, werden unseren Ort wohl erst gegoogelt haben, um ihn zu finden.

Das Johannesevangelium teilt uns in seinen Texten indirekt und direkt viel mehr mit, als man zunächst meint.

Umso mehr man Bibelkunde, historische – wie Religionswissenschaften studiert, umso spannender wird es.

Ich kann heute nur auf Weniges eingehen.

Sicherlich ergäbe dieser Text mehrere Predigten.

Als Logiker fühle ich mich mit Natanael verbunden, und ich beschäftige mich gern mit Fakten und Orten.

Von diesen Orten werden hier einige genannt.

Johannes legt offenbar Wert darauf.

Genau deshalb haben wir ihnen eine Landkarte abgedruckt, die Israel mit den Orten zeigt, die zurzeit Jesu wichtig waren bzw. wurden.

Schauen wir einmal auf diese Landkarte.

Sie sehen Israel am Mittelmeer gelegen.

Sie sehen unten, am Kartenrand, das Tote Meer.

Am oberen Rand des Toten Meeres links, also westlich, ist die Hauptstadt Jerusalem.

Wenn Sie auf gerader Linie von Jerusalem Richtung Norden gehen, oberhalb der Grenze zu Galiläa, steht der Name Nazareth.

Für uns hat es heute Bedeutung, damals war es ein verschlafenes Nest.

Rechts davon sehen die den See Genezareth, hier mit «Galiläisches Meer» bezeichnet.

Rechts oberhalb des Sees ist das Fischerdorf Bethsaida.

Von da stammen die Jünger Johannes (sie bezeichnet man den einen, nicht namentlich genannten Jünger), Andreas und sein wankelmütiger Bruder Simon, den Jesus aber als Petrus, «Fels,» in Bezug auf die neue Glaubensgemeinschaft bezeichnet. (Über diese Erklärung kann man streiten, aber ich verstehe das im Kontext so.)

Auch der erwähnte Philippus ist wohl, wie alle anderen, ein junger Fischerssohn im Alter von Jesus selbst, also so um die 30, unruhig und gerade in Glaubensfragen auf der Suche und deshalb auf Reisen.

Jesus befindet sich zurzeit nämlich wo anders.

Sie müssen den Jordan vom See Genezareth bis fast zurück zum Toten Meer fahren.

Rechts, die Ortsangabe ist nur eine Ungefähre, liegt kurz vor dem Toten Meer am Jordan, das Bethanien, von dem gesagt wird: «der auf der anderen Seite des Jordan liegt. Dort taufte Johannes.» (Johannes 1, 28)

Hier irgendwo in der Nähe befindet sich Jesus.

Er begegnet dem Täufer, lässt sich taufen und zwei Johannesschüler schliessen sich ihm an.

Nach einem Tag bei Jesus sind sie überzeugt:

‘Das ist der Mann, den wir suchen. ’

Erst sind sie fasziniert und finden, Jesus ist ein cooler Religionslehrer.

Dann begreifen sie, wie auch immer:

Das ist der Messias, der von Gott zu uns Gesandte, den Johannes der Täufer angekündet hat.

Er zeigt uns Gott, so, wie er wirklich ist.

Dieser Messias, mit Namen Jesus, der wird unsere Rettung sein.

Sie überzeugen auch Simon und Philippus.

Jesus will nun mit seinen neuen Freunden zurück in seine Heimat Galiläa ziehen, also hoch in den Norden, zurück an den See Genezareth, von wo später die meisten Geschichten von Jesus erzählt werden.

Das alles sehen wir auf der Karte.

  1. Natanael

Begeistert, vielleicht auch etwas fanatisch, sucht Philippus seinen alten Bekannten Natanael auf.

Er schätzt ihn offensichtlich, auch weil er ein Gelehrter ist, der eben unter dem Feigenbaum studiert und sich religionsgeschichtlich sehr gut auskennt.

Natanael hat die Schriften des Alten Testaments gelesen, wie wohl kaum jemand unter uns.

Er kennt nicht nur die Stories von David und Saul, sondern auch die Propheten Jesaja, Jeremia, Micha usw..

Als Philippus Natanael trifft, sprudelt es ihm heraus:

»Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben.

Es ist Jesus, der Sohn Josefs.

Er kommt aus Nazaret.«

Wie gesagt, Natanael übersetzt «Gott gibt», ist ein kluger und offensichtlich auch bedachter, ruhiger und nüchterner Mensch.

Der gibt seinen Verstand nicht einfach an der Theke ab, auch in Sachen Religion nicht.

Nach der Devise «Keep cool» stoppt er den überschwänglichen Philippus.

Skeptisch und ziemlich spöttisch meint er:

»Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?«

Und in dieser Frage schwingt ganz viel mit.

Erstens: Dieses Kaff? Da wo nur ein paar Bauern und Handwerkerfamilien leben.
Wie soll sich da ein so kluger und intelligenter Mensch, wie ein Führer unseres Volkes und unserer Religion, wie es ein Messias wäre, wie kann der sich da, weit weg von der Hauptstadt, überhaupt entwickeln.

Da klingt aber auch viel Wissen mit.

Da ist eine indirekte Frage an Philippus mit drin:

‘Philippus, was hast Du eigentlich in den Schriften gelesen?

Weisst Du nicht, dass der Messias ein Nachkomme Davids sein muss.

Und der Heimatort der Daviden ist Betlehem, nahe von Jerusalem, in Judäa gelegen und nicht dieses Örtchen Nazareth in Galiläa.

Also ausgeschlossen, Jesus kann nicht dieser Messias sein.

Und wer ist schon sein Vater Josef?
Ein Zimmermann!

  1. Einladung

Das Interessante ist, dass Philippus den Skeptiker Natanael jetzt nicht mit Argumenten zudeckt.

Er erklärt ihm nicht, dass das alles stimmt, Jesus zwar in Nazareth aufgewachsen ist, aber in Betlehem geboren wurde, wie es das Lukasevangelium betont.

Auch erklärt er nicht Jesu Stammbaum, wie es das Matthäusevangelium versucht – und eigentlich scheitert.

Phippus bleibt seinerseits cool und meint: »Komm und sieh selbst!«

Philippus hat eine Überzeugung und strahlt sie aus.
Er weiss, mit Argumentationen wird er bei Natanael den Kürzeren ziehen.

Aber er weiss: Einladen kann ich ihn, zu Jesus und in seine junge Gemeinde.

Und das überzeugt seinen Freund Natanael.
Dieser wird in der Begegnung mit Jesus überzeugt werden.
Hier, in dieser Situation ist kein Druck, kein Streit, übrigens auch keine Strassenmission, denn die beiden kennen sich.

Nur dieses sagt Philippus: »Komm und sieh selbst!«

  1. Und wir?

Und jetzt sind wir gefragt.

Wir stammen nicht vom See Genezareth, sondern leben am Zürichsee.

Wir sind nicht um die 30 Jahre und beweglich, umherziehend sondern doch meistens etwas älter, bodenständig aber hoffentlich etwas suchend.

Wir sind gut im Geist, schnell im Denken und auch wahrlich nicht schlecht im Geistlichen.

Glauben ist uns wichtig.

Viele von uns sind nüchtern denkend, wir sind ja alle Kinder der Nachaufklärung.

Ich behaupte aber, eine Frage stellt der Text an uns alle, ob wir uns mehr mit dem vom Glauben begeisterten Philippus oder mit dem skeptisch, ruhig überlegenden Natanael identifizieren.

Die Frage lautet: Wie geben wir unsere christliche Einstellung an andere weiter?

Trauen wir uns einzuladen und zu sagen: »Komm und sieh selbst!«

Oder machen wir es eher so, wie ich letzthin gegenüber einem den Glauben klar Ablehnenden gemacht habe.

Als Studierter könne er nicht glauben, meinte er beim Mittagstisch.

Ich habe angefangen zu argumentieren und bin jämmerlich gescheitert.

Meine Erkenntnis ist, auch im Zusammenhang mit dem heutigen Bibeltext, beim Glauben kann man nicht immer argumentieren.

Man muss ihn leben und ausstrahlen und… überzeugt dazu einladen.

«Trau Dich» heisst eine Messe für Brautleute.

«Trau Dich» ist aber auch eine Aufforderung an uns Glaubende:

Trau Dich, andere einzuladen.

Was aus dieser Einladung wird, das müssen wir Gott überlassen.

Genauso, wie wir es gesungen haben: «Wer nur den lieben Gott lässt walten, ….»

  1. Vorbilder

Zwei Menschen haben mir letzte Woche vom Gottvertrauen und deshalb von zum Glauben einladenden Personen erzählt.

Einmal war ich im alten Schulhaus.

Uns wurde aus den Erinnerungen der Schulmeisterfamilie Staub, aus dem 18. und 19. Jahrhundert, vorgetragen.

1839 hatte man in unserem Kanton eine liberale und konservative starke politische Richtung, die sich bekämpften.

Die Konservativen konnten offensichtlich wie Donald Trump die Leute mobilisieren und instrumentalisieren, mit dem Argument der Verteidigung des wahren Glaubens. (Straussenhandel 1839)

In unserem Dorf machte nur die Lehrerfamilie Staub und vis-à-vis die Pfarrersfamilie Gessner nicht mit.

Sie wurde dahin gehend bedroht, dass man das Schulhaus verbarrikadieren musste, und «… einer der sonst ruhigsten Männer seinen Stutzer lud und erklärte, ehe er nach Zürich mitginge, müsste erst der Pfarrer erschossen sein.»

Lehrer- und Pfarrersfamilien vertrauten Gott.

Sie versuchten ruhig zu bleiben – und überlebten.

Ein Vorbild bis heute und eine Einladung zum Gottvertrauen, nach der Devise:

«Wer nur den lieben Gott lässt walten, den wird er wunderbar erhalten… «.

Wie aber dieses »Komm und sieh selbst!« ausstrahlt und überzeugen kann, das hat mir eine Mutter letzte Woche erzählt.

Sie hat ihre Kindheit in der DDR verbracht.

Kirche und Glauben, das kannte sie nicht.

Eine in der Klasse, erinnert sie sich, die ging zur Kirche.

Aber sie hatte eine Grossmutter.

Diese war freundlich, ruhig, offen, wohltuend.

«Warum bist Du immer so ruhig und zuversichtlich?»

Das fragte das Kind die Grossmutter.

«Weisst Du», meinte die Grossmutter.

«Ich habe Gott. Der schaut zu mir, der hilft mir.»

Das hat Früchte getragen.

Die junge Frau hat sich Jahre später taufen lassen.

Vor wenigen Wochen ist sie in die Kirche eingetreten und wir haben ihr Kind getauft.

  1. Wir zum Zweiten

Beide Geschichten sind eine Einladung an uns.

Eine Einladung Glauben fröhlich, begeisternd und überzeugt zu leben, wie Jesus und seine Freunde es taten.

Beide Geschichten machen uns Mut das öfter zu sagen, was Philippus sagt:

»Komm und sieh selbst!«

Dabei dürfen wir auf das vertrauen, was wir nun hören werden:

«Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,

verricht das Deine nur getreu

und trau des Himmels reiche Segen,

so wird er bei dir werden neu.»

AMEN


Berthold W. Haerter

Oberrieden am Zürichsee

Berthold.haerter@bluewin.ch


Geb. 1963, Pfarrer der Ev.-Ref. Kirche Zürich seit 1993

Tätig in der Agglomerationsgemeinde seit 2005

Predigtreihe: Biblische Orte

Bibelstellen zitiert nach der Basis-Bibel

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