Johannes 1, 35.51

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Johannes 1, 35.51

5. Sonntag nach Trinitatis | 9. 7. 2023 | Jo 1, 35.51 (Text G N B) | Winfried Klotz |

35 Am nächsten Tag stand Johannes an derselben Stelle, und zwei von seinen Jüngern waren bei ihm.

36 Als er Jesus vorbeigehen sah, sagte er: »Seht dort das Opferlamm Gottes.«   1,29S

37 Die beiden hörten es und gingen Jesus nach.

38 Jesus drehte sich um, sah, dass sie ihm folgten, und fragte: »Was sucht ihr?«

Sie antworteten: »Wo wohnst du, Rabbi?« – Rabbi bedeutet Lehrer.

39 »Kommt, dann werdet ihr es sehen!«, antwortete er. Sie gingen mit ihm, sahen, wo er wohnte, und verbrachten den Rest des Tages mit ihm. Es war ungefähr vier Uhr nachmittags.

40 Der eine von den beiden, die Johannes reden gehört hatten und Jesus gefolgt waren, war Andreas, der Bruder von Simon Petrus.   (1,40-42) Mk 1,16-18 par

41 Als er bald darauf seinen Bruder Simon traf, sagte er zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden, den versprochenen Retter.«   4,25 S   Wörtlich den Messias, das heißt übersetzt Christus.

42 Dann brachte er ihn zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn von Johannes. Du wirst einmal Kephas genannt werden.« Kephas ist das hebräische Wort für Petrus (Fels).   Mt 10,2; 16,18 S

43 Am Tag darauf wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen. Er traf Philippus und forderte ihn auf: Komm, folge mir!« 44 Philippus stammte wie Andreas und Petrus aus Betsaida.

45 Philippus wiederum traf Natanaël und sagte zu ihm: »Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben. Es ist Jesus aus Nazaret, der Sohn Josefs.«   (Gesetz) Dtn 18,15; (Propheten) Jes 9,5; 42,1-4; Ez 34,23; Mi 5,1-3

46 »Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?«, fragte Natanaël. Philippus antwortete: »Komm mit und überzeuge dich selbst!«

47 Als Jesus Natanaël kommen sah, sagte er: »Da kommt ein wahrer Israelit, ein Mann ohne Falschheit.«

48 Natanaël fragte ihn: »Woher kennst du mich?« Jesus antwortete: »Bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.«

49 Da sagte Natanaël: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes! Du bist der König von Israel!«   1,34S; 12,13

50 Jesus sagte: »Glaubst du das jetzt, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah? Du wirst noch viel größere Dinge erleben.«

51 Und er fuhr fort: »Amen, ich versichere euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und erleben, wie die Engel Gottes zum Menschensohn herab- und von ihm zum Himmel hinaufsteigen!«  

Mt 3,16 S

Wie Glieder einer Perlenkette stellt uns das Johannesevangelium die Nachfolger und damit die Gemeinde von Jesus und ihr Bekenntnis vor. Das erste Glied dieser Kette ist Johannes der Täufer. Sein Zeugnis von Jesus ‚Seht dort das Opferlamm Gottes‘ löst eine Kettenreaktion aus. Zwei seiner Schüler hören das uns gehen Jesus nach. Das Bekenntnis des Johannes wird nicht erklärt, wie auch die anderen Bekenntnisse zu Jesus nicht ausgelegt werden. Die Gemeinden, für die das Johannesevangelium geschrieben wurde, verstehen das Zeugnis des Johannes und der Nachfolger Jesu.

Dass gleich im ersten Kapitel des Evangeliums und nicht nach und nach ausgesprochen wird, wer Jesus ist, sagt: Dieser Jesus entwickelt sich nicht zum Christus, zum König und Retter, sondern er ist es von Anfang an. Er ist es, weil er am Kreuz nach Gottes Willen die Sünde der Welt trägt; er ist es, weil über ihm der Himmel offen steht; er gehört zur Welt Gottes wie sonst kein Mensch. In Jesus ist Gott gegenwärtig! Damit redet das Johannesevangelium im Vorgriff auf das Kommende zu einer Gemeinde, die nach Ostern lebt und ihr Fundament in Jesus hat.

Wo auch sonst sollte das Fundament einer christlichen Gemeinde liegen als in Jesus, der die Brücke zu Gott gebaut hat für alle Menschen. Im Vertrauen auf Jesus gehen wir hinein in den Frieden Gottes, werden wir Töchter und Söhne Gottes. Diese Tür, Jesus, ist weit offen, aber wer hinein gehen will, muss sich bücken, muss den Anspruch selbst, aus eigener Fähigkeit, zu Gott kommen zu können, aufgeben. Sie, er, muss alle Selbstrechtfertigung aufgeben, alle selbstgemachte oder selbstgefundene Gotteserkenntnis, aber auch Jesus erlauben Mauern aus Schuld, Verzweiflung, Zorn gegen Gott und Menschen niederzureißen. ER ist der Versöhner, der Sühne geleistet hat. Das nicht, weil sein Sterben schlimmer gewesen wäre als das Sterben der vielen Gekreuzigten dieser Welt, sondern weil ER von Gott kommt und nach Gottes Willen am Kreuz stirbt. Wir haben als christliche Gemeinde nichts und niemand, der uns Jesus ersetzen könnte!

Wir mögen es als extrem oder fanatisch empfinden, aber das Johannesevangelium baut keine Brücken des Verstehens, auch wenn es späterhin erklärt und Schriftbeweise führt; es legt ganz steil Zeugnis ab davon, wer Jesus ist und rechnet mit der Selbstbezeugung des Auferstandenen. Steht es damit nicht in der Gefahr, nur nach innen zu reden und die draußen sich selbst zu überlassen? Die Gefahr der Abkapselung besteht, aber wer kommt in Zeiten harter Konfrontation- und die sehe ich als Hintergrund der urchristlichen Gemeinden – zum Glauben an Jesus durch kluge Argumente? Es braucht das überführende Wort. (Joh. 16, 8-11)

Das Johannesevangelium wie auch die anderen Evangelien sind erzähltes Bekenntnis zu Jesus. Sie entsprechen dem Auftrag Jesu: Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. (Mt. 10, 12) So verständlich es ist, in Zeiten schrumpfender Mitgliederzahlern den Rückbau von Kirche und Gemeinde zu betreiben; Gebäude aufzugeben und Gemeinden zusammenzulegen, ist es auch heute entscheidend, ob wir in der Einfachheit des Glaubens uns zu Jesus, dem Herrn, bekennen. Ohne all diese Verbeugungen vor dem Geist der Zeit, so als sei Gott nur ein jenseitiger und wir beauftragt, ihn diesseitig und anschaulich zu machen. Ist Gott nicht da gegenwärtig, wo wir uns zu Jesus, dem Herrn, bekennen?!

Jedenfalls, Johannes der Täufer löst eine Kettenreaktion aus mit dem Bekenntnis: Siehe, das ist Gottes Lamm! Er macht zwei seiner Schüler aufmerksam auf Jesus; und sie folgen ihm. „Was sucht ihr?“ „Wo wohnst du, Rabbi?“ „Kommt, dann werdet ihr es sehen!“ Sie gehen mit Jesus und bleiben den Rest des Tages bei ihm. Suchen, finden, bleiben, sind wichtige Stichworte in unserem biblischen Wort und ausgesprochen wie unausgesprochen im ganzen Evangelium. Die uns hier vorgestellt werden, Andreas, Simon Petrus, dann Philippus und schließlich Natanael, sind Suchende, die finden oder gefunden werden und zu Nachfolgern Jesu werden. Andreas findet seine Bruder Simon und sagt zu ihm: „Wir haben den Messias gefunden, den versprochenen Retter.“ Es ist wichtig, dass er seinen Bruder an die Hand nimmt und zu Jesus bringt. Die Reaktion des Simon wird nicht genannt, aber Jesus gibt ihm einen zweiten Namen, Kephas, Petrus, d. h. Fels. Jesus bestimmt Simon dazu für seine Gemeinde ein Fels, ein Halt, zu sein. Das ist Auftrag, Dienst, auch Leiden, aber kein Thron der Ehre. Von einem Papsttum in Rom ist keine Rede im Evangelium, nirgends!

Einen weiteren Menschen findet Jesus am nächsten Tag, Philippus aus Betsaida, gelegen am Nordufer des Sees Genezareth, der Stadt des Andreas und Petrus. „Komm, folge mir!“ sagt Jesus. Das macht Philippus offensichtlich, auch wenn es nicht genannt wird; er findet Natanael und bezeugt ihm: „Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben. Es ist Jesus aus Nazareth, der Sohn Josefs.“ Während bisher der Schritt in die Nachfolge Jesu ohne Frage oder Kritik erfolgte, ist Natanael nicht so leicht zu gewinnen. Er hat eine Frage: „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Das meint: Ich kenne mich aus in den heiligen Schriften, da ist nirgends die Rede von Nazareth als Herkunftsort des Messias. Natanael ist ein Bibelkenner, ein Schriftgelehrter und unterscheidet sich damit von Andreas, Simon und Philippus. Sein Einwand zieht sich durchs Johannesevangelium, offensichtlich ein typischer Einwand. (Joh. 7, 41. 52 / Joh. 6, 42) Welchen Messias erwartet Natanael?

Nazareth, ein Ort ohne Verheißung wie sie im Buch des Propheten Micha für Bethlehem steht: „Doch dir, Betlehem im Gebiet der Sippe Efrat, lässt der HERR sagen: »So klein du bist unter den Städten in Juda, aus dir wird der künftige Herrscher über mein Volk Israel kommen. Sein Ursprung liegt in ferner Vergangenheit, in den Tagen der Urzeit.“ (Micha 5, 1) Jesus, ein Kind kleiner Leute, seine Eltern und Geschwister sind bekannt. Reicht das für die Messiaswürde, für das Königtum in Israel? Philippus vermeidet eine Diskussion, die könnte er kaum gegen den Schriftgelehrten Natanael gewinnen. Er lädt ihn ein: „Komm mit und überzeuge dich selbst!“ Auf die Begegnung mit Jesus kommt es an, nicht auf das Streitgespräch.

Das ist wichtig: begegnen Menschen Jesus, wenn sie uns begegnen? Das scheint sehr hochgegriffen, aber bilden wir nicht als Menschen, die zu Jesus gehören, IHN ab?! Und gilt das nicht auch für uns als Gemeinde Jesu? Welche Botschaft geht von uns aus- und ich meine nicht die gepredigte, sondern die gelebte; welche Botschaft geht von uns aus, wen repräsentieren wir als Gemeinde? Auf was legen wir Wert? Ringen wir darum in der Spur von Jesus zu leben, dass Liebe, Wahrheit, Hoffnung von uns ausstrahlen, dass unser Beten mit Gottes Antwort rechnet und unser Umgang miteinander auch in Auseinandersetzungen geprägt ist von Respekt füreinander. Ringen wir darum!

Jesus respektiert Natanael, wenn er sagt: „Da kommt ein wahrer Israelit, ein Mann ohne Falschheit.“ Das ist eine ehrende Anrede für den kritischen Schriftgelehrten Natanael. Seine Kritik kommt nicht aus Voreingenommenheit gegen Jesus, sondern aus dem Studium der Hl. Schriften. Wie gewinnt Jesus Natanael? Nicht durch Belehrung, sondern weil er ihn kennt. „Bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.“ Warum ist Natanael so überrascht? Warum bricht sein Widerstand gegen Jesus so abrupt in sich zusammen? Aus der Schrift weiß er, Gott sieht. So sagt es Hagar: „Du bist ein Gott, der mich sieht. (1. Mose 16, 13) So heißt es in Psalm 94: „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?“ (Ps. 94, 9) In diesem Horizont sieht das Johannesevangelium Jesus. Von daher bekennt Natanael: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes! Du bist der König von Israel!“ Das ist ein erstaunliches Bekenntnis; aber das Johannesevangelium denkt vom Ende her. Es will gleich zu Beginn der hörenden Gemeinde in den Bekenntnissen dieser Erstzeugen sagen, wer Jesus für sie ist.

Jesus selbst bestätigt und überbietet das Bekenntnis Natanaels und der Erstzeugen noch: „Glaubst du das jetzt, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah? Du wirst noch viel größere Dinge erleben‘. Und er fuhr fort: ‚Amen, ich versichere euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und erleben, wie die Engel Gottes zum Menschensohn herab- und von ihm zum Himmel hinaufsteigen!‘“

Wer ist Jesus und was sollen wir von ihm bekennen? Ich will es so formulieren: Wir sollen von Jesus bekennen, dass wir durch Ihn einen offenen Himmel haben, Zugang zum barmherzigen, liebenden Gott, der sich unser annimmt, trotz Schuld und Not unseres Lebens. Wir sollen von Jesus bekennen, dass all dies uns durch Ihn und nur durch Ihn gegeben ist. Sind wir intolerant, fanatisch, exklusiv? Solange wir uns als Empfangende und eben nicht aus uns Habende verstehen, solange wir liebevoll tun, was Jesus entspricht, ist unser Bekenntnis richtig und notwendig. Amen


Winfried Klotz, Pfr. i. R., Bad König, Odenwald, winfried.klotz@web.de

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