Johannes 17, 1-8

Johannes 17, 1-8

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


6. Sonntag der
Passionszeit, Palmsonntag, 8. April 2001

Predigt über Johannes 17, 1 –
8, verfaßt von Karin Klement


Vorbemerkungen zur
Predigt

Predigttext:

Jesus blickte zum Himmel auf und sagte:
„VATER, meine Stunde ist gekommen! Enthülle die Herrlichkeit deines
Sohnes, damit der Sohn deine Herrlichkeit enthüllen kann.

Du hast ihm ja die Macht über alle Menschen gegeben, damit er
denen, die du ihm anvertraut hast, ewiges Leben schenkt. Und das ewige
Leben
besteht darin, dich zu erkennen, den einzig wahren GOTT, und den, den
du gesandt hast, JESUS CHRISTUS. Ich habe deine Herrlichkeit auf der Erde
sichtbar gemacht; denn ich habe die Aufgabe erfüllt, die du mir
übertragen hast.

VATER, gib mir nun wieder die Herrlichkeit, die
ich schon bei dir hatte, bevor die Welt geschaffen wurde!

Ich habe dich den Menschen bekannt gemacht, die du mir in der Welt
anvertraut hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben. Sie haben
dein Wort ernst genommen und wissen jetzt, dass alles, was du mir
gegeben hast, wirklich von dir stammt.

Ich habe ihnen die Worte mitgeteilt, die ich von
dir erhalten hatte, und sie haben sie aufgenommen. Sie haben klar erkannt, dass
ich wirklich von dir gekommen bin, und zweifeln nicht daran, dass du mich
gesandt hast.“

(Die Gute Nachricht)

Predigt:

Liebe große und kleine Menschenkinder!

Liebe Gemeinde!

„Wie soll ich dich empfangen und wie
begegn` ich dir
“ – ein Adventslied haben wir eben gesungen. Es
steht unter ADVENT in unserem Gesangbuch, weil die gleiche Geschichte Jesu von
seinem „Einzug in Jerusalem“ sowohl am Beginn der Adventszeit, als
auch heute zum Auftakt der Karwoche gelesen wird. Advent ist zwar ebenso eine
Buß- und Vorbereitungszeit wie die Zeit vor Ostern, doch
gefühlsmäßig beginnt damit für uns eher die Zeit der
Vorfreude auf den kommenden Gottessohn. Dann erwarten wir die Geburt eines
neuen Lebens: Gott selber wird Mensch in einem hilflos-kleinen Kind!
Palmsonntag dagegen ist der Anfang vom Ende; damit beginnen die letzten
leidvollen Lebenstage Jesu hier auf der Erde. Was haben beide – Freude und
Leiden im Angesicht Jesu – miteinander zu tun? Sind es nicht vielmehr ganz
entschiedene, unvereinbare Gegensätze, gerade auch wenn wir auf unser
eigenes Leben blicken?

Als Jesus nach Jerusalem kommt, rufen ihm die
Menschen ihr begeistertes „Hosianna“ zu. „Gelobt sei, der da
kommt im Namen Gottes!“ Es ist nicht nur der Glanz einer berühmten
Persönlichkeit, Publicity und Starglamour, der sie anzieht. Ich glaube,
sie freuen sich wirklich auf die Begegnung mit Jesus, von dem sie schon soviel
Gutes gehört haben. (Ihr Kinder habt uns das vorhin deutlich vor Augen und
Ohren geführt.) Seine Predigten und Heilungswunder haben die Herzen der
Menschen berührt. Seine Auferweckung des Lazarus – wenn sie denn
trotz menschlicher Zweifel stimmt – erfüllt ihre kühnsten
Träume und Hoffnungen: Ewiges Leben! Ein Ende von Not, Leid und Elend.
Stattdessen Gemeinschaft mit Gott, Anteilnahme an der Macht und prachtvollen
Hoheit eines neuen, gewaltigen Königs, vergleichbar sogar mit dem
einzigartigen König David. Ist es denn verwerflich, sich und den
Menschen, die man liebt, ein besseres Leben zu wünschen? Träume zu
haben von einer Zukunft, die frei ist von Krankheit, Leiden und Tod?
Doch
der Hoffnungsträger unzähliger Erwartungen präsentiert sich
merkwürdig ohnmächtig und schwach: ein König?? auf einem Esel?
Ein Weiser auf einem Narrentier? Einer auf dem Gipfel seiner Macht – macht
sich lächerlich. Er gibt ein irritierendes Schauspiel vor den Augen der
Menge. Jetzt laufen sie ihm nach; jetzt läge es in seiner
Hand, die Massen zu bewegen, wohin er will. Seine Stunde ist da! Aber keine
Stunde des Triumphs, vielmehr die Stunde der Entscheidung; die Stunde der
Offenbarung: GOTT ist so ganz anders, als Menschen sich vorstellen. Gott leidet
mit an den unleidlichen Zuständen dieser Welt. Gott kämpft und
lässt sich niederschlagen, weil ER nichts anderes repräsentiert als
die un-bedingte Liebe. Das Schwingen der Palmenzweige – einem König
zur Ehre und Verherrlichung erwiesen – gerät zu abwinkendem Hohn und
verlachenden Spott. In den Augen der Menschen gibt Jesus die Gunst der Stunde
preis, die Chance zur „Machtergreifung“.

Er geht einen anderen Weg, einen schweren Gang; er
geht seinen Weg ans Kreuz. Heute am Palmsonntag jubelt man ihm noch zu. Doch in
wenigen Tagen, an Karfreitag, wird er unbarmherzig getötet. Ein
Unschuldiger wird gefoltert und grausam hingerichtet. Und jedes Mal, wenn wir
uns an dieses besondere Geschehen erinnern, stehen uns wohl auch noch viele
andere Kreuze vor Augen: die Kreuze der Kriegsopfer unserer Gegenwart im
ehemaligen Jugoslawien, die Kreuze voller unversöhnlichem Hass in Israel
und Palästina. Die Kreuze für das Leiden der Kinder, die aus unseren
behütenden Armen in einen gewaltsamen Tod gerissen werden.

Kreuze des Leidens und der Anfechtung; Kreuze auf
unseren Friedhöfen, die für Erfahrung von Verlust und Trauer stehen.
Aber auch unsichtbare Kreuze persönlicher Schuld, eigenen Versagens, an
denen wir zu tragen haben, die uns das Herz schwer machen. Angesichts des einen
und unzähliger weiterer Kreuze tun sich Abgründe auf: an Schmerz und
Hilflosigkeit, an Auflehnung und Zorn. Warum kann es nicht ein Leben ohne
Kreuze, ohne Leiden geben? Warum liegen Hoffnung und Verzweiflung immer so
dicht beieinander?

Auch für Jesus schlägt die Stunde, in
der sich Tod und Abschied wie übermächtig in sein Leben drängen.
Während die Menge ihn noch mit jubelnden Hosiannarufen vor den Toren
Jerusalems feiert und Palmenzweige als Siegessymbole vor ihm ausbreitet, ballen
sich die dunklen Wolken tödlicher Verschwörung über ihm
zusammen. So eng verbunden liegt beides beieinander: der Gipfel der
Begeisterung und der Sturz in tiefste Verlassenheit, helle Freude und
düsterer Schmerz bis in den Tod.

Jesus ergeht es genau wie uns Menschen und
zugleich doch ganz anders.
Er geht seinen Weg freiwillig und im vollen
Bewusstsein dessen, was vor ihm liegt, und was sein Auftrag ist. Was ihm
widerfährt, lässt ihn nach außen hin ohnmächtig
erscheinen. Doch an keiner Stelle seiner Leidensgeschichte lässt er sich
tatsächlich das Gesetz des Handelns aus der Hand nehmen: Weder im Garten
Gethsemane, als Petrus durch Waffeneinsatz seine Verhaftung verhindern wollte,
noch als die Ankläger ihn mit dem Schein des Rechts befragen und
verurteilen. Kein Erstarren angesichts einschüchternder Folter, kein
Verstummen aus Angst um sein Leben. In seinem offenen Reden und souveränen
Handeln bleibt er Gottes Auftrag und sich selber treu. Sein Körper wird
gebrochen, doch sein Geist bleibt frei. Und gerade darin offenbart er die
ohnmächtige Erbärmlichkeit der sogenannten Mächtigen.

Nicht viele Menschen können sich solch eine
innere Freiheit und Gelassenheit bewahren angesichts von Folter und Tod. Einer,
der das über mehrere Jahre durchhielt bis in seinen gewaltsamen Tod am 9.
April 1945 war der Pfarrer, Dietrich Bonhoeffer. Von ihm sagte der Lagerarzt im
KZ Flossenbürg; er habe noch niemals einen Menschen einerseits so
tröstend gegenüber seinen Mitgefangenen erlebt und andererseits so
aufrecht in den Tod am Galgen gehen sehen, wie ihn.

Was aber hilft uns Menschen, den Schrecken des
Todes auszuhalten, und der Grausamkeit menschlicher Härte den eigenen
Glauben, das Vertrauen in einen gütigen Gott entgegenzusetzen?

Der Evangelist Johannes musste wohl
zusammen mit der frühen christlichen Gemeinde immer wieder die Erfahrung
von Verfolgung und Verachtung machen. Immer wieder auch der Versuch, ihren
Glauben an den auferstandenen HERRN mit dem oftmals beschwerlichen und
gefährdeten Leben der kleinen Christengemeinde in Beziehung zu setzen. Das
Einzige, was wirklich helfen kann, mit dem Lebensbedrohlichen zurechtzukommen,
darin nicht unterzugehen, ihm stattdessen alle Macht abzusprechen, ist das
Vertrauen in die Gegenwart Gottes, auch und gerade mitten im Leiden. So
versucht es Johannes seinen Mitchristen zu vermitteln und in seinem Bericht
über die letzten Tage Jesu Christi hält er inne und lässt uns
teilhaben an einem einsamen Zwiegespräch. Jesus betet zu Gott – an
der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Hören wir aus dem 17. Kap. des Joh.Ev.:
TEXT

„Vater, die Stunde ist da!“: Jesus geht in
den Tod. Er hat Abschied genommen von seinen Freunden. Was jetzt noch zu sagen
ist, sagt er Gott. Dankend blickt er zurück auf seinen Lebensweg und
zugleich bittend für jene, die ihm von Gott ans Herz gelegt wurden. Er
zieht ein Resümee seines Lebens, das er zum Schluss mit seinem letzten
Wort am Kreuz bestätigt: „Es ist vollbracht!“ Seine Aufgabe ist
erfüllt. In seiner Person ist Gottes Herrlichkeit für alle Menschen
erkennbar und anschaulich geworden. In seinem Reden und Handeln hat sich
gezeigt, wie der lebendige Gott selber ist, und wie er uns Menschen begegnet.
„Gottes Herrlichkeit“ meint wohl so etwas wie das Licht, der Glanz
der Gegenwart Gottes mitten in seiner Schöpfung und mitten unter den
Menschen, sogar (oder erst recht) dann, wenn sie leiden.

Wenn Jesus bittet „verherrliche deinen
Sohn“, dann bittet er um Gottes Nähe in der Finsternis seines
bevorstehenden Todes. Wenn Jesus betet: „Vater, bleibe dicht bei mir in
aller Verzweiflung und Angst. Sei mir ein Lichtglanz, selbst in der dunkelsten
Stunde.“ Dann ist das Ansporn für unser Gebet. Dann können wir
glauben, dass immer dort, wo Menschen und andere Geschöpfe Gottes leiden,
Gott nicht fern ist. Er steht nicht „darüber“, sondern im
Gegenteil: Gott steckt tief darinnen. Gott leidet mit.

Ich denke an eine Geschichte, die Elli Wiesel aus
dem KZ Auschwitz erzählt. Eine furchtbare Geschichte und dennoch nur ein
Beispiel für menschliche Grausamkeit und menschliches Leiden: Die SS
erhängte zwei jüdische Männer und einen Jungen vor der
versammelten Lagermannschaft. Die Männer starben rasch, aber der
Todeskampf des Jungen dauerte eine halbe Stunde. Wo ist hier Gott? Wurde
Elli Wiesel von einem Menschen neben ihm gefragt. Er wagte nicht zu antworten.
Als nach endlos langer Zeit, der Junge sich immer noch am Strick quälte,
hörte Elli Wiesel die Stimme wieder: Wo ist Gott jetzt? Und mit
einem Mal wusste er die Antwort: Hier ist er! Gott selber hängt dort am
Galgen…

Gott selbst hängt dort am Galgen! Nirgendwo
anders kommt Gott den Menschen so nahe, wie in ihren tiefsten Ohnmachts- und
Leidenserfahrungen. Nicht, weil er das Leiden will, sondern weil wir ihn dort
am dringendsten brauchen. Auf den Gesichtern der Geschundenen liegt ein Glanz
aus Gottes Herrlichkeit, der ihnen ihre Würde wiedergibt.

Erfahrungen von Leiden, Schuld, Anfechtung und
Todesbedrohung bleiben niemanden in diesem Leben erspart. Aber erst die
Erkenntnis, dass Gott auch darin mitten unter uns ist, weckt den Mut, die Augen
vor der Realität nicht zu verschließen. Das Vertrauen in die
Gegenwart Gottes schenkt uns jene innere Gelassenheit, die uns hilft, den
schlimmen Erfahrungen standzuhalten.

Nur so ist volles, ganzes, ja erfülltes Leben
möglich. Der Evangelist Johannes definiert es als „ewiges Leben“:
den wahren, die Welt liebenden Gott erkennen; Gott schauen mit den Augen eines
Kindes voller Vertrauen und in der Gewissheit, dass uns nichts trennen kann von
Gottes Liebe – nicht einmal der Tod! Jesus hat uns von Gott erzählt,
beispielhaft gezeigt, wie Gott mit uns umgehen will: Als er die Kinder segnete,
die andere von ihm fernhalten wollten. Als er Menschen von ihrer Schuld
entlastete, ihre Lähmungen aufhob und ihnen die Augen öffnete. Das
ist ewiges Leben! Nicht abstrakt, unbegrenzt und fern von dieser Welt, sondern
mitten drin. Ewiges Leben beginnt dort, wo wir uns von Christus an die Hand
nehmen lassen; wo Anfang und Ende des Lebens zusammen kommen, wo wir unsere
Mitte wiederfinden; wo wir uns vom Leid nicht überwältigen, sondern
hindurchhelfen lassen. Das ist der Auftrag Jesu; dafür ist er gekommen
– uns und der ganzen Welt zum Heil!

AMEN

Vorbemerkungen:

In diesem Jahr feiern wir an Palmarum nur in
Herberhausen einen Familien-Gottesdienst mit dem Kindergarten. Zwei
Erzieherinnen haben mit mehreren Kindern ein kurzes Anspiel zur
Evangeliumslesung „Einzug Jesu in Jerusalem“ vorbereitet. Die
Sprechertexte der Kinder fragen danach, wer das ist, der da kommt:
Einer, der Kranke heilt und Tote auferweckt. Einer, der 5000 Menschen satt
bekommt mit 5 Broten und 2 Fischen. Einer, der sich um die armen Menschen
kümmert und ein ebenso großer König wie König David sein
soll. Andererseits – welcher König reitet schon auf einem
Esel?
Er ist einer, der viele Freunde hat – und viele Neider! Egal,
was die Leute über ihn sagen: „Lasst uns gehen, ihn selber
anzusehen!“ So endet das kurze Spiel und lädt ein zu einer
persönlichen Begegnung mit diesem ungewöhnlichen Menschen- und
Gotteskind.

Trotz der vielen Kinder möchte ich diesmal
keine „Kinderpredigt“ halten. Ich wüsste nicht, wie ich den
vorgeschlagenen Predigttext aus Joh. 17 – Anfang eines hohepriesterlichen
Gebets Jesu – in kindgerechte Worte und Bilder umsetzen sollte. Auch wenn
die Gute Nachricht etwas verständlicher formuliert, spricht mich nach
einigem Lesen doch eher der Luthertext mit seiner geheimnisvoll-abgehobenen
Rede an. Augenscheinlich geht es hier um eine höchst vertrauliche
Beziehung zwischen Vater und Sohn, zwischen Gott und Christus. Hier blicken wir
quasi dem Gottessohn über die Schulter und hören Worte, die
anscheinend nicht für unsere Ohren gedacht sind. Wie in einem Film oder
beim Lesen eines fremden Tagebuches lässt uns der Evangelist Johannes in
das Herz des Gottessohnes schauen und seine innersten Gedanken hören. Wir
begegnen einer anderen Seite JESU; seinem Einssein mit dem himmlischen Vater.
Wir dürfen Anteil nehmen – wie Schlüssellochgucker – an der
„verherrlichenden“ Liebe zwischen Gott und seinem Sohn.

Das Thema seines Gebetes ist die Offenbarung von
Gottes Herrlichkeit mitten in Leid und Tod. Auf der untersten Stufe des Seins,
im Tod, zeigt sich Gottes Liebe. Gott stirbt, damit wir Menschen Vertrauen und
Hoffnung in IHN haben, IHM folgen durch die Finsternis des Todes in das alles
überstrahlende Licht seiner Liebe.

Diese Worte, Jesus in den Mund gelegt, wirken auf
jene, die sie hören, wie ein stärkender Appell zum Glauben; wie eine
bestätigende Gewissheit, dass sie mit Jesus auf dem richtigen Wege sind,
trotz und entgegen allen widersprechenden Erfahrungen.

Pastorin Karin Klement
Kirchengemeinden Roringen u.
Herberhausen
Lange Straße 42
37077 Göttingen OT Roringen

E-Mail: karin.klement@evlka.de


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