Johannes 19,31-42

Home / Bibel / Neues Testament / 04) Johannes / John / Johannes 19,31-42
Johannes 19,31-42

Trauer um den König | Karsamstag | 08.04.2023 | Joh 19, 31-42 | Katharina Wiefel-Jenner |

Weil es aber Rüsttag war und die Leichname nicht am Kreuz bleiben sollten den Sabbat über – denn dieser Sabbat war ein hoher Festtag –, baten die Juden Pilatus, dass ihnen die Beine gebrochen und sie abgenommen würden. Da kamen die Soldaten und brachen dem ersten die Beine und auch dem andern, der mit ihm gekreuzigt war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht; sondern einer der Soldaten stieß mit einer Lanze in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, damit die Schrift erfüllt würde: »Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.« Und ein anderes Schriftwort sagt: »Sie werden auf den sehen, den sie durchbohrt haben.« Danach bat Josef von Arimathäa, der ein Jünger Jesu war, doch heimlich, aus Furcht vor den Juden, den Pilatus, dass er den Leichnam Jesu abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Da kam er und nahm den Leichnam Jesu ab. Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund. Da nahmen sie den Leichnam Jesu und banden ihn in Leinentücher mit Spezereien, wie die Juden zu begraben pflegen. Es war aber an der Stätte, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten und im Garten ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war. Dahin legten sie Jesus wegen des Rüsttags der Juden, weil das Grab nahe war.

Wenn ein König stirbt, bleibt nichts dem Zufall und der blinden Trauer überlassen.

Der Tod hat sich durchgesetzt. Die Kriegsknechte haben den Tod festgestellt. Ein letztes Mal haben sie den Leib des Toten mit ihren Waffen malträtiert. Jesus, der König der Juden, ist am Kreuz gestorben. Es gibt keine offizielle Mitteilung. Die Nachrichtenticker bleiben stumm. Die Welt dreht sich weiter. Ein Toter mehr. Dass er ein König war, hat keine Bedeutung. Wer hat die Inschrift über dem Kreuz schon ernst genommen? Sie war doch selbst für den, der sie anbringen ließ, eher ein ironischer Kommentar. Der Tod hat gesiegt. Jesus Christus ist tot.

Es ist Karsamstag. Gestern hallten die Worte des Evangelisten durch die Kirchen der Welt. Die Trauer um das Haupt voll Blut und Wunden klang in vielen Sprachen auf. Der Heiland fragte, was er noch mehr hätte tun sollen. Er klagte uns Hartherzige an, hielt uns seine Dornenkrone hin. Jetzt schweigen die Glocken. Es ist ein stiller Tag. Kaum auszuhalten für die, die sich dem ganz ausliefern. Der Tod war an diesem Freitag so mächtig. Gott hat sich in den Tod zurückgezogen. Jesus Christus, der König, ist tot.

Wenn ein König stirbt, bleibt nichts dem Zufall und der blinden Trauer überlassen.

Jesus mag zwar den übelsten Tod gestorben sein, aber er wird nicht wie die anderen Übeltäter in einem Massengrab verscharrt. Seine Freunde sorgen dafür, dass die Kriegsknechte nicht noch weiter ihrem Handwerk nachgehen können. Sie kommen den Dienern des Todes zuvor. Die können sich an diesem Freitag nicht mehr daran weiden, wie das Blut in die Erde sickert. Die müssen sich an diesem Freitag zurückziehen, bevor sie dem Toten die letzte verbliebene Würde rauben konnten. Deren üblichen Methoden der Kriegsführung wurden an diesem Tag unterbrochen. Jesu Freunde kommen und retten den Toten. Die Freunde wissen, dass Jesu Königstitel alles andere als Ironie ist. Sie machen sich daran, einen König – ihren König – zu bestatten. Sie haben die Öle dabei, mit denen ein König einbalsamiert wird. Sie haben die Gewürze, die dem Gestank des Todes überdecken. Sie bereiten ihrem König einen Ruheort, der seiner würdig ist. Sie tun, was ihrem König zusteht.

Es ist Karsamstag. Gestern hatte Gott dem Tod freie Hand gelassen. Gestern ist Jesus am Kreuz gestorben. Heute ist ein neuer Tag. Unerträglich ruhig. Es ist kaum zum Aushalten, dass Gott den Tod einfach gewähren lässt. Die Freunde wussten nicht, was wir wissen. Sie legten Jesus in ein Grab, das bis zum Ende aller Tage sein königliches Grabmal sein sollte. Ihre Trauer war für die Ewigkeit bestimmt. Sie handelten wahrhaft menschlich und verwehrten dem Tod den Zutritt zu ihren Seelen. Das verdient den höchsten Respekt. Der Tod hat sich als Herrscher aufgespielt, aber sie huldigen ihm nicht. Sie bleiben Jesus treu, obwohl der einen elenden Tod gestorben ist. Sie spielten das Spiel des Todes nicht mit und blieben dabei, dass dieser Jesus ihr König ist. Sie flüchteten nicht in die Ohnmacht, stellten sich nicht selbst tot. Sie ignorierten die Gefahr, hineingezogen zu werden und in der Todesspirale der Mächtigen umzukommen. Sie hielten an Jesus, dem getöteten König, fest. Aber sie wussten nicht, was wir wissen. Sie wussten nicht, dass der dritte Tag kommen würde.

Karsamstag. Es ist noch nicht der dritte Tag. Heute ist der Tag nach dem elenden Freitag, an dem der Tod sein großes Fest feierte. Immer noch ist Karsamstag. Wir müssen diesen Tag heute ertragen. Wir müssen es aushalten, dass der Tod weiter lärmend unterwegs ist. Gottes unerträgliches Schweigen lastet. Verzweifelte Stille bedrückt die ganze Welt. Sie lähmt die Menschen guten Willens. Sie füllt die Stunden mit Trostlosigkeit. Sie lässt uns irre werden an allem, was uns Halt gibt. Was für ein Tag! Gott verbirgt sich. Von Stunde zu Stunde wird die Erlösung dringlicher, aber dieser Tag hört nicht auf. Gott schweigt. Wie endlos ist der Karsamstag! Was sollen wir nur tun?

Wenn ein König stirbt, bleibt nichts dem Zufall und der blinden Trauer überlassen.

Josef und Nikodemus ahnten nicht, dass der dritte Tag kommen würde. Sie waren nicht mit Jesus durch die Dörfer und Städte gezogen. Sie dienten ihrem König heimlich, nachts. Sie waren die Jünger in der zweiten Reihe. Sie kannten die endlose Macht der Kriegsknechte und wussten, dass man die Mächtigen fürchten muss. Sie dienten Jesus auf ihre Weise und wussten, was am Ende des Tages zu tun ist. Sie betrauerten den in einem Schauprozess Verurteilten und grausam Getöteten. Sie hielten ihrer eigenen Angst stand. Sie befreiten ihren Jesus aus den Armen der Mächtigen. Sie ließen nicht zu, dass die Kriegsknechte auch noch einen Toten schändeten. Sie retteten Jesu Würde. Sie setzten ihren Reichtum ein, um den Gestank des Todes zu vertreiben. Sie liebten ihren König und ertrugen, dass Gott nicht eingegriffen hat. Sie hielten es aus, dass Gott schwieg und blieben doch bei Jesus.

Am Karsamstag verweigerten Josef von Arimathäa und Nikodemus dem Tod die Gefolgschaft. Wenn ein König stirbt, bleibt nichts dem Zufall und der blinden Trauer überlassen. Am Karsamstag wissen wir, dass dieser Tag zu Ende gehen wird. Heute ist Gott verborgen. Morgen wissen wir, dass der dritte Tag kommt. Am Karsamstag verweigern wir dem Tod die Gefolgschaft. Mag dieser Karsamstag auch endlos scheinen. Als Jesus starb, überließ Gott nichts dem Zufall und der blinden Trauer. Der dritte Tag wird kommen.

Amen.

Dr. Katharina Wiefel-Jenner

Berlin

wiefel_jenner@hotmail.com

Katharina Wiefel-Jenner, geb.1958, Pfarrerin i.R., bildet als Dozentin für Liturgik und Homiletik Ehrenamtliche für den Verkündigungsdienst aus.

de_DEDeutsch