Johannes 2, 13-22

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Johannes 2, 13-22

Vorbemerkung

Im Judentum wird im Sommer, am 9. Aw, der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer und auch der Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier gedacht. Das Christentum hat diesen Gedenktag übernommen.

Da die Texte der Perikopenordnung dieses Tages eine antijudaistische Auslegungstradition haben, kamen sie in den 60er Jahren in die Diskussion und wurden mit der Einführung des „Evangelischen Gottesdienstbuches“ durch andere ersetzt, die die bleibende Erwählung Israels zum Thema haben (Israelsonntag), nicht mehr die Tempelzerstörung. Gleichzeitig schlägt das neue Gottesdienstbuch vor, die Texte zum Thema „Juden und Christen“ zu verwenden. Dies hat zur Folge, dass drei Lesereihen parallel zu diesem Tag in der evangelischen Kirche in Gebrauch sind.

Die Redaktion von „Göttinger Predigten im Internet“ wünschte sich ausdrücklich eine Predigt über den Text der „alten“ Lesereihe, mit Gedenken an die Tempelzerstörung.

Predigt

Liebe Gemeinde,

am 10. Sonntag nach Trinitatis, mitten im Sommer, wird in unserer Kirche traditionell der Zerstörung des Tempels in Jerusalem um 70 nach Christus durch die Römer gedacht. Dies steht in der Tradition des Judentums, denn im Judentum gibt es ebenfalls im Sommer solch einen Gedenktag. Für Juden ist dies ein Trauertag.

Die Zerstörung des Tempels, das ist zunächst ein Gedanke, der mit Schmerz und Trauer verbunden ist, denn der Tempel war der Mittelpunkt des religiösen Lebens für viele Menschen.

Der Tempel in Jerusalem hat eine Geschichte von etwas mehr als 1000 Jahren. Er wurde von König Salomo erbaut, um einen Ort für die Bundeslade zu schaffen. Etwa 400 Jahre später wurde er zerstört, als die Babylonier Jerusalem eroberten. Nach dem Babylonischen Exil wurde er wieder aufgebaut und im Jahre 515 vor Christus geweiht. Mehr als 500 Jahre hindurch stand dieser zweite Tempel, durch alle Stürme der Geschichte hindurch bestand er. Zur Zeit Jesu ließ Herodes der Große den Tempel erweitern, eine Arbeit, die Jahrzehnte dauerte. Er baute um den Tempel herum, den eigentlichen Tempel und das Allerheiligste ließ er unberührt.

Im Jahr 70 nach Christus, im zweiten jüdischen Krieg, wurde dieser Tempel zerstört. Das war ein tiefer Schock. Da haben die Menschen jahrhundertelang den Tempel als Zentrum ihres Lebens, ihres Glaubens, ihres Fühlens angesehen, und plötzlich gibt es ihn nicht mehr.

Liebe Gemeinde, das ist das Thema dieses Tages. Ein Trauertag, aber auch ein Tag, der davon erzählt, wie die Menschen damit umgehen, mit dieser Leere, die durch den Verlust entsteht. Ein Tag, der von Versuchen erzählt, diese Katastrophe zu erklären.

Auch für Christen ist die Zerstörung des Tempels ein Verlust. Auch die christliche Gemeinde zur Zeit der Apostel versammelte sich zunächst täglich im Tempel, zumindest diejenigen, die in Jerusalem wohnten.

Als sich die Nachricht von der Zerstörung des Tempels den christlichen Gemeinden über all in der Welt bekannt wurde, waren sie sehr betroffen. Aber man erinnerte sich auch daran, was Jesus über den Tempel gesagt hatte.

Man erzählte sich die Geschichte, die Johannes aufgeschrieben hat. Man erzählte, wie Jesus einst die Händler im Zorn aus dem Tempel vertrieb, und wie er von der Zerstörung und dem Wiederaufbau des Tempels sprach.

Als Jesus in den Tempel kam, sah er dort nicht nur Menschen, die zum Gebet kamen, sondern viele, die dort auf irgendeine Weise Geld verdienten. So gab es Geldwechsler, die den Menschen ihre Münzen in den syrischen Silberschekel wechselten, damit sie damit ihre Tempelsteuern bezahlen konnten. Er sah Händler, die den Menschen Opfertiere verkauften, direkt im Tempel und sicherlich zu überhöhten Preisen. Da wurde Jesus zornig.

2, 5 Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um. 16 und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!17 Seine Jünger aber dachten daran, dass geschrieben steht »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.«

Jesus handelt hier aus Liebe zum Tempel. Damit machte sich er sicher nicht nur Feinde, denn ich denke, viele hatten über die überhöhten Preise und Wechselkurse gestöhnt. Frommen Leuten war diese Art von Handel im Tempelbereich schon lange nicht recht.

Unter der Gruppe der Sadduzäer, die an diesem System verdienten, machte sich Jesus aber Feinde, Todfeinde, die ihn später den Römern zur Kreuzigung auslieferten.

Vorerst hält aber niemand Jesus auf. Viele andere Juden, auch Pharisäer, waren durchaus beeindruckt von dem, was Jesus im Tempel tat.

Sie wollten mehr von ihm wissen, sie fragten nach seiner Vollmacht und sie wollten ein Zeichen, dass er tun durfte, was er getan hatte. Halb waren sie schon auf seiner Seite. Wenn sie es nicht gewesen wären, dann hätten sie nicht gefragt, sondern die Polizei geholt oder ihn sofort gesteinigt. Diese Leute taten nichts gegen ihn. Im Gegenteil: Sie sagen: „Wir möchten dir gerne glauben, gib uns ein Zeichen, dass wir Glauben können.“

Jesus gab ihnen ein Zeichen, aber eines, das sie nicht verstanden, eines, das sogar seine Jünger erst viel später verstanden:

19 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. 20 Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? 21 Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.

Diese Worte verstanden die Jünger Jesu erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung, noch besser verstanden sie die Worte, als der Tempel zerstört war, etwa 40 Jahre später. Zur Zeit Jesu erschien den meisten eine Zerstörung des Tempels undenkbar, und doch geschah es. Etwa 40 Jahre später gab es Krieg zwischen Juden und Römern, den sogenannten „Jüdischen Krieg..“

Der Tempel war das Zentrum des Judentums und die Römer glaubten, wenn sie ihn zerstörten, dann hätten sie das Judentum ein für alle mal vernichtet.. Aber da irrten sich die Römer. Das Judentum unter der Führung der Pharisäer sammelte sich neu um ein anderes Zentrum, das es vorher schon gegeben hatte. Man erinnerte sich daran, was das Volk Israel getan hatte, als der erste Tempel zerstört war und man sammelte sich neu um die Heilige Schrift. Die Heilige Schrift ist das Zentrum des Glaubens. Die Idee des Tempels wurde wichtiger als der Tempel selbst. Fast 2000 Jahre lang, konnten Juden sagen: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, ohne dass sie damit rechneten, dass sich der Wunsch erfüllte. Die Trauer blieb, nicht umsonst heißt die einzige erhaltene Mauer des Tempels „Klagemauer“. Aber das Judentum besteht weiter, auch ohne Tempel.

Auch das Christentum sammelt sich seitdem ausschließlich um das Wort Gottes. Um das Wort Gottes und um Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Der Evangelist Johannes versteht Jesus als das Fleisch gewordene Wort Gottes. Im ersten Kapitel des Johannesevangelium heißt es: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Christus wurde gekreuzigt und ist am dritten Tage auferstanden von den Toten. Vorher sagte er: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichte.“ Das, was die christliche Gemeinde zusammenhält, kann kein Feuer, kein Schwert und auch keine Bombe zerstören.

Liebe Gemeinde, Christen und Juden leben und glauben heute ohne den Tempel in Jerusalem. Das Wort Gottes ist das, worum wir uns sammeln: das Wort Gottes in Gestalt der Bibel für Juden und Christen und in Gestalt Jesu für uns Christen.

Damit erinnern wir uns an unsere Ursprünge, an den Anfang des Tempels als Ort für die Bundeslade, die das Wort Gottes enthielt.

Als der erste Tempel zerstört wurde, wurden die meisten Biblischen Schriften gesammelt oder geschrieben. Es wurde erkannt, dass das Volk Gottes nur bestehen kann, wenn es auf Gottes Wort hört. Die Menschen erkannten aber auch, dass sie auf das Wort Gottes überall hören konnten, nicht nur im Tempel.

Als der zweite Tempel zerstört wurde, 600 Jahre später, da erinnerte man sich daran, wie man damals mit Hilfe des Wortes Gottes die Krise überwunden hatte.

Eine Neubesinnung auf Gottes Wort hilft, mit der Trauer umzugehen. Aus der Besinnung auf Gottes Wort ensteht der Gedanke: Auch wenn alles zerstört wird, Gottes Wort bleibt. Daran können wir uns festhalten.

Liebe Gemeinde, Rückbesinnung auf die Anfänge und das, was uns bis hierher getragen hat, hilft, mit Trauer umzugehen. Wir Christen können uns nicht auf die Anfänge besinnen, ohne uns mit dem Judentum zu beschäftigen. Denn Jesus war Jude, lebte als Jude und ging wie alle Juden damals regelmäßig zum Tempel.

Der Tag, an dem der Tempel zerstört wurde, war ein trauriger Tag für Juden und für Christen. Das Gedenken an diesen traurigen Tag gibt Anlass, darüber nachzudenken, was bleibt, wenn alles vergeht, was stärker ist als Krieg, Bomben und Selbstmordattentäter.

Was bleibt, wenn alles vergeht, ist Gottes Wort.

Sibylle Reh
sreh@gmx.de

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