Johannes 3, 1-8

Johannes 3, 1-8

Liebe Gemeinde!

“Tut mir leid, dass ich so spät noch störe, aber ich
hab’ noch Licht gesehen, und weil ich mir keinen Rat mehr wußte…“
Es kommt schon öfter mal vor, dass jemand zu nächtlicher Stunde
an der Pfarrhaustür klingelt.
Der Druck der Probleme ist dann meist so groß geworden, die Fragen
so brennend, dass sich jemand endlich traut, sie anzupacken, manchmal
erst im Schutz der Dunkelheit, manchmal kurz vor der Abreise von der
Insel.
Sehr intensive Gespräche meist.
Manchmal ein erster Schritt zu einem neuen Anfang.
Wir kennen vermutlich alle Nächte, in denen uns Lebensfragen einholen,
gerade im Dunkeln, wenn nichts mehr ablenkt oder stört sind sie
mit einemmal wieder so präsent.
Wie gut, wenn dann jemand da ist, der zuhört, eine, die rät,
mitdenkt.
Nächtlich aufgeworfene Lebensfragen – auch die MitarbeiterInnen
in den Nachtschichten der Telefonseelsorgestellen wissen viel davon.
“Das Nachtgesicht der Kirche“ ist der Untertitel eines Buches
zum Thema.
In aller Anonymität Fragen stellen zu dürfen, gemeinsam nach
Lösungen und Antworten zu suchen, auch mitten in der Nacht, das
kann ungeheuer entlastend sein.
Heute haben wir nachzudenken über einen, der sich sogar auf den
Weg macht, mitten in der Nacht, um seine Frage loszuwerden.

Lesung: Johannes 3, 1-8

Was eigentlich ist so wichtig, so interessant und bedeutsam an diesem
Gespräch, daß es über diese eine spezielle Situation
zwischen den beiden Gesprächspartnern damals hinausweist?
Steckt etwas darin, was uns bis heute Orientierung geben würde?
Was ist so spannend daran, daß es der Evangelist Johannes immerhin
für wert befand, aufgezeichnet und festhalten zu werden?
Worum geht es denn in diesem nächtlichen Gespräch zwischen
den beiden wirklich??

Welche Motive Nikodemus genau bewegt oder gequält haben, davon
erfahren wir nichts.
Er als bedeutendes Mitglied des Synedriums, Pharisäer, einflußreicher,
wichtiger Mann in Jerusalem, er kommt jedenfalls auch nachts.
Heimlich.
Im Dunkeln sucht er Jesus auf.
Man könnte jetzt stundenlang darüber spekulieren, weshalb er
gerade nachts kommt und reden möchte.
Will er wirklich nur unerkannt bleiben, wie oft vermutet worden ist,
seine Existenz nicht gefährden, falls er als Anhänger eines
fragwürdigen Rabbi erkannt wird?
Oder möchte er einfach nicht gestört werden bei seiner wichtigen
Frage?
Dem Rummel entgehen, der sonst den ganzen Tag um Jesus herum stattfindet?
Dass Nikodemus nachts fragt – es mag auch damit zu tun haben, dass die
jüdische Tradition vom Rabbi das nächtliche Torastudium verlangt.
Der Austausch, das Gespräch über die memorierten Texte gehört
dann dazu.

Nikodemus’ Geschichte ist die Geschichte von einem, der so mutig
war, sich auf die Suche zu machen,
sich viele kluge Gedanken gemacht hat, intensiv studiert, gearbeitet,
komplizierte Bücher gelesen hat und vielleicht sogar geschrieben

Jetzt kommt er zu er Jesus mit all seinem Wissen, seiner Erkenntnis.
Es ist die Geschichte von einem, der dennoch die Sehnsucht nach Leben
kennt,
entscheidende Fragen sind offen geblieben bei allem Forschen, Fragen
und Erarbeiten…

Die Gesprächseröffnung hört sich im ersten Moment freundlich,
zustimmend an.

Du unterstreichst was du sagst durch das, was du tust; Rabbi,“ –
sagt Nikodemus.

Niemand kann die Zeichen tun, die du tust! Wir wissen, dass du von Gott
kommst.
Wie unsere Propheten, die konnten das auch, das mit den Zeichen!“
Ein großes Vorschuß-Vertrauen, und dennoch: Das hört
sich für mich aber auch an wie: “Sieht eindrucksvoll aus,
aber ich hätte doch Lust, mit dir über die rechte Lehre zu
streiten, deine mit meiner eigenen zu vergleichen!
Unterschiede festzustellen, Übereinstimmungen zu suchen?!
Stimmt das denn überhaupt? Steht hinter dem, was du tust, Jesus,
wirklich mehr als wir sehen können?
Die Zeichen, die du tust, willst du uns tatsächlich Gott damit zeigen?
Kann das sein?
Ganz anders, als wir ihn bisher kannten?
Ganz neu, uns zugewandt, freundlich?“
Zeichen.
Am Ende seines Evangeliums versucht Johannes eine Antwort : (Joh. 20,30)

Diese Zeichen sind geschrieben…damit ihr glaubt…“
Ich denke, die Nikodemus- Geschichte hat auch genau dieses Ziel!
Sie will helfen, die Zeichen richtig zu deuten?
Aber was meint Nikodemus überhaupt, wenn er von „Zeichen“ spricht?
Johannes hat einiges gesammelt an Zeichenhandlungen, die Jesus tut :
Da spricht Jesus mit einer samaritanischen Frau und bittet sie um Wasser!
Er sagt ihr die Wahrheit über die Deutung ihrer Lebensgeschichte;
Johannes erzählt davon, dass Fünftausend satt geworden sind.
Er berichtet von der Heilung eines Menschen, der ohne Augenlicht auf
die Welt gekommen war, ihm gehen die Augen auf!
Das Zeichen steht nie allein, immer hat es einen tieferen Sinn, steckt
noch was anderes dahinter;
Wie mit einer Fotolinse kann man eine größere Tiefenschärfe
einstellen und Neues entdecken!
Alle Zeichen-Erzählungen machen zugleich wichtige Aussage über
Jesus selbst.
Er spricht von sich, beschreibt mit diesen Geschichten seine Beziehung
zu den Menschen und zur Welt.
Wasser des Lebens, Brot des Lebens, Licht der Welt..
Und immer heißt es danach: sie oder viele oder alle glaubten an
ihn!
Sie wußten plötzlich: in dem, was wir gerade erlebt und gesehen
haben, ist Gott selbst gegenwärtig.
In diesem Jesus ist jetzt schon ein Stück “Reich Gottes“ erlebbar,
sichtbar, mitten unter uns.
Etwas von der Sehnsucht nach Leben, nach neuem Leben könnte sich
in der Begegnung mit ihm schon erfüllen.
Das erleben die, die die Zeichen zu deuten verstanden und an ihn glaubten.

Neu geboren werden- aus Wasser und Geist³ nennt Jesus das.
Auch wenn das Gespräch an der Stelle eine überraschende Wendung
zu nehmen scheint- er meint eigentlich nichts anders!

Veränderung, neuer Anfang – das ist ohnehin schon schwierig genug!
Ich erinnere mich:

Bist du aber groß geworden!“
Als ich noch klein war, habe ich diesen Satz gehasst, er kam fast automatisch,
wenn Verwandte oder Freunde der Familie zu Besuch kamen, die das kleine
Mädchen lange nicht gesehen hatten.

Ist doch klar, dass ich wachse und größer werde“ dachte
ich,“wär’ ja schlimm, wenn’s nicht so wäre!“
Heute höre ich manchmal: “Hast du dich aber verändert!“
Das hört sich / fühlt sich ganz anders an!
Manchmal kann ich mich darüber freuen, weil offenbar etwas deutlich
wird davon,
dass sich mit dem neuen Outfit , Frisur, Pullover, Farben – noch mehr
verändert hat, drinnen, in meiner Seele.
Gut, hören/ fühlen zu können, dass das geht, manchmal
weiß man selbst nicht so recht, wie;
aber: alles ist anders geworden.
Manchmal ist aber auch nur die Sehnsucht da nach neuer, veränderter
Existenz,
danach, dass eines Tages alles neu werden möchte,
die Hoffnung auf Gottes Reich.

“Wie kann das zugehen?“
Biblische Texte lesen, erzählen; schon – aber wo sonst noch?
Vielleicht heute auch in Sätzen wie: “Hast du dich aber verändert.“?
Vielleicht hilft es weiter, zu entdecken, was bei dem/der anderen geschehen
ist,
was sich bewegt hat, wie er/ sie Leben deutet;
herauszufinden, was dahinter steckt, die Tiefenschärfe wahrzunehmen.
Zeichen, Bilder kann ich immer so deuten – oder auch ganz anders, kann
sie beiseite legen oder immer wieder neu betrachten.
Sie können einen kalt lassen – oder man kann dabei ein warmes Herz
bekommen!
Auch in dem, was ich sehe/ erlebe, was ich denke und fühle will
mich Gott erreichen.
Und das kann ich nicht produzieren, weder bei mir selbst – noch womöglich
gar bei anderen.
So finden wir uns in der paradoxen Lage wieder, dass wir Erfahrungen,
Bilder, Zeichen brauchen zum Glauben und zum Leben, und dürfen doch
nicht daran kleben bleiben, sie für den Glauben selbst halten das
wäre wie der Versuch, mit den Händen einen Regenbogen festzuhalten!!!
im Gegenteil:, erst wenn ich bereit bin, loszulassen und einen Schritt
zurückzutreten, dann kann ich sehen, dass unter dem Regenbogen alles
in ein anderes Licht getaucht ist;
mich und die Welt mit anderen Augen sehen,

Nicht zu fassen!“ sage ich vielleicht und bin doch bewegt von dem,
was mir widerfährt.
Fängt so das Reich Gottes an?
Ungreifbar?
Weil der Geist weht, wo er will?
Und doch ganz nah und spürbar, mich verändernd!
Jedenfalls; ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Amen.

Elisabeth Tobaben, Inselkirche Juist
E-Mail: Elisabeth.Tobaben@evlka.de

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