Johannes 4,19-26

Johannes 4,19-26

Blicke über den Brunnenrand | Pfingstmontag | 29.05.2023 | Joh 4, 19-26 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

Favoriten sind eine gute Hilfe, zum Beispiel beim Handy. Sie vereinfachen Anrufe aus einer langen Namensliste. Beim Beten ist es einfach, da ist Gott unser einziger Adressat, dafür haben wir umso mehr Anliegen. Wir beten beispielsweise um mehr Frieden oder längere Gesundheit, weniger Stress und hilfreichen Segen.

Wenn mir meine Themen über den Kopf wachsen, greife ich gerne auf bekannte Gebete zurück. Das Vater-Unser ist so ein Universal-Gebet; es baut auf, es benennt Probleme, es macht Mut und bettet uns in Gottes Kraft. Außerdem komme ich ohne Verlegenheit durch bis zum „Amen“, denn es hat einen guten „flow“. Anders behelfe ich mir bei einer seelischen Erschöpfung; da wiederhole ich, was meine Großmutter vor sich hinsang: „Jesus, Du bist der Töpfer, ich bin der Ton. Mach aus mir etwas nach deinem Sinn, während ich harre, nimm mich ganz hin!“ – Doch an den guten Tagesanfängen, wenn ich mich zum Lebensglück entscheide, dann singe ich zu Gott mein Lieblingsgebet: „Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel, denn die Nacht ist verflattert!“

Zu einigen unsrer Gebets-Favoriten haben wir Melodien in uns. Sie helfen unserer Konzentration und machen uns hörbereit für den Widerhall in Gott. Auch in diesem Gottesdienst spüren wir: „Wer singt, betet doppelt!“ Zum Beispiel im Lied: „Gott, wir öffnen uns vor dir, in dir wohnt die Wahrhaftigkeit. Schön sind deine Namen. Halleluja!“

So bleiben wir zusammen als Anfängerinnen und Anfänger im Glauben, im Beten und im Handeln. Dazu hören wir heute, am Pfingstfest, einen Impuls, den Jesus so sagt: „Gott ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein!“ Oder im Luther-Deutsch: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ – Jesus sagt da ein hartes „Müssen“, aber er deutet auch eine Hilfestellung an: „Gott ist auch Heiliger Geist, darin habt ihr die Möglichkeit, ihn zu kontaktieren. Weil Gott in sich reich ist, könnt ihr es auch werden – durchs Beten.“

Nun klingen „im Geist“ und „in der Wahrheit“ wie schwer zugängliche Räume. Tatsächlich ist Jesu Zuordnung – „beten im Geist und in der Wahrheit“ – eine Absage an Heilige Berge wie den Zionsberg oder den Garizim-Berg, der für Jesu Gesprächspartnerin Pflicht ist. „Die alten Höhenheiligtümer sind passe“, stellt Jesus fest, „es reicht und es erfüllt uns, wenn wir Gott gemeinsam im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Dieser Sätze entstammt dem längsten Gespräch der Bibel, dem zwischen Jesus und der Frau am Jakobsbrunnen. Der Evangelist Johannes berichtet es, ich erzähle es uns nach.

In der Mittagshitze kommt eine Frau allein aus ihrem Dorf, um Wasser zu holen am Brunnen, den der Erzvater Jakob hatte anlegen lassen. Ein ihr fremder Wanderer, Jesus allein, setzt sich zu ihr und bittet sie um einen kühlen Schluck. Aber die Frau weist ihn zurück. Er – als Jude – darf sie – als mißachtete Samaritanerin – nicht ansprechen, auch nicht mit so einer Bitte. Doch Jesus deutet an, dass er über „lebendiges Wasser“ verfügt. Worauf die Frau ihn amüsiert fragt: „Du hast doch keinen Eimer und der Brunnen ist sehr tief. Außerdem ist Jakob sein Schutzpatron, bist Du mehr als der?“

Darauf Jesus: „Wer dieses Brunnenwasser trinkt, wird wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, bekommt eine innere Quelle, die bis ins ewige Leben weitersprudelt.« – Doch auf ihre Bitte: „Gib mir davon, dann kann ich mir dieses tägliche Wasserschleppen ersparen!“ fordert Jesus sie unverblümt auf: „Geh und bring deinen Mann her!“ – Dem entgegnet sie: „Ich bin fünfmal verwitwet und geschieden, und jetzt lebe mit einem ohne Eheschein.“ „Ja“ erwidert Jesus, „das ist die Wahrheit.“

Daraufhin fragt ihn die Frau: „Ich spüre, dass du ein Prophet bist. Wir beten hier seit Urzeiten auf unserm Berg, ihr Juden aber wollt für die Jahwe-Anbetung nur euren Berg Zion! Was nun?“ Jesus antwortet ihr: „Euren Berg lasse ich euch, aber Gott hat aus uns Juden heraus die Rettung nun für alle Menschen inszeniert. Sein Heiliger Geist wird jeden Menschen befähigen, an jedem Ort zu beten. Denn Gott ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein“. „Ja“, sagt die Frau, „dann warten wir mal weiter auf den Messias!“ Woraufhin Jesus sich outet: »Er spricht mit dir; ICH bin es.« – Sofort stellt die Frau ihren Schöpfeimer ab, rennt ins Dorf und ruft:  »Da ist einer, der offen mit mir spricht. Kommt, seht und hört ihn euch an, ob er der versprochene Retter ist!“ Spontan brechen alle auf und umlagern Jesus.

Soweit die Erzählung, in der alle eine Veränderung erfahren: Die Dorfbewohner, die Frau, selbst Jesus. Die Seelenlage der Beiden ist so: Jesus hat eine von Gott erfüllte Seele, die Frau kommt männerseelenallein. Ihre religiöse Prägung ist so: Die Frau ist angepasst in den Traditionen, die ihr aber nicht helfen, Jesus dagegen überschreitet und untergräbt alle Konventionen. Die Gender-Begegnung ist so: Die Frau kennt reichlich schädliche Männlichkeit, aber diesen Jesus erlebt sie als puren Erlöser, als Gottes-Mann im befreienden Sinn. Der Dialog erfolgt so: Die Frau bringt ihren Humor ein, Jesus verzichtet auf Häme. Sie geht mit sich selbst schonungslos um, weil es sie befreit. Er deckt seine Messias-Identität auf, weil es ihn befreit. Diese Linien in der Geschichte sehen wir neu, denn wir spüren neue Gewissheiten – bei Jesus, bei der Frau, bei den Dorfbewohnern und danach auch bei den irritierten Jüngern. Wir können uns gut vorstellen, dass dieser Nachmittag am Jakobsbrunnen sehr fröhlich wurde, bis hin zum Lied der Frau: „Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel. Ein neuer Tag, der glitzert und knistert, knallt und jubiliert von deiner Liebe. Danke Jesus, Halleluja Gott!“

Johannes erzählt die Geschichte so, als ob Jesus nach seiner Himmelfahrt die Stationen seines irdischen Lebens ein zweites Mal durchwandert. Wieder nimmt er den Umweg durchs Gebirge Samarias, dieses Mal begleitet er nicht den barmherzigen Samariter, jetzt ist er offenherzig zur Samariterin am Jakobsbrunnen. Doch in den Zwischenjahren haben die Römer auch den Jerusalemer Tempel bis auf die Klagemauer geschreddert. Wo jetzt noch beten, wenn Gott dort nicht mehr thront und wohnt? Und mit welcher Einstellung beten? Orthodox oder spirituell, ortsgebunden oder authentisch?

Jesus kann dazu mit der Frau am Jakobsbrunnen eine Antwort finden: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Dazu hat die Samariterin den Brunnen in sich selbst entdeckt – den zur Gebetspraxis und den zum Lebensfrieden. Sie legt ihren Eimer zur Seite, denn nun sprudelt es aus ihr selbst heraus. Aus Jesu Rede wird bei ihr ein Aufbruch. Es glitzert und knistert, es knallt und jubiliert aus ihr heraus, dass sie die Wahrheit über sich gefunden hat, eine neue Lebensklugheit und einen selbstbestimmten Weg. Dazu eine Sprachfähigkeit, die kompatibel ist mit ihrem Schöpfer. Und das alles auf Initiative des auferstandenen Christus‘. (Oder in den Worten der Dorfbewohner: „Dieser ist wahrlich der Welt Heiland!“)

Die Geschichte mündet also nicht in eine Belehrung, sondern im Aufbruch, im Gedrängel an einer Quelle. Alle ließen ihre Schöpfgefäße zuhause, jeder war unterwegs zur Entdeckung der „inneren Quelle, die bis ins ewige Leben weitersprudelt“. Und das alles auf Einladung der Frau.

Wir können weiterdenken, ohne unseren Lebenshunger zu überspielen. Wenn wir Vertrautes beten, hat sich unsere Einstellung dazu bereits verändert. Zum Beispiel bitten wir in unserem Gebets-Favoriten, dem Vater-Unser, Gott „um das tägliche Brot“. Unsere Bitte ist wahrhaftig, auch wenn die Realität aus zig Brotsorten besteht. Diese Brot-Bitte in Wahrheit zu beten, bewirkt, dass wir unsere Rolle in dieser Bitte erkennen. Denn das Brot wird auch durch uns verteilt, so oder so. „In der Wahrheit beten“ setzt also beides in Gang, eine Ehrlichkeit und verantwortliches Handeln.

Wir können weiterdenken, ohne unseren Lebensdurst zu überspielen. Als Gott seine Schöpfung aus der Urflut hob, schenkte er ihr Schönheit und Stabilität, Zerbrechlichkeit und Fortpflanzungsfreude. Neues zu erschaffen, ist die ureigenste Wirkung des Heiligen Geistes. In unserem Gebets-Favoriten, dem Vater-Unser, stellen wir uns abschließend unter „Gottes Kraft und Herrlichkeit in Ewigkeit“ – ganz im Sinne einer „inneren Quelle, die ins ewige Leben weitersprudelt“. Unsere Gaben-Bitte ist wahrhaftig, auch wenn wir unser Leben fast nur mit Ich-Aktionen gestalten. „Im Heiligen Geist beten“, schließt uns also mit ein. Es bewirkt, dass wir uns ehrlich machen, auch mal über den Brunnenrand schauen und gemeinsam Gott feiern, weil es bei uns und anderen glitzert und knistert. Amen.

Nachweise:

Lied: „Nimm du mich ganz hin“ Text: A. P. Mihm, Melodie: George Coles Stebbins; Gebet/Kanon: „Ich werfe meine Vögel“ aus Westafrika, überliefert von Fritz Pawelczik; benutzte Literatur: „Johannes-Kommentar“ BdNT von Walter Klaiber; „Vom Vater verwundet“ von Hildegunde Wöller; Text von Theo Schmidkonz SJ/Patmos zum Bild „Die Frau am Jakobsbrunnen“ von Sieger Köder

Lieder:

Ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel (Pawelczik/Kanon)

Wir strecken uns nach Dir, in dir wohnt die Lebendigkeit (Barth/Janssens)

Ich vergesse, was hinter mir liegt (Stiegler)

Stellst unsre Füße, Gott, auf weiten Raum (Petzold/Schlaudt)

Komm, Herr, Heilger Geist, kehre unsre Herzen aus (Philipp)

Windhauch unerwartet (Zisler/ Akepsimas)

Erschein, du heilger Geist, die Liebe Gottes selbst (Trautwein/Libanon)

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Ein Frauenpsalm:

Freuen soll sich mein Herz. Aus meinen Tiefen heraus werde ich lachen. Beben wird mein Leib vor Vergnügen. Im Tanz wird er sich wiegen, denn schön bin ich in den Augen Gottes, die mich werden ließ; eine wunderbare Gestalt gab sie mir. Nicht ausgeschöpft ist das Meer meiner Möglichkeiten. Noch heute werde ich Neues beginnen. Heil soll ich sein, dazu bin ich berufen. Heil sei mein Leib, mich zu heilen ist er befähigt. Heilsam sei mein Leben! Aus der Fülle heraus darf ich kreativ sein. Mangel macht mich nicht karg. Verletzungen töten mich nicht. Lebenslust lacht mir entgegen. Freude am Schönen ist mein Reichtum. Gute Gemeinschaft kann ich gestalten. Lacht mit mir, meine Freundinnen, lasst sie uns leben! Machtvoll sei unser Lachen, kein Spott, keine Häme! Gott lässt mich lachen, erotisch ist unsere Beziehung, aneinander freuen wir uns. Amen

aus: Christel Hildebrand; Frauenkirchenkalender 2000, Pinnow/Schwerin

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Musiker und Arrangeur.

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