Johannes 6,1-15

Johannes 6,1-15

Anfangen! | 7. Sonntag nach Trinitatis | 31.07.2022 | Joh 6,1–15 | Christoph Kock |

  1. Zeichen und Wunder

 

Achtung, gleich kommt ein Wunder. Ich sag’s lieber gleich, weil es vielen doch inzwischen unangenehm oder sogar peinlich ist. Vom Wunder zu reden, anstatt etwas zu überschauen und im Griff zu haben. Einer Macht einen Treffer zugestehen, die über den eigenen Horizont hinausgeht. Allerdings werden manche Ereignisse im Rückblick gern als Wunder verkauft. Der „Zufall von Bern“ hätte wohl deutlich weniger Menschen in die Kinos gelockt. Dann doch lieber mit einem Wunder als mit einer Unwahrscheinlichkeit rechnen. Das ist zumindest unterhaltsam. Googlen Sie mal „Das Wunder von …“. Sie werden sich wundern, wie viele Wunder Sie auf den Streamingplattformen erleben können.

 

In der Bibel sind Wunder Chefsache. Im Johannesevangelium heißen sie Zeichen. Weil sie einen Zweck haben. Etwas anzeigen. So ein Wunder ist nichts anderes als ein Verkehrsschild. Es kommt darauf an es zu erkennen und zu verstehen, wofür es steht und worauf es hindeutet. Johannes erzählt von sieben Wundern, die Jesus tut. Sie zeigen an, wer Jesus ist. Sieben Wunder, sieben Szenen. Schauen wir beim vierten Wundern genauer hin. Im sechsten Kapitel steht:

 

  1. Jesus macht satt

 

Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt.

Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.

Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern.

Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.

Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus:

Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?

Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.

Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme.

Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:

Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?

Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.

Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten.

Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.

Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.

Da Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er allein.

 

III. Aller guten Dinge sind vier

 

Diese Geschichte hab ich doch schon mal gehört? Das würde mich nicht wundern. Sie kommt in jedem Evangelium vor. Johannes erzählt sie zum vierten Mal, wiederholt sie und setzt zugleich eigene Akzente. „Die Speisung der 5000“ heißt diese Geschichte. Der Titel verdeckt ein – Missverständnis? Ebenso wie Markus, Matthäus und Lukas vor ihm erwähnt auch Johannes, dass es 5000 Männer waren, die sich auf Jesu Geheiß gelagert haben. Obwohl viel dafür spricht, dass Frauen und Kinder ebenfalls satt geworden sind. Warum ausdrücklich Männer zählen und Frauen nur im Sinn haben? Kulturell scheint das tief verankert. Wenn etwa ein Ehepaar ein Haus besitzt und nur der Mann mit Informationen zur Grundsteuerreform vom Finanzamt NRW angeschrieben wird, wie letzten Monat geschehen.[1]Mich stört jedenfalls, dass Johannes nur die Männer zählt.

 

Worum es geht: Menschen machen sich auf den Weg zu Jesus. Manche haben gesehen, wie Jesus Kranke geheilt hat. Auch so ein Zeichen. Das spricht sich herum. Das zieht sie an. Und sogar in ödes Gelände. Jesus zieht sich mit seinen Jüngern zurück, aber die Leute kommen hinterher. Viele Leute.

Jesus will wissen, wie die Leute versorgt werden sollen: „Wo kaufen wir Brot?“ Jesus fragt Philippus und Philippus ist ratlos. Die Ressourcen der Jünger reichen nicht aus, die Menschen satt zu bekommen. Jesus weiß das schon längst, aber er wollte Philippus auf die Probe stellen. Und dann kommt jemand ins Spiel, den Johannes gar nicht mitgezählt hat, aber den er dennoch hervorhebt. Was jetzt geschieht, das geschieht nur in seiner Version der Geschichte:

 

  1. Da ist ein Junge…

 

Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:

Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?

 

Da ist ein Junge. Eine Ration Armer-Leute-Essen hat er dabei. Der Junge bekommt keinen Namen, als ob er dafür zu klein und machtlos wäre, bestenfalls eine Randfigur. Und Andreas beeilt sich, seinen eigenen Hinweis kleinzureden. „Hier ist … der hat … Ach, das reicht doch hinten und vorne nicht.“

 

Wie Mann sich täuschen kann. Der Junge ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Bereit, das Wenige zu teilen, das er hat. Anstatt es still und heimlich alleine aufzuessen, legt er es auf den Tisch. Rührend idealistisch. Sich selbst überschätzend. Realitätsfremd. Eben ein Kind. Von wegen. Wegen des Jungen hat Jesus etwas zu feiern. Er weist die Jünger an, die Leute darauf vorzubereiten. Sie sollen sich lagern. Was jetzt passiert, passiert nicht im Stehen. Das braucht Platz. Das braucht Zeit. Das braucht den Blick in andere Gesichter. Dann kann es losgehen. Nach jüdischer Sitte feiert Jesus ein kleines Erntedankfest, gefasst in ein Gebet für die Gaben und dann reicht er sie weiter.

 

Gleich werden sie satt sein. Gleich wird viel übrigbleiben. Das wird gesammelt, nichts verkommt. Gleich werden sie ein Zeichen erlebt haben. Wegen eines Jungen. Mit einem Kind öffnet sich der Himmel. Was genau geschehen ist, wird nicht erzählt und ist doch eine Frage wert.

 

  1. Gemeinsam satt werden

 

Eine Frau aus den USA erzählt, wie sie sich auf eine mehrstündige Busfahrt in Thailand vorbereitet hat. Mit wachem Blick für kulturelle Eigenarten der Region. Dazu gehörte für sie ein Lunchpaket mit Essen, das sich gut teilen lässt: Kekse und Obst zum Beispiel:„Gegen Mittag packten die zwei Europäer vor mir ihren Proviant aus und ließen es sich schmecken. Das duftete so appetitanregend, dass auch ich meine Sachen hervorholte. Ich bot den beiden von meinen Weintrauben an, aber sie lehnten dankbar ab. Sie hätten ja selber etwas mitgebracht. Auch von den Keksen wollten sie nichts haben.

 

Darauf stand ich auf und reichte meine Weintrauben herum. Es waren Menschen aus Afrika, Südamerika und Asien im Bus. Wir alle waren auf der Rückreise von einem Kongress. Sie nahmen dankbar an und holten ihrerseits ihre Lunchpakete hervor, um davon anzubieten. Bald wanderten Tüten mit getrocknetem Fisch, Kartoffelchips, Sandwiches, Käse und vielem andern hin und her. Und so wurde es zu einem kleinen Festessen für uns alle.

 

Die beiden Europäer ließen sich zwar ihren Proviant schmecken, aber etwa viel Wichtigeres entging ihnen völlig. Wichtiger als die Sättigung war das Gemeinschaftsgefühl in diesem Bus, von dem sich niemand ausgeschlossen fühlen musste. Diejenigen, die nichts beizutragen hatten, fielen nicht auf, weil sie Teil des Ganzen waren. Weil wir alles teilten, gab es unter uns keine Wohlhabenden und keine Habenichtse.“[2] Ein verbindender Moment. Vielleicht sogar ein Wunder – zumindest für Menschen aus Kulturen, in denen es üblich geworden ist, schnell und allein zu essen.

 

  1. Annäherung an ein Zeichen

 

Die Frage nach dem Zeichen bleibt. Menschen kommen zu Jesus und werden satt. An Leib und Seele. „Was hab ich schon getan?“, könnte Jesus sagen (obwohl er es genau weiß). „Ich hab doch Gott nur für das gedankt, was schon da war. Und dann ist es wie von selbst passiert.“

 

Aber wer kann das schon so sehen wie Jesus? Den meisten ergeht es wie Philippus. Sie sehen den Mangel. Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu wenig Menschen, die sich engagieren. Viel zu viele Aufgaben. Sie fühlen sich ohnmächtig und überfordert. Pandemie, Klima, Krieg, Hunger – so große Herausforderungen und zugleich das Grundgefühl: Ich kann nichts beitragen. Ich kann nichts verändern. Ich kann nichts bewirken. Alles geschieht mit mir, bricht über mich herein. Das Gefühl lähmt und macht einsam. Und denen, die mitbekommen, dass da irgendwer doch fünf Gerstenbrote und zwei Fische dabeihat, ergeht es wie Andreas: „Ach, das ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

 

Dennoch: Ressourcen sind da. Jesus fängt an. Dankt Gott für die Gaben, die vorhanden sind. Und dann kann viel passieren. Menschen sitzen mit anderen am Tisch und werden nicht einsam, sondern gemeinsam satt. Essen reicht für alle. Nichts kommt um. Kein Brot im Müll. Ein Zeichen mit einem weiten Horizont. Es reicht. Alle werden satt. Das wird doch nie funktionieren?! Doch. Weil jemand etwas dabeihat. Und es höchste Zeit ist anzufangen, Gott dafür zu danken.

Tagesgebet:

Du teilst aus, Gott,

und Menschen werden satt.

Du liebst, Christus,

und Menschen sind geborgen.

Du bewegst, Heiliger Geist,

und Menschen machen sich auf den Weg.

Hilf uns ergreifen,

was du uns schenkst.

Hilf uns glauben,

was du versprichst.

Sprich du das Wort,

das lebendig macht.

Amen.

(nach: Das neue Gottesdienstbuch, hg.v. Ulrich Kock-Blunk, Gütersloh 2001, S. 103)

Fürbitten:

Du Quelle des Lebens,

du Heimat auf dem Weg,

du Wort, das den Hunger stillt,

du unser Gott!

 

Deine Liebe verbindet,

in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde.

Manchmal auch die,

die sich gar nicht kennen.

Dir legen wir Menschen ans Herz,

die aufeinander angewiesen sind.

 

Deine Liebe schlägt Brücken,

wo Gewalt trennt.

Dir legen wir Menschen ans Herz,

die unter Kriegen leiden

und darin so viel verlieren.

Mut und Kraft zum Frieden

brauchen sie,

ohne dass wir sicher sagen könnten,

wie die nächsten Schritte aussehen.

 

Deine Liebe reicht weiter

als unser Horizont.

Dir legen wir Menschen ans Herz,

die gestorben sind, und die,

die um sie trauern.

 

Gott, komm du zu uns.

Hilf uns, den kommenden Herausforderungen

gemeinsam zu begegnen.

Mit Geduld.

Mit Ausdauer.

Mit Vertrauen,

dass wir in deinem Reich geborgen sind.

Darum beten wir mit Jesu Worten:

Lieder:

„Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (EG.RWL 648/EG.E 20)

„Wenn das Brot, das wir teilen“ (EG.RWL 667/EG.E 28)

„Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (EG.E 23)

„Wo Menschen sich vergessen“ (EG.E 29)

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

[1]                „Grundsteuer: Briefe oft nur an den Mann“, RP vom 24.06.2022.

[2]          Sarah Lanier, Überall zu Hause? Menschen aus fremden Kulturen verstehen, Marburg an der Lahn 42018, S. 52f.

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