Johannes 6,24-35(36-37)

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Johannes 6,24-35(36-37)

Lebenshunger | Lätare | 10.03.2024 | Joh 6,24-35(36-37) – dänische Perikopenordnung | Jan Sievert Asmussen |

Jeden Tag tragen sich neue Unglücke in unser Tagebuch. Die Bombardierung von Zivilisten in der Ukraine, und in Gaza werden Unschuldige erschossen. Raketenangriffe, Minenfelder werden breiter. Jeden Morgen fragen wir uns: Welche schrecklichen News ergaben sich aus dieser Nacht? Man spricht über ‚rote Linien‘; sie sind allesamt längst überschritten, und wir befinden uns jetzt im unbekannten Territorium jenseits aller roten Linien.

Deswegen ist es unmöglich, vorauszuwissen, was der Welt diesen Sonntagmorgen begegnet. Wäre ich ein Kolumnist oder Publizist, würde ich eines wissen: Wenn mein Text gedruckt ist und in den Mailboxen meiner Leser landet, ist er schon überholt und überhöht von Dingen, die bis diesen Moment unvorhersehbar waren. Es liegt ein Nebel über unserer Zukunft.

Dieser Platz ist jedoch kein Ort für Kolumnen und Artikel auf unsicherer Grundlage. Wir suchen das Feste, welches Bestand hat in der unruhigen Welt. Nicht ohne Grund ist das Symbol der Hoffnung genau der Anker, welcher unsere Kähne auch in hoher See eine Verankerung gibt, die nicht schreitet und wankt.

Das Unerschütterliche ist keineswegs, wie man sonst leicht schließen möchte, dass alles nur in eine Richtung geht, nämlich gegen Verfall, Tod und das Ende. Das Unerschütterliche ist, dass Einer sagt: „Ich“ und sich an uns wendet mit einem großen Versprechen: „Seht! Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt!“ Dies sagte Christus vor langer Zeit. Es ist aber ein Wort gerichtet an uns, die hier leben irgendwo zwischen dem Anfang und dem Ende der Welt. Eines ändert sich nicht in der Welt der Sünde und des Todes: Dieses große „ich“, welches ist und in dem wir leben und sind.

 Siebenmal im Johannesevangelium spricht Christus mit diesem „Ich“. Eigentlich hätte er sich mit der Versicherung begnügen können, dass „er ist“, wie Gott es gegenüber Moses am brennenden Dornbusch tut: „Ich bin, der ich bin!“ Im Grunde genügt das zum Trost, diese Worte von einer unerschütterlichen, ewigen Stabilität. Christus fügt jedoch im Johannesevangelium siebenmal etwas hinzu. Ich bin das Licht der Welt, die Tür, der gute Hirte, der Weinstock, die Auferstehung und das Leben, die Wahrheit. Man bemerke: Nicht bloß eine unsichtbare Gegenwart, sondern etwas für Menschen unmittelbar Nützliches und Wichtiges. Der wahre Gott und der wahre Mensch fügt etwas Irdisches zum Bild des ewigen „Ich bin“. Das ist der Sinn von dem Ich-Wort, welches wir heute hören: „ich bin das Brot des Lebens“.

Das Lebensbrot. Das erste Wort „Leben“ bezeichnet, was uns hungrig macht, weil wir Kalorien verbrennen, während wir leben. Wir werfen uns ins Leben, lebenshungernd. Packen an und handeln – in der Erwartung: Wenn der Hunger kommt, wird er gestillt werden. Das Leben ist immer im Voraus: Wer hat je etwas Großes erreicht nach einer deftigen Mahlzeit? Leben ist die bohrende, strebende, kletternde Kraft, angefangen im Kleinkind, das um jeden Preis sitzen will, rollen will,mit Fingern den Brei essen und absolut nicht einschlafen will. Unsere innerste Energie heißt: „Weiter, vorwärts, hinauf!“, den Rücken zur Vergangenheit und alle Sinne auf den nächsten Schritt gerichtet.

Um diese Lebensenergie zu stillen, braucht es Brot. Die Energiereserven müssen gefüllt werden. Das Brot macht es möglich. Und damit sind wir beim zweiten Teil des Christuswortes: „Lebensbrot“. Das Leben macht uns hungrig – was macht uns denn satt?

Der erste und wichtigste Nährstoff ist die Liebe. Keiner kommt voran mit einem „ach“ oder einem „nein“ – um zu können, musst du gesehen und akzeptiert sein. Du musst hören, dass einer sagt: „Ja, du kannst!“, du bist vollkommen akzeptiert. Um das Leben zu meistern, müssen wir wie Kinder leben, die nur den ersten Schritt wagen, weil er aus der Umarmung einer der Eltern getan wird, der hinter dem Kind kniet. Das ist das Brot des Lebens.

Das Nächste, was uns nährt, ist die Vergebung. Aus Leben wird nichts, falls über uns eine dunkle vorwurfsvolle Wolke hängt, Angst vor eigenen Fehltritten und vor dem Zorn anderer. Ich weiß, wir verwenden in der Regel das Wort „Vergebung“ über Vergangenes. Aber viel wichtiger ist es, vergeben zu sein im Voraus! Vergebung für alles, was Du in der Zukunft anstellen wirst – das ist das Brot des Lebens.

Das Dritte im Lebensbrot ist die Barmherzigkeit, und sie ist eng mit der Vergebung verbunden. Jesus spricht über den Balken in deinem eigenen Auge, den du sehen solltest, bevor du den Splitter im Auge deines Nächsten suchst: Du bist um kein Haar besser als deine Geschwister, die dich hetzen und irritieren. Trage deshalb immer einen Taschenspiegel, damit du dich selber betrachten kannst, bevor du deinen Nächsten triffst. Barmherzigkeit war etwas Entscheidendes für Jesus. Sogar am Kreuz sagte er über seine Schächer: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Das ist das Brot des Lebens.

Das Vierte im Lebensbrot ist die Gemeinschaft. Wo zwei oder drei zusammen sind, sagt Jesus, bin ich mitten unter ihnen. Das heißt: Isolation ist Tod, Einsamkeit ist Verzweiflung. Es genügt nicht, ein Lebensziel zu haben. Leben entsteht erst, wenn wir es mit jemanden teilen. Ein einzelner Stock steht kaum aufrecht. Zwei Stöcke stützen einander nur kurzweilig. Sind es aber drei Stöcke, bleiben sie stehen. Wir sind gemeinsam – das ist das Brot des Lebens.

Das letzte und nahrhafteste im Lebensbrot ist die Hoffnung, Voraussetzung aller anderen Zutaten, genau wie die Hefe in einem Brot alle anderen Zutaten voraussetzt. Beispielsweise kann man nur gemeinschaftlich hoffen und nur in der erfahrenen Liebe hoffen. Die Hoffnung macht aus dem Brot, was es werden kann: Nicht nur klebriger Brei, sondern knackiges, duftendes, nährendes Brot. Die Hoffnung greift nach einer Utopie, nach einer Zukunft, wo alles so ist, wie es sein soll. Der Weg dorthin ist weit. Man muss sagen: Die Hoffnung erfüllt sich erst am Ende der Welt. Das macht aber nichts, solange die Utopie lebt. Ein neuer Himmel und eine neue Erde, eine Welt ohne Krieg und Not, Reich Gottes – unsere Bibel bietet viele Bilder dieser Wirklichkeit. Und die größte Hoffnung von allen: Die Macht des Todes wird gebrochen, und die Auferstehung erwartet uns, wie sie Christus in der Osternacht erwartete. „Christus ist auferstanden“ – dorthin richten wir den Kompass unseres Lebens. Das ist das Brot des Lebens.

Um dies zusammenzufassen, wie man einen Teig mit seinen Zutaten sammelt und in den Ofen setzt: Wir sind erschüttert, aber nicht verzweifelt. Wir sind geschlagen, aber nicht erschlagen. Wir sind verängstigt, aber nicht ungetröstet. Mit je unserem Leben und je unserer Sorge – aber siehe, wir leben. Denn wir haben das Lebensbrot. Christus reicht es uns jeden Tag in seinem Wort. Ohne das Brot würden wir keine Ahnung haben, wohin die Welt geht. Aber wir haben das Lebensbrot, und deshalb sind wir nie ohne Zuversicht. Das letzte Wort erhält der dänische Liederdichter Grundtvig mit diesem enorm trostvollen und starken Vers: „Dies Wort steht auch den Kleinen bei, lässt sie den Sieg erringen, der Todeswunde lachen frei und übers Grab gar springen“[1]. Das ist das Brot des Lebens.

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Pastor Jan Sievert Asmussen

DK-3520 Farum

Email: jsas(at)km.dk

 

[1] Nr. 319, V. 5 im Dänischen Gesangbuch, hier nach der Übersetzung im Deutsch dänischen Kirchengesangbuch.

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