Johannes 6,44-51

Johannes 6,44-51

Pfingstmontag | 20.05.2024 | Johannes 6,44-51 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

Das Brot des Lebens

Ich springe, sagt der Mann verzweifelt. Er steht auf dem Absatz vor dem Fenster in einer Wohnung auf dem 11. Stockwerk. Es ist eine Wohnung, die er auf Manhattan gemietet hat, und am Ende des Romans von Jan Kjærstad Der Verführer[1] tut er, was er kann, um den verzweifelten Fremden von seinem Vorhaben abzubringen. Lass das sein, spring nicht, sagt Jonas. Gib mir einen Grund, nur einen guten Grund, nicht zu springen, sagt der Mann. Was antwortet man da? Wenn man weiß, dass es in diesem Augenblick an einem selbst und niemand sonst liegt, ob ein anderer Mensch in den Abgrund springt oder ins Leben zurückkehrt.  Wie überhaupt die richtigen Worte finden? Jonas kriecht hinaus auf den Absatz, und als er auf den Knien zwischen Himmel und Erde liegt mit Angstschweiß auf der Stirn und 10 Etagen freiem Fall unter sich, bekommt er einen glücklichen Einfall. Du bekommst ein neugebackenes Brot, sagt er. Und eine gute Geschichte. Das sind zwei gute Gründe. Und tatsächlich, es funktioniert. Der Mann bekommt einen überraschten, erwartungsvollen Ausdruck im Gesicht, und kurz darauf kriecht er langsam zurück auf dem Absatz und in das Fenster, um das zu bekommen, was Jonas ihm versprochen hat. Es ist offenbar das, was ein neugebackenes Brot und eine gute Geschichte bewirken können, den ganzen Unterschied zwischen Leben und Tod.

Und das ist ja auch der Gottesdienst – auf die möglichst kurze Formel gebracht: Ein Brot und eine gute Geschichte. Im Evangelium vom Pfingstmontag geht es darum, was geschieht, wenn wir in die Kirche gehen. Es geht darum, dass man hört und zu ihn hingezogen wird, von dem wir hören – und darum, ihn zu essen. Das Brot essen, das vom Himmel kommt. Die Geschichte und das Brot als Begegnung zwischen uns und Gott. So folgt das Evangelium sehr schön der Erzählung aus der Apostelgeschichte, wo wir hören, dass die Gemeinde festhielt an der Lehre und dem Brechen des Brotes. Man kann sich darüber wundern, dass wir kein Wort vom Heiligen Geist hören. Vielleicht, weil es Pfingsten geworden ist. Der Heilige Geist ist gekommen, wir sollen ihn nicht betrachten oder analysieren, denn er wirkt schon. Er weckt, schafft, bläst Leben in die Worte und in uns. Von nun an wirkt er im Gottesdienst, durch das Brot und die gute Geschichte.

Wie der Mann auf dem Absatz zwischen Himmel und Erde bekommen wir beides. Zusammen mit dem Brit bekommen wir die Geschichte von ihm, der es sich gefallen ließ, dass sein Fleisch geschlagen und ans Kreuz genagelt wurde und in der Dämmerung am Abend des Karfreitags begraben wurde. So weit geht nur eine von den vielen Geschichten von verletzlichen Menschen, die zu Tode gequält werden vom Dasein oder voneinander. Darin ist nichts neu. Eine gute Geschichte wird es erst Ostermorgen, als der Tote helllebendig in der Morgensonne hintritt zu denen, die ohne ihn nicht leben können. Erst da können sie und wir sehen, dass er nicht zufällig getötet wurde, sondern dass er sein Leben gab für die Welt. An Pfingsten macht der Heilige Geist deutlich für die mutlosen Jünger und uns andere, dass die Geschichte auch uns betrifft. Im Gegensatz zu dem, was die Erfahrung uns erzählt, haben wir teil an einer Geschichte, die gut ausgeht, denn sie endet nicht mit Verfall und Untergang. Sie endet mit einem beginnenden Sommer.

Können wir sehen, dass ewiges Leben in dem Brot verborgen ist, das uns unser Herr im Abendmahl reicht? Ja, das ist vielleicht gerade das Schöne an unseren üblichen Oblaten, dass sie so schmal und dünn sind, dass niemand auf die Idee käme, dass wir sie essen, um satt zu werden. Das Brot des Abendmahls gibt keine Nahrung für das tägliche Leben. Wir essen es offenbar, weil es Nahrung gibt für ein anderes Leben – das wohlgemerkt nicht nur ein anderes Mal stattfindet, sondern das hier existiert und eben in diesem Augenblick beginnt, wo wir das Brot empfangen, das unser Herr uns reicht. Denn das ist ja der ganze Sinn, dass er das ewige Leben in unsere Wirklichkeit hineingetragen hat und sein Leben hingegeben hat, um es mit dem gewöhnlichen Leben zu verbinden, das wir leben. Das ist es, wofür sein Geist uns den Blick gibt, wärend wir hören und essen. Dass die Ewigkeit auch in diesem Frühlingstag verborgen ist.

Ein neugebackenes Brot und eine gute Geschichte. Das war es, was den verzweifelten Mann vor dem Tod rettete. Das ist auch das, was uns vom Tod trennt. Sowohl, wenn er uns trifft, während wir am Leben sind, wenn wir den Halt verlieren, einander verlieren, den Mut und die Kräfte verlieren – als auch wenn er uns am Ende erreicht. Kann uns dann jemand einen guten Grund dafür geben, dass wir nicht aufgeben und abspringen? Ja, unser Herr gibt uns ganze zwei Gründe. Ein Brot und eine gute Geschichte. Das Brot: Das ist er selbst. Die gute Geschichte erzählt, dass er gestorben ist, um uns sein eigenes Leben zu geben. Ganz gleich wo wir hinkommen, er steht auf dem Absatz direkt neben uns und flüstert uns ins Ohr, damit wir nicht aufgeben und hinausspringen in den Abgrund des Todes, weder jetzt noch jemals, sondern mit ihm hineinkommen ins Leben. Amen.

Pastorin Marianne Frank Larsen

DK 8000 Aarhus C

mfl(at)km.dk

[1] Jan Kjærstad: Der Verführer, 1994, dt. 1999.

de_DEDeutsch