Jona 3, 1-10

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Jona 3, 1-10

Gottes erbarmende Umkehr | 2.So. n. Trinitatis | 26.06.2022 | Jona 3,1-10 | Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

(es ist von mir angedacht, als alttestamentliche Epistel in der Eingangsliturgie den Text Jona 3, 1-3 in der Luther-Übersetzung von 2017 zu lesen. Deshalb hier zu Beginn der Predigt eine Übertragung von Dietrich Steinwede aus „Im Zeichen des Jona“)

Gott spricht zu Jona, ein zweites Mal: „Steh auf! Nach Ninive! Rufe es aus über dieser Stadt: Böse seid ihr alle!“

Und Jona steht auf – nach Ninive. Er kommt in die Stadt. Sie ist riesig groß. Und Jona geht einen Tag lang hinein. Und Jona ruft: „Noch vierzig Tage. Dann geht ihr unter! Gott weiß, ihr seid böse. Gott will euch alle vernichten!“

Und da geschieht es in Ninive: Die Menschen hören. Sie büßen. Sie hören auf Jona. Sie trauen Gott. Sie gehen in Sack und Asche.

Der König von Ninive steht auf. Er legt seinen Mantel ab. Er kleidet sich in einen Sack. Er setzt sich in die Asche.

Er sagt seinen Boten: „Ruft es aus: Jeder soll Buße tun, Mensch und Tier! Und kehret um. Und betet zu Jonas Gott. Vielleicht wird dieser Gott uns verzeihen, dass wir nicht sterben müssen.“

Gott sieht: Sie kehren alle um. Sie kleiden sich in Sack und Asche. Die Menschen von Ninive tun Buße. Da kommt Erbarmen über Gott. Er sagt: „Sie kehren ja alle um. Es soll ihnen nichts geschehen!“

Liebe Gemeinde,

da gab es vor einigen Tagen bei uns eine heiße Diskussion in Verbindung mit dem Ukrainekrieg und dem Thema „Das Böse im Menschen – die tötende Gewalt von Mensch gegen Mensch“. Als ich auf den christlichen Gott hinwies, der seit der Kreuzigung Christi endgültig Gewalt und Töten als Unrecht verkündet und ein Gott des Lebens ist, erlebte ich massiven verbalen Widerstand: „Hör mir doch auf mit Gott! Sieh doch die vielen Kriege in mehreren Ländern. Sieh doch die Verbrecher Putin, Assad, Erdogan und wie sie alle heißen. Gott lässt alles zu. Geh mir mit Gott aus den Augen!“ In meiner Betroffenheit und ersten Sprachlosigkeit fiel mir die biblische Geschichte von Jona ein.  Von ihm wird erzählt, dass er Gott aus den Augen gehen wollte; er wollte mit ihm nichts zu tun haben. Außerdem gehörte er zu den Menschen, die am liebsten vor Problemen weglaufen. Statt mit dem göttlichen Auftrag nach Osten, nach Ninive, zu gehen, wandte er sich nach Westen und wollte mit einem Schiff bis zum Ende der Welt fahren. Nur weg von Gott, von religiösen Aufträgen. Was er nicht ahnte, dass Gott einem Menschen nachgeht, dass er ihn nicht allein lässt.

Sie, liebe Gemeindeglieder, haben wahrscheinlich diese Jona-Novelle schon mal gelesen oder davon gehört: Gott lässt einen Sturm aufkommen; schließlich wollen die heidnischen Seeleute den Gott des Jona besänftigen und werfen Jona über Bord ins Meer. Aber Jona ertrinkt nicht, wird von einem Fisch verschlungen, bittet Gott um Rettung und Leben und wird von dem Fisch an Land gespien. Nun bekommt Jona noch einmal denselben Auftrag. Wir haben diesen biblischen Abschnitt eben gehört.

Sowohl die Gräueltaten, die in Ninive geschehen, als auch die Stadt Ninive selbst werden überdimensional groß und weit geschildert. Wegen der dort verübten Untaten und Ungerechtigkeiten verkündet Jona diesen heidnischen Menschen das vernichtende Gerichtsurteil Gottes.

Es ist sicher nicht abwegig, wenn wir uns heute die unmenschlichen Gräueltaten vor Augen halten, die uns die Medien immer wieder aus Syrien zeigten und ebenso in den vergangenen mehr als 120 Tagen aus der Ukraine. Menschenrechtsverletzungen – so bezeichnen wir es heute. Und christliche Menschen in der ganzen Welt beten in ihrer Hilflosigkeit um Frieden, um Einsicht der politisch und diplomatisch agierenden Personen. Wir hoffen manchmal auf eine göttliche Macht, die unsere Ohnmacht in eine Aktion oder Reaktion wandelt. Dabei halten wir fest an unserem Bild von dem Gott der Gerechtigkeit und Wahrheit und fragen uns, ob wir Gott noch Einfluss auf das Handeln z.B. von Putin zutrauen. Wenn dieser dem christlich-orthodoxen Glauben nahesteht, warum hat er nicht die Einsicht in das göttliche Verbot des Tötens? Warum bringt er seine eigenen christlichen Brüder und Schwestern ans Kreuz und missachtet so eindeutig den Willen Gottes zum Leben im unterschiedlichen Miteinander?

Auf diese Warum-Fragen finde ich keine Antwort. Aber ich wünschte mir so einen Jona heute, der z.B. in der Großstadt Moskau einwandert und den Leuten mit nur einem Satz sachlich, kühl und klar verkündet: „Es sind noch vierzig Tage, so werdet ihr üblen Machthaber alle untergehen!“ In der biblischen Novelle wird erzählt, dass das Unmögliche möglich wird. Die Leute von Ninive lachten nicht über diese bedrohlichen Worte oder wiesen alles als Fake News, als Unsinn, von sich. Nein! Die Heiden hörten auf die Drohung des Gottes von Jona, riefen ein Fasten aus und zogen den Sack zur Buße an. Erstaunlich schnell und unkompliziert: die heidnischen Menschen glaubten an das Wort des Gottes von diesem israelischen Menschen, – und zwar nicht nur einige Leute, sondern alle, Groß und Klein – egal, ob aus Einsicht oder aus Angst. Ja noch mehr: Auch der König von Ninive stieg von seinem Thron, hüllte sich in Sack und Asche und erließ sogar einen königlichen Befehl, dass Mensch und Vieh fasten und den Gott Jonas anrufen sollen. Alle sollten von ihren Bosheiten ablassen und ihre Hände von Frevel befreien. „Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut.“ Überhaupt keine Gewissheit bestimmt den Befehl des Königs, sondern allein die Hoffnung auf eine Wende – auch auf eine Umkehr bei Gott!

Wie einzigartig wäre es, wenn die kriegführenden Machthaber sich den König von Ninive zum Vorbild nähmen! Zu schön, um wahr zu sein! Wer von uns hat denn noch eine Ahnung, noch eine Hoffnung auf eine Wende? Wir sind eher dem Jona ähnlich, der von dem Wort Gottes, von dem Untergang Ninives überzeugt ist. Wir denken an weitere Zerstörung, an noch viele Tote, an einen Sieger und einen Verlierer, an ungezählte Tage des Unheils. Auch Politiker und Politikerinnen denken eher darüber nach, wie die Machthaber ihr Gesicht wahren und zu Verhandlungen kommen können, als dass sie auf eine Wende im Sinne der Jona-Erzählung oder Ähnliches hoffen. Uns sollte bewusst sein, dass auch die Tage rücksichtsloser Gewaltanwendung, eigensüchtigen Sicherheitsstrebens und vergeltungssüchtiger Lieblosigkeit vor Gott gezählt sind. Unsere Zeit ist gezählte Zeit.

Wie dem auch sei, liebe Gemeinde, oftmals sind wir selbst in unserem Denken und Handeln an das Bild von dem Glauben an einen Gott gebunden, der Gerechtigkeit übt und sich an die Einhaltung seiner Ankündigungen hält. Die Jona-Novelle provoziert bei uns etwas märchenhaft Unglaubliches, nämlich lebendige Hoffnung auf den Gott des Lebens: „Gott reut das Übel, das er angekündigt hatte, und tut es nicht!“ Gott ist nicht abhängig von unseren menschlichen Vorstellungen und unseren gesellschafts-politischen Denkweisen. Unsere religiösen Wunschträume sind für Gott nicht der Maßstab seines freien Handelns. Er sieht die veränderte Verhaltensweise der heidnischen Leute in Ninive und zeigt nun ihnen gegenüber Erbarmen. Gott ändert seine Haltung. Die Wende ist eingeläutet. Gott erbarmt sich nicht nur des Volkes Israel, sondern sein Erbarmen gilt allen Völkern. Damit ist eine Weite des Horizontes angesprochen, die jeden absolut setzenden Wahrheitsanspruch durchbricht. Gott ist nicht nur ein Gott Israels.

In der christlichen Glaubenstradition ist diese Jona-Erzählung meist als Vorbote auf die Hinwendung Jesu Christi zu allen Völkern verstanden worden. Dennoch wird in der christlichen Glaubenstradition in der Verkündigung häufig der Absolutheitsanspruch betont und hervorgehoben und somit die Ausweitung des Erbarmens und der Liebe Gottes auf die Heiden, bzw. heidnischen Völker verneint und abgelehnt. Wenn Sie, liebe Gemeinde, die Jona-Novelle weiterlesen, dann stoßen Sie direkt auf diese das Erbarmen Gottes ausschließende Einstellung: Jona ärgert sich und ist tief enttäuscht, dass nicht das eintritt, was er verkündet hat, und dass Gott sich auch der Heiden in Ninive erbarmt. Nein, das passte nicht zu seinem Glauben; das wollte er nicht wahrhaben. Was Gott ankündigt, muss seiner Meinung nach geschehen. Gott kann sich nicht ändern; Gott kann nicht etwas gereuen; er kann sich nicht erbarmen; er wird unglaubwürdig; was er ankündigt, muss geschehen. Lieber mit dem Kopf durch die Wand, als eine Veränderung zulassen.

Und genau dieses Erbarmen Gottes ist das Kennzeichen der frohen Botschaft: das Erbarmen nicht nur mit dem Volk Israel, sondern ebenso mit anderen Völkern. Dies ist die hoffende christliche Botschaft, auch wenn wir zur Zeit nicht wissen, wie sich diese frohe Botschaft im Blick auf den Ukrainekrieg und andere Kriege in unserer Welt auswirkt. In jedem Fall ist es eine Botschaft, die Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat und die für die Jünger mit dem Pfingstereignis praktisch umgesetzt wurde. Denn sie verkündeten damals plötzlich diese Botschaft Christi in vielen Sprachen vieler Völker. Bis heute kann in fast allen Ländern der unterschiedlichen Kontinente die Verkündigung des Erbarmens Gottes gelesen und gehört werden. Diese lebendige Hoffnung in über 200 Sprachen und Dialekten kann von keinem Machthaber zerbombt werden. Mit dieser Glaubensgewissheit können wir in die neue, uns von dem Gott des Erbarmens geschenkte Woche gehen. Gott bleibt allen Windungen unseres Lebens auf der Spur.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 293  Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all

Lesenswert ist von Klaus-Peter Hertzsch „Der ganze Fisch war voll Gesang“.

Hier der Ausschnitt zu Jona 3:

Und sprach zu ihm: „Nun aber geh                                 Er zog den Purpurmantel aus

Auf schnellstem Weg nach Ninive!“                               und schickte seinen Koch nach Haus.

Da ging er los und floh nicht mehr.                                 Er nahm nicht Schuh noch Fingerring,

Viel Tag und Nächte wandert` er.                                   weil er im Sack und barfuß ging.

Er kam ans Tor und ging hinein.                                     Sein Herold rief mit Hörnerklang:

Die Stadt war groß, er war allein.                                   „Befehl: Ihr sollt drei Tage lang

Und trotzdem fasste er sich Mut,                                   bedenken in der ganzen Stadt,

hielt seine Predigt, kurz und gut,                                    was Jona euch gepredigt hat,

und rief auf Plätzen und auf Straßen,                             was jeder Böses hat getan

wo Leute standen oder saßen:                                       und wie er´s besser machen kann.

„Noch vierzig Tage, spricht der Herr,                              Ihr sollt die Kleider und das Essen,

dann gibt es Ninive nicht mehr.                                     ja selbst einmal das Vieh vergessen.

Die Stadt ist groß. Die Stadt ist schön.                            Ihr sollt in Häusern und in Hütten

Was böse ist, muss untergehn.“                                     den Herrn um sein Erbarmen bitten.

Die Leute, wie man denken kann,                                  Vielleicht ist es noch nicht zu spät,

die hörten das mit Schrecken an.                                   dass unsre Stadt nicht untergeht.“

Sie hatten nie daran gedacht                                         Und Gott sah aus von seiner Höh

und schliefen nicht die nächste Nacht.                           und sah auf die Stadt Ninive

Und morgens war die Lust dahin,                                   und sah die traurigen Gestalten

die schönen Kleider anzuziehn.                                      und sprach: „Ich will die Stadt erhalten.“

Sie zogen einfach Säcke über                                         Da waren alle Leute froh

und eine alte Schürze drüber.                                        und ihre Tiere ebenso.

Es sang kein Mensch ein frohes Lied mehr.

Sie hatten keinen Appetit mehr.

Sie aßen nicht. Sie tranken nicht.

Sie dachten nur ans Strafgericht.

Und als der König das erfuhr,

erschrak er auch und nickte nur.

Bischof em. Klaus Wollenweber

Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.

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