Josua 1,1-9

Josua 1,1-9

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Neujahr
2000

1.1.2000
Josua 1,1-9

Georg Kretschmar


Liebe Gemeinde,

Neujahr 2000: Signal für ein neues Millennium, Rückblick
auf den Weg der Christenheit von der Geburt ihres Herrn an und Ausblick auf
eine Zukunft, die uns noch verhüllt ist.

Rückblick und Ausblick, das ist auch das Thema des
Schriftabschnittes aus dem Alten Testament, der für den ersten Tag dieses
neuen Jahres als Predigttext vorgesehen ist. Mose, der Knecht Gottes, der das
Volk Israel aus Ägypten bis an den Jordan geführt hatte, lebt nicht
mehr. Er erhält in Josua einen Nachfolger. Gott hält Seinem Volk die
Treue. Er steht zu Seinen Verheißungen. Es geht weiter, weiter unter den
Geboten, die Gott durch Mose gegeben hat.

Doch vielleicht kann man besser sagen: Gott schenkt einen neuen
Anfang. Aber auch ein neuer Anfang muß nicht aus der Vielschichtigkeit,
dem Zwielicht der Geschichte herausführen. Das zuendegehende 20.
Jahrhundert ist für Deutschland fast eine Kette von neuen Anfängen
gewesen: 1918 – 1933 – 1945 – 1989. Die evangelische Kirche hat jede Wende
mitvollzogen, nach dem Ende der Monarchien verhalten, 1933/34 weithin jubelnd,
nach der politischen, militärischen und moralischen Katastrophe des
„Dritten Reiches“ und dem Ende des 2. Weltkrieges triumphierend und
bußfertig zugleich, bei der Wiedervereinigung der getrennten Teile
Deutschlands nachdenklich, dankbar und voller Fragen im Blick auf die
Vergangenheit und die Zukunft.

Auch unser Text, der den Siegeszug des Volkes Israel einleitet,
die Landnahme im Westjordanland, stellt uns vor viele Fragen: Von der
arabischen Wüste bis zum Euphrat bis zum Mittelmeer – das ist doch das
Programm eines Großreiches für das Volk Israel, wie es in der Zeit
des Alten Testamentes nie Wirklichkeit wurde, nicht einmal unter König
Salomo. Aber dies Programm hat die Geschichte mitbestimmt: in der Zeit der
Kreuzzüge, in der die Christenheit als das neue Gottesvolk, das wahre
Israel, meinte, das Erbe Josuas übernehmen zu können, und in den
verflossenen Jahrzehnten, als sich das jüdische Volk einen neuen Staat
eroberte.

Lassen wir die Frage beiseite, ob das alte Gottesvolk im
Rückblick auf seine Geschichte Gott wirklich verstanden hatte. Unsere
eigenen Erfahrungen mit den Neuanfängen im 20. Jahrhundert geben uns den
Mut, hier rückzufragen. Aber in jedem Fall erhält Josua den Auftrag,
einen Eroberungskrieg zu führen und faktisch Menschen aus ihren
angestammten Wohnsitzen zu vertreiben. In den Geschichtsdarstellungen haben wir
das früher unbefangen „Landnahme“ genannt. Aber heute wird uns das Wort
schwer auf der Zunge. Die Erfahrungen der Völkervertreibungen im
zurückliegenden Jahrhundert hat unsere moralischen Maßstäbe
verändert. Wenn Menschen ihr Land genommen wird, sie flüchten
müssen oder vertrieben werden, gilt uns das heute als Verbrechen gegen das
Völkerrecht, als Sünde, gerade weil wir als Deutsche selbst im 20.
Jahrhundert in solche Taten gegen die Menschlichkeit hineinverstrickt waren,
als Täter und als Opfer. Wohl nie in der Geschichte war die Zahl der
heimatlos Gemachten so groß wie heute in Europa, in Asien, in Afrika.
Aber gibt uns das das Recht, den Neuanfang unter Josua so ins Zwielicht zu
rücken?

2. Wir sollten noch einmal von einer anderen Seite her einsetzen.
Neujahr wird bei vielen Völkern und Kulturen gefeiert als Fest mit all dem
Spektakel, wie wir es gerade wieder erlebt haben. Der Jahresbeginn am 1. Januar
hat sich von den Römern im Frühen Mittelalter in weiten Teilen
Europas verbreitet und damit das Spektakel. Die Kirche hat die Gelage und
Gesänge dieser Tage und Nächte nicht mit sonderlichem Wohlgefallen
betrachtet. Bisweilen hat man am 1. Januar einen Gottesdienst „gegen den
Götzendienst“ gehalten. Aber dann haben die christlichen Theologen einen
anderen Sinn dieses Tages entdeckt. Sie finden in jedem abendländischen
Kirchenkalender für den 1. Januar (auch) die Angabe: Tag der Beschneidung
und Namensgebung Jesu. Das ist das Ergebnis einer einfachen Rechnung: Nach dem
Gesetz des Mose auf das auch Josua neu verpflichtet wird, ist jedes
männliche Kind einer jüdischen Familie am 8. Tage zu beschneiden. Der
Apostel Paulus hat dies im Blick auf Jesus in einem fast dogmatischen Satz
niedergeschrieben: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott Seinen Sohn,
geboren von einer Frau“ einer jüdischen Frau – „und unter das Gesetz
getan“ (Gal 4,4). Das ist bis zum heutigen Tag die rabbinische Definition eines
Juden: von einer jüdischen Mutter geboren, am 8, Tage beschnitten.. Was
der Apostel hier wie eine Formel, einen Rechtssatz niederschreibt, das
schildert Lukas am Anfang seines Evangeliums in Geschichten: die
Ankündigung an Maria – die Geburt Jesu mit ihren Wundern, und denn eben
die Beschneidung am 8. Tage, bei der das Kind den Namen Jesus erhielt (Luk
2,21). Der 8. Tag nach dem 25. Dezember ist der 1. Januar. Damit wird es dann
möglich, den Namen Jesu über das ganze Jahr zu setzen. Er steht auch
über dem neuen Jahrhundert und dem neuen Jahrtausend. Und dieser Name
Jesus ist identisch mit dem Namen Josua. Jehoschua ist die hebräische
Form, Jesus die griechische Version. Der Name hat auch eine tiefe Bedeutung:
der Herr ist Hilfe. Aber was immer die Zeitgenossen vom sprachlichen Sinn des
Namens gehalten haben mögen, sie wußten doch alle, daß dieses
Kind, dieser Mann den Namen des Nachfolgers des Propheten Mose trägt. Dann
ist es kein bloßes Wortspiel, Jesus Christus und Josua / Jesus, den Sohn
Nuns, in Beziehung zueinander zu setzen.

3. Ob der Übergang vom 2. zum 3. Millennium nach Christus
eine wirkliche Zäsur sein wird, das dürften erst unsere Nachkommen
beurteilen können. Aber der Wechsel von Mose zu Josua war im
Gedächtnis des Volkes Israel ein klarer Umbruch. Daß mit Jesus
Christus eine neue Zeit begonnen hat, das ist doch der Grund dafür,
daß wir in unserer, der christlichen Zeitrechnung die Jahre nach seiner
Geburt zählen. Herr der Zeit über alle Wenden hinweg ist Gott. Das
meinte doch der Apostel Paulus, als er schrieb: „Als die Zeit erfüllt
war“.

Dieser Gott steht wie im Alten, so im Neuen Testament zu Seinen
Verheißungen – auch an dieser Millenniumswende. Aber Er geht neue Wege.
Der Apostel Paulus fährt fort: „sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einer
Frau und unter das Gesetz getan, damit Er die, die unter dem Gesetz waren,
erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen“ (Gal 4,5). Nicht mehr das
Gesetz des Mose ist die Brücke zwischen den Zeiten, wie es Josua
anbefohlen war, sondern das Wort des Sohnes der Maria, der in der Bergpredigt
sagt: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder
heißen“ (Mt 5,9). Und Gottes Reich, in dem wir als Seine Kinder leben
sollen, ist nicht mehr durch geographische Grenzen bestimmt. Wir sind Gottes
Kinder durch den Glauben an das Evangelium und durch die Heilige Taufe, die uns
an die Seite Jesu stellt in der Gemeinschaft der weltweiten Kirche. Deshalb
gilt uns erst recht die Zusage Gottes die Josua zuerst hörte: „Sei getrost
und unverzagt“.

Es liegen Herausforderungen vor uns, die nicht leichter sind als
das Überschreiten des Jordan. Wir lesen von Zukunftsprognosen, die
wahrhaftig Grauen und Entsetzen einflößen könnten. Wir
schleppen zudem Lasten der Geschichte mit uns als Konsequenz der nicht
genutzten oder gar mißbrauchten Neuanfänge des vergangenen
Jahrhunderts. Diese Last gehört auf die Seite des Gesetzes Gottes, das uns
anklagt, weil wir nicht auf Seine Stimme gehört haben, weil wir nicht
Frieden gestiftet haben. Aber uns ist die Vergebung der Sünden und die
Freiheit der Kinder Gottes verheißen im Namen dessen, der uns in Sein
Reich holt und dessen Name über diesem neuen Jahr, dem kommenden
Jahrhundert, dem neuen Millennium steht: Jesus Christus.

Er segne uns das Jahr des Herrn 2000.

Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS – St. Petersburg

Fax-Nr.: 007 812 3 10 26 65


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