2. Korinther 4, 16-18

2. Korinther 4, 16-18

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


3. Sonntag nach
Ostern, Jubilate

14.5.2000
2. Korinther 4, 16-18


Klaus Steinmetz
Kirchenmusikalische Gestaltung
des
Gottesdienstes zum Sonntag „Jubilate“


Liebe Gemeinde!

„Wir werden nicht müde“ – mit diesen Worten
beginnt der heutige Predigttext aus dem 4. Kapitel des 2. Korintherbriefes. Wir
werden nicht müde – das ist natürlich im Blick auf eine
Morgenmuffeligkeit gesagt, die zum Beispiel am heutigen Sonntagmorgen dazu
führt, daß viele Christenmenschen noch im Bett liegen. Das ist
umfassender, grundsätzlicher gemeint. Es hat einen aufweckenden,
mutmachenden Klang.

Darauf möchte ich Sie vorweg hinweisen und, wenn
möglich, neugierig machen, darauf, woher diese Kraft, diese
Zuversichtlichkeit kommt. Denn was im folgenden in unserem Predigttext noch
drinsteht, hat es, wie so oft bei Paulus in sich und mutet uns einiges zu.
Hören Sie selbst:

„Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser
äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag
erneuert. Denn unser gegenwärtiges Leiden, das leicht wiegt, schafft uns
eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir
nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar
ist, das ist vergänglich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“

Würden Sie das auch sagen können: Ich sehe nicht auf das
Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare? Was heisst das überhaupt, und wie
ist das möglich: auf das zu sehen, was man nicht sehen kann? Oder
würden Sie auch sagen können: Unsere Trübsal, also das, was uns
bedrückt, uns müde macht – das ist zeitlich, vorübergehend,
ja es ist leicht gegenüber der ewigen Herrlichkeit?

Das klingt wie Vertröstung auf ein Jenseits, wie
Beschwichtigung: Es ist alles nicht so schlimm. Und dann die Rede vom
äußeren Menschen, der verfällt, und dem inneren Menschen, der
täglich erneuert wird: Redet Paulus hier dem Rückzug in die
Innerlichkeit das Wort, dem alles Äußere nichts mehr anhaben kann?
Klingt das nicht sehr weltfremd und abgehoben? Was fangen wir damit an bei
einem Besuch im Krankenhaus, bei einem Schwerkranken, oder in einem Pflegeheim
bei einem Dahindämmernden?

Ich finde es wichtig, solch einen gefühlsmäßigen
Widerspruch, der sich in uns meldet, zuzulassen, deutlich auszusprechen. Denn
es stimmt, daß solche oder ähnlich klingende Sätze in der Bibel
immer wieder im Sinn einer Vertröstung und Beschwichtigung verstanden
worden sind. Ob Paulus allerdings sie wirklich so gemeint hat, daran habe ich
meine Zweifel. Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, daß er hier
nichts so sehr zu dem Leiden anderer sagt, sondern von eigenen schweren
Erfahrungen schreibt, die er als Bote und Zeuge seines Herrn Jesus Christus
gemacht hat. Kurz vor unserem Abschnitt lesen wir: Wir sind von allen Seiten
bedrängt – uns ist bange – wir leiden Verfolgung – wir
werden unterdrückt. Paulus steckt mittendrin. Der äußere
Mensch, von dem Paulus spricht, ist niemand anders als er selbst, mit Haut und
Haaren. Paulus weiß, wovon er redet, wenn er sagt, daß sein
äußerer Mensch verfällt. Verfolgung und Leid setzten ihm zu bis
an den Rand dessen, was er ertragen kann. Er ist müde. Ich, heute morgen,
höre das alles, wenn ich den Satz lese: Wir werden nicht müde.

Der Mensch Paulus ist nicht weit weg von uns. Er verbietet uns
auch nicht, an all das zu denken, was uns zusetzt und müde macht. Als
Christen haben wir immer wieder den Eindruck, daß unser Glaube nicht
allzusehr gefragt scheint, daß so viele – angeblich oder wirklich – ohne
ihn meinen auskommen zu können; daß sie sich für alles
Mögliche, Wichtiges und Unwichtiges Zeit nehmen, nur nicht für ihren
inneren Menschen. Oder ich denke an das Drama der unmenschlichen Geiselnahme
auf den Philippinen, das uns hier in Göttingen in diesen Wochen und Tagen
sehr beschäftigt. Mit Entsetzen und Empörung nehmen wir es zur
Kenntnis, zugleich ist da aber auch die Einsicht, nichts machen zu können,
trotz aller Informationen, ja sogar Bilder, die wir darüber hören und
sehen. Da macht sich Resignation, Müdigkeit breit. Hoffentlich kommt
dieses schlimme Ereignis doch noch bald zu einem guten Ende.

Oder ich denke an einen Besuch bei einem Elternpaar, die vor
wenigen Wochen ihren einzigen Sohn kurz vor seinem 30. Geburtstag durch einen
Verkehrsunfall verloren haben. Ich hatte ihn Jahre zuvor konfirmiert.
„Wofür arbeitet man dennoch, wozu sind wir eigentlich noch da?“,
das war die Frage der Eltern und auch meine. Da war eine tiefe Müdigkeit
im Raum, und uns fehlten die Worte.

Vertröstung, die verfängt hier nicht. Die auf ein
Jenseits nicht, aber auch die andere nicht, die Vertröstung auf das
Diesseits. Wenn nur dieses Leben mit seinen Möglichkeiten,
Annehmlichkeiten und Zielen zählt, dann ist man in so einer Lage erst
recht am Ende. Da bleibt als angeblicher Trost nur: Das Leben geht weiter. Und
die anderen denken: Ja, das ist es ja gerade!

Paulus kennt dieses Gefühl und sagt trotzdem nicht: Ich bin
müde. Er kann sagen: „Wir werden nicht müde.“ Er weiß
noch von einer anderen Erfahrung. Als ich vorhin aufzählte, was alles ihm
zu schaffen gemacht hat, da habe ich weggelassen, was er jeweils noch
hinzugefügt hat:

Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen
uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber
wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht
um. Er sieht das nicht als Ergebnis seines Bemühens, sondern als
Widerfahrnis, als Geschenk, worüber er selber nur staunen kann, daß
es so ist, daß er nicht müde wird.

In dieser Erfahrung weiß Paulus sich mit seinem Herrn Jesus
Christus verbunden. Er nimmt teil an seinem Leiden und Sterben: Wir tragen
allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe. Aber er ist gewiß, daß
er auch an dem Leben Jesu Christi teilnimmt, daß auch dieses Leben an ihm
offenbar werden wird.

Die Kraft dieses Lebens, des Lebens des Auferstandenen, ist es,
die Paulus nicht müde sein läßt. Nicht so, daß er die
Kraft einfach hätte, daß sie an ihm sichtbar oder gar demonstrierbar
wäre. Wenn wir nach dem Auferstandenen Ausschau halten, sehen wir immer
wieder den Gekreuzigten. Das meint Paulus wohl, wenn er sagt, wir Christen
sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Das Leben Jesu ist
nie einfach sichtbar und aufweisbar, und es hält und trägt uns doch
schon hier und jetzt, in dem es uns zugesagt wird, Tag für Tag neu. Die
Worte sind oft hilflos und stammelnd, so wie ich jenen Eltern gesagt hatte,
daß Gott sie in dem Dunkel behüten möge, das über sie
durch den Tod ihres Sohnes gekommen ist..

Wir können nur hoffen und darum bitten, daß sich so das
Leben Jesu an uns offenbart, uns umfängt und hält und unseren inneren
Menschen, d.h. das Gott uns selbst als seine Kinder erneuert, daß wir
erfahren und darüber staunen: Wir werden nicht müde.

Amen.

Superintendent
Klaus Steinmetz
Johanniskirchhof 2

37073 Göttingen
Tel.: 0551 / 56069
Fax: 0551 / 5315251


Kirchenmusikalische Gestaltung des
Gottesdienstes zum
Sonntag „Jubilate“

Vorspiel könnte ein freies Orgelstück sein, das
dem Affekt des 66. Psalmes entspricht, z.B. eine der beiden Präludien in
G-Ddur oder den ersten Satz aus dem Concerto Nr. 1, G-Dur von J.S. Bach – oder
eine Improvisation über den Choral “Jauchzt, alle Lande, Gott zu
Ehren” (in der Göttinger Johanniskirche auch auf dem
Konzertflügel möglich …)

Als Lieder werden vorgeschlagen:

EG 279, 1+4+8 Jauchzet, alle Lande, Gott zu Ehren
EG 108, 1-3
Mit Freuden zart zu dieser Fahrt
EG 359, 1,4,5,6 In dem Herren freut euch
nun
EG 398, 1+2 In dir ist Freude

Nachspiel wäre dann die Choralbearbeitung über
“In dir ist Freude” aus dem “Orgelbüchlein” von J.S.
Bach.

Kantor und Organist
Bernd Eberhardt
Chemnitzer Str. 2

Tel./Fax; 0551 / 790 7766

de_DEDeutsch