Keine ausgeklügelten Fabeln

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Keine ausgeklügelten Fabeln

Predigt zu 2. Petrus 1, 16-19 | verfasst von Klaus Wollenweber |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen“

Liebe Gemeindeglieder in der Nähe und in der Ferne (zu Hause ),

vor wenigen Wochen wurde ich in einer Gesprächsrunde mit jüngeren Menschen gefragt, ob es stimmt, dass die biblischen Schriften Menschenworte und Menschenwerke sind. Als ich dies bejahte, kam sofort herausfordernd die nächste Frage: „Dann können Sie auch nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Geschichten so stimmen, wie sie da erzählt werden?“ Als ich auch dies erst einmal bejahte, kam vom Fragenden die Feststellung: „Dann können alles auch ‚fake news‘ oder ‚alternative Fakten‘ sein!“ Jetzt zögerte ich mit einer schnellen Zustimmung und wies darauf hin, dass in der Bibel Erfahrungsgeschichten mit Gott von glaubenden Menschen festgehalten sind und ebenso Erzählungen vom Handeln Gottes mit glaubenden Menschen. Eigene menschliche Glaubenserfahrungen können andere Menschen nicht mit der Frage nach der Beweisbarkeit beiseiteschieben oder direkt ablehnen. Da macht man es sich zu einfach.

An dieses Gespräch erinnerte ich mich sofort, als ich den für den heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias vorgeschlagenen Predigttext aus dem 2.Petrusbrief las (2.Petrus 1, 16-19, in der Übertragung der NGÜ):

16 Denn wir haben uns nicht etwa auf klug ausgedachte Geschichten gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen und seine Macht offenbaren wird. Nein, wir haben seine majestätische Größe mit eigenen Augen gesehen.

17 ´Wir waren` nämlich ´dabei,` als er von Gott, dem Vater, geehrt wurde und in himmlischem Glanz erschien; ´wir waren dabei,` als die Stimme der höchsten Majestät zu ihm sprach und Folgendes verkündete: »Dies ist mein geliebter Sohn; an ihm habe ich Freude.«

18 Wir selbst haben die Stimme gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren – diese Stimme, die vom Himmel kam.

19 Darüber hinaus haben wir die Botschaft der Propheten, die durch und durch zuverlässig ist. Ihr tut gut daran, euch an sie zu halten, denn sie ist wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. ´Haltet euch an diese Botschaft`, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt.

Liebe Gemeindeglieder, „erzähl mir doch keine Märchen vom lieben Gott!“ – Haben Sie diesen Einwand auch schon mal gehört? Liebevoll oder vorwurfsvoll! Wenn Sie gerade schwungvoll dabei waren, Jesus Christus als Vorbild und Beispiel für christliches Verhalten in unserer bedrohten Welt herauszustellen. Das habe ich selbst erfahren.

In anderer Weise hat mich ein zeitnaher Brief eines 38jährigen Arztes betroffen gemacht. Dieser Arzt in der italienischen Lombardei schrieb zu Beginn der Corona-Krise vor einem Jahr im Februar 2020:

„Bis vor zwei Wochen waren meine Kollegen und ich Atheisten. Das war normal, weil wir als Ärzte gelernt haben, dass Wissenschaft die Gegenwart Gottes ausschließt. Ich hatte immer über den Kirchgang meiner Eltern gelacht. … Jetzt müssen wir zugeben: wir als Menschen sind an unsere Grenzen gestoßen. Mehr können wir nicht tun. Jeden Tag sterben mehr und mehr. Wir haben erkannt, dass das, was der Mensch tun kann, endet, und wir Gott brauchen. … Wir können kaum glauben, dass wir als ‚wilde Atheisten‘ jetzt wieder jeden Tag … den Herrn bitten, uns beim Widerstand zu helfen, damit wir uns überhaupt noch um die Kranken kümmern können.“ (zitiert aus einem Brief von Julian Urban).

So weit aus dem Brief. „Wir haben uns nicht etwa auf klug ausgedachte Geschichten gestützt“, schreibt der Verfasser des Petrusbriefes. Erfahrung des lebendigen, tätigen Glaubens auf der einen Seite und schmunzelnde Erhabenheit auf dem Boden der betont wissenschaftlichen Redlichkeit auf der anderen Seite. Und dann verlieren diese intellektuellen Gegensätze in alltäglichen Herausforderungen ihre Grenze und ihre Bedeutung. In dem Erfahrungsbereich von Glaubens- und Lebensgeschichten, von Denken und Handeln, und im Erleben tiefster Gefühlsschwankungen, vermischen sich diese meist nur intellektuellen Diskussionspunkte und heben ihre angeblich grenzziehenden Werte auf.

„Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt“, übersetzt Martin Luther. Biblische Erzählungen sind keine Fabeln, keine Märchen. Begegnungen des Volkes Israel mit ihrem Gott und ihr eigener Hang zu anderen Göttern sind Erfahrungen und Erlebnisse von so großer Tragweite, dass man es für wichtig hielt, den nachkommenden Generationen diese Ereignisse als Vorbild oder als Warnung aufzuschreiben. Erzählungen von den Ereignissen im Leben des Juden Jesus und die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung für die Zurückbleibenden sind so zentrale Glaubenserfahrungen gewesen, dass sie in den Evangelien gleichsam biographisch aufgeschrieben und in den verschiedenen Briefen aus der unterschiedlichen Sicht des jeweiligen Verfassers weitergegeben wurden.

Hier berichten keine klugen Leute ausgedachte oder in Visionen erfahrene Geschichten. Uns werden Lebenserfahrungen mit Gott überliefert. Andere Menschen zu einer anderen Zeit und in einer anderen Umgebung haben die Herrlichkeit Jesu Christi in ihrem Alltag gespürt; möglicherweise sogar die Stimme Gottes gehört. Das hat ihr ganzes Leben verändert. Als zusätzliche Lichtpunkte galten die prophetischen Verheißungen, – darauf weist der Briefschreiber ausdrücklich hin.

Heute sind wir in einer anderen Situation: wir haben zwar auch die prophetischen biblischen Schriften, aber wir haben weder Jesus erlebt noch seine Herrlichkeit in der Verklärung auf dem Berg gesehen. Wir können zum „Beweis“ nicht solche allgemeingültigen Erfahrungen in der Begegnung mit Jesus vorweisen.  Allenfalls gibt es individuelle Glaubens-Erlebnisse einzelner Menschen. Wir müssen uns auf die alten Schriften der Glaubenszeugen verlassen, auf die Evangelien, Briefe und Kommentare, und diese aus der Zeitgeschichte heraus verstehen lernen. Dann können wir sie übersetzen in unseren eigenen Lebensvollzug und in die Begegnungen zu anderen Menschen.

So kann ich hoffentlich mit Ihnen selbstbewusst diese Position einnehmen: Ich muss mich nicht verteidigen, wenn ich mich als Christ zu meinem Glauben an Jesus Christus bekenne. Selbst wenn andere Menschen lächeln und sich wundern, weil ich doch sonst als ganz normal intelligenter Mensch auftrete und so nett bin. Ich bin christlich und gehöre zu einer christlichen Kirche, auch wenn diese sich nicht immer christlich zeigt oder gezeigt hat. Mit Worten Jesu Christi können wir zum Beispiel die in der christlichen Religion geschehenen Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen, die Todesstrafen, den Missbrauch von Kindern und die Gewaltanwendung in Familien nicht in Einklang bringen; wir können alles nur mit Entsetzen wahrnehmen und eindeutig verurteilen.

Dennoch können die Worte und Taten Jesu Christi unseren Glauben positiv bestimmen: Wir gehören zu einer christlichen Religion, die auf den Worten der Nächsten- und Feindesliebe durch Jesus Christus gründet; eben nicht auf menschlicher Erfindung eines höheren Wesens, ebenso wenig auf Macht, Geld und Illusionen, – auch nicht auf Helden und Heldentum! Denn das Leben Christi begann erbärmlich und endete erbarmungslos am Kreuz. Doch sein Handeln war geprägt von Nächstenliebe zu Freund und Feind. Er verkündete mit seinem Tun ohne Unterlass die Liebe Gottes und die Zusage der Nähe Gottes. Davon leben wir; darauf verlassen wir uns; darauf bauen wir.

Da es im christlichen Glauben uneingeschränkt um unser ganzes Leben in der Nähe Gottes geht, wird in den biblischen Schriften weder Leid noch Krankheit und auch nicht die derzeitige Pandemie teuflisch verunglimpft; diese werden ebenso wenig als Strafe Gottes bezeichnet. Katastrophen und Leiderfahrung gehören zu unserem irdischen Dasein wie Freude und Dankbarkeit. Jesus Christus hat uns verheißen, dass er an unserer Seite steht im Licht und im Schatten des Lebens. So begleitet er uns im Leben und im Sterben, weil er selbst Schwäche und Kleinmut, Leid und Tod, erlebt hat. Er geht unseren Lebensweg mit bis in die totale Nähe Gottes, in die Auferstehung.

Zu unserem christlichen Bekennen gehört deshalb auch ganz konkret im Hier und Jetzt Zuversicht und Lebensfreude, Heiterkeit und Dankbarkeit. Wie Jesus Christus Freude am Zusammenleben hatte und mit seinen Jüngern und anderen Menschen Essen und Trinken und Feiern genießen konnte, so dürfen wir zur Lebensfreude und zum Lebensglück Ja sagen und entsprechend leben mit allem, was wir als schön empfinden. Freuen wir uns also jetzt schon auf die Zeit, in der die Corona-Dunkelheit überwunden ist, und wir wieder Licht, Nähe und Berührung erleben.

Die Botschaft der Liebe und Barmherzigkeit Gottes will zu dieser hoffnungsvollen Freude beitragen, „bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt“, so heißt es im Petrusbrief.

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 450    Morgenglanz der Ewigkeit

Fürbittengebet

Gott, du hast deinen Sohn in unsere bedrohte Welt gesandt, ein Licht für uns, damit wir nicht in der Finsternis bleiben. Aus unseren Sorgen und Ängsten heraus rufen wir zu dir: Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie uns leiten auf unseren Wegen.

Gott des Lebens, wir bitten dich für alle, die das Licht der Hoffnung verloren haben: für die Einsamen und für die Mutlosen; für alle, die Gewalt erleiden: für alle Kranken und mit ihnen für alle Arztinnen und Ärzte mit dem ganzen, vielfältigen Pflegepersonal; für die Mütter und Väter und Kinder im Homeschooling: Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie alle leiten auf ihren Wegen.

Herr, wir bitten für alle, die in dieser Pandemie-Krisenzeit das Licht des Glaubens vor lauter Arbeit verloren haben: für die Resignierten und Lebensmüden; für die vom Unglück Geschlagenen; für alle, die sich nach Nähe sehnen: Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie diese Menschen leiten auf ihren Wegen.

Gott, lass die Menschen das Licht deiner Gegenwart spüren, die in der Politik und Wirtschaft, in der Wissenschaft und Bildungsarbeit, in leitenden Positionen in der Gesellschaft und Kirche stehen, Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen müssen: Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass es ihnen leuchte auf ihren Wegen. Amen

Altbischof Klaus Wollenweber, Bonn

Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Kreuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der EKU Berlin (heute: UEK in Hannover); ab 1995 Bischof der Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ); seit 2005 im Ruhestand in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.

 

 

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