Kolosser 2, 12-15

Kolosser 2, 12-15

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag nach
Ostern, Quasimodogeniti

30.4.2000
Kolosser 2, 12-15


Ulrich Nembach


Liebe Gemeinde,

Ostern feierten wir vor einer Woche. Die Schule beginnt morgen
wieder. In manchen Bundesländern hat sie schon begonnen.

Nach Ostern – das ist auch die Situation unseres Predigttextes. Es
ist ein schwerer Text, wie Konfirmanden meinten, denen ihr Pastor den Text
vorlas. Sie baten ihn daraufhin, den Text noch einmal und langsam zu lesen.
Nachher, als sie ihn besprochen hatten, waren sie fast Freunde geworden.

Die Schwierigkeit des Textes ist, daß er eine Fülle von
für unseren Glauben wichtigen Begriffen enthält. Jeder für sich
füllt schon mehr als eine Predigt.

Die zweite Schwierigkeit – ja, es gibt noch eine – ist, daß
wir von der Gemeinde, an die der Brief gerichtet ist, aus dem unser Predigttext
stammt, wenig wissen. Es ist die Gemeinde in Kolossae. Der Ort liegt in der
heutigen Westtürkei. Die E 87 führt auf ihrem Weg von Izmir über
Demizili und weiter nach Osten vorbei, wenn ich richtig im Autoatlas
nachgesehen habe. Leider fand ich weder dort noch sonst wo Bilder oder aktuelle
Informationen. Vielleicht haben Sie welche von Ihrer Reise oder Ihre
türkischen Nachbarn, vielleicht gar Freunde. Das Tal, in dem der Ort
Kolossae liegt, wird als wildromantisch beschrieben. Unser Text wie auch die
übrige Bibel schweigt, was die Lage des Ortes, das Aussehen der Landschaft
betrifft. Aus anderen Zeiten, aus der Zeit der Antike, wissen wir, daß
das alte Kolossae, an dessen Gemeinde der Brief gerichtet war, früher von
einem großen Erdbeben betroffen und wohl zerstört worden war wie der
Nachbarort Laodizea. Inwieweit der Ort danach wieder aufgebaut worden war, bis
der Brief geschrieben wurde, wissen die Forscher des Neuen Testaments nicht.
Einer vermutet, daß so gut wie nichts aufgebaut worden war, andere
meinen, daß schon einiges wieder stand. Die antiken Nachrichten schweigen
dazu und unsere Brief auch. Damals war alles klar. Erdbebenopfer braucht man
nicht über das Beben zu informieren. Die heutigen Forscher haben es
deswegen schwer. Vielleicht machen sie sich ihre Arbeit zusätzlich
schwerer, indem sie sich etwas einseitig auf die Analyse des Textes
konzentrieren und zu wenig die Menschen im Blick haben, wie eine große
evangelische Zeitung dieser Tage meinte.

Der Brief, der an unsere Gemeinde in Kolosae gerichtet ist,
behandelt ein Problem, die Zeit nach Ostern. Ostern ist gewesen und was nun?
Die entscheidenden Sätze des Briefes stehen in den Versen unseres
Predigttextes.

Ich lese jetzt den Text – langsam:

„Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid
ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn
auferweckt hat von den Toten.
Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die
ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,
und hat uns vergeben alles Sünden.
Er hat den Schuldbrief getilgt, der
mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz
geheftet.
Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie
öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in
Christus.“

Der Text erinnert uns an unsere Taufe, an Jesu Tod und
Auferstehung. Durch die Taufe haben wir Anteil an Jesu Sieg über den Tod.
Unsere Schuld, der Text sagt „Sünde“, und damit die Barriere zwischen uns
und Gott ist durch das Kreuz Jesu beseitigt. Es gibt keine Macht mehr, die uns
von Gott fernhalten kann. Ein schönes, weil eindrückliches Bild
gebraucht der Text für die Beseitigung der Sperre. Die Sperre, unsere
Schuld, wird mit einem Schuldbrief verglichen, einer Hypothek, wie sie
Häusle-Bauer von ihrer Bank kennen, oder einem Wechsel, wie
Autokäufer ihn bei ihrem Autohändler unterschreiben, um an das
notwendige Geld für das Haus, das Auto zu kommen. Dieser Schuldbrief,
dieser Wechsel ist nun passé, Vergangenheit. Der Schuldschein ist ans
Kreuz geheftet, d.h. mit Jesu Tod bezahlt, mit der Auferstehung zerrissen
worden. Er ist nichtig geworden! Das war Karfreitag und Ostern.

Nun, danach gibt es aber Leute in Kolossae und der ganzen Gegend
dort – die Nachbarstadt Laodizea wird ausdrücklich genannt -, die meinen,
Ostern genüge nicht. Manche sagen, Christen müßten Juden werden
V. 11); manche meinen, Christren müssen fasten, sich nach dem Mond und
seinen Zeiten richten (V.16). Nix da. Ostern ist schon alles geschehen.

Wir kennen solche und ähnliche neue Forderungen. Gerade wir
als evangelische Gemeinde, die wir heute morgen in einer lutherischen Kirche
versammelt sind. Luther stritt mit der katholischen Kirche. Damals ging es
darum, daß ein Ablaß, ein Erlaß der Sünden, gegen Geld
verkauft werden sollte. „Nein“ sagte Luther. Er ging dabei sehr in Einzelheiten
wie unser Text, wenn auch auf andere Art. Luther analysierte das Problem. 95
Punkte, seine Thesen vom 31. Oktober 1517, waren das Ergebnis.

Das Problem war damit klar erkannt, wieder erneut ins
Gedächtnis gerufen wie damals in Kolossae. Nur das Problem war damit nicht
aus der Welt. Heute heißt es etwa „Erlaßjahr“, 2000 Jahre, und wird
in Rom gefeiert. Tausende, ja Millionen Menschen sollen nach Rom pilgern.
Ostern, Auferstehung heißt: Gott ist bei den Menschen. Keine Macht, keine
Gewalt kann sich mehr zwischen uns und Gott schieben. „Die Mächte sind
ihrer Macht entkleidet“, drückt unser Predigttext diese Tatsache aus
(V.15). Das ist wörtlich zu nehmen. Richter tragen als Zeichen ihrer Macht
ihre Robe, Ritter ihre Rüstung. Ein Ritter ohne Rüstung ist so
verwundbar wie jeder andere. Der Ritter hat seine besondere Macht verloren.

Liebe Gemeinde, deshalb sind wir gegen die Pilgerreisen nach Rom.
Auch unsere Kirche, die mit der katholischen am 31. Oktober 1999 in Augsburg
ihren Frieden schloß, 482 Jahre nach 1517, ist gegen das Erlaßjahr,
weil der Erlaß etwas erlassen soll, was längst erlassen ist!

Aber nicht nur die katholische Kirche meint, einen Erlaß
bieten zu können, zu müssen. Auch außerhalb der christlichen
Kirchen – und gerade dort – werden zahlreiche Angebote gemacht, Empfehlungen
gegeben, oft sogar als Forderungen erhoben, denn nur so könne sie oder er
glücklich werden bzw. erfolgreich werden. Und was wird nicht alles
angeboten in den Zeitungen und im Internet? Hier ist u.a. zu denken an die
zahlreichen Gurus, wenn sie auch heute weniger zahlreich in Deutschland
geworden sind. Wenn das Offerierte uns Heil, Glück brächte,
müßten wir doch ein Volk von glücklicheren Menschen sein. Warum
sind Psychiater, Eheberater u.a. überlaufen, haben Wartelisten? Warum
waren unsere Flughäfen vor Ostern überlaufen und nach Ostern mit den
Rückkehrern?

Wir waren am Ostermorgen in der Kirche gewesen. Die Orgel brach
mit allen ihren Registern, allen ihren Tönen in den österlichen Jubel
aus. Der Klang ging durch die Kirche, steckte an. Auch die Kinder, die
großen und die kleinen, die alle mit im Gottesdienst waren, wurden von
der Musik erfaßt. Hier rede ich nicht als Orgelbegeisterter, als Fan von
Orgelmusik, sondern ich spiegele, gebe nur zurück, was die Kirchenmusiker
sich im Laufe der Zeit, der Jahrhunderte einfallen ließen, um Ostern zu
jubeln.

Dasselbe gilt für die Dichter. Unser Gesangbuch ist ein
Ausdruck dieser Freude, vermittelt sie, indem es zum Singen einlädt:

„Erschienen ist der herrliche Tag“ (EG Lied 106) oder „Wir wollen
alle fröhlich sein“ (EG Lied 100).

Darum singen wir jetzt: “ Nun saget Dank und lobt den Herren“ (EG
Lied 294,1) und am Schluß des Gottesdienstes stehend: „Christ ist
erstanden“ (EG Lied 99).

Amen

Lieder:
nach der Predigt: Nun saget Dank und lobt den
Herren (EG Lied 294,1)
am Ende des Gottesdienstes: Christ ist erstanden (EG
Lied 99).

Nachbemerkung:

Ich folgte in der Exegese der neueren Literatur, besonders Michael
Wolters mit seinem Kommentar zum Kolosser im Ökumenischen
Taschenbuchkommentar zum NT, Gütersloh 1993.

Die systematisch-theologischen Überlegungen schlossen sich
den Reformatoren, besonders Luther und seinen 95 Thesen von 1517 an.

Last but not least waren mir eine Hilfe aktuelle
Predigtmeditationen zum Text, besonders die Göttinger Predigtmeditationen,
Gottesdienstpraxis und die Predigtstudien.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach,
Göttingen: unembac@gwdg.de

de_DEDeutsch