Kolosser 2, 3(4-5)6-10

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Kolosser 2, 3(4-5)6-10

„Staunen erwünscht“ | 1. Weihnachtstag | 25.12.2022 | Kolosser 2, 3(4-5)6-10 | Uland Spahlinger |

Liebe Gemeinde,

„Alexamenos betet seinen Gott an“, so steht unter eine Wandzeichnung gekritzelt, eine Art Karikatur, die 1857 in Rom gefunden wurde. Sie stammt etwa aus den 120er Jahren nach Christus. Abgebildet ist ein junger Mann vor einem Kreuz, an dem eine Figur mit Eselskopf hängt. Eine religionsfeindliche Schmiererei gegen einen Christen; wir müssen annehmen: Hier „wird durch den Graffito der … Heranwachsende Alexamenos … wegen seines christlichen Glaubens von einem Gleichaltrigen verspottet.“[1] Eine Pöbelei? Ja, ganz gewiss – für viele waren die Christen wohl eine ganz obskure Sekte. Gerüchte gingen um, „dass die Juden und damit die Christen, die lange Zeit als jüdische Sekte galten, besonders den Esel verehren würden“[2]. Fake News und Denunziationen gab es auch schon im alten Rom.

Aber nicht nur die, die jeden Unsinn glaubten und weiterverbreiteten, waren am Start. Auch gebildete Leute, Literaten, Juristen, Politiker sahen die Christen als Feinde, ja Zerstörer der römischen Kultur und des römischen Staatswesens an.

Juristen und Politiker waren empört, dass die Christen den Kaiserkult verweigerten. Es wäre doch nichts dabei, meinten sie, ein paar Körner Weihrauch über die Schulter zu werfen, wenn man an einer Kaiserstatue vorbeiliefe. Wer das verweigert, schädigt den Staat und die Autorität des göttlichen Kaisers. Das kann der Staat sich nicht gefallen lassen – also müssen die Christen verfolgt und bestraft werden. Es gibt ausführliche Briefwechsel darüber, wie das zu geschehen hat[3].

(Später, viel später meinte ein anderer Diktator, alle müssten den rechten Arm heben und Gefolgschaft ohne Wenn und Aber leisten.)

Und dann gab es noch die bunte Palette der philosophischen Schulen und Modeströmungen. Heute würde man das vielleicht mit dem Supermarkt der Weltanschauungen vergleichen. Überall, so will es scheinen, wurde philosophisch diskutiert. Rhetorisches Geschick stand dabei hoch im Kurs, wenn du Anhänger gewinnen wolltest. Dann konntest du die Leute beeindrucken. Schon der Apostel Paulus musste sich mit solchen Rednern in seiner Korinther Gemeinde herumschlagen.

Da gab es ernsthafte Stoiker und alles kritisierende Kyniker, lebensfrohe Epikuräer, selbstbewusste Sophisten und traditionsverbundene Platoniker. Alle meinten sie, die Welt, das Leben, die Ethik und das Wesen der Götter oder des Göttlichen erklären zu können. Man diskutierte und stritt miteinander. Das Christentum hielt man auch hier für eine jüdische Sekte, der man nicht viel abgewinnen konnte und die man vielleicht auch nicht verstand – aber wer würde das zugeben? Schon Paulus musste sich in Athen auslachen lassen, als er über die Auferstehung zu reden anfing (vgl. Apg. 17). Später gab es in Athen einen Philosophen namens Celsus, der das ganze Christentum für „Wahnwitz und Aberglauben“[4] hielt. Celsus kannte sich aus, war aber gleichzeitig bissig und schier grenzenlos in seiner polemischen Kritik der Christen: „Welche Überheblichkeit stecke in ihren Worten: sie seien die Auserwählten der Schöpfung. ‚Ein Chor von Fröschen sitzt im Sumpf und quakt: um unseretwillen ist die Welt geschaffen.‘ Ihren Monotheismus verknüpften sie mit der kuriosen Behauptung, der eine Gott sei Mensch geworden“[5]. Für Celsus ein „Mythos schlimmster Art“[6]. Und er war nicht der einzige der so vom Leder zog.

Den Christen wurde Aberglaube vorgeworfen, Verbrechen wie Kindermord, Verrat an der sittlichen Ordnung der Väter. Und in den Diskussionen auf den Marktplätzen gingen die Argumente wahrscheinlich hübsch durcheinander. Das waren vielleicht die Stammtische oder Chatrooms der damaligen Zeit.

Und die Christen taten sich schwer, dagegen zu argumentieren, wenn hier und da und dort ein Gedanke auftauchte, weitergetragen wurde, sich mit anderen vermischte. Auch da, wo sie Berührungspunkte sahen, etwa in einer ernsthaften Pflichtethik, kamen sie zunächst nicht an in der griechischen Gedankenwelt.

Das war das Umfeld, das sich im Laufe der Zeit entwickelte und in das hinein unser – auf den ersten Blick nicht sehr weihnachtlicher – Predigttext spricht. Er richtet sich an die Gemeinde in Kolossae. Der Kolosserbrief macht in konzentrierter Weise einen großen christlichen Kosmos auf und wendet sich damit gegen andere Welterklärungsversuche, die er als Irrlehren ansieht. Hier geht es um „richtig“ und „falsch“, daran lässt er keinen Zweifel. Sein Blick ist auf Christus gerichtet, den Herrscher über den gesamten Kosmos. Über Christus sagt er:

(BasisBibel Kol. 2)

3In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.

(4Das sage ich, damit euch niemand durch seine Überredungskünste täuschen kann.

5Denn auch wenn ich körperlich abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch. Ich sehe mit Freude, dass euer Leben gut geordnet und euer Glaube an Christus unerschütterlich ist.)

6Ihr habt Christus Jesus, den Herrn, angenommen. Richtet also euer Leben an ihm aus!

7Bleibt in ihm verwurzelt und gründet euch als Gemeinde ganz auf ihn. Werdet fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid. Und hört nicht auf, Gott zu danken.

8Gebt acht, dass euch niemand in die Falle lockt! Weder durch seine Philosophie noch durch falsche Lehren, die nur auf menschlicher Überlieferung beruhen. Ihre Grundlage sind die Elemente dieser Welt – und nicht Christus!

9In ihm ist die ganze Fülle Gottes leibhaftig gegenwärtig.

10Und an dieser Fülle habt ihr Anteil, weil ihr zu Christus gehört. Der steht als Haupt über allen Mächten und Gewalten.

Für die griechischen Philosophenschulen waren solche Gedanken sicher völlig fremd. Und deshalb wendet sich der Kolosserbrief seinerseits gegen „die Philosophie“ – und er macht das sehr pauschal. Man hat den Eindruck, die beiden kommen schier nicht zusammen.

Dabei verbietet er sich ja überhaupt nicht das Denken und Argumentieren. Er hält die Gemeindeglieder viel­mehr zum sorgfältigen Prüfen an: Lasst euch nicht durch Überredungskünste täuschen. Geht den geschickten Red­nern nicht auf den Leim. Die wissen nicht alles, denn sie sind nur Menschen. Ihr hingegen habt Christus als Gewährsmann, und in dem „sind alle Schätze der Weisheit und Erkennt­nis verborgen“ (V.3). Viel mehr sogar noch: Er „steht als Haupt über allen Mächten und Gewalten“ (V.10).

Ja, das ist ein großer, ein sehr großer Gedanke. Er umfasst die ganze Welt, die ganze Schöpfung, und ordnet alles, aber auch alles Christus unter. Dass so eine Behauptung die griechischen Philosophen[7] befremdete, kann man sich vielleicht vorstellen: er passte einfach nicht in ihre Logik und ihre Weltsicht.

Heute ist das ja nicht so viel anders, liebe Gemeinde. Wir stecken als Christen auch in der Auseinandersetzung mit vielen Religionen, Ideologien und Weltanschauungen. Als „Zeitalter Bastelreligiosität“[8] bezeichnet ein kritischer Beobachter unsere Zeit. Auch heute wird unser Glaube in Frage gestellt und manchmal ins Lächerliche gezogen.

Und es ist ja auch nicht immer ganz leicht zu vermitteln und zu verstehen, dass Gott ausgerechnet in einem kleinen Kind, einem Neugeborenen die Nähe zu den Menschen sucht.

Mir fallen zwei wesentliche Gedanken ein, warum das so sein kann. Der erste: ein Baby ist wehrlos und arglos. Es ist darauf angewiesen, dass es angenommen und geliebt wird. Ein Neugeborenes hat seine ganz eigene Gestalt, uns „alle Schätze der Weisheit und Erkennt­nis“ (V.3) zu vermitteln, nämlich dass es auf Liebe und Sorge füreinander ankommt und dass wir damit eine Antwort auf Gottes Willen geben. Schritte auf dem Weg zum Frieden gehen. Die Welt hat den Frieden so nötig.

Und das zweite: das Staunen ist unserer Zeit abhanden gekommen. Wenn du alles immer und quasi sofort bestellen, kaufen, bekommen kannst, dann bleibt das Warten auf der Strecke. Dann gibt es auch keine Überraschungen mehr, kein Innehalten. Und dann läufst du wie eine Maschine an den kleinen Wundern des Lebens vorbei. Der Gott, der auf Militärparaden oder Hochglanzbroschüren verzichtet, dieser Gott will uns dafür gewinnen, das auch zu tun. Stattdessen innezuhalten, einen Moment oder zwei vielleicht, hinzuschauen und das göttliche Wunder des Lebens zu bestaunen.

Ja, Staunen ist angesagt, eine ganz eigene und, wie ich finde, ganz wertvolle Qualität. Anstatt alles, aber auch alles erklären zu wollen – auch die Dinge, die wir schlicht nicht erklären können –, lädt uns Weihnachten ein, das Staunen zu lernen. Tatsächlich innezuhalten. Uns auszuklinken aus dem Taumel der Möglichkeiten und dem „rasenden Stillstand“[9], der immer weiter in eine Richtung rast ohne Alternativen und ohne eine Spur von – Bescheidenheit.

Unser Abschnitt lädt uns ein, auszuscheren aus dem „rasenden Stillstand“ der Welt, die sich nur um sich selbst dreht und Fortschritt als ein „immer weiter so“ missversteht. Das wären die „Elemente dieser Welt“ (V.8), an denen sich das Denken und das Handeln ausrichtet. Wir dürfen darüber hinaus denken, handeln – und glauben: denn uns ist Christus begegnet, der Messias Gottes. Im kleinen Kind, von dem die Weihnachtsgeschichte erzählt. Weihnachten, das heißt dann: hier können wir auf ganz eigene Weise Gottes große Kraft entdecken, die so groß ist, dass sie auch im ganz Kleinen wirken kann. In Bethlehem und überall.

In einem unserer Weihnachtslieder ist es auf den Punkt gebracht:

Den aller Welt Kreis nie beschloss,

der liegt in Marien Schoß;

er ist ein Kindlein worden klein,

der alle Ding erhält allein. Kyrieleis.[10]

Martin Luther hat das gedichtet, wie befreiend!, und er nennt auch den Grund, aus dem Gott so gehandelt hat – und die Konsequenz für Christen, also für uns, wenn wir uns dazu bekennen:

Das hat er alles uns getan,

sein groß Lieb zu zeigen an.

Des freu sich alle Christenheit

und dank ihm des in Ewigkeit. Kyrieleis.[11]

Ja, das ist es wohl, das Wunder der Weihnacht und das Geheimnis des Glaubens: der große Gott, der „Weltenbesitzer“[12], ist ein kleines Kindlein geworden, um uns seine Liebe zu zeigen. Sichtbar zu machen. Glaubhaft. Leben zu verändern. Frieden zu verkünden. Zukunft und Hoffnung zu stiften. Gesegnete Weihnachten!

Amen.


Dekan Uland Spahlinger, Dinkelsbühl

Email: uland.spahlinger@elkb.de


Das Lied EG 23 „Gelobet seist du, Jesu Christ“ eignet sich ins einer ganzen Anlage inkl. der Anrufung „Kyrieleis“ geradezu ideal als Predigtlied.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Alexamenos-Graffito, eingesehen 15.12.22, 20.50 Uhr; dort auch das Bild gemeinfrei.

[2] Ebd.

[3] Vgl etwa den berühmten Briefwechsel zwischen Plinius d.J. und dem Kaiser Trajan, bei Adolf Martin Ritter, Alte Kirche, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen 1, Neukirchen-Vluyn 19771, S. 14ff.

[4] Karl Kupisch, Kirchengeschichte I, Kohlhammer TB, Stuttgart 1973 S. 36f.

[5] Ebd. S. 37

[6] Ebd. S. 37

[7] Ich folge hier (nur hier) der pauschalen Abwehr der „Philosophie“ unserer Perikope.

[8] Hartmut Rosa, Politik braucht Religion, Kösel Verlag München 2022³, S.23

[9] Hartmut Rosa, a.a.O. S.22

[10] EG 23, Gelobet seist du, Jesu Christ, 3. Strophe

[11] EG 23, Gelobet seist du, Jesu Christ, 7. Strophe

[12] So in einer sehr hübschen Wortschöpfung Volker Mantey zu Psalm 24, in: Ders., Die Kraft der Psalmen, cmz-Verlag Rheinbach, 2018, S.14

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