Kolosser 2, (9-10) 12-15

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Kolosser 2, (9-10) 12-15

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag nach
Ostern, Quasimodogeniti

30.4.2000
Kolosser 2, (9-10) 12-15


Jobst v. Stuckrad-Barre


Liebe Gemeinde,

In diesem Gottesdienst wird der kleine Aaron
getauft. Er selbst kann noch nicht sprechen und hilft uns doch, von dem
großen Geschehen zu reden, das Ostern von Gott ausgeht und die Glaubenden
und unsere Welt einbezieht; zu reden von dem, an dessen Vielfalt und
Fülle wir teilhaben durch die Taufe, von dem Auferstandenen, der uns den
Tod der Sündenherrschaft, die Vergebung von Sünde und Schuld in Kreuz
und Auferstehung bringt, von der Befreiung, die die Mächte und Gewalten
als das zeigt, was sie sind: Menschenmächte und -projektionen, die im
Auferstandenen ihr Ende finden.

Aaron, der kleine Täufling, beginnt für
uns zu reden (wie der biblische Aaron anstelle seines Bruders Mose zu reden
hatte, Geheimnisse, Grenzen menschlichen Verstehens anrührend, Gott die
Ehre gebend und nicht etwa nur für sich selbst sprechend!). In diese
Sprache müssen wir uns erst hineindenken, hineinbegeben. Doch schon dies
schafft, indem es geschieht, Freude, die sich auf den Gesichtern zeigt: Das
Kind, das wir anreden, beginnt zu lächeln und eröffnet uns mit einem
Mal die ganze Fülle dessen, was Gott uns zuteil werden läßt;
das Lächeln zeigt uns etwas von der Freundlichkeit und Güte dessen,
der nicht fern über der Welt thront, sondern der uns mitten in unserem
täglichen Tun begegnet, von Ängsten und falschen Herrschaften
befreit. A. beginnt zu reden und zieht uns hinein in das Reden von Gottes
schöpferischer Macht, von seiner Art, die Welt neu werden zu lassen, die
so ganz anders ist als die Art weltlicher Mächte und Herrschaft. Von
dieser uns umkrempelnden Macht beginnt der kleine Junge zu reden, wenn wir ihn
zu Wort kommen lassen.

Dieses große Geschehen, das mit Ostern
anfängt und in der Taufe uns alle einbezieht, begründet unsern
Glauben im Auferstandenen, gibt uns Halt im unablässigen Strom von Leben
und Tod, von Sündenangst und Todesfurcht.

Sündenangst? Lockt nicht allein dies Wort ein
Lächeln hervor, anders aber nun als eben das Lächeln des
Täuflings – wie von weither kommen uns manche dieser Worte vor, weit
zurückweisend und eigentlich doch längst hinter uns? Doch genauer
betrachtet taucht noch in diesem scheinbar längst zurückgelassenen
Wort das verzerrte Gesicht des Menschen auf, der sich um Korrektheit
bemüht und immer wieder scheitert. Auch heute, wo jeder sich beliebig
seine Tradition und seine Lebensziele aussuchen kann, ja muß, weiß
er doch nur zu genau, wo er seinem Egoismus, seiner Feigheit, dem vorgeblichen
Sachzwang erliegt und den andern Menschen wie ein Stück Dreck behandelt,
wie ein Instrument, das man benutzt und dann wegwerfen kann; im gleichen
Augenblick erkennen wir, daß wir darin auch Mitte und Ziel des Lebens
verfehlen.

Diese Angst, unter die Räder zu geraten,
Mitte und Ziel zu verfehlen, wird in Jesus hinfällig: Um unseretwillen ist
er gestorben – um unserer Verfehlung, um der Sünde willen, die wie eine
kosmische Macht nach dem Menschen greift. Wir ordnen heute die Sünde, die
Verfehlung Gottes und des eigenen Lebens eher und oft einzig dem Einzelnen zu
und reduzieren sie auf die Erfolgsfrage – was habe ich falsch gemacht, womit
habe ich diesen Mißerfolg verursacht – das kosmische Modell des
Kolosserbriefs läßt zumindest einmal wieder über diese
Individualisierung nachdenken.

Wer getauft ist auf den Auferstandenen, braucht
nicht mehr ängstlich zurückzustarren, sondern kann mit ihm an die
Menschen, an die Anforderungen des nachösterlichen Alltags herangehen, ins
Leben hinein. Die Macht der Sünde ist abgetan, begraben, abgewaschen in
der Taufe. Nicht durch uns, unsere Leistung, sondern durch den, der uns das
Leben schenkt, der uns gut ist, an dessen Kreuz der Schuldbrief geheftet wurde,
damit die Forderungen ein für alle Mal beglichen wurden. Seit Ostern, seit
Jesu Auferstehung gilt eine neue Wertstellung: Nicht Vergeltung, sondern
Vergebung; nicht Haß gegen Haß, nicht Gleichgültigkeit, nicht
Tod – vielmehr anstelle des Todes das Leben. Das Leben des Auferstandenen.
Grund unserer Hoffnung, Grund der Taufe – Leben für uns.

Die Todesherrschaft, sie hat ein Ende. Die
Auferstehung Jesu hat sie durchbrochen. Wir müssen auch nicht mehr
ängstlich darauf starren: was wird mit uns, wenn wir gestorben sind, wo,
wie und was sind wir. Der im Kreuz und in der Auferstehung Jesu die Todesmacht
aus den Angeln hob, bei dem sind auch wir dann gut aufgehoben.

Wie aber nun? Vergebung der Sünden und neue
Lebendigkeit: ja – doch auferstanden, wie der Kolosserbrief schreibt, das sind
wir noch nicht! Hier hat er eine von Paulus und der sich ihm bis heute
anschließenden Tradition abweichende Meinung. Sie zielt offensichtlich
darauf, die Gegenwärtigkeit der Gotteskraft im Glauben zu beschreiben. Die
Gefahr dabei: Die Anschauung, daß wir in der Taufe auch schon
auferstanden seien, nimmt dem Leben und seiner Gefährdung den Ernst.
Hoffnung, die man sieht, kontert Paulus, ist keine. Ihm geht es um den Anfang
der Auferstehung in Christus, dem wir nachfolgen.

Ehe wir uns im Gestrüpp verschiedener
Anschauungen verlieren, stelle ich den Grund unserer Osterfreude, unseres
Getauftseins, unseres Christenlebens in die Mitte: Der Auferstandene hat
zerstört des Todes Macht, bringt uns das Leben neu nahe und damit die
Hoffnung, die den Tod überwindet.

So zeigt es uns der Täufling, so ist es in
unserer eigenen Taufe gelobt worden, dem stimmen wir zu in jedem Gebet, in
jedem Gedanken, in dem wir die Zeit, unsere Zeit Gott anvertrauen – wie dann
Zeit und Ewigkeit ineinanderwirken, ist ganz seine Sache.

Die Folgen dieser Übereignung sind erheblich:
Der Auferstandene, in dessen Namen wir, die Getauften leben, befreit von der
Herrschaft aller möglichen Mächte und Gewalten. Er läßt
sie uns erkennen als Menschenmächte, als Mechanismen, mit denen einige
herrschen und viele beherrscht werden. Die Opfer politischer Manipulation hat
das zuendegehende Zeitalter zur Genüge gezeigt; jetzt müssen wir
lernen, die Macht der Märkte – ob neu, ob alt – menschlich werden zu
lassen. Sonst anonymisieren sie die Herrschaft von Menschen erneut und machen
sie zu Weltmächten im Sinne der Zeit des Kolosser: Menschen werden zu
Opfern im Namen einer vorgetäuschten Freiheit.

„www“, Internet, e-commerce – alles
Stichworte eines gewaltigen Umbruchs in unseren
Kommunikationsmöglichkeiten; wenn es in einem komplizierten Ausgleich von
Interessen gelingt, hier Spielregeln einzuführen, die die Opfer
schützen, ist das ein Gewinn – wenn nicht, sind wir hier vor einem neuen
Beispiel der Mächte und Gewalten, die ihrer Macht entkleidet werden
müssen.

Auch da ist eine neue Sprache zu lernen, haben wir
wie der Täufling sprechen zu lernen. Vielleicht beginnt auch hier alles
mit einem Lächeln, in Antwort auf das Lachen, das die Todesmächte
seit Ostern ihrer Mächtigkeit beraubt. All die, die auf den hohen Podesten
ihrer Fusionen und Konfusionen stehen und sich am Ende nur an sich selber
verschlucken können, weil sie die Menschen nicht mehr sehen und die
Schöpfung in ihrer Eigenart nicht mehr achten – sie scheinen alle Macht
der Welt zu haben. Doch Liebe läßt sich so nicht erwerben. Und Leben
schon gar nicht.

Die Sprache des kleinen Täuflings ist eine
andere. Diese Sprache hilft uns, unsere Zeit zu verstehen aus der Zeit des
Auferstandenen. Das Verstehen wächst dabei in all den Veränderungen
wie die Liebe, und wir sehen, wie wir in Christus teilhaben an der Fülle
Gottes, die er uns verheißt: die große Befreiungsbewegung von
Ostern.

Amen.

Pastor Jobst v. Stuckrad-Barre, Kleiner Hillen 1, 30559
Hannover
e-mail:
StuckradBarre@gmx.de

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