Liebe beflügelt

Liebe beflügelt

Predigt zu 1Petrus 2, 21b-25 | verfasst von Eberhard Busch |

 

Christus hat uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden; welcher nicht widerschalt, da er gescholten wurde, nicht drohte, da er litt, er stellte es aber dem anheim, der da recht richtet; welcher unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir von der Sünde loskämen und der Gerechtigkeit leben; durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr habt euch nun hingewandt zu dem Hirten und Beschützer eurer Seelen.

Der Schriftsteller Ernst Wiechert hat eine sonderbare Geschichte aufgeschrieben. Sie hat sich zugetragen zu der Zeit, als noch die Leibeigenschaft so Viele drangsalierte. Da hören wir von einem argen Herrn. Der wollte eines Tages den Pfarrer an seinem Ort zwingen, um Geld zu spielen. Der Geistliche aber weigerte sich – in Erinnerung an Jesus, um dessen Rock die Kriegsknechte unterm Kreuz würfelten. Das Untertansein unter einem hohen Herrn darf ja nie heißen, etwas gegen den einen, den wahren Herrn: den Heiland der Menschen, zu tun. Folgt man ihm, so schließt das nicht aus, dadurch etwas Bitteres zu erleiden, so wie es auch Jesus widerfuhr. Was tat jener üble Herr dem Pfarrer an? Er ließ ihn grausam auspeitschen. Anderntags war Gottesdienst. Auf der Kanzel stand derselbe Geschlagene. In der versammelten Gemeinde saß auch dieser Menschenschinder, auf dem Adelsstuhl, so dass alle Augen der Andern ihn sahen. In der Predigt geschah etwas Entsetzliches: der Pfarrer hielt einen Nachruf auf jenen Herrrn, der hoch auf dem Adelsstuhl vor ihm saß. Er sei gestorben, weil er wie die Kriegsleute unter dem Kreuz um den Rock Jesu gespielt habe und um den Rock von noch vielen Armen auf der Erde um ihn herum. So schrecklich sei er gestorben, dass er umhergehe wie ein wandelnder Leichnam, und so, dass jedermann vor ihm ausweiche, weil er rieche wie der tote Lazarus. Da sprang der Herr rasend vor Wut auf, um den Pfarrer zu erstechen. Doch sein Degen traf das Herz des Jesuskinds, das im Holz der Kanzel geschnitzt war. Da sank jener Plagegeist auf die Knie und barg sein Gesicht in seinen Händen. So führte ihn der Pfarrer aus der Kirche. Dieser Peiniger aber, so schließt die Geschichte, verwandelte sich von Stund an.

Von solcher Verwandlung redet auch unser Predigttext. Er handelt von der Frage, wie solch einem Grobian und wie noch manchen weiteren Menschenschindern das Handwerk gelegt werden kann, so dass sie genesen. Denn, nichtwahr, es gibt solche Quälgeister wie die, von denen der Schriftsteller erzählt, an manchen Orten, in niederen, höheren und in höchsten Positionen. Wie soll man mit ihnen umgehen? Wenn keine Besserung in Aussicht steht! Hilft dagegen nicht das altbekannte Mittel: auf jeden Schlag ein Gegenschlag? „Ich kenn‘ mich, ich vergess‘ mich“, wie man das im Ruhrgebiet zu sagen pflegt, wenn man eine Kränkung nicht auf sich sitzen lässt.

O nein, bei Christus geht es anders zu. Nein, er gab kein Widerwort, als er belästigt wurde. Er erwiderte nicht Aggression mit Aggression. Er nahm es auf sich, dass auf ihn eingestochen wurde. „O Lamm Gottes, unschuldig, … all Sünd hast du getragen.“ Nicht hat er es einfach geschluckt. Er hat es getragen, ertragen, um es wegzutragen. „Hinaufgetragen“ zu dem, „der da recht richtet“. Und so hinauf an das „Holz“, am Karfreitag! Und das nicht, um es zwischenzulagern und es bei anderer Gelegenheit uns wieder vorzuhalten. Das unternahm er, um das abzuschließen. So dass das Unrecht kein Recht mehr an uns hat. So dass wir davon ausgehen können, „durch seine Wunden sind wir heil.“ Und wenn wir jemals rückfällig werden – und das kommt vor, nicht wahr? –, dann ist das einfach nicht normal. Dann werden wir so etwas sein wie ein wandelnder Leichnam oder der tote Lazarus.

Unsre Sünde hat er auf sich genommen und weggebracht. Sünde? Fragen wir für einmal nicht, was Andere sich zuschulden kommen lassen. Fragen wir heute uns selbst. Wir sind ja wohl nicht solche Grobiane wie der, von dem Ernst Wiechert erzählt. Aber achten wir auf das, was unser Predigtwort von Christus sagt: „In seinem Mund fand sich kein Falsch.“ Da können wir schwerlich mithalten. In der Bibel wird es sogar als eine üble Sünde aufgeführt: das Unerfreuliche, das wir mit unserm Mundwerk anrichten. Seht, heißt es da: „die Zunge, das unruhige Übel voll tödlichen Gifts, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an“ (Jak 3,5f), so etwas wie jenes allerkleinste Virus, das ganze Völker in panische Schrecken versetzen kann.

Von so vielen Kirchen heißt es gegenwärtig: „Bis auf Weiteres geschlossen.“ Wegen der Pandemie! Könnte es sein, dass das die Quittung ist dafür, dass öfters Mal in ihnen etwas laut geworden ist, was vor Gott und den Menschen nicht recht ist? Dass vielleicht auch darum so manche nicht mehr dorthin gegangen sind, weil sie davon kaum einen Nutzen erwarteten? Sind es nicht bloß die staatlichen Behörden, die hier die Türen schließen? Sagt hier nicht still und leise Gott ein ernstes Nein?

Aber hören wir recht zu! Genau das, wozu Gott Nein sagt, das hat Christus auf sein Geheiß weggetragen. Und das so gründlich, dass es in unserem Text nachgerade heißt: dass wir damit der Sünde „abgestorben“ sind. Gott sagt nicht zu uns Nein, ohne erst recht Ja zu uns zu sagen. Wie Martin Luther es ausdrückte: „Gott ist ein brennender Backofen voller Liebe.“ Seine Liebe brennt, aber sie verbrennt nicht. Seine Liebe ist eben auch ein heilsamer Schlussstrich. Gut, wenn es mit all dem Verkehrten einmal ein Ende hat, das noch so gespenstisch in unsere Gegenwart und in unser Leben ragt. In Christus hat Gott einen Schlussstrich gezogen, damit das Stechen und Verletzen unter uns Menschen endlich, endlich zum Stillstand komme. Nein, man muss nicht jedem Unfug folgen. Treten wir nicht in die Fußstapfen von Meister Tunichtgut! Und singen mit Graf Zinzendorf: „Wenn uns die böse Lust anficht, muss ich gottlob ihre folgen nicht.“

Denn Gott hat mit uns noch ein Schönes vor. Er kann Menschen verwandeln, und tut es auch, so dass aus Unmenschen Menschen werden. Dafür ist Christus eingetreten, dafür ist er dazwischen getreten, dafür hat er sich eingesetzt und hergegeben,– nicht bloß, damit die Leute sich bessern, sondern dafür, dass unser aller Leben gesund wird. Er ist, sagt unser Text, wie ein sorgsamer Hirte, der sich seiner herumirrenden Schafe als ihr Beschützer angenommen hat und auch heute annimmt, so, dass uns ein neuer Tag dämmert.

Werden wir jetzt neue Menschen? so, dass durch Christus ein Neues bei uns anfängt, Menschen, die ihr Leben im Gegeneinander hinter sich haben und vor denen ein neues Leben liegt im Frieden miteinander, ein Leben, in dem Jesus uns vorangeht und wir ihm folgen: ihm, ,,der nichts tat, was Sünde wäre, und in dessen Mund sich kein Falsch fand.“ Sollten wir nicht auch dergleichen tun? Oder denken wir, dass das nicht geht? Bitte, schauen wir jetzt nicht auf unser Unvermögen und unsern Unwillen! Schauen wir auf den, der uns vorangeht, auf den, der uns mehr zutraut, als wir bislang ahnten! Seine Liebe beflügelt uns.

Er, „der nicht schmähte, wenn er geschmäht wurde, der nicht drohte, wenn er leiden musste“. Er hat das nicht bloß gelehrt. Er hat es uns vorgemacht, damit wir es ihm nachmachen. Eben seine Liebe beflügelt uns dazu. Statt Faustschlägen eine wehrlos offene Hand. Er lädt uns ein, in seine Fußstapfen zu treten. Ein Sprichwort sagt: „Man kann niemanden überholen, wenn man in seine Fußstapfen tritt.“ Ja, wenn man in Jesu Fußstapfen tritt, muss man auch keinen überholen. Man darf  einfach menschlich sein: mitmenschlich.

Hat er das bloß in unser Belieben gestellt? – dass wir dergleichen nur bei Lust und Laune tun mögen. Nein, er hat es uns nicht nur zugetraut, er hat es uns auch zugemutet. Und gilt das nur im Privaten? Nun, es ist auch das gar nicht so leicht, wie wir gerade in diesen Tagen zu hören bekommen. Jeremias Gotthelf schrieb: „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“ Doch gilt es in der Politik, in den Kliniken, in der Wirtschaft, im Militär etwa gar nicht? Gibt es gar nichts, was da „leuchten soll“? Probieren wir es aus! Lassen wir es auf einen Versuch ankommen! Und nicht sich entmutigen lassen, wenn es Rückschläge und Enttäuschungen gibt, wenn wir selbst zu stürmisch oder zu tapsig oder zu leisetreterisch sind.

In unseren Zeiten des Coronavirus vollzieht sich ja ein lehrreicher Vorgang. Ein lieber Mitmensch schenkte mir kürzlich eine CD mit klassischer Musik, unter dem Titel „These Distracted Times“, das heißt: „diese verwirrten, besorgten, störenden Zeiten“. Der Titel ist auch ein Fingerzeig auf unsern heutigen Tag. Worauf kommt es an, in diesen störenden Zeiten? Haben wir uns etwa schon an das heutige Leiden der Anderen gewöhnt, solange es uns nicht trifft?, wie es Papst Franziskus befürchtet hat. Oder lernen wir es jetzt nicht doch? Und wenn wir davonkommen aus diesen besorgten Zeiten, mögen wir es inskünftig in Erinnerung behalten: Menschen rücken zusammen, indem sie Rücksicht aufeinander nehmen. Menschen sind nah beieinander, indem sie Distanz wahren. Menschen lieben ihre Nächsten wie sich selbst, indem sie Hab-Acht-Stellung vor ihnen einnehmen. Menschen sind hilfreich für die Kranken und Sterbenden in den Spitälern, indem sie bei ihnen sind im Gebet.

Ja, beten wir, dass Jesus uns die Beherztheit verleihe, ihm zu folgen. Beten wir, es möge uns dabei geschenkt sein, so wie es Ernst Wiechert uns vorgestellt hat: Beides, den nacht-schwarzen Unfug hinter uns lassen und der Morgensonne eines neuen Tages entgegen gehen. Beides kraft der göttlichen Barmherzigkeit. Und beides tut uns gut: der resolute Schlussstrich hinter dem Nonsens ebenso wie der Ausmarsch hin zu einem uns neu geschenkten Leben.

Eberhard Busch, Friedland

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