Liebe ist nicht nur ein Wort

Liebe ist nicht nur ein Wort

6. Sonntag nach Trinitatis – 19. Juli 2020 | 5. Mose 7, 6-12 | verfasst von Christine Hubka |

 

Vorbemerkung: Corona-bedingt ist in der evang. Kirche in Österreich die Dauer der Gottesdienste auf 30 – 40 Minuten beschränkt. Das wirkt sich auch auf die Länge der Predigt aus.

 

 

Du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten. So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.

Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat, …

 

Wie habt ihr das, was hier gesagt ist, gehört?

Als Zusage, Freundliches Entgegenkommen, gar als Liebeserklärung?

Oder ist da Drohung mit Vergeltung bei dir angekommen.

Ich bitte um ein Zeichen bei der Abstimmung:

  • Drohung mit Vergeltung: ????
  • Liebeserklärung: ????
  • Beides gleich stark: ???

Zwei Versuchungen bringt dieser Abschnitt für die Bibelleserin, den Bibelleser:

  1. Den Text abzukürzen. Nur das zu lesen, was angenehm und nett ist. Und den Rest untern Tisch oder unter die Kanzel fallen zu lassen.
  2. Das Ganze zu lesen, mit der Bemerkung: Tja, so ist halt das Alte Testament. Da muss doch immer gleich vom Töten und Vergelten die Rede sein.

Hören wir also auf die ganze Botschaft. Obwohl nicht wir, die christliche Gemeinde hier in Ottakring, sondern das Volk Israel die ersten Adressaten sind.

Ich habe es noch im Ohr, wie in meiner Kindheit nur wenige Jahre nach dem Holocaust bestimmte Leute dem Volk der Juden Arroganz vorgeworfen haben.

Das klang dann so ähnlich: „Sie glauben, dass sie was Besseres sind als alle anderen. Sie meinen ja, dass sie das erwählte Volk sind.“

Ich bin sicher: Niemand von diesen Leuten hat sich je die Mühe gemacht, in der Bibel nachzuschlagen. Denn die Begründung, warum der biblische Gott gerade Israel erwählt hat, ist ja nicht sehr schmeichelhaft: Sie waren die Kleinsten, wohl auch die Schwächsten von allen. Ich sehe keinen Grund, warum man sich deshalb besonders gut vorkommen sollte.

Wir heute hier sind es nicht, die in diesem Sinn erwählt wurden.

Aber wir haben hier ein Lehrstück über die Liebe vor uns. Über die Liebe Gottes. Zugleich kann es für uns ein Lehrstück werden über unsere eigene Fähigkeit zu lieben.

Schritt für Schritt gehe ich die Botschaft des Propheten durch:

Das Volk ist das Kleinste von allen. Und das erregt die Liebe des biblischen Gottes. Ich trau mich zu sagen: Gott liebt die Kleinen und die Schwachen. Und Jesus hat das bei seinen alltäglichen Begegnungen gelebt. Denn: Liebe ist nicht nur ein Wort. Liebe das sind Worte UND Taten.

Viele von uns wurden als Baby getauft. Da haben wir noch kein einziges Gebot gekannt. Nicht die zehn Gebote. Und auch nicht das, was Jesus geboten hat. Da waren wir klein, schwach und unendlich abhängig von anderen. Gott liebt zuerst. Gott liebt, auch wenn wir diese Liebe noch nicht erwidern können, und noch gar nichts von ihr wissen. Das ist für mich die Botschaft der Säuglingstaufe.

Wir haben unter uns aber auch Menschen, die erst vor kurzem als Erwachsene getauft wurden. (Anmerkung: Es handelt sich um Asylberechtigte aus dem Iran und Afghanistan. Sie bilden inzwischen eine beachtliche Gruppe in der Gemeinde.) Auch eure Taufe ist ein Zeichen, dass Gott die Schwachen liebt. Denn eure Position hier in Österreich war zur Zeit eurer Taufe unsicher. Ja, zum Teil sogar gefährdet. Eure Taufe war für uns, die wir mit dabei waren, ein Auftrag. Euch zu schützen und zu unterstützen. So gut wir halt vermochten. Die Liebe Gottes wird erst spürbar, wenn Menschen, die von ihr berührt wurden, sie weitergeben.

Aber ich sehe auch, dass in unserem Land die Starken viel „angesehener“ sind. Im Mittelpunkt stehen gewöhnlich nicht die Schwachen. Die Kleinen. Sie sind im öffentlichen Leben so gut wie unsichtbar.

Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe das sind Worte und Taten. Dazu gehört auch, jemanden erst einmal überhaupt zu sehen. Ihn oder sie wahrzunehmen. Jesus hat gezeigt, wie das geht.

Liebe ist Selbstverpflichtung. Der Gott der Bibel hat sich aus freien Stücken an sein Volk gebunden. Gott verpflichtet sich, treu zu sein.  Gott verpflichtet sich, das Volk in die Freiheit zu führen.  Den Worten folgen Taten. Im Fall von Israel führt Gott sie in der Gestalt der Wolkensäule und der Feuersäule persönlich aus Ägypten heraus. Er hält seine Hand über die Wasser des Roten Meeres, damit sie durchgehen können. Das alles, ohne irgendeine Bedingung zu stellen.

Aus Liebe dem anderen zur Freiheit verhelfen. Die Sehnsucht nach Freiheit unterstützen. Den Weg in die Freiheit ermöglichen. Bedingungslos. Ich sehe, wie menschliche Liebe in Gefahr ist, den Geliebten, die Geliebte ängstlich festzuhalten. Ihm oder ihr die Freiheit zu nehmen.

Liebe wirkt viel weiter als nur zum geliebten Gegenüber. Bis ins tausendste Glied, also nicht nur die Kinder, sondern deren Kindeskinder und noch viel weiter wirkt sich die göttliche Liebe aus. Und mit der menschlichen ist es ähnlich. Das kann ein Segen sein, dort wo Liebe waltet und den Alltag durchdringt. Das kann über Generationen zur Belastung werden, wenn diese Liebe fehlt.

Da braucht niemand noch extra draufhauen. Da braucht niemand sich irgendwelche Vergeltungsaktionen ausdenken. So wie Liebe ein Selbstläufer ist, so ist es auch das Versagen in der Liebe. Die Folgen stellen sich zwangsläufig von selbst ein.

Aber anders als bei gescheiterten menschlichen Liebesbeziehungen, ist in der Beziehung von Gott zu seinen Menschen dann das letzte Wort nie gesprochen: Immer und immer wieder, so erzählt das Alte Testament, hat Gott erneut seine Liebe angeboten und damit aufs Spiel gesetzt. Unverdrossen. Und im Wissen, wie schwach die Fähigkeit von uns Menschen ist, treu zu sein und zu bleiben.

Womit wir wieder am Anfang wären: Gott, der das Schwache liebt, wendet sich ihm in besonderer Weise zu.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Evangelium: Mt 28,16-20

Liedvorschlag:

EG 665: (nicht in allen Landesanhängen) Liebe ist nicht nur ein Wort https://www.tritonus.eu/Chorsaetze/Liebeistnicht.pdf

 

EG 401 Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht

 

 

Pfrn. i. R. Dr. Christine Hubka;

Derzeit evang. Gefängnisseelsorge Wien

christine.hubka@gmx.at

de_DEDeutsch